§ 23.

[50] Wie wir im vorvorigen § argumentirten, ebenso auch hier. Die, alles factische Wissen anhebende (weil nur sie ihm ein Für, einen Lichtpunct ertheilt) formale Freiheit wurde im vorigen gedacht, als absolute Möglichkeitsbedingung alles Wissens oder als, das Wissen seinem Wesen nach bindende Nothwendigkeit. Dieses Denken, das Freiheit und Nothwendigkeit verschmelzende, muss für sich seyn, selbst in sich zurückkehrendes Wissen werden. Selbst dieses, alles factische Wissen durchdringende und erfassende Wissen geht somit wieder aus sich heraus, um sich selbst in sich zu construiren (so wie im vorvorigen § das factische Wissen aus sich herausging, um eben zu dem gegenwärtig aufgezeigten Erfassen desselben in seinen Möglichkeitsgründen aufzusteigen. Es ist eine Triplicität, wie jeder nun sehen kann, und die jetzige Synthesis ist wieder eine Synthesis der letzten und der vorletzten.).

Wir gehen in den Mittelpunct derselben hinein, wie wir hier wohl müssen, da wir (der Kürze halber) gar keine Nebenglieder aufgestellt. Es ist gar nicht die Frage und nicht Object unserer neuen Synthesis, wie in dem vereinigenden Wissen von dem formalen Freiheitsacte gewusst werde, denn dieser ist die absolute Anschauung selbst und hebt das factische Wissen schlechthin aus sich selbst und durch sich selbst an; sondern wie von der Nothwendigkeit gewusst werde, und zwar eben schlechthin, und unabhängig von ihrer im vereinigenden Denken geschehenden Uebertragung derselben auf die formale Freiheit.

Nothwendigkeit ist absolute Gebundenheit des Wissens oder absolutes Denken, welches daher alle Beweglichkeit, Sichlosreissen und Ausgehen von sich selbst, um nach einem Weil nur zu fragen, schlechthin abschneidet, und schlechthin nicht ist, was es ist, wenn dies hinzutritt. Nun soll diese in einem Wissen auf die Anschauung übergetragen werden; sie muss daher doch in ihm vorkommen, die Form des Für annehmen,[50] also sich anschauen und dergl. Aber in der Anschauung, was in ihr ist, schlechthin weil es ist: mithin nicht mehr bloss, schlechthin was es ist.

Daher könnte diese Anschauung sich selbst nicht anschauen, zu keinem Wissen ihrer selbst sich erheben, sondern sie vernichtete ihre Form schlechthin durch ihre Materie, und wir erhielten ein Wissen oder – da wir hier überhaupt von Formen reden – die Form eines (vielleicht anderen, späterhin aufzuzeigenden) Wissens, das sich schlechthin nicht als Wissen setzt, sondern als (formales, versteht sich) Seyn und als absolutes, auf sich selbst ruhendes Seyn, aus welchem nicht herausgegangen, noch nach einem Weil gefragt werden kann, das da auch nicht selbst aus sich herausgeht, sich erklärt oder ein Wissen für sich ist, oder irgend etwas der Art, was man dem Wissen zuschreiben könnte.

Der eigentliche Focus und Mittelpunct des absoluten Wissens ist hiermit gefunden. Er liegt nicht im Sichfassen als Wissen (vermittelst der formalen Freiheit), auch nicht in dem Sichvernichten am absoluten Seyn, sondern schlechthin zwischen beiden, und keines von beiden ist möglich, ohne das andere. Es kann sich schlechthin nicht fassen als das absolute (und davon lediglich ist ja hier die Rede, d. i. als das Eine, ewig sich gleiche, unveränderliche), ohne sich als nothwendig anzusehen, also in der Nothwendigkeit sich zu vergessen; und es kann die Nothwendigkeit nicht fassen, ohne eben überhaupt zu fassen, also sich für sich zu erschaffen. Es schwebt zwischen seinem Seyn und seinem Nichtseyn, wie es wohl muss, da es seinen absoluten Ursprung zugleich wissend in sich trägt. (Das Reinholdsche Denken als Denken: – wäre er aber auch zu diesem Denken, als dem absoluten einfachen Seyn, durchgedrungen, wie weiss er denn davon, wie kann er Rechenschaft geben von der Genesis dieses Begriffes für ihn?)

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 50-51.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801
Darstellung Der Wissenschaftslehre Aus Dem Jahre 1801 (Paperback)(German) - Common