§ 28.

[68] Beschreiben wir sie hiernach von einer neuen Seite:

1) A (das absolute Seyn, das reine Denken, das Abhängigkeitsgefühl – oder sie man will – deswegen, weil es in diesen verschiedenen Ansichten nach dem Fortgange der Reflexion in der That vorkommt) wird mit absolut formaler Freiheit reflectirt. Mit, habe ich gesagt: sie tritt hinzu, seyn könnend[68] oder auch nicht. Aber diese Freiheit ist absolutes Fürsich; also sie weiss in dieser Vollziehung zugleich von sich. Was aber von ihr reflectirt wird, ist das absolute Denken; d.h. sie denkt absolut; die formale Freiheit wird eben in dieses absolute Denken aufgenommen, sie hat dadurch ihr Materiales erhalten, indem sie überhaupt wohl seyn kann oder nicht, wenn sie aber ist, schlechthin so seyn muss (moralischer Urquell aller Wahrheit).

Man bemerke hierbei die absolute Disjunction, und zwar in zweierlei Richtungen: a. Das Wissen ist in A gefesselt; es reisst sich von sich selbst los, um für sich zu seyn, und formirt ein freies Denken. Beides ist sich schlechthin entgegengesetzt; beides ist aber, wenn ein Wissen seyn soll, gleich ursprünglich und absolut. Diese Gegensetzung daher bleibt und kann nie aufgehoben werden; und dies wäre eine ihm selber äussere Ansicht, wo der Focus des Wissens eigentlich in uns ist.

b. Kommen wir zur inneren, indem wir den Focus in die Reflexion selbst werfen. Sie weiss – davon wollen wir ausgehen – unmittelbar von der absoluten Freiheit, mit der sie sich vollzieht, weiss frei oder von Freiheit. Nun denkt sie aber auch gebunden; Beides ist sich entgegengesetzt und bleibt gleichfalls ewig disjungirt. Grund aller Gegensetzung, Mannigfaltigkeit u.s.w. ist im gebundenen Denken. Beides aber ist darin, dass das absolute Denken die Hauptsache, eben der einig mögliche Ursprung aller freien Reflexion ist, auch vereinigt, und so wird die Freiheit dem absoluten Denken subordinirt. Grund aller Substantialität und Accidentalität: die Freiheit, als Substrat des Accidens, kann seyn oder auch nicht; ist sie aber, so ist sie durch das absolute Seyn, als die Substanz, unveränderlich bestimmt. (Spinoza kennt weder Substanz, noch Accidens, weil ihm die Freiheit, als das beide Vermittelnde, fehlt. – Das absolute Accidens ist nicht, was so seyn kann oder anders: denn sodann wäre es nicht das absolute; sondern nur, was überhaupt seyn kann oder nicht, wenn es aber ist, schlechthin bestimmt ist. Dergleichen Accidentalitäten bekommen wir nur, wenn die Freiheit der Blindheit[69] aufgestellt wird, daher überhaupt nicht in unserer Wissenschaft, noch in irgend einer Wissenschaft, sondern nur in der Unwissenschaftlichkeit.)

Der Wendepunct zwischen beiden ist die formale Freiheit, und dieser ist, aber nicht willkürlich, sondern bestimmt, ideal und real. Mein Wissen von dem Absoluten (der Substanz) ist durch die freie Reflexion und da diese zugleich nachgewiesenermaassen gebunden ist, durch die Gebundenheit derselben (= Accidentalität) bestimmt. (Man weiss von der Substanz nur durch das Accidens.) Umgekehrt – in dem Standpunct des Seyns uns stellend, wird uns die Bestimmtheit des Accidens erklärt aus der Substanz, und so ist das an sich ewig und absolut Disjungirte durch die Nothwendigkeit, von Einem zum Anderen fortzugehen, vereinigt.

2) In dieser Reflexion, haben wir gesehen, muss die absolut formale Freiheit von sich wissen; ausserdem würde sie dem absoluten Seyn nicht untergeordnet; sie fiele mit ihm zusammen. Aber sie weiss bekanntlich von sich selbst nur durch Anschauung, welche laut allem Obigen ein durchaus freies Sichhalten innerhalb des unbedingt Separablen, im Sichhalten über der Quantitabilität ist. (Dass diese ganze Quantitabilität durchaus bloss die Folge der Selbstanschauung der Freiheit ist, ist zur Genüge erwiesen, aber ja nicht zu vergessen; die Vernachlässigung dafür führt eben zum Dogmatismus.) – Sie schaut sich als frei, heisst: sie schaut sich an als in Unbedingte quantitirend – sich ausdehnend über die Unendlichkeit, sich zusammenziehend in einen scheinbaren Lichtpunct. Es entsteht hierdurch sonach noch eine andere materiale Bestimmung, die hier freilich nur Bestimmbarkeit bleibt, schlechthin aus der Freiheit und ihrer absoluten Darstellung in der Reflexion selbst.

Sichtbar ist hier die Disjunction zwischen der absoluten formalen Freiheit, die da nur eben seyn kann oder nicht, und dem Quantitäts-Gehalte derselben. Das erste ist ein, jedoch freies Denken, das letztere ein Anschauen, und zwar ein formal gebundenes (so sage ich mit Bedacht: noch nicht bestimmte Quantität, nur Quantitabilität ist gesetzt). Beides ist vereinigt durch die in sich zerfliessende Form der Freiheit[70] überhaupt, ohne welche nach den bisherigen Erörterungen Beides überhaupt nicht wäre. – Sichtbar ist ferner, dass dies die Grundform aller Causalität ist. Die factisch gesetzte Freiheit ist Grund (Ursache); die – hier ganz beliebige Quantität, Erfolg. Es ist klar, dass Ideales und Reales hier durchaus zusammenfällt. (Man sage nicht, es wird aus der Wirkung auf die Ursache im Wissen geschlossen, ohnerachtet die Ursache der Realgrund seyn soll. Hier ist Wirkung gar nicht ohne unmittelbare Ursache; beide fallen zusammen.)

3) Nun soll, laut 1. die Freiheit eine materiale Bestimmung, das absolute Seyn, erhalten. Sie ist ihrem Wesen nach an das Quantitiren gebunden, hat aber in sich selbst kein bestimmendes Gesetz dafür, welches, wenn es wäre, die Nothwendigkeit jener Bestimmung freilich ganz aufheben würde. Jene materiale Bestimmung durch das absolute Seyn musste daher ganz gleicher Weise für die Freiheit, wie für die Quantität gelten. (Man bemerke wohl, wie dies bewiesen ist.)

Nun achte man scharf auf Folgendes: – das unmittelbare, wirkliche Bewusstseyn – weiss überhaupt nicht, noch weiss es insbesondere von der Bestimmung der Freiheit durch das Absolute, ausser inwiefern es von der Freiheit weiss, oder sich quantitirend setzt. Beides (1 und 2) ist wechselseitig durch einander bedingt. Beides demnach müsste, wenn ein Wissen seyn soll, zusammenfallen, die Bestimmung der Freiheit durch das Absolute als eine – nicht formale, denn dies liegt in der Form des Wissens, – sondern materiale Bestimmung, also Begrenzung des Quantitirens, und ein gewisses nicht mehr beliebiges, sondern durch das Absolute bestimmtes Quantitiren; und davon wurde schlechthin gewusst, wie überhaupt gewusst wird, und dass es das absolute Wissen wäre, würde auch unmittelbar gewusst.

So käme in keinem Wissen die Bestimmung der durchaus formalen reinen Freiheit durch das absolute Seyn vor, oder auch, wenn man die Freiheit schon materialisirte, das Bewusstseyn des Quantitirens, als Product jenes Verhältnisses; so dass dies das Wissen erst einsähe und nun mit Freiheit[71] danach sich quantitiren könnte: und ebensowenig käme in irgend einem Wissen ein mit absoluter Freiheit entworfenes Quantum vor, so dass nun das Wissen dasselbe an die ursprüngliche Bestimmung der Freiheit durch das absolute Seyn halten könnte: sondern es käme ein Quantum mit dem unmittelbaren Bewusstseyn, dass es durch das absolute Seyn bestimmt ist, vor und davon höbe alles Wissen an, und die Vereinigung beider Glieder, als Factum, fiele ausserhalb alles Bewusstseyns. (Das Resultat ist handgreiflich: – man kann nicht etwa die Wahrheit ausser und ohne Wissen auffassen, und nun sein Wissen darnach einrichten: man muss und kann sie eben nur – wissen. Umgekehrt, man kann nicht wissen, ohne Etwas – und wenn es nun eben Wissen ist und als solches innerlich sich fasst, – ohne die Wahrheit zu wissen.)

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 68-72.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801
Darstellung Der Wissenschaftslehre Aus Dem Jahre 1801 (Paperback)(German) - Common