§ 44.

[141] Dieser Zusammenhang der allgemeinen Wahrnehmung mit der Freiheit und ihren Selbstvollziehungen, und das erst noch im Vorbeigehen angedeutete Princip dieses Verhältnisses muss noch weiter auseinandergesetzt worden. Wir leiten dazu durch folgende Betrachtungen:

1) Ich, das Individuum, beziehe, zufolge einer obigen Synthesis, die besondere Aeusserung meiner Kraft auf eine Kraft überhaupt, die ich dort durchaus nicht wahrnahm, sondern nur dachte, und in der Anschauungsform als ein Etwas organisirten Leibes hinstellte (wir wählen mit Bedacht diesen Ausdruck). – Diese meine Kraftäusserung ist real und tritt demzufolge in die allgemeine Wahrnehmung ein, heisst offenbar: sie wird mit Allem, was aus ihr folgt, auch in der allgemeinen Wahrnehmung auf die Einheit einer im Raume theils unmittelbar gesetzten, theils frei sich bestimmenden Person zurückgeführt. Diese ist nun zuvörderst ein Naturganzes, absolut umschliessend einen bestimmten Zeitmoment, und so in der allgemeinen Zeit für die allgemeine Wahrnehmung werdend aus Nichts: ein Glied aus der beschriebenen Zeitreihe in der Natur; zugleich aber Anfang der Erscheinung eines Vernünftigen in der Zeit, von dem ein über die Naturreihe schlechthin hinausgehendes Handeln in die Natur zurückgreift: endlich ein bestimmter Leib, vorläufig nur für die allgemeine Naturwahrnehmung, nicht aber, wie oben, ein unbestimmtes Etwas organischen Leibes.

2) Jenes freie Handeln, durch den Leib vermittelt, nach welchem Gesetze kann es einhergehen? Offenbar nach demselben, wodurch auch oben überhaupt das Wissen von der Freiheit zu Stande kam: dass es unmittelbar in der Wahrnehmung gedacht und begriffen wird als ein solches, das sich nur in der Linienform äussern könne, demnach nicht durch die Natur, sondern nur aus sich selbst die Richtung nehme. (Man[141] vergleiche darüber mein Naturrecht. – Die Hauptsache liegt in der Unmittelbarkeit dieser Selbstanschauung, wobei jedes Folgern, Begreifen aus Prämissen u. dergl. ausgeschlossen ist, welches ja den Charakter der Wahrnehmung, und mit ihm die Möglichkeit alles Wissens durchaus aufheben würde.

3) Folgendes noch im Vorbeigehen, was aber für das Künftige ein wichtiger Wink ist. Ein gewisser Zeitmoment in der allgemeinen Zeit, ein Raummoment der allgemeinen Materie, als gefüllt mit einem absolut nur als Freiheit sich äussern könnenden Leibe, läge daher unmittelbar in der Reihe der Wahrnehmung, wie wir dieselbe oben kennen gelernt. Das Grundprincip des Inhaltes dieser Reihe, keinesweges ihres formellen Vorhandenseyns, war das absolute Seyn. Aber als Naturprincip, gefasst, ist das absolute Seyn durchaus kein Princip einer Ansicht von Freiheit: es würde dasselbe daher hier insbesondere zugleich Freiheitsprincip und sonach Grund jener gemischten Wahrnehmung einer Natur und eines zugleich in ihr gesetzten vernünftigen Handelns, welche wir soeben geschildert haben. Dies dürfte bedeutend werden.

4) Welches ist aber von Seiten der allgemeinen Wahrnehmung und irgend eines Repräsentanten derselben (individuellen Ichs) die Bedingung, andere freie Subjecte ausser ihm, dem Repräsentanten, anzuschauen? Offenbar, du die Freiheit und ihr Grundgesetz nur in einem Indivitlualitätspuncte wahrgenommen wird, ist dies die Bedingung, dass er dieses Grundgesetz in sich finden müsse, um es auch ausser sich finden zu können; also allgemein ausgedrückt: die Bedingung ist, dass das Wissen nicht bloss schlechthin gebundene Anschauung, sondern Reflexion, Wissen vom Wissen, eben von der Freiheit und in sich selbst Erzeugung des Wissens sey. In der Selbstanschauung der eigenen Freiheit wird eben (ganz von selbst, weil sie die eigentliche Substanz des Wissens ist) die Freiheit kat' exochên gewusst.

5) Ferner – man bemerke den nervus probandi, der in meinen anderen Schriften sehr ausführlich vorgetragen worden,[142] hier aber, nach durchgreifender Bestimmung der Wahrnehmung, sich in ein Wort fassen lässt: – da das individuelle Ich seine Freiheit anschaut nur innerhalb der allgemeinen Freiheit, – was ein geschlossenes Denken ist, – ist seine Freiheit realiter nur wirklich innerhalb einer Anschauung von unendlicher Freiheit, und als irgend welche Beschränkung dieser Unendlichkeit. – Aber Freiheit ist, als Freiheit, nur beschränkt durch andere Freiheit, und wirklich sich äussernde nur durch andere wirklich sich äussernde.

6) Also ist Bedingung des Wissens vom Wissen, der Selbstwahrnehmung, als des Principes aller anderen Wahrnehmung, dass ausser der freien Aeusserung des Individuum noch andere freie Aeusserungen, und vermittelst derselben noch andere freie Substanzen wahrgenommen werden. Wechselwirkung durch wirkliche Aeusserung des freien Handelns ist Bedingung alles Wissens. Jeder weiss von seinem Handeln nur inwiefern er überhaupt (schlechthin a priori, durch ursprüngliches Denken) vom Handeln, von der Freiheit weiss. Ferner: Jeder weiss vom Handeln Anderer, idealiter, nur durch sein eigenes aus sich heraus. Endlich: Jeder weiss von seinem Handeln nur inwiefern er vom Handeln Anderer weiss, realiter; – denn der Charakter seines bestimmten Handelns und überhaupt er selbst ist im Wissen Resultat von dem Wissen und Handeln der Gesammtheit.

Kein freies Wesen daher kommt zum Bewusstseyn seiner selbst, ohne zugleich zum Bewusstseyn anderer Wesen seines Gleichen zu kommen. Keiner daher kann sich ansehen, als das ganze Wissende, sondern nur als einen einzelnen Standpunct im Reiche des Wissens. Die Intelligenz ist in sich selbst und in ihrer innersten Wurzel, als existent, nicht Eine, sondern ein Mannigfaltiges, aber zugleich ein Geschlossenes, ein System von Vernunftwesen.

(Die Natur – so soll sie von nun an ausschliessend im Gegensatze der Intelligenzen heissen, – ist nun hingestellt als ein in der unendlichen Zeit und in dem gediegenen Raume, den sie ausfüllt, ablaufendes Eine, sich selbst Gleiche. Wenn wir sie nicht, als Trägerin der freien Individuen und ihres Handelns,[143] zerspalten müssen, – welches weiter zu verfolgen nicht die Obliegenheit der Wissenschaftslehre ist, – so bliebe sie diese Eine. Grade in dieser Gestalt ist sie der speculativen Physik angemessen, als einer Leiterin der Experimentalphysik – denn weiter hat sich jene Nichts herauszunehmen, – und ist so von ihr in Empfang zu nehmen. In der Welt der Intelligenzen aber ist absolute Mannigfaltigkeit und bleibt ewig auf dem Standpuncte der Wahrnehmung; denn das Wissen ist für sich ein Quantitiren. Nur auf dem Boden des reinen Denkens möchte eine formale – keinesweges reale – Einheit auch dieser Welt sich finden.)

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 141-144.
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