§ 45.

[144] Folgerungen aus dem Bisherigen:

1) Das Wissen eines Jeden von seiner Freiheitsäusserung ist bedingt durch sein Wissen von der allgemeinen Freiheitsäusserung und das allgemeine Wissen von dieser. Es ist, wie wir es an anderen Beispielen schon kennen, ein bestimmtes geschlossenes Denken innerhalb eines anderen, eben jetzt erst nachgewiesenen Denkens eines bestimmten Ganzen. Es ist darum selbst dadurch bestimmt: die Freiheit im individuellen Wissen ist Resultat der allgemeinen Freiheit; darum nothwendig durch diese bestimmt; und es giebt keine wahrnehmbare Freiheit des Einzelnen. Sein Charakter, so wie der Charakter seines Wirkens geht aus der Wechselwirkung mit der ganzen Welt der Freiheit hervor.

1) In der allgemeinen Wahrnehmung eines Jeden kommt die Natur nicht weiter vor, ausser inwiefern sie aus seiner Wechselwirkung mit seinem wahrgenommenen Systeme der Freiheit folgt. Denn das Ich eines Jeden, als dies bestimmte, geht ihm nur in dieser Wechselwirkung auf, und wird durch sie bestimmt; die Natur aber fühlt und nimmt er wahr, charakterisirt er nur in dem an sein also bestimmtes Ich gerichteten Triebe. Sonach, die Möglichkeit einer Aeusserung der Freiheit vorausgesetzt, folgt die Natur ohne Weiteres aus der Selbstanschauung der Freiheit, ist bloss eine andere Ansicht der Freiheit – die Sphäre und das unmittelbar zugleich mit[144] ihr gesetzte Object derselben; – es bedarf daher durchaus keines absoluten Princips ihrer Wahrnehmung mehr. Sie ist als Aeusserung, des Absoluten, wie wir oben sie ansahen (man lasse sich dadurch nicht irre machen; es dürfte hier nur uns unvermerkt eine Disjunction in der Natur vorgehen), rein vernichtet, und wird lediglich eine, durch ein formales Gesetz des Wissens herbeigeführte Form der Anschauung unserer Freiheit.

3) Der durch Wechselwirkung der allgemeinen Freiheit und durch Wissen idealiter bestimmte Trieb wäre nun das einzige Feste ausser der unbestimmbaren und insofern in sieh selbst zerfliessenden allgemeinen Freiheit, was im Hintergrunde übrigbliebe. Er wäre das Substante, nur in Absicht des Theiles von ihm, der in das Wissen tritt, keinesweges aber seinem realen Inhalte nach durch das Wissen Bestimmte, und die Aeusserung der Freiheit wäre das Accidens zu ihm: – und zwar wohlgemerkt, lediglich ein formales, keinesweges ein materialisirendes Accidens; denn nur inwiefern der Trieb wirklich treibt, bandelt (abgerechnet seine Körperform in der Anschauung, welche hier wegbleibt), tritt er ein in das Wissen: inwiefern er also gesetzt ist, treibt er nothwendig. Er ist also Accidens lediglich darin, dass er in die Form des Wissens eintritt, dass überhaupt ein Wissen ist. Somit ist auch die allgemeine Freiheit nicht realiter, nur formaliter frei. Sie handelt immer nach allem ihrem empirischen Wissen und weiss nur von dem, wonach sie handelt. Nur dieses Wissen selbst noch scheint, wenn es Triebe jenseits des wirklichen Wissens giebt, materialiter frei zu seyn. (Von seiner formalen Freiheit, inneren Absolutheit ist hier die Rede nicht.)

4) Nach einer obigen Bemerkung (§ 43) theilt das Wissen zufolge eines formalen Gesetzes den durch den Naturtrieb ihm aufgegebenen Plan in eine Folge von durcheinander bedingten mannigfaltigen Handlungen; nur so kommt es zum Wissen seines wirklichen Handelns, darin seiner Freiheit und so des Wissens überhaupt. Aber die Glieder dieser Folge bedeuten nur in der Folge Etwas; durch die nächsten werden sie vernichtet. Das Ich setzt sich sonach das Vergängliche, als Vergängliches[145] und um seiner Vergänglichkeit willen, ausdrücklich vor und macht es zum Zwecke, »in den Tag hineinlebend.« Ja nicht nur dies, sondern jeder geschlossene Moment der Natur selbst (mithin Trieb und Plan der Natur) liegt in einer nicht geschlossenen Anschauung, trägt daher den Grund eines künftigen Momentes und seiner Vernichtung in demselben in sich, und ist daher auch ein wesentlich vergänglicher Plan Alles Wirken nach dem Naturtriebe geht daher nothwendig aufs Vergängliche; denn Alles in der Natur ist vergänglich.

5) Nach früher Gesagtem, entwickelt sich die Natur zufolge eines, nur durch das absolute Seyn zu begründenden Gesetzes. Wenn wir nun auch der Natur, inwiefern sie eben als Reales und das Wissen Haltendes im Wissen vorkommt, dieses Gesetz wiederherstellen wollten, so ist dies für den Standpunct der Wahrnehmung denn doch nur ein formaliter gesetztes, keinesweges ein den Zusammenhang, den wir nur wahrnehmen können, uns begreiflich machendes Gesetz. Es würde, nach dieser Vergünstigung, über welche wir hier ganz unentschieden bleiben wollen, ob wir sie zugeben werden oder nicht, in der Natur zwar eine scheinbare (weil ja die Zeit unendlich ist, und es nie zu ihrer Vollendung kommt) Einheit des Planes geben, wovon jeder einzeln zu setzende Plan nur ein herausgerissenes Stück wäre, dessen Verhältniss zum Ganzen uns unbekannt bliebe. Wir gäben uns sonach in diesem Handeln einem fremden, verborgenen, uns unbekannten Plane hin, den wir selbst nicht wüssten, und das Wissen wäre daher noch nicht in sich selbst eingedrungen, da hier der Grund und Boden desselben und seine Wurzel im Dunkeln bliebe.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 144-146.
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