Drittes Capitel.
Ansprüche des Staates, als eines selbstständigen Ganzen, bei seiner gänzlichen Trennung von der übrigen Erde.

[480] Gewisse Theile der Oberfläche des Erdbodens, sammt ihren Bewohnern, sind sichtbar von der Natur bestimmt, politische Ganze zu bilden. Ihr Umfang ist durch grosse Flüsse, Meere, unzugängliche Gebirge von der übrigen Erde abgesondert; die Fruchtbarkeit eines Landstriches in diesem Umfange überträgt die Unfruchtbarkeit eines anderen; die natürlichsten und mit dem grössten Vortheile zu gewinnenden Producte des einen gehören zu denselben Producten des anderen, und deuten auf einen durch die Natur selbst geforderten Tausch. Gegen einen Strich fetter Weide ist ein Strich Ackerboden, ein Strich Holzland, u.s.w. Keiner dieser Striche könnte für sich allein bestehen. Vereinigt bringen sie den höchsten Wohlstand ihrer Bewohner hervor. – Diese Andeutungen der Natur, was zusammenbleiben, oder getrennt werden solle, sind es, welche man meint, wenn man in der neueren Politik von den natürlichen Grenzen der Reiche redet: eine Rücksicht, die weit wichtiger und ernsthafter zu nehmen ist, als man sie gemeiniglich nimmt. Auch ist dabei gar nicht lediglich auf militairisch gedeckte und feste Grenzen, sondern noch weit mehr auf productive Selbstständigkeit und Selbstgenügsamkeit zu sehen.[480]

Da die Stücke, in welche die moderne europäische Republik sich zertheilt hat, nicht mit Ueberlegung und nach Begriffen, sondern durch das blinde Ohngefähr bestimmt worden, so würde sich, auch wenn man historisch hierüber nichts wüsste, schon aus der Natur der Sache vermuthen lassen, dass die entstandenen Staaten ihre natürlichen Grenzen nicht erhalten haben dürften, sondern dass hier in dem Umfange, den die Natur zu Einem Staate bestimmte, zwei Herrscher-Familien neben einander jede ihren Staat zu bilden strebe, dort eine andere mit ihren Besitzungen über abgetrennte und geschiedene Grenzen sich ausdehne.

Was hieraus erfolgen werde, lässt sich ebenso gut absehen. Die Regierungen werden dunkel fühlen, dass ihnen etwas fehle, wenn sie auch etwa nicht deutlich einsehen, was dieses fehlende eigentlich sey. Sie werden von der Nothwendigkeit sich zu arrondiren reden; werden betheuern, dass sie um ihrer übrigen Länder willen diese fruchtbare Provinz, diese Berg- oder Salzwerke nicht missen können, indem sie dabei immer dunkel auf die Erwerbung ihrer natürlichen Grenze ausgehen. Blinde und unbestimmte, oder auch wohl hellsehende und sehr bestimmte Eroberungssucht wird alle treiben; und so werden sie sich unaufhörlich im Zustande des mittelbaren oder unmittelbaren, des wirklich erklärten oder sich nur vorbereitenden Krieges befinden. Staaten, welche eigentlich nur Einer seyn sollten, und ganz oder zum Theile innerhalb derselben natürlichen Grenzen liegen, stehen in natürlichem Kriege; nicht eigentlich die Völker; – denn diesen, wenn sie nur vereinigt werden, kann es ganz gleichgültig seyn, unter welchem Namen und welcher Herrscher-Familie dies geschehe, – wohl aber die Herrscher-Familien. Diese haben ein durchaus entgegengesetztes Interesse, welches, den Völkern mitgetheilt, Nationalhass wird.4 Im Gegentheil sind Staaten, welche untereinander[481] keinen natürlichen Grenzstreit, aber, jeder von seiner Seite, Anforderungen an Einen und ebendenselben anderen Staat haben, natürliche Alliirte. So erfolgt nothwendig ein Zustand, in welchem der Friede nur darum geschlossen wird, damit man wiederum Krieg anfangen könne.

Es ist von jeher das Privilegium der Philosophen gewesen, über die Kriege zu seufzen. Der Verfasser liebt sie nicht mehr, als irgend ein anderer; aber er glaubt die Unvermeidlichkeit derselben bei der gegenwärtigen Lage der Dinge einzusehen, und hält es für unzweckmässig, über das Unvermeidliche zu klagen. Soll der Krieg aufgehoben werden, so muss der Grund der Kriege aufgehoben werden. Jeder Staat muss erhalten, was er durch Krieg zu erhalten beabsichtigt, und vernünftigerweise allein beabsichtigen kann, seine natürlichen Grenzen. Von nun an hat er an keinen anderen Staat ferner etwas zu suchen; denn er besitzt, was er suchte. Keiner hat an ihn etwas zu suchen; denn er ist über seine natürliche Grenze nicht hinaus und in die Grenze eines anderen eingerückt.

Ein Staat, der im Begriffe ist, sich als Handelsstaat zu verschliessen, muss vorher in diese seine natürlichen Grenzen, – nachdem es kommt, entweder vorrücken, oder sich einschränken. Theils bedarf er, um die im vorigen Capitel dargelegten[482] Anforderungen seiner Bürger zu befriedigen, ein ausgedehntes Land, das ein vollständiges und geschlossenes System der nothwendigen Production in sich enthalte. Theils können und sollen unter der Herrschaft der allgemeinen Ordnung, und bei dem festen inneren Wohlstande, die Bürger nicht mehr durch jenes Heer von Abgaben gedrückt werden, welches die grossen stehenden Heere, und die stete Bereitschaft zum Kriege erfordert. Endlich verliert, wie sich dies tiefer unten erst recht deutlich ergeben wird, ein sich schliessender Staat alles Vermögen, noch kräftig auf das Ausland zu wirken. Was er nicht vor dem Schlusse thut, wird er nach demselben nicht mehr thun können. Hat er im Umfange seiner natürlichen Grenzen noch Fremde geduldet, so werden diese späterhin ungestraft um sich greifen, und ihn gänzlich vertreiben. Hat er im Gegentheil etwas über seine eigene wahre Grenze hinausliegendes beibehalten, so wird er es späterhin gegen die Angriffe des natürlichen Eigenthümers doch nicht behaupten können, und diesen reizen, weiter um sich zu greifen.

Ein solcher Staat muss seinen Nachbarn die Garantie geben und geben können, dass er von nun an auf keine Weise sich vergrössern werde. Diese Garantie aber vermag er nur auf die Bedingung zu geben, dass er sich zugleich als Handelsstaat schliesse. Schliessung des Gebiets, Schliessung des Handelsverkehrs greifen gegenseitig ein in einander, und erfordern eines das andere. Ein Staat, der das gewöhnliche Handelssystem befolgt und ein Uebergewicht im Welthandel beabsichtigt, behält ein fortdauerndes Interesse sich sogar über seine natürlichen Grenzen hinaus zu vergrössern, um dadurch seinen Handel, und vermittelst desselben seinen Reichthum zu vermehren; diesen hinwiederum zu neuen Eroberungen anzuwenden – die letzteren abermals so, wie die vorherigen. Einem dieser Uebel folgt immer das andere auf dem Fusse: und die Gier eines solchen Staates kennt keine Grenzen. Seinem Worte können die Nachbarn nie glauben, weil er ein Interesse behält, dasselbe zu brechen. Dem geschlossenen Handelsstaate hingegen kann aus einer Vergrösserung über seine natürliche Grenze hinaus nicht der mindeste Vortheil erwachsen; denn[483] die ganze Verfassung desselben ist nur auf den gegebenen Umfang berechnet.

4

So ist es, – dass ich als deutscher Schriftsteller ein Beispiel vom Auslande anführe, und die näher liegenden vermeide – es ist seit den ältesten Zeiten dunkel gefühlt worden, dass ein Inselstaat (besonders so lange die übrigen Reiche ihre natürlichen Grenzen noch nicht haben, und noch von einem Gleichgewichte der Macht zwischen ihnen die Rede ist) eigentlich kein selbstständiges Ganzes ist; dass ein solches festen Fuss auf dem Continente haben, und die Inseln nur als Anhang betrachten müsse: dass also z.B. die britischen Inseln eigentlich zum festen Lande Frankreiche gehören. Es war hiebei nur der Streit, ob der Beherrscher des festen Landes solche Herrschaft über die Inseln, oder der mächtigere Herrscher auf den Inseln die seinige über das feste Land ausdehnen solle. Beides, ist versucht worden Französische Prinzen haben England, englische Könige Frankreichs sich bemächtigt, und noch bis jetzt führen die letzteren ihren Anspruch wenigstens durch den Titel fort. Dazu kam in den neueren Zeiten ein anderes nicht ganz so natürliches Streben nach dem Uebergewichte im Welthandel, und das gleichfalls unnatürliche Colonial-System beider Reiche. Daher Kriege von den ältesten Zeiten bis auf diesen lag. Daher ein Nationalhass beider Völker, der nur um so heftiger ist, da beide bestimmt waren, Eins zu seyn.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1845/1846, S. 480-484.
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