§ 8. Fünfter Lehrsatz.

[291] Das Gefühl selbst muss gesetzt und bestimmt werden.

Zuvörderst einige allgemeine Bemerkungen zur Vorbereitung auf die jetzt zu erhebende höchst wichtige Untersuchung. 1) Im Ich ist ursprünglich ein Streben, die Unendlichkeit auszufüllen. Dieses Streben widerstreitet allem Objecte35

2) Das Ich hat in sich das Gesetz, über sich zu reflectiren, als die Unendlichkeit ausfüllend. Nun aber kann es nicht über sich, und überhaupt über nichts reflectiren, wenn dasselbe nicht begrenzt ist. Die Erfüllung dieses Gesetzes, oder – was das gleiche heisst – die Befriedigung des Reflexionstriebes ist demnach bedingt, und hängt ab vom Objecte. Er kann nicht befriedigt werden ohne Object, – mithin lässt er sich auch beschreiben als ein Trieb nach dem Objecte.

3) Durch die Begrenzung vermittelst eines Gefühls wird dieser Trieb zugleich befriedigt, und nicht befriedigt.

a. befriedigt; das Ich sollte schlechthin über sich reflectiren: es reflectirt mit absoluter Spontaneität, und ist daher befriedigt, der Form der Handlung nach. Es ist daher im Gefühle etwas, das sich auf das Ich beziehen, demselben zuschreiben lässt.

b. nicht befriedigt dem Inhalte der Handlung nach. Das Ich sollte gesetzt werden als die Unendlichkeit ausfüllend, aber es wird gesetzt als begrenzt. – Dies kommt nun gleichfalls nothwendig vor im Gefühle.

c. Das Setzen dieser Nichtbefriedigung aber ist bedingt durch ein Hinausgehendes Ich über die Grenze, die ihm durch das[291] Gefühl gesetzt wird. Es muss etwas gesetzt seyn, ausser der vom Ich gesetzten Sphäre, das auch zur Unendlichkeit gehöre, auf welches demnach der Trieb des Ich auch gehe. Dies muss gesetzt werden, als durch das Ich nicht bestimmt.

Wir untersuchen, wie dieses Hinausgehen, also das Setzen dieser Nichtbefriedigung, oder des Gefühls, welches das gleiche heisst, möglich sey.


I.

So gewiss das Ich über sich reflectirt, ist es begrenzt, d. i. es erfüllt die Unendlichkeit nicht, die es doch strebt zu erfüllen. Es ist begrenzt, sagten wir, d.h. für einen möglichen Beobachter, aber noch nicht für sich selbst. Diese Beobachter wollen wir selbst seyn, oder, was das gleiche heisst, statt des Ich etwas setzen, das nur beobachtet wird, etwas lebloses; dem aber übrigens dasjenige zukommen soll, was in unserer Voraussetzung dem Ich zukommt. Setzet demnach eine elastische Kugel = A, und nehmt an, dass sie durch einen anderen Körper eingedrückt werde, so

a. setzt ihr in derselben eine Kraft, die, sobald die entgegengesetzte Gewalt weicht, sich äussern wird, und das zwar ohne alles äussere Zuthun; die demnach den Grund ihrer Wirksamkeit lediglich in sich selbst hat. – Die Kraft ist da; sie strebt in sich selbst und auf sich selbst zur Aeusserung: es ist eine Kraft, die in sich selbst und auf sich selbst geht, also eine innere Kraft; denn so etwas nennt man eine innere Kraft. Es ist unmittelbares Streben zur Causalität auf sich selbst, die aber, wegen des äusseren Widerstandes, keine Causalität hat. Es ist Gleichgewicht des Strebens und des mittelbaren Gegendruckes im Körper selbst, also dasjenige, was wir oben Trieb nannten. Es ist daher in dem angenommenen elastischen Körper ein Trieb gesetzt.

b. Wird in dem widerstrebenden Körper B dasselbe gesetzt – eine innere Kraft, welche der Rückwirkung und dem Widerstande von A widersteht, die demnach durch diesen[292] Widerstand selbst eingeschränkt wird, ihren Grund aber lediglich in sich selbst hat. – Es ist in B Kraft und Trieb gesetzt, gerade wie in A.

c. Würde eine Kraft von beiden vermehrt, so würde die entgegengesetzte geschwächt; wurde die eine geschwächt, so wurde die entgegengesetzte vermehrt; die stärkere äusserte sich vollständig, und die schwächere würde aus der Wirkungssphäre der ersteren völlig ausgetrieben. Jetzt aber halten sie sich vollkommen das Gleichgewicht, und der Punct ihres Zusammentreffens ist der Punct dieses Gleichgewichts. Wird dieser um das geringste Moment verrückt, so wird das ganze Verhältniss aufgehoben.


II.

So verhält es sich mit einem ohne Reflexion strebenden Gegenstande (wir nennen ihn elastisch). Das hier zu unter. suchende ist ein Ich, und wir sehen, was daraus erfolgen möge.

Der Trieb ist eine innere, sich selbst zur Causalität bestimmende Kraft. Der leblose Körper hat gar keine Causalität, denn ausser sich. Diese soll durch den Widerstand zurückgehalten seyn; es entsteht demnach unter dieser Bedingung durch seine Selbstbestimmung nichts. Gerade so verhält es sich mit dem Ich, inwiefern es ausgeht auf eine Causalität ausser sich; und es verhält sich mit ihm überhaupt nicht anders, wenn es nur nach aussen eine Causalität fordert.

Aber das Ich, eben darum, weil es ein Ich ist, hat auch eine Causalität auf sich selbst; die, sich zu setzen, oder die Reflexionsfähigkeit. Der Trieb soll die Kraft des strebenden selbst bestimmen; inwiefern nun diese Kraft im strebenden selbst sich äussern soll, wie die Reflexion es soll, muss aus der Bestimmung durch den Trieb nothwendig eine Aeusserung erfolgen; oder es wäre kein Trieb da, welches der Annahme widerspricht. Also, aus dem Triebe folgt nothwendig die Handlung der Reflexion des Ich auf sich selbst.

(Ein wichtiger Satz, der das hellste Licht über unsere Untersuchung verbreitet. 1) Das ursprünglich im Ich liegende[293] und oben aufgestellte Zwiefache – Streben und Reflexion – wird dadurch innigst vereinigt. Alle Reflexion gründet sich auf das Streben, und es ist keine möglich, wenn kein Streben ist. – Hinwiederum ist kein Streben für das Ich; also auch kein Streben des Ich, und überhaupt kein Ich, wenn keine Reflexion ist. Eins erfolgt nothwendig aus dem anderen, und beide stehen in Wechselwirkung. 2) Dass das Ich endlich seyn müsse, und begrenzt, sieht man hier noch bestimmter ein. Keine Beschränkung, kein Trieb ( in transcendentem Sinne); kein Trieb, keine Reflexion (Uebergang, zum transcendentalen): keine Reflexion, kein Trieb, und keine Begrenzung und kein Begrenzendes u. s. f; (in transcendentalem Sinne): so geht der Kreislauf der Functionen des Ich, und die innig verkettete Wechselwirkung desselben mit sich selbst. 3) Auch wird hier recht deutlich, was ideale Thätigkeit heisse, und was reale; wie sie unterschieden seyen, und wo ihre Grenze gehe. Das ursprüngliche Streben des Ich ist, als Trieb, als lediglich im Ich selbst begründeter Trieb betrachtet, ideal und real zugleich. Die Richtung geht auf das Ich selbst, es strebt durch eigene Kraft; und auf etwas ausser dem Ich; aber es ist da nichts zu unterscheiden. Durch die Begrenzung, vermöge welcher nur die Richtung nach aussen aufgehoben wird, nicht aber die nach innen, wird jene ursprüngliche Kraft gleichsam getheilt: und die übrigbleibende in das Ich selbst zurückgehende ist die ideale. Die reale wird zu ihrer Zeit gleichfalls gesetzt werden. – Und so erscheint denn hier abermals in seinem vollsten Lichte der Satz: Keine Idealität, keine Realität, und umgekehrt. 4) Die ideale Thätigkeit wird sich bald zeigen, als die vorstellende. Die Beziehung des Triebes auf sie ist demnach zu nennen der Vorstellungstrieb. Dieser Trieb ist demnach die erste und höchste Aeusserung des Triebes, und durch ihn wird das Ich erst Intelligenz. Und so musste es sich denn auch nothwendig verhalten, wenn je ein anderer Trieb zum Bewusstseyn kommen, im Ich als Ich stattfinden sollte. 5) Hieraus erfolgt denn auch auf das einleuchtendste die Subordination der Theorie unter das Praktische; es folgt, dass alle theoretischen Gesetze auf praktische, und da es wohl[294] nur Ein praktisches Gesetz geben dürfte, auf ein und ebendasselbe Gesetz sich gründen; demnach das vollständigste System im ganzen Wesen; es folgt, wenn etwa der Trieb sich selbst sollte erhöhen lassen, auch die Erhöhung der Einsicht, und umgekehrt; es erfolgt die absolute Freiheit der Reflexion und Abstraction auch in theoretischer Rücksicht, und die Möglichkeit pflichtmässig seine Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, und von etwas anderem abzuziehen; ohne welche gar keine Moral möglich ist. Der Fatalismus wird von Grund aus zerstört, der sich darauf gründet, dass unser Handeln und Wollen36 von dem Systeme unserer Vorstellungen abhängig sey, indem hier gezeigt wird, dass hinwiederum das System unserer Vorstellungen von unserem Triebe und unserem Willen abhängt: und dies ist denn auch die einzige Art ihn gründlich zu widerlegen. – Kurz, es kommt durch dieses System Einheit und Zusammenhang in den ganzen Menschen, die in so vielen Systemen fehlen.)


III.

In dieser Reflexion auf sich selbst nun kann das Ich, als solches, nicht zum Bewusstseyn kommen, weil es seines Handelns unmittelbar sich nie bewusst wird. Doch aber ist es nunmehr, als Ich, da, – es versteht sich für einen möglichen Beobachter; und hier geht denn die Grenze, wo das Ich als lebendiges sich unterscheidet vom leblosen Körper, in welchem allerdings auch ein Trieb seyn kann. – Es ist etwas da, für welches etwas da seyn könne, ohnerachtet es für sich selbst noch nicht da ist. Aber für dasselbe ist nothwendig da eine innere treibende Kraft, welche aber, da gar kein Bewusstseyn des Ich, mithin auch keine Beziehung darauf möglich ist, bloss gefühlt wird. Ein Zustand, der sich nicht wohl beschreiben, wohl aber fühlen lässt, und in Absicht dessen jeder an sein Selbstgefühl verwiesen werden muss. (Der Philosoph darf nicht in Absicht des dass [denn dies muss unter Voraussetzung eines Ich streng erwiesen seyn], sondern lediglich in[295] Absicht des was, jeden an sein Selbstgefühl verweisen. Das Vorhandenseyn eines gewissen Gefühls postuliren, heisst, nicht gründlich verfahren. In der Zukunft lässt sich dieses Gefühl freilich auch erkennbar machen, aber nicht durch sich selbst, sondern durch seine Folgen.)

Hier scheidet sich das lebendige vom leblosen, sagten wir oben. Kraftgefühl ist das Princip alles Lebens; ist der Uebergang vom Tode zum Leben. Dabei, wenn es allein ist, bleibt freilich das Leben noch höchst unvollständig; aber es ist doch schon abgesondert von der todten Materie.


IV.

a. Diese Kraft wird gefühlt, als etwas treibendes: das Ich fühlt sich getrieben, wie gesagt worden, und zwar hinaus ausser sich selbst getrieben. (Woher dieses hinaus, dieses ausser sich herkomme, lässt sich hier noch nicht einsehen, wird aber sogleich klar werden.)

b. Gerade, wie oben, muss dieser Trieb wirken, was er kann. Die reale Thätigkeit bestimmt er nicht, d. i. es entsteht keine Causalität auf das Nicht-Ich. Die ideale, lediglich vom Ich selbst abhängende, aber kann er bestimmen, und muss sie bestimmen, so gewiss er ein Trieb ist. – Es geht demnach die ideale Thätigkeit hinaus und setzt etwas, als Object des Triebes; als dasjenige, was der Trieb hervorbringen würde, wenn er Causalität hätte. – (Dass diese Production durch die ideale Thätigkeit geschehen müsse, ist erwiesen; wie sie möglich seyn werde, lässt sich hier noch gar nicht einsehen, und setzt eine Menge anderer Untersuchungen voraus.)

c. Diese Production, und das handelnde in derselben kommt hier noch gar nicht zum Bewusstseyn; mithin entsteht dadurch noch gar nicht, – weder ein Gefühl des Objects des Triebes; ein solches ist überhaupt nicht möglich – noch eine Anschauung desselben. Es entsteht daraus gar nichts; sondern es wird hier dadurch nur erklärt, wie das Ich sich fühlen könne, als getrieben nach irgend etwas[296] unbekanntem; und der Uebergang zum folgenden wird eröffnet.


V.

Der Trieb sollte gefühlt werden, als Trieb, d. i. als etwas, das nicht Causalität hat. Inwiefern er aber wenigstens zu einer Production seines Objects durch ideale Thätigkeit treibt, hat er allerdings Causalität, und wird insofern nicht gefühlt, als ein Trieb.

Inwiefern der Trieb ausgeht auf reale Thätigkeit, ist er nichts bemerkbares, fühlbares; denn er hat keine Causalität Er wird demnach auch insofern nicht gefühlt, als ein Trieb.

Wir vereinigen beides: – es kann kein Trieb gefühlt werden, wenn auf das Object desselben nicht die ideale Thätigkeit geht; und diese kann darauf nicht gehen, wenn die reale nicht begrenzt ist.

Beides vereinigt giebt die Reflexion des Ich über sich als ein begrenztes. Da aber das Ich in dieser Reflexion seiner selbst sich nicht bewusst wird, so ist dieselbe ein blosses Gefühl.

Und so ist das Gefühl vollständig deducirt. Es gehört zu ihm ein bis jetzt sich nicht äusserndes Gefühl der Kraft, ein Object desselben, das sich gleichfalls nicht äussert, ein Gefühl des Zwanges, des Nicht-könnens; und das ist die Aeusserung des Gefühls, welche deducirt werden sollte.

35

Sich-abschliessen im einzelnen Objecte. [Marginalverbesserung.]

36

Wollen und Handeln. [Marginalverbesserung.]

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 1, Berlin 1845/1846, S. 291-297.
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