§ 13. Systematische Ordnung dieser Kriterien.

[139] Die jetzt aufgestellten Kriterien sind Bedingungen der Möglichkeit, unseren Begriff a priori von einer Offenbarung auf eine in der Sinnenwelt gegebene Erscheinung anzuwenden, und zu urtheilen, sie sey eine Offenbarung; nemlich nicht Bedingungen der Anwendung des Begriffes überhaupt, denn davon werden wir erst im folgenden § reden, sondern seiner Anwendung auf die bestimmte gegebene Erfahrung. Um sicher zu seyn, dass wir diese Bedingungen alle erschöpft haben, und dass es ausser den angeführten keine mehr gebe (denn wenn wir etwa im Gegentheile welche aufgestellt hätten, die keine[139] sind, so müsste sich das sogleich daraus ergeben haben, dass wir sie aus dem Offenbarungsbegriffe nicht hätten ableiten können), müssen wir uns nach einem Leitfaden zur Entdeckung aller Bestimmungen dieses Begriffes umsehen; und ein solcher ist bei allen möglichen Begriffen die Tafel der Kategorien.

Der Begriff einer Offenbarung ist nemlich ein Begriff von einer Erscheinung in der Sinnenwelt, welche der Qualität nach unmittelbar durch göttliche Causalität bewirkt seyn soll. Es ist mithin Kriterium einer diesem Begriffe entsprechenden Erscheinung, dass sie durch keine Mittel gewirkt sey, die dem Begriffe einer göttlichen Causalität widersprechen; und dieses sind, da wir von Gott nur einen moralischen Begriff haben, alle unmoralische. Diese Erscheinung soll der subjectiven Quantität nach (denn die objective giebt kein eigentliches Kriterium ab, sondern auf sie gründet sich bloss die Erinnerung, dass mehrere Offenbarungen zu gleicher Zeit bei entfernten Völkern nicht unmöglich sind) für alle sinnliche Menschen gelten, die derselben bedürfen. Es ist mithin Bedingung jeder in concreto gegebenen Offenbarung, dass Menschen mit einem dergleichen Bedürfniss wirklich nachzuweisen seyen. – Dies sind die Kriterien einer Offenbarung ihrer äusseren Form nach, welche sich aus den mathematischen Bestimmungen ihres Begriffes ergeben, was denn der Natur der Sache nach so seyn musste.

Diese Erscheinung wird in ihrem Begriffe der Relation nach auf einen Zweck bezogen, nemlich den, reine Moralität zu befördern: eine in concreto gegebene Offenbarung muss folglich diesen Zweck erweislich beabsichtigen, – nicht eben nothwendig erreichen, welches schon dem Begriffe moralischer, d. i. freier Wesen, in welchen allein sich Moralität hervorbringen lässt, widersprechen würde. Dieses Zweckes Beförderung aber ist in sinnlichen Menschen nicht anders, als durch Ankündigung Gottes, als moralischen Gesetzgebers, möglich; und der Gehorsam gegen diesen Gesetzgeber ist nur dann moralisch, wenn er sich auf die Vorstellung seiner Heiligkeit gründet. Diese Ankündigung sowohl, als die Reinigkeit des[140] aufgestellten Motivs des geforderten Gehorsams ist mithin Kriterium jeder Offenbarung.

In Absicht der Modalität endlich würde eine Offenbarung in ihrem Begriffe bloss als möglich angenommen, woraus, da es zu dem Begriffe an sich nichts hinzuthut, sondern nur das Verhältniss seines Gegenstandes zu unserem Verstande ausdrückt, keine Bedingung der Anwendung dieses Begriffes auf eine in concreto gegebene Erscheinung, d. i. kein Kriterium einer Offenbarung sich ergeben kann. Was aber daraus auf die Möglichkeit ihn überhaupt anzuwenden folge, das werden wir im folgenden § sehen.

Dies sind nun die Kriterien einer Offenbarung ihrer Form nach, und, da das Wesen der Offenbarung eben in der besonderen Form einer schon a priori vorhandenen Materie besteht, die einzigen ihr wesentlichen: und es sind ausser den aufgestellten keine mehr möglich, weil in ihrem Begriffe keine Bestimmungen mehr sind.

Die Materie einer Offenbarung ist a priori durch die reine praktische Vernunft da, und steht an sich unter eben der Kritik, unter welcher letztere selbst steht: mithin ist, sofern sie als Materie einer Offenbarung betrachtet wird, sowohl dem Inhalte als der Darstellung nach, weiche jenen modificirt, ihr einziges Kriterium, dass sie mit der Aussage der praktischen Vernunft völlig übereinstimme; der Qualität nach, dass sie eben das aussage; der Quantität nach, dass sie nicht mehr aussagen zu wollen vorgebe (denn dass weniger in ihr ausgesagt werde, ist unmöglich, da sie ein Princip aufzustellen hat, in welchem alles, was Inhalt einer Religion werden kann; wenn auch vielleicht unentwickelt, enthalten seyn muss); der Relation nach, als abzuleitend und untergeordnet unter das einzige Moralprincip, und der Modalität nach, nicht als objectiv, sondern bloss als subjektiv, allgemeingültig. – Nach dem jetztgesagten würde sich leicht eine Tafel aller Kriterien jeder möglichen Offenbarung nach der Ordnung der Kategorien entwerfen lassen.[141]

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 5, Berlin 1845/1846, S. 139-142.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Versuch einer Kritik aller Offenbarung
Versuch Einer Kritik Aller Offenbarung
Versuch Einer Kritik Aller Offenbarung
Versuch Einer Kritik Aller Offenbarung (Dodo Press)
Philosophische Bibliothek, Bd.354, Versuch einer Kritik aller Offenbarung.
Johann Gottlieb Fichte's Versuch Einer Kritik Aller Offenbarung (German Edition)