Zehnte Rede

Subho

[144] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der ehrwürdige Ānando bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapiṇḍikos, nicht lange nachdem der Erhabene erloschen war234.

Um diese Zeit aber war Subho, der junge Priester, der Sohn Todeyyos, nach Sāvatthī gekommen, wegen irgendeiner Angelegenheit235.

Da hat nun Subho der junge Priester, der Sohn Todeyyos, einen seiner Priesterknaben beauftragt:

»Komm', lieber Junge, und geh' zum Asketen Ānando hin und erkundige dich in meinem Namen beim Asketen Ānando nach Gesundheit, Frische, Munterkeit, Stärke, Wohlbefinden: ›Subho,‹ sage, ›der junge Todeyyer, läßt Herrn Ānando Gesundheit, Frische, Munterkeit, Stärke, Wohlbefinden wünschen‹; und füge hinzu: ›gut wär' es, wenn Herr Ānando sich zu Subho des jungen Todeyyers Behausung herbegeben wollte, von Mitleid bewogen.‹«

»Schön, Herr!« sagte jener Priesterknabe, Subho dem jungen Todeyyer gehorchend, und begab sich dorthin wo der ehrwürdige Ānando weilte, bot dem ehrwürdigen Ānando höflichen Gruß dar, wechselte freundliche, denkwürdige Worte und nahm beiseite Platz. Beiseite sitzend sprach nun jener Priesterknabe zum ehrwürdigen Ānando also:

»Subho, der junge Todeyyer läßt Herrn Ānando Gesundheit, Frische, Munterkeit, Stärke, Wohlbefinden wünschen; und er meinte noch, gut wär' es, wenn Herr Ānando sich zu Subho des jungen Todeyyers Behausung hinbegeben wollte, von Mitleid bewogen.«

[144] Auf diese Worte sagte der ehrwürdige Ānando zu dem Priesterknaben dort:

»Es ist, lieber Junge, nicht an der Zeit: ich habe heute etwas Arzenei eingenommen; vielleicht aber werden wir uns morgen schon hinbegeben können, wenn Zeit und Umstände es gestatten.«

»Schön, Herr!« entgegnete da der Priesterknabe dem ehrwürdigen Ānando, stand dann von seinem Sitze auf und begab sich zu Subho dem jungen Todeyyer zurück um ihm zu melden:

»Ausgerichtet haben wir im Auftrag des Herrn an ihn, den Herrn Ānando: ›Subho der junge Todeyyer läßt Herrn Ānando Gesundheit, Frische, Munterkeit, Stärke, Wohlbefinden wünschen; und er meinte noch, gut wär' es, wenn Herr Ānando sich zu Subho des jungen Todeyyers Behausung hinbegeben wollte, von Mitleid bewogen.‹ Auf diese Worte, Herr, hat der Asket Ānando mir also geantwortet: ›Es ist, lieber Junge, nicht an der Zeit: ich habe heute etwas Arzenei eingenommen; vielleicht aber werden wir uns morgen schon hinbegeben können, wenn Zeit und Umstände es gestatten.‹ So ist denn, Herr, wenigstens das erreicht worden, daß er, Herr Ānando eingewilligt hat am morgigen Tage schon herzukommen.«

Am nächsten Morgen nun rüstete sich der ehrwürdige Ānando beizeiten, nahm Mantel und Almosenschale und begab sich mit Cetako dem Mönche, der hinter ihm herging, zur Behausung236 bei Subho dem jungen Todeyyer hin. Dort angelangt nahm er auf dem dargebotenen Sitze Platz. Alsbald nun trat Subho der junge Todeyyer an den ehrwürdigen Ānando heran, bot höflichen Gruß dar, wechselte freundliche, denkwürdige Worte mit dem ehrwürdigen Ānando und setzte sich dann beiseite nieder. Beiseite sitzend wandte sich Subho der junge Todeyyer also an den ehrwürdigen Ānando:

»Herr Ānando hat ja Ihm, dem Herrn Gotamo lange hindurch aufgewartet, ist um ihn gewesen, ist bei ihm geweilt. Herr Ānando wird es wohl wissen, was für Dinge Er, der Herr Gotamo gepriesen hat, und worin er die Leute da unterwiesen, eingeführt und bekräftigt hat. Was sind das nun, Herr Ānando, für Dinge, die Er, der Herr Gotamo gepriesen hat, und worin er die Leute da unterwiesen, eingeführt und bekräftigt hat?«

»Drei sind es, Priester, der Teile, die Er, der Erhabene gepriesen hat, und darin hat er die Leute da unterwiesen, eingeführt und bekräftigt: welche drei? Den Teil der heiligen Tugend, den Teil der heiligen Einigung, den Teil der heiligen Weisheit. Das sind, Priester, die drei Teile, die Er, der Erhabene gepriesen hat, und darin hat er die Leute da unterwiesen, eingeführt und bekräftigt237

»Was ist das aber, Herr Ānando, für ein Teil der heiligen Tugend, den Er, der Herr Gotamo gepriesen hat, und worin er die Leute da unterwiesen, eingeführt und bekräftigt hat?«

[145] »Da erscheint, Priester, der Vollendete in der Welt, der Heilige, vollkommen Erwachte, der Wissens- und Wandelsbewährte, der Willkommene, der Welt Kenner, der unvergleichliche Leiter der Männerherde, der Meister der Götter und Menschen, der Erwachte, der Erhabene. Er zeigt diese Welt mit ihren Göttern, ihren bösen und heiligen Geistern, mit ihrer Schar von Priestern und Büßern, Göttern und Menschen, nachdem er sie selbst verstanden und durchdrungen hat. Er verkündet die Lehre, deren Anfang begütigt, deren Mitte begütigt, deren Ende begütigt, die sinn- und wortgetreue, er legt das vollkommen geläuterte, geklärte Asketentum dar. – Diese Lehre hört ein Hausvater, oder der Sohn eines Hausvaters, oder einer, der in anderem Stande neugeboren ward. Nachdem er diese Lehre gehört hat, faßt er Vertrauen zum Vollendeten. Von diesem Vertrauen erfüllt denkt und überlegt er also: ›Ein Gefängnis ist die Häuslichkeit, ein Schmutzwinkel; der freie Himmelsraum die Pilgerschaft. Nicht wohl geht es, wenn man im Hause bleibt, das völlig geläuterte, völlig geklärte Asketentum Punkt für Punkt zu erfüllen. Wie, wenn ich nun mit geschorenem Haar und Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, aus dem Hause in die Hauslosigkeit hinauszöge?‹ So gibt er denn später einen kleinen Besitz oder einen großen Besitz auf, hat einen kleinen Verwandtenkreis oder einen großen Verwandtenkreis verlassen und ist mit geschorenem Haar und Barte, im fahlen Gewande von Hause fort in die Hauslosigkeit gezogen. – Also Pilger geworden bleibt er in reiner Zucht richtig gezügelt, lauter im Handel und Wandel: vor geringstem Fehl auf der Hut kämpft er beharrlich weiter, Schritt um Schritt; in Taten und Worten heilsam beflissen lebt er rein, ist tüchtig in Tugend, hütet die Tore der Sinne, gewappnet mit klarem Bewußtsein, zufrieden. – Treu der heiligen Tugendsatzung, treu der heiligen Sinnenzügelung, treu der heiligen klaren Einsicht, treu der heiligen Zufriedenheit sucht er einen abgelegenen Ruheplatz auf, einen Hain, den Fuß eines Baumes, eine Felsengrotte, eine Bergesgruft, einen Friedhof, die Waldesmitte, ein Streulager in der offenen Ebene. Nach dem Mahle, wenn er vom Almosengange zurückgekehrt ist, setzt er sich mit verschränkten Beinen nieder und pflegt der Einsicht. Er hat weltliche Begierde verworfen und verweilt begierdelosen Gemütes, von Begierde läutert er sein Herz. Gehässigkeit hat er verworfen, haßlosen Gemütes verweilt er, voll Liebe und Mitleid zu allen lebenden Wesen läutert er sein Herz von Gehässigkeit. Matte Müde hat er verworfen, von matter Müde ist er frei; das Licht liebend, einsichtig, klar bewußt, läutert er sein Herz von matter Müde. Stolzen Unmut hat er verworfen, er ist frei von Stolz; innig beruhigten Gemütes läutert er sein Herz von stolzem Unmut238. Das Schwanken hat er verworfen, der Ungewißheit ist er entronnen; er zweifelt nicht am Guten, vom Schwanken läutert er sein Herz. – Das ist nun, Priester, der Teil der heiligen Tugend, den Er, der Erhabene gepriesen [146] hat, und darin hat er die Leute da unterwiesen, eingeführt und bekräftigt. Aber es bleibt da noch mehr zu tun übrig.«

»Erstaunlich ist es, Herr Ānando, außerordentlich ist es, Herr Ānando! Das ist freilich ein Teil, Herr Ānando, der heiligen Tugend, der vollständig ist, nicht unvollständig: einen derart vollständigen Teil, Herr Ānando, der heiligen Tugend hab' ich wohl sonstwo, bei anderen Asketen und Priestern nicht kennenlernen. Hätten sie aber, Herr Ānando, einen derart vollständigen Teil der heiligen Tugend sonstwo bei sich aufzuweisen, die anderen Asketen und Priester: sie würden insofern schon zufrieden sein: ›Endlich genug, es ist vollbracht, erreicht haben wir das Ziel der Asketenschaft, nichts weiter mehr bleibt uns zu tun übrig‹; während ja doch Herr Ānando also spricht: ›Aber es bleibt da noch mehr zu tun übrig.‹ Was ist das aber, Herr Ānando, für ein Teil der heiligen Einigung, den Er, der Herr Gotamo gepriesen hat, und worin er die Leute da unterwiesen, eingeführt und bekräftigt hat?«

»Sobald nun, Priester, der Mönch jene fünf Hemmungen in sich aufgehoben erkennt, wird er freudig bewegt. Freudig bewegt wird er heiter. Heiteren Herzens wird der Körper beschwichtigt. Körperbeschwichtigt fühlt er sich wohl. Sich wohl fühlend wird sein Geist einig. So gewinnt er gar fern von Begierden, fern von unheilsamen Dingen, in sinnend gedenkender ruhegeborener seliger Heiterkeit, die Weihe der ersten Schauung. Das aber gilt ihm als Einigung. – Weiter sodann, Priester: nach Vollendung des Sinnens und Gedenkens erreicht der Mönch die innere Meeresstille, die Einheit des Gemütes, die von sinnen, von gedenken freie, in der Einigung geborene selige Heiterkeit, die Weihe der zweiten Schauung. Das aber gilt ihm als Einigung. – Weiter sodann, Priester: in heiterer Ruhe verweilt er gleichmütig, einsichtig, klar bewußt, ein Glück empfindet er im Körper, von dem die Heiligen sagen: ›Der gleichmütig Einsichtige lebt beglückt‹; so erwirkt er die Weihe der dritten Schauung. Das aber gilt ihm als Einigung. – Weiter sodann, Priester: nach Verwerfung der Freuden und Leiden, nach Vernichtung des einstigen Frohsinns und Trübsinns erwirkt er die leidlose, freudlose, gleichmütig einsichtige vollkommene Reine, die Weihe der vierten Schauung. Das aber gilt ihm als Einigung. – Weiter sodann, Priester, kann der Mönch sich mancher verschiedenen früheren Daseinsform erinnern, mit je den eigentümlichen Merkmalen, mit je den eigenartigen Beziehungen. Das aber gilt ihm als Weisheit. – Weiter sodann, Priester, kann der Mönch die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen sehn, gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und unglückliche, kann erkennen wie die Wesen je nach den Taten wiederkehren. Das aber gilt ihm als Weisheit. – Weiter sodann, Priester, kann der Mönch mit der Wahnversiegung die wahnlose Gemüterlösung, Weisheiterlösung noch bei Lebzeiten sich offenbar machen, verwirklichen und erringen. [147] ›Im Erlösten ist die Erlösung‹, diese Erkenntnis geht ihm auf, ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ versteht er da. Das aber gilt ihm als Weisheit. – Das ist nun, Priester, der Teil der heiligen Einigung und der Teil der heiligen Weisheit, den Er, der Erhabene gepriesen hat, und darin hat er die Leute da unterwiesen, eingeführt und bekräftigt. Nun bleibt da nichts weiter mehr zu tun übrig.«

»Erstaunlich ist es, Herr Ānando, außerordentlich ist es, Herr Ānando! Das ist freilich ein Teil, Herr Ānando, der heiligen Einigung und ein Teil der heiligen Weisheit, der vollständig ist, nicht unvollständig: einen derart vollständigen Teil, Herr Ānando, der heiligen Einigung und der heiligen Weisheit hab' ich wohl239 sonstwo, bei anderen Asketen und Priestern nicht kennenlernen. Nun bleibt da freilich nichts mehr zu tun übrig. – Vortrefflich, Herr Ānando, vortrefflich, Herr Ānando! Gleichwie etwa, Herr Ānando, als ob einer Umgekehrtes aufkehrte, oder Verborgenes enthüllte, oder Verirrten den Weg zeigte, oder eine Lampe in einen dunklen Raum brächte: ›Wer Augen hat wird die Dinge sehn‹: ebenso auch hat Herr Ānando die Lehre gar vielfach beleuchtet. Und so nehm' ich, Herr Ānando, bei Ihm, dem Herrn Gotamo Zuflucht, bei der Lehre und bei der Jüngerschaft: als Anhänger soll mich Herr Ānando betrachten, von heute an zeitlebens getreu.«

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 2, Zürich/Wien 31957, S. 144-148.
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