Zweite Rede

Unter der Vogelfeige

[446] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Rājagaham, am Geierkulm, im Gebirge. Um diese Zeit nun hatte der Pilger Nigrodho im Pilgergarten unter der Vogelfeige Aufenthalt genommen770, in Gesellschaft vieler Pilger, von etwa dreihundert Pilgern umgeben.

Da ist denn Sandhāno der Hausvater, noch mitten am Tage771, von Rājagaham aufgebrochen, um den Erhabenen besuchen zu gehn. Aber Sandhāno der Hausvater sagte sich da: ›Es ist wohl noch nicht an der Zeit den Erhabenen aufzusuchen, zurückgezogen weilt der Erhabene; und auch die geistig vertieften Mönche besuchen ziemt sich jetzt nicht, zurückgezogen wirken die Mönche geistiges Werk. Wie, wenn ich nun nach dem Pilgergarten unter der Vogelfeige hinginge, zu Nigrodho dem Pilger heranträte?‹ So hat denn Sandhāno der Hausvater sich nach dem Pilgergarten unter der Vogelfeige hinbegeben, wo Nigrodho der Pilger sich aufhielt.

Um diese Zeit aber war Nigrodho der Pilger, im weiten Kreise der Pilgerschar sitzend, in lebhaftem Gespräche begriffen; und sie machten lauten Lärm, großen Lärm, und unterhielten sich über allerhand gemeine Dinge, als wie über Könige, über Räuber, über Fürsten und Soldaten, über Krieg und Kampf, über Speise und Trank, über Kleidung und Bett, über Blumen und Düfte, über Verwandte, über Fuhrwerk und Wege, über Dörfer und Burgen, über Städte und Länder, über Weiber und Männer, über Branntweine und Gasthöfe, über Straßen und Märkte, über die Altvorderen und über die Veränderungen, über Volksgeschichten und Seegeschichten, über dies und das und dergleichen mehr772. Es sah nun Nigrodho der Pilger wie Sandhāno der Hausvater von ferne herankam. Als er ihn gesehn, mahnte er die Umsitzenden zur Ruhe:

»Seid nicht so laut, ihr Lieben, macht keinen Lärm, ihr Lieben: da kommt ein Jünger des Asketen Gotamo heran, Sandhāno der Hausvater! Von jenen Jüngern des Asketen Gotamo, die da als Hausleute, weiß gekleidet, in Rājagaham wohnen, ist dieser auch einer, Sandhāno der Hausvater. Und sie lieben nicht lauten Lärm, diese Herren, Ruhe ist ihnen recht, Ruhe preisen sie; vielleicht mag ihn der Anblick einer lautlosen Versammlung bewegen seine Schritte hierher zu lenken.«

[447] Also ermahnt schwiegen jene Pilger still. Da kam denn Sandhāno der Hausvater zu Nigrodho dem Pilger heran. Dort angelangt wechselte er höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte mit ihm und nahm beiseite Platz. Beiseite sitzend wandte sich nun Sandhāno der Hausvater an Nigrodho den Pilger mit den Worten:

»Anders ist es hier bei den verehrten Pilgern der anderen Orden, wenn sie sich treffen und versammeln, kräftig rufen, laut reden, großen Lärm machen und über allerhand alltägliche Dinge eifrige Gespräche führen: und anders pflegt wohl Er, der Erhabene, im Walde einsame Stätten, entlegene Ruheplätze aufzusuchen, wo Lärm verklungen ist, wenig Geräusch nur hindringt, Orte, die von den Leuten gemieden werden, wo der Mensch verborgen sitzen und gut nachdenken kann.«

Auf diese Worte wandte sich Nigrodho der Pilger also an Sandhāno den Hausvater:

»Ach bitte, Hausvater, vielleicht weißt du, mit wem der Asket Gotamo zu reden pflegt, mit wem er sich in ein Gespräch einläßt, mit wem er sich in einen geistigen Kampf einläßt? Die öde Klause hat dem Asketen Gotamo den Geist benommen, der Asket Gotamo ist der Gesellschaft entfremdet, er kann gar nicht Gespräche führen, darum eben liebt er die entlegenen Orte. Gleichwie etwa eine einäugige Kuh an der Weidengrenze herumstreicht und nur abgelegene Orte aufsucht: ebenso nun auch ist der Geist des Asketen Gotamo in öder Klause benommen, der Asket Gotamo ist der Gesellschaft entfremdet, er kann gar nicht Gespräche führen, darum eben liebt er die entlegenen Orte. Lasse doch, Hausvater, den Asketen Gotamo zu dieser Versammlung erst herkommen: mit einer einzigen Frage schon werden wir ihn wohl zum Umsinken bringen, ihn wie eine leere Kufe, so zu sagen, ausgepocht haben773

Es vernahm aber der Erhabene mit dem himmlischen Gehör, dem geläuterten, über menschliche Grenzen hinausreichenden, dieses Gespräch des Hausvaters Sandhāno mit Nigrodho dem Pilger. Da ist denn der Erhabene vom Geierkulm aus dem Gebirge herabgestiegen, dem Gestade der Sumāgadhī entlang bis zum Pfauenhügel herangekommen, und ist dann in der Aue dort auf und ab gegangen774. Es sah nun Nigrodho der Pilger wie der Erhabene dem Gestade der Sumāgadhī entlang bis zum Pfauenhügel herankam, und dann in der Aue dort auf und ab ging. Bei diesem Anblick mahnte er die Versammlung ringsum zur Ruhe:

»Seid weniger laut, ihr Lieben, ich ersuche die Lieben keinen Lärm zu machen: dort geht der Asket Gotamo am Gestade der Sumāgadhī, beim Pfauenhügel, in der Aue auf und ab. Viel Geräusch aber liebt er nicht, der Ehrwürdige, Ruhe ist ihm recht, Ruhe preist er; vielleicht daß ihn der Anblick einer [448] lautlosen Versammlung bewegen mag seine Schritte heranzulenken. Sollte der Asket Gotamo in unsere Gesellschaft kommen, so wollen wir eine solche Frage vorlegen: ›Was ist denn das, o Herr, für eine Satzung vom Erhabenen, worin der Erhabene die Jünger unterweist, in der die Jünger, durch den Erhabenen unterwiesen, ihren Trost gefunden zu haben bekennen, oblegen dem Urasketentum?775‹«

Also aufgefordert verhielten sich jene Pilger ruhig. Da kam denn der Erhabene zu Nigrodho dem Pilger heran. Nigrodho der Pilger aber wandte sich mit diesen Worten an den Erhabenen:

»Es komme, o Herr, der Erhabene, gegrüßt sei, o Herr, der Erhabene! Lange schon, o Herr, hat der Erhabene hoffen lassen uns hier einmal zu besuchen. Möge sich, o Herr, der Erhabene setzen: dieser Sitz ist bereit.«

Es setzte sich der Erhabene auf den dargebotenen Sitz. Nigrodho aber der Pilger nahm einen von den niederen Stühlen zur Hand und setzte sich an die Seite. Zu Nigrodho dem Pilger nun, der da beiseite saß, sprach der Erhabene also:

»Zu was für einem Gespräche, Nigrodho, seid ihr jetzt hier zusammengekommen, und wobei habt ihr euch eben unterbrochen?«

Also gefragt gab da Nigrodho der Pilger dem Erhabenen zur Antwort:

»Wir haben da, o Herr, den Erhabenen gesehn, am Gestade der Sumāgadhī gegen den Pfauenhügel hin schreiten und in der Aue auf und ab wandeln. Bei diesem Anblick haben wir uns gesagt: ›Sollte der Asket Gotamo in unsere Gesellschaft kommen, so wollen wir eine solche Frage vorlegen: Was ist denn das, o Herr, für eine Satzung vom Erhabenen, worin der Erhabene die Jünger unterweist, in der die Jünger, durch den Erhabenen unterwiesen, ihren Trost gefunden zu haben bekennen, oblegen dem Urasketentum?‹ Das war, o Herr, unter uns da besprochen worden, und wir brachen ab als der Erhabene ankam.«

»Schwer ist das freilich zu verstehn, Nigrodho, für dich ohne Deutung, ohne Geduld, ohne Hingabe, ohne Anstrengung, ohne Lenkung, worin ich die Jünger unterweise, worin die Jünger, durch mich unterwiesen, ihren Trost gefunden zu haben bekennen, oblegen dem Urasketentum. Lasse mich lieber, Nigrodho, über deinen eigenen Lehrsatz, Abscheu betreffend, eine Frage beantworten, etwa: ›Wie muß wohl, o Herr, Buße und Abscheu sein um vollkommen zu werden, und wie bleibt es unvollkommen?‹«

Auf diese Worte brachen die Pilger dort in lebhafte Rufe aus, in lauten Beifall, in großen Lärm:

»Außerordentlich, in der Tat, ganz wunderbar ist des Asketen Gotamo hohe Macht, hohe Gewalt, daß er allen Ernstes seine eigene Meinung hintansetzen und einer Äußerung von anderer Seite das Wort reden mag!«

Da hat denn nun Nigrodho der Pilger jene Pilger beschwichtigt und sich an den Erhabenen also gewandt:

[449] »Wir, o Herr, haben Buße und Abscheu erwählt, halten fest an Buße und Abscheu. Wie muß aber, o Herr, Buße und Abscheu sein um vollkommen zu werden, und wie bleibt es unvollkommen?«

»Da ist, Nigrodho, der Büßer ein Unbekleideter, ein Ungebundener, ein Handverköster, kein Ankömmling, kein Abwärtling, gestattet keine Darreichung, keine Vergünstigung, keine Einladung, späht beim Empfangen des Almosens nicht nach dem Topfe, nicht nach der Schüssel, nicht über die Schwelle, nicht über das Gitter, nicht in den Kessel hinein, nimmt nicht von zu zweit Speisenden an, nicht von einer Schwangeren, nicht von einer Säugenden, nicht von einer, die vom Manne kommt, nicht von Beschmutzten, nicht wo ein Hund dabei steht, nicht wo Fliegen hin und her schwärmen, ißt keinen Fisch, kein Fleisch, trinkt keinen Wein, kein gebranntes Wasser, keinen gegorenen Haferschleim. Er geht zu einem Hause und begnügt sich mit einer Handvoll Almosenspeise; geht zu zwei Häusern und begnügt sich mit zwei Handvoll Almosenspeise; geht zu sieben Häusern und begnügt sich mit sieben Handvoll Almosenspeise. Er fristet sein Leben durch die Mildtätigkeit von nur einer Spenderin, von nur zwei Spenderinnen, von nur sieben Spenderinnen. Er nimmt nur jeden ersten Tag Nahrung ein, nur jeden zweiten Tag, nur jeden siebenten Tag. Solcherart wechselnd beobachtet er streng diese bis auf einen halben Monat ausgedehnte Fastenübung. Oder er lebt von Kräutern und Pilzen, von wildem Reis und Korn, von Samen und Kernen, von Pflanzenmilch und Baumharz, von Gräsern, von Kuhmist, fristet sich von Wurzeln und Früchten des Waldes, lebt von abgefallenen Früchten. Auch trägt er das hänfene Hemd, trägt das härene Hemd, trägt einen Rock, geflickt aus den im Leichenhof und auf der Straße gefundenen Fetzen, hüllt sich in Lumpen, in Felle, in Häute, gürtet sich mit Flechten aus Gras, mit Flechten aus Rinde, mit Flechten aus Laub, birgt die Blöße unter pelzigem Schurze, unter borstigem Schurze, unter einem Eulenflügel. Und er rauft sich Haupt- und Barthaar aus, die Regel der Haar- und Bartausraufer befolgend, ist ein Stetigsteher, verwirft Sitz und Lager; ist ein Fersensitzer, übt die Zucht der Fersensitzer; ist Dornenseitiger, legt sich zur Seite auf ein Dornenlager; er liegt auf einem Brette, liegt auf dem Estrich, liegt auf einer Seite, mit Staub und Asche bedeckt; er lebt unter freiem Himmel, überall gelagert; er nährt sich von Unrat, der Unraternährung eifrig ergeben; er ist ein Wasserfreund, dem Wasserdienste ergeben, steigt allabendlich zum drittenmal herab ins Büßerbad. Was meinst du wohl, Nigrodho: wenn es sich also verhält, ist dann Buße und Abscheu vollkommen geworden, oder ist es unvollkommen geblieben?«

»Freilich, o Herr, verhält es sich also, dann ist Buße und Abscheu vollkommen geworden, es ist nicht unvollkommen geblieben.«

[450] »Also vollkommen gewordene Buße und Abscheu, Nigrodho, heiße ich noch mit verschiedenartigen Schlacken versetzt776

»Inwiefern denn, o Herr, heißt der Erhabene eine also vollkommen gewordene Buße und Abscheu mit verschiedenartigen Schlacken versetzt?«

»Da nimmt, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich. Diese Buße erfreut ihn und füllt ihm das Sinnen aus. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich nimmt, und diese Buße ihn erfreut und ihm das Sinnen ausfüllt, so gilt das eben dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich. Um dieser Buße willen brüstet er sich und verachtet die anderen. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich nimmt, und er sich um dieser Buße willen brüstet und die anderen verachtet, so gilt auch das dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich. Diese Buße betört ihn, berückt ihn, macht ihn unsinnig. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich nimmt, und er durch diese Buße betört und berückt und unsinnig wird, so gilt auch das dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich. Durch diese Buße gelangt er zu Almosen, Ehre und Ruhm. Diese Erlangung von Almosen, Ehre und Ruhm erfreut ihn und füllt ihm das Sinnen aus. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich nimmt, und die Erlangung von Almosen, Ehre und Ruhm ihn erfreut und ihm das Sinnen ausfüllt, so gilt auch das dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich. Durch diese Buße gelangt er zu Almosen, Ehre und Ruhm. Wegen dieser Erlangung von Almosen, Ehre und Ruhm brüstet er sich und verachtet die anderen. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich nimmt, und weil er Almosen, Ehre und Ruhm erlangt sich brüstet und die anderen verachtet, so gilt auch das dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich. Durch diese Buße gelangt er zu Almosen, Ehre und Ruhm. Diese Erlangung von Almosen, Ehre und Ruhm betört ihn, berückt ihn, macht ihn unsinnig. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich nimmt, und weil er Almosen, Ehre und Ruhm erlangt betört und berückt und unsinnig wird, so gilt auch das dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich, und er wird bei der Nahrung wählerisch: ›Das bekommt mir, das bekommt mir nicht.‹ Was ihm nun nicht bekommt, das läßt er mit Abneigung liegen; was ihm aber bekommt, davon verlockt und berückt läßt er es sich mit Behagen schmecken, ohne das Elend zu sehn, ohne an Entrinnung zu denken. Auch das gilt, Nigrodho, dem Büßer als Schlacke777. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich, weil er Almosen, Ehre und Ruhm in Fülle erhofft: ›Auszeichnen werden mich Könige und königliche Würdenträger, Krieger und Priester, Bürgersleute und Ordensbrüder.‹ Auch das gilt, Nigrodho, dem Büßer als Schlacke. Weiter[451] sodann, Nigrodho: ein Büßer läßt sich da über einen Asketen oder Priester irgendwie abfällig aus: ›Was hat nur dieser Vielfraß alles und jedes zusammenzubeißen, ganz gleich ob es Wurzeln sind oder Steinfrüchte, Beeren oder Schoten, oder auch Samenkapseln zufünft: zu zernagen, zerknacken, mit den Zähnen zu sägen, wie man unter Asketen sagt778.‹ Auch das gilt, Nigrodho, dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer sieht wie irgendein Asket oder Priester von den Leuten wertgehalten, hochgeschätzt, geachtet und geehrt wird. Bei diesem Anblick wird ihm also zumute: ›Dieser üppige Geselle da, der wird von den Leuten wertgehalten, hochgeschätzt, geachtet und geehrt: ich aber, der ich ein Büßer bin, rauhe Zucht übe, werde von den Leuten nicht wertgehalten, nicht hochgeschätzt, nicht geachtet, nicht geehrt.‹ So läßt er Neid und Eigensucht unter den Leuten zum Vorschein kommen. Auch das gilt, Nigrodho, dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: da pflegt ein Büßer an öffentlichen Plätzen sich niederzulegen. Auch das gilt, Nigrodho, dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: da zeigt sich ein Büßer unschicklich anzusehn unter den Leuten: ›Auch das soll mir Buße sein, auch das soll mir Buße sein!‹ Auch das gilt, Nigrodho, dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: da betreibt ein Büßer irgendetwas geheim. Fragt man ihn nun: ›Gibst du dich damit zufrieden?‹, so sagt er, damit nicht zufrieden, ›Ich bin es zufrieden‹, und damit zufrieden sagt er ›Ich bin es nicht zufrieden‹. So spricht er wissentlich eine Lüge aus. Auch das gilt, Nigrodho, dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: da mag ein Büßer, wenn der Vollendete oder ein Jünger des Vollendeten die Lehre aufweist, ob auch der Darlegung beizupflichten ist, nicht beipflichten. Auch das gilt, Nigrodho, dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: da ist ein Büßer zornig und feindselig. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer zornig und feindselig ist, so gilt auch das dem Büßer als Schlacke. Weiter sodann, Nigrodho: da ist ein Büßer heuchlerisch und verschlagen, neidisch und eigensüchtig, listig und gleisnerisch, störrisch und hochmütig, er hat böse Wünsche und ist bösen Wünschen willfährig, er hat verkehrte Ansicht, ist mit einer zu Verderben gereichenden Ansicht ausgerüstet, er kümmert sich nur um das Gegenwärtige, greift mit beiden Händen zu, läßt sich schwer abweisen. Auch das gilt, Nigrodho, dem Büßer als Schlacke. Was meinst du wohl, Nigrodho: ist Buße und Abscheu solcher Art mit Schlacken versetzt oder von Schlacken rein?«

»Freilich, o Herr, ist Buße und Abscheu solcher Art mit Schlacken versetzt und nicht rein von Schlacken. Und es mag schon sein, o Herr, daß da mancher Büßer eben mit all diesen Schlacken behaftet sei, geschweige mit einer oder mit der anderen!«

»Da nimmt, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich. Diese Buße erfreut ihn [452] nicht und füllt ihm das Sinnen nicht aus. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich nimmt, und diese Buße ihn nicht erfreut und ihm das Sinnen nicht ausfüllt, so ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich. Um dieser Buße willen brüstet er sich nicht und verachtet nicht die anderen. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich nimmt, und er sich um dieser Buße willen nicht brüstet und die anderen nicht verachtet, so ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich. Diese Buße betört ihn nicht, berückt ihn nicht, macht ihn nicht unsinnig. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich nimmt, und er durch diese Buße nicht betört, nicht berückt, nicht unsinnig wird, so ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich. Durch diese Buße gelangt er zu Almosen, Ehre und Ruhm. Diese Erlangung von Almosen, Ehre und Ruhm erfreut ihn nicht und füllt ihm das Sinnen nicht aus. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich nimmt, und die Erlangung von Almosen, Ehre und Ruhm ihn nicht erfreut und ihm das Sinnen nicht ausfüllt, so ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich. Durch diese Buße gelangt er zu Almosen, Ehre und Ruhm. Wegen dieser Erlangung von Almosen, Ehre und Ruhm brüstet er sich nicht und verachtet nicht die anderen. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich nimmt, und weil er Almosen, Ehre und Ruhm erlangt sich nicht brüstet und die anderen nicht verachtet, so ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich. Durch diese Buße gelangt er zu Almosen, Ehre und Ruhm. Diese Erlangung von Almosen, Ehre und Ruhm betört ihn nicht, berückt ihn nicht, macht ihn nicht unsinnig. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer Buße auf sich nimmt, und weil er Almosen, Ehre und Ruhm erlangt nicht betört, nicht berückt, nicht unsinnig wird, so ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich, und er wird bei der Nahrung nicht wählerisch, sagt nicht: ›Das bekommt mir, das bekommt mir nicht.‹ Was ihm nun nicht bekommt, das läßt er ohne Abneigung liegen; was ihm aber bekommt, davon nicht verlockt, nicht berückt nimmt er es ohne Behagen ein, das Elend sehend, eingedenk der Entrinnung: so ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer nimmt Buße auf sich, und zwar nicht weil er Almosen, Ehre und Ruhm in Fülle erhofft, nicht den Gedanken hegt: ›Auszeichnen werden mich Könige und königliche Würdenträger, Krieger und Priester, Bürgersleute und Ordensbrüder‹: so ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer läßt sich da über einen Asketen oder Priester nicht irgendwie abfällig aus: so ist er derart in diesem Punkte [453] lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: ein Büßer sieht wie irgendein Asket oder Priester von den Leuten wertgehalten, hochgeschätzt, geachtet und geehrt wird. Bei diesem Anblick wird ihm nicht also zumute: ›Dieser üppige Geselle da, der wird von den Leuten wertgehalten, hochgeschätzt, geachtet und geehrt: ich aber, der ich ein Büßer bin, in rauher Zucht lebe, werde von den Leuten nicht wertgehalten, nicht hochgeschätzt, nicht geachtet, nicht geehrt.‹ So läßt er Neid und Eigensucht unter den Leuten nicht aufkommen, und er ist derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: da ist ein Büßer nicht an öffentlichen Plätzen herumgelegen, und er ist derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: da zeigt sich ein Büßer nicht unschicklich anzusehn unter den Leuten, vermeint nicht: ›Auch das soll mir Buße sein, auch das soll mir Buße sein‹: so ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: da betreibt ein Büßer nicht irgendetwas geheim. Fragt man ihn nun: ›Gibst du dich damit zufrieden?‹, so sagt er, damit nicht zufrieden, ›Ich bin es nicht zufrieden‹, und damit zufrieden sagt er ›Ich bin es zufrieden.‹ So spricht er wissentlich keine Lüge aus, und er ist derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: da mag ein Büßer, wenn der Vollendete oder ein Jünger des Vollendeten die Lehre aufweist, weil eben der Darlegung beizupflichten ist, auch beipflichten. So ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: da ist ein Büßer nicht zornig, nicht feindselig. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer nicht zornig, nicht feindselig ist, so ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: da ist ein Büßer nicht zornig, nicht feindselig. Wenn aber, Nigrodho, ein Büßer nicht zornig, nicht feindselig ist, so ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Weiter sodann, Nigrodho: da ist ein Büßer nicht heuchlerisch und nicht verschlagen, nicht neidisch ist er und nicht eigensüchtig, nicht listig und gleisnerisch, nicht störrisch und hochmütig, er hegt keine bösen Wünsche und ist bösen Wünschen nicht willfährig, er hat keine verkehrte Ansicht, ist mit keiner zu Verderben gereichenden Ansicht ausgerüstet, er kümmert sich nicht nur um das Gegenwärtige, greift nicht mit beiden Händen zu, läßt sich leicht abweisen. So ist er derart in diesem Punkte lauter geworden. Was meinst du wohl, Nigrodho: wenn es sich also verhält, ist dann Buße und Abscheu lauter geworden oder unlauter geblieben?«

»Freilich, o Herr, da es sich also verhält, ist dann Buße und Abscheu lauter geworden, nicht unlauter geblieben, hat das Höchste erreicht und den Inbegriff.«

»Nicht doch, Nigrodho, insofern schon hat Buße und Abscheu das Höchste erreicht und den Inbegriff, sondern ist wohl bis zu den Ästen gelangt779

[454] »Inwiefern aber hat, o Herr, Buße und Abscheu das Höchste erreicht und den Inbegriff? Sei der Erhabene, o Herr, so gut und lasse mich bei Buße und Abscheu bis an das Höchste gelangen, bis zum Inbegriff.«

»Da ist, Nigrodho, ein Büßer vierfach gezügelt in fester Zucht. Wie aber, Nigrodho, ist ein Büßer vierfach gezügelt in fester Zucht? Da bringt, Nigrodho, ein Büßer kein Wesen um, er läßt kein Wesen umbringen, und wenn man Wesen umbringt stimmt er nicht zu. Was nicht gegeben wird nimmt er nicht, was nicht gegeben wird läßt er nicht nehmen, und wenn man Nichtgegebenes nimmt stimmt er nicht zu. Er spricht keine Lüge, er läßt keine Lüge sprechen, und wenn man lügt stimmt er nicht zu. Er hofft auf kein Ereignis, er läßt auf kein Ereignis hoffen, und wenn man auf ein Ereignis hofft stimmt er nicht zu780. So ist, Nigrodho, ein Büßer vierfach gezügelt in fester Zucht. Ist aber, Nigrodho, ein Büßer vierfach gezügelt in fester Zucht, und gilt ihm dies als Buße, so schreitet er weiter und kehrt nicht mehr zur Gewohnheit zurück781. Er sucht einen abgelegenen Ruheplatz auf, einen Hain, den Fuß eines Baumes, eine Felsengrotte, eine Bergesgruft, einen Friedhof, die Waldesmitte, ein Streulager in der offenen Ebene. Nach dem Mahle, wenn er vom Almosengange zurückgekehrt ist, setzt er sich mit verschränkten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, und pflegt der Einsicht. Er hat weltliche Begierde verworfen und verweilt begierdelosen Gemütes, von Begierde läutert er sein Herz. Gehässigkeit hat er verworfen, haßlosen Gemütes verweilt er, voll Liebe und Mitleid zu allen lebenden Wesen läutert er sein Herz von Gehässigkeit. Matte Müde hat er verworfen, von matter Müde ist er frei; das Licht liebend, einsichtig, klar bewußt, läutert er sein Herz von matter Müde. Stolzen Unmut hat er verworfen, er ist frei von Stolz; innig beruhigten Gemütes läutert er sein Herz von stolzem Unmut. Das Schwanken hat er verworfen, der Ungewißheit ist er entronnen; er zweifelt nicht am Guten, von Schwanken läutert er sein Herz. – Er hat nun diese fünf Hemmungen aufgehoben, hat die Schlacken des Gemütes kennengelernt, die lähmenden. Liebevollen Gemütes weilend strahlt er nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit liebevollem Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem. Erbarmenden Gemütes, freudevollen Gemütes, unbewegten Gemütes weilend strahlt er nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit erbarmendem Gemüte, mit freudevollem Gemüte, mit unbewegtem Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem. Was meinst du wohl, Nigrodho: wenn es sich [455] also verhält, ist dann Buße und Abscheu lauter geworden oder unlauter geblieben?«

»Fürwahr, o Herr, da es sich also verhält, ist dann Buße und Abscheu lauter geworden, nicht unlauter geblieben, hat das Höchste erreicht und den Inbegriff.«

»Nicht doch, Nigrodho, insofern schon hat Buße und Abscheu das Höchste erreicht und den Inbegriff, sondern ist wohl bis an die Rinde gelangt.«

»Wie aber wär's denn, o Herr, daß Buße und Abscheu auf das Höchste gelangte und zum Inbegriff! Sei der Erhabene, o Herr, so gut und lasse mich bei Buße und Abscheu bis an das Höchste gelangen, bis zum Inbegriff.«

»Da ist, Nigrodho, der Büßer vierfach gezügelt in fester Zucht, hat die fünf Hemmungen aufgehoben, er weilt unbewegten Gemütes. Der kann sich nun an manche verschiedene frühere Daseinsform erinnern, als wie an ein Leben, dann an zwei Leben, dann an drei Leben, dann an vier Leben, dann an fünf Leben, dann an zehn Leben, dann an zwanzig Leben, dann an dreißig Leben, dann an vierzig Leben, dann an fünfzig Leben, dann an hundert Leben, dann an tausend Leben, dann an hunderttausend Leben, dann an die Zeiten während mancher Weltenentstehungen, dann an die Zeiten während mancher Weltenvergehungen, dann an die Zeiten während mancher Weltenentstehungen-Weltenvergehungen. ›Dort war ich, jenen Namen hatte ich, jener Familie gehörte ich an, das war mein Stand, das mein Beruf, solches Wohl und Wehe habe ich erfahren, so war mein Lebensende; dort verschieden trat ich anderswo wieder ins Dasein: da war ich nun, diesen Namen hatte ich, dieser Familie gehörte ich an, dies war mein Stand, dies mein Beruf, solches Wohl und Wehe habe ich erfahren, so war mein Lebensende; da verschieden trat ich hier wieder ins Dasein‹: so kann er sich mancher verschiedenen früheren Daseinsform, mit je den eigentümlichen Merkmalen, mit je den eigenartigen Beziehungen, erinnern. Was meinst du wohl, Nigrodho: wenn es sich also verhält, ist dann Buße und Abscheu lauter geworden oder unlauter geblieben?«

»Freilich, o Herr, da es sich also verhält, ist dann Buße und Abscheu lauter geworden, nicht unlauter geblieben, hat das Höchste erreicht und den Inbegriff.«

»Nicht doch, Nigrodho, insofern schon hat Buße und Abscheu das Höchste erreicht und den Inbegriff, sondern ist wohl bis an das Grünholz gelangt.«

»Wie mag denn aber, o Herr, Buße und Abscheu das Höchste erreichen und den Inbegriff? Sei der Erhabene, o Herr, so gut und lasse mich bei Buße und Abscheu bis zum Höchsten herankommen, eben den Inbegriff erreichen.«

[456] »Da ist, Nigrodho, der Büßer vierfach gezügelt in fester Zucht, hat die fünf Hemmungen aufgehoben, er weilt unbewegten Gemütes, erinnert sich mancher verschiedenen früheren Daseinsform. Der kann nun mit dem himmlischen Auge, dem geläuterten, über menschliche Grenzen hinausreichenden, die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen sehn, gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und unglückliche, er kann erkennen wie die Wesen je nach den Taten wiederkehren. ›Diese lieben Wesen sind freilich in Taten dem Schlechten zugetan, in Worten dem Schlechten zugetan, in Gedanken dem Schlechten zugetan, tadeln Heiliges, achten Verkehrtes, tun Verkehrtes; bei der Auflösung des Leibes, nach dem Tode, gelangen sie auf den Abweg, auf schlechte Fährte, zur Tiefe hinab, in untere Welt. Jene lieben Wesen sind aber in Taten dem Guten zugetan, in Worten dem Guten zugetan, in Gedanken dem Guten zugetan, tadeln nicht Heiliges, achten Rechtes, tun Rechtes; bei der Auflösung des Leibes, nach dem Tode, gelangen sie auf gute Fährte, in selige Welt‹: so kann er mit dem himmlischen Auge, dem geläuterten, über menschliche Grenzen hinausreichenden, die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen sehn, gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und unglückliche, er kann erkennen wie die Wesen je nach den Taten wiederkehren. Was meinst du wohl, Nigrodho: wenn es sich also verhält, ist dann Buße und Abscheu lauter geworden oder unlauter geblieben?«

»Gewiß, o Herr, da es sich also verhält, ist dann Buße und Abscheu lauter geworden, nicht unlauter geblieben, hat das Höchste erreicht und den Inbegriff.«

»Insofern, Nigrodho, ist Buße und Abscheu auf das Höchste gestiegen, hat den Inbegriff erreicht. Das jedoch, Nigrodho, worüber du mich gefragt hattest: ›Was ist denn das, o Herr, für eine Satzung vom Erhabenen, worin der Erhabene die Jünger unterweist, in der die Jünger, durch den Erhabenen unterwiesen, ihren Trost gefunden zu haben bekennen, oblegen dem Urasketenturm‹, das ist, Nigrodho, ein Gegenstand, der noch weiter reicht und erlesener ist, worin ich die Jünger unterweise, worin die Jünger, durch mich unterwiesen, ihren Trost gefunden zu haben bekennen, oblegen dem Urasketentum.«

Nach diesen Worten brachen die Pilger dort in lebhafte Rufe aus, in lauten Beifall, in großen Lärm:

»So haben wir unsere Lehrsätze verloren, so haben wir unsere Lehrsätze wiedergefunden782! Darüber hinaus begreifen wir nichts Höheres mehr.«

Als nun Sandhāno der Hausvater merkte: ›Ohne Zweifel horchen jetzt diese andersfährtigen Pilger auf das Wort des Erhabenen, sie leihen Gehör, [457] wenden das Herz dem Verständnisse zu‹, da wandte er sich also an Nigrodho den Pilger:

»Wie ist das wohl, verehrter Nigrodho, mit dem, was du zu mir gesagt hast: ›Ach bitte, Hausvater, vielleicht weißt du, mit wem der Asket Gotamo zu reden pflegt, mit wem er sich in ein Gespräch einläßt, mit wem er sich in einen geistigen Kampf einläßt? Die öde Klause hat dem Asketen Gotamo den Geist benommen, der Asket Gotamo ist der Gesellschaft entfremdet, er kann überhaupt nicht Gespräche führen, eben darum liebt er die entlegenen Orte. Gleichwie etwa eine einäugige Kuh an der Weidengrenze umherschweift und nur abgelegene Orte aufsucht: ebenso nun auch ist der Geist des Asketen Gotamo in öder Klause benommen, der Asket Gotamo ist der Gesellschaft entfremdet, er kann überhaupt nicht Gespräche führen, eben darum liebt er die entlegenen Orte. Lasse doch, Hausvater, den Asketen Gotamo zu dieser Versammlung erst herkommen: mit einer einzigen Frage schon werden wir ihn wohl zum Umsinken bringen, ihn wie eine leere Kufe, so zu sagen, ausgepocht haben.‹ Da ist nun, o Herr, der Erhabene, Heilige, vollkommen Erwachte hier zugegen: lasset ihn doch der Gesellschaft entfremdet sein, wie eine einäugige Kuh an der Grenze der Weiden umherschweifen, bringet ihn mit einer einzigen Frage schon zum Umsinken, ihr wolltet ihn ja wie eine leere Kufe, so zu sagen, auspochen.«

Also angesprochen war Nigrodho der Pilger stumm geworden, verlegen geworden: mit gebeugten Schultern, auf den Boden vor sich hinstarrend, ohne eine Antwort zu finden, saß er da. Wie nun Nigrodho der Pilger so dasaß, wandte sich der Erhabene bei diesem Anblick also an ihn:

»Ist es wahr, Nigrodho, hast du solche Sprache geführt?«

»Es ist wahr, o Herr, ich habe solche Sprache geführt, wie ein Tor, wie ein Irrer, wie ein Mißratener.«

»Was meinst du wohl, Nigrodho: hast du vielleicht reden hören, bei den Pilgern, den altgewordenen, hochbejahrten, bei den Meistern und Altmeistern, als sie untereinander sprachen: daß da einst, in vergangenen Zeiten, Heilige, vollkommen Erwachte waren, und jene Erhabenen wohl also gesellig zusammengekommen sind, lebhafte Gespräche geführt, lauten Lärm, großen Lärm gemacht, sich über allerhand gemeine Dinge eifrig unterhalten haben, als wie über Könige und so weiter, über dies und das und derart, gleichwie auch du jetzt als Ordenshaupt: oder daß wohl jene Erhabenen also im Walde einsame Stätten, entlegene Ruheplätze aufzusuchen pflegten, wo Lärm verklungen ist, wenig Geräusch nur hindringt, Orte, die von den Leuten gemieden werden, wo der Mensch verborgen sitzen, sich zurückziehn kann, gleichwie auch ich es jetzt pflege?«

»Reden hab' ich hören, o Herr, bei den Pilgern, den altgewordenen, hochbejahrten, [458] bei den Meistern und Altmeistern, als sie untereinander sprachen: daß da einst, in vergangenen Zeiten, Heilige, vollkommen Er wachte waren, und jene Erhabenen wohl nicht also gesellig zusammengekommen sind, lebhafte Gespräche geführt, lauten Lärm, großen Lärm gemacht, sich über allerhand gemeine Dinge eifrig unterhalten haben, als wie über Könige und so weiter, über dies und das und derart, gleichwie auch ich jetzt als Ordenshaupt: wohl also pflegten jene Erhabenen im Walde einsame Stätten, entlegene Ruheplätze aufzusuchen, wo Lärm verklungen ist, wenig Geräusch nur hindringt, Orte, die von den Leuten gemieden werden, wo der Mensch verborgen sitzen, sich zurückziehn kann, gleichwie es auch jetzt der Erhabene pflegt.«

»Und ist dir, Nigrodho, da du Verstand hast, erwachsen bist, nicht etwa beigefallen: ›Erwacht ist der Erhabene, zur Erwachung zeigt er die Lehre, beruhigt ist der Erhabene, zur Beruhigung zeigt er die Lehre, gestillt ist der Erhabene, zur Stillung zeigt er die Lehre, entronnen ist der Erhabene, zur Entrinnung zeigt er die Lehre, zur Erlöschung gekommen ist der Erhabene, zur Erlöschung kommen zu lassen zeigt er die Lehre‹?«

Auf diese Worte hat Nigrodho der Pilger zum Erhabenen also gesprochen:

»Ein Vergehn hat mich, o Herr, überkommen, wie einen Toren, wie einen Irren, wie einen Mißratenen, der ich über den Erhabenen so geredet hatte783! So möge mich, o Herr, der Erhabene das Vergehn als Vergehn bekennen lassen, um in Zukunft an mich zu halten.«

»In der Tat hat dich, Nigrodho, ein Vergehn überkommen, wie einen Toren, wie einen Irren, wie einen Mißratenen, da du so über mich geredet. Weil du aber nun, Nigrodho, das Vergehn als Vergehn eingesehn und nach Gebühr bekannt hast, erkennen wir das von dir an. Denn ein Fortschritt ist es, Nigrodho, im Orden des Heiligen, ein Vergehn als Vergehn einzusehn, nach Gebühr zu bekennen, in Zukunft an sich zu halten. – Ich also, Nigrodho, sage dies: willkommen sei mir ein verständiger Mann, kein Heuchler, kein Gleisner, ein gerader Mensch. Ich führ' ihn ein, ich lege die Satzung dar. Der Führung folgend wird er so Schritt um Schritt jenes Ziel, um dessen willen edle Söhne gänzlich vom Hause fort in die Hauslosigkeit ziehn, die höchste Vollendung der Heiligkeit noch bei Lebzeiten sich offenbar machen, verwirklichen und erringen, in sieben Jahren. Sei es, Nigrodho, um die sieben Jahre: in sechs Jahren, fünf Jahren, vier Jahren, in drei Jahren, zwei Jahren, in einem Jahre wird er die höchste Vollendung der Heiligkeit noch bei Lebzeiten sich offenbar machen, verwirklichen und erringen. Sei es, Nigrodho, um das eine Jahr: in sieben Monaten, sechs Monaten, fünf Monaten, vier Monaten, in drei Monaten, zwei Monaten, in einem Monat, in einem halben Monat wird er die höchste Vollendung der Heiligkeit noch bei Lebzeiten sich offenbar [459] machen, verwirklichen und erringen. Sei es, Nigrodho, um den halben Monat: willkommen sei mir ein verständiger Mann, kein Heuchler, kein Gleisner, ein gerader Mensch. Ich führ' ihn ein, ich lege die Satzung dar. Der Führung folgend wird er so Schritt um Schritt jenes Ziel, um dessen willen edle Söhne gänzlich vom Hause fort in die Hauslosigkeit ziehn, die höchste Vollendung der Heiligkeit noch bei Lebzeiten sich offenbar machen, verwirklichen und erringen, in sieben Tagen. – Nun möchtest du wohl, Nigrodho, etwa denken: ›Um Jünger zu werben spricht der Asket Gotamo so, doch darf das, Nigrodho, nicht also aufgefaßt werden. Wer auch euer Meister ist, der soll auch euer Meister sein784‹. Oder du möchtest wohl, Nigrodho, etwa denken: ›Von unserer Regel will uns der Asket Gotamo abwendig machen, darum spricht er so‹, doch darf das, Nigrodho, nicht also aufgefaßt werden. Was auch deine Regel ist, das soll auch deine Regel sein785. Oder vielleicht möchtest du, Nigrodho, vermeinen: ›Von unserem Wandel will uns der Asket Gotamo abwendig machen, darum spricht er so‹, doch darf das, Nigrodho, nicht also aufgefaßt werden. Was eben dein Wandel ist, das soll auch dein Wandel sein786. Oder du möchtest, Nigrodho, etwa vermeinen: ›Was bei uns als unheilsam gilt, nach unserem Lehrgebot, darin will uns der Asket Gotamo bestärken, darum spricht er so‹, doch darf das, Nigrodho, nicht also aufgefaßt werden. Als unheilsam soll es eben gelten, nach euerem Lehrgebot. Oder du möchtest auch, Nigrodho, etwa denken: ›Was bei uns als heilsam gilt, nach unserem Lehrgebot, davon will uns der Asket Gotamo abbringen, darum spricht er so‹, doch darf das, Nigrodho, nicht also aufgefaßt werden. Als heilsam soll es eben gelten, nach euerem Lehrgebot. So hab' ich denn, Nigrodho, nicht wohl um Jünger zu werben also gesprochen, auch nicht um von einer Regel abwendig zu machen oder von einem Wandel, auch nicht um in Dingen, die euch als unheilsam gelten, euch zu bestärken, und habe auch nicht also gesprochen um von Dingen, die euch als heilsam gelten, euch abzubringen. Es gibt ja, Nigrodho, unheilsame Dinge, die zu lassen sind, besudelnde, Wiederdasein säende, entsetzliche, Leiden ausbrütende, wiederum Leben, Altern und Sterben erzeugende: davon sich abzukehren leg' ich die Lehre dar, so daß ihr Schritt um Schritt die besudelnden Dinge verlieren, die läuternden Dinge erwerben, euch die Weisheit in ihrer Fülle und Weite noch bei Lebzeiten selber offenbar machen, verwirklichen und erringen könnt787

Nach diesen Worten verblieben die Pilger dort stumm. Verlegen geworden, mit gebeugten Schultern, auf den Boden vor sich hinstarrend, ohne eine Erwiderung zu finden, saßen sie da, als wie schon vom Tod im Geiste umgarnt788. Da hat denn der Erhabene sich gesagt: ›Alle sind sie, die eitlen Menschen, vom Tode berührt, dem bösen, da auch nicht ein einziger sich [460] entschließen mag: »Wohlan denn, nur des Versuches halber wollen wir beim Asketen Gotamo heiliges Leben führen, sieben Tage, was liegt daran?«‹


Da hatte nun der Erhabene im Pilgergarten unter der Vogelfeige den Löwenruf erschallen lassen, stieg dann zur Höhe empor, kehrte wieder auf den Geierkulm im Gebirge zurück; während Sandhāno der Hausvater sich alsbald nach Rājagaham begab.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 2, Zürich/Wien 31957, S. 446-461.
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