Achte Rede

Die Nagaravinder

[1075] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit wanderte der Erhabene im Lande Kosalo von Ort zu Ort und kam, von vielen Mönchen begleitet, in die Nähe eines kosalischen Brāhmanendorfes Namens Nagaravindam. Und es hörten die brāhmanischen Hausleute in Nagaravindam reden: ›Der Asket, wahrlich, Herr Gotamo, der Sakyersohn, der dem Erbe der Sakyer entsagt hat, wandert in unserem Lande von Ort zu Ort und ist mit vielen Mönchen in Nagaravindam angekommen. Diesen Herrn Gotamo aber begrüßt man allenthalben mit dem frohen Ruhmesrufe, so zwar: »Das ist der Erhabene, der Heilige, vollkommen Erwachte, der Wissens- und Wandelsbewährte, der Willkommene, der Welt Kenner, der unvergleichliche Leiter der Männerherde, der Meister der Götter und Menschen, der Erwachte, der Erhabene. Er zeigt diese Welt mit ihren Göttern, ihren bösen und heiligen Geistern, mit ihrer Schar von Priestern und Büßern, Göttern und Menschen, nachdem er sie selbst verstanden und durchdrungen hat. Er verkündet die Lehre, deren Anfang begütigt, deren Mitte begütigt, deren Ende begütigt, die sinn- und wortgetreue, er legt das vollkommen geläuterte, geklärte Asketentum dar. Glücklich wer da nun solche Heilige sehn kann!«‹

Und die brāhmanischen Hausleute von Nagaravindam begaben sich nun dorthin wo der Erhabene weilte. Dort angelangt verneigten sich einige vor dem Erhabenen ehrerbietig und setzten sich zur Seite nieder, andere wechselten höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte mit dem Erhabenen und setzten sich zur Seite nieder, einige wieder falteten die Hände gegen den Erhabenen und setzten sich zur Seite nieder, andere wieder gaben beim Erhabenen Namen und Stand zu erkennen und setzten sich zur Seite nieder, und andere setzten sich still zur Seite nieder532. Zu den brāhmanischen Hausleuten von Nagaravindam, die da zur Seite saßen, sprach nun der Erhabene also:

»Wenn euch, ihr Hausväter, andersfährtige Pilger die Frage stellen: ›Was sind das, ihr Hausväter, für Asketen und Priester, die man nicht werthalten und hochschätzen, die man nicht achten und ehren kann?‹, so mögt ihr auf diese Frage, Hausväter, den andersfährtigen Pilgern also Bescheid geben: ›Wer da von Asketen und Priestern bei den durch das Gesicht ins[1076] Bewußtsein tretenden Formen nicht ohne Gier, nicht ohne Haß, nicht ohne Irre sich erwiesen, das eigene Herz nicht beschwichtigt hat, gerade und ungerade wandelt in Werken, in Worten, in Gedanken, einen solchen Asketen oder Priester, den kann man nicht werthalten und hochschätzen, den kann man nicht achten und ehren: und warum nicht? Wir selber haben uns ja bei den durch das Gesicht ins Bewußtsein tretenden Formen nicht ohne Gier, nicht ohne Haß, nicht ohne Irre erwiesen, das eigene Herz nicht beschwichtigt, wandeln gerade und ungerade in Werken, in Worten, in Gedanken: wer nichts Besseres kennt als den geraden Wandel, den wir selber führen, solch einen lieben Asketen oder Priester kann man eben darum nicht werthalten und hochschätzen, kann ihn nicht achten und ehren. Wer da von Asketen und Priestern bei den durch das Gehör ins Bewußtsein tretenden Tönen, bei den durch den Geruch ins Bewußtsein tretenden Düften, bei den durch den Geschmack ins Bewußtsein tretenden Säften, bei den durch das Getast ins Bewußtsein tretenden Tastungen, bei den durch das Gedenken ins Bewußtsein tretenden Dingen nicht ohne Gier, nicht ohne Haß, nicht ohne Irre sich erwiesen, das eigene Herz nicht beschwichtigt hat, gerade und ungerade wandelt in Werken, in Worten, in Gedanken, einen solchen Asketen oder Priester, den kann man nicht werthalten und hochschätzen, den kann man nicht achten und ehren: und warum nicht? Wir selber haben uns ja bei diesen Dingen nicht ohne Gier, nicht ohne Haß, nicht ohne Irre erwiesen, das eigene Herz nicht beschwichtigt, wandeln gerade und ungerade in Werken, in Worten, in Gedanken: wer nichts Besseres kennt als den geraden Wandel, den wir selber führen, solch einen lieben Asketen oder Priester kann man eben darum nicht werthalten und hochschätzen, kann ihn nicht achten und ehren.‹ Also mögt ihr, Hausväter, den andersfährtigen Pilgern auf eine solche Frage Bescheid geben.

Wenn euch aber, ihr Hausväter, andersfährtige Pilger die Frage stellen: ›Was sind das, ihr Hausväter, für Asketen und Priester, die man werthalten und hochschätzen, die man achten und ehren kann?‹, so mögt ihr auf diese Frage, Hausväter, den andersfährtigen Pilgern also Bescheid geben: ›Wer da von Asketen und Priestern bei den durch das Gesicht ins Bewußtsein tretenden Formen ohne Gier, ohne Haß, ohne Irre sich erwiesen, das eigene Herz beschwichtigt hat, den geraden Wandel bewahrt in Werken, in Worten, in Gedanken, einen solchen Asketen oder Priester, den kann man werthalten und hochschätzen, den kann man achten und ehren: und warum das? Wir selber haben uns ja bei den durch das Gesicht ins Bewußtsein tretenden Formen nicht ohne Gier, nicht ohne Haß, nicht ohne Irre erwiesen, das eigene Herz nicht beschwichtigt, wandeln gerade und ungerade in Werken, in Worten, in Gedanken: wer da nun Besseres kennt als den geraden Wandel, den wir [1077] selber führen, solch einen lieben Asketen oder Priester kann man eben darum werthalten und hochschätzen, kann ihn achten und ehren. Wer da von Asketen und Priestern bei den durch das Gehör ins Bewußtsein tretenden Tönen, bei den durch den Geruch ins Bewußtsein tretenden Düften, bei den durch den Geschmack ins Bewußtsein tretenden Säften, bei den durch das Getast ins Bewußtsein tretenden Tastungen, bei den durch das Gedenken ins Bewußtsein tretenden Dingen ohne Gier, ohne Haß, ohne Irre sich erwiesen, das eigene Herz beschwichtigt hat, den geraden Wandel bewahrt in Werken, in Worten, in Gedanken, einen solchen Asketen oder Priester, den kann man werthalten und hochschätzen, den kann man achten und ehren: und warum das? Wir selber haben uns ja bei diesen Dingen nicht ohne Gier, nicht ohne Haß, nicht ohne Irre erwiesen, das eigene Herz nicht beschwichtigt, wandeln gerade und ungerade in Werken, in Worten, in Gedanken: wer da nun Besseres kennt als den geraden Wandel, den wir selber führen, solch einen lieben Asketen oder Priester kann man eben darum werthalten und hochschätzen, kann ihn achten und ehren.‹ Also mögt ihr, Hausväter, den andersfährtigen Pilgern auf eine solche Frage Bescheid geben.

Wenn euch nun, ihr Hausväter, die andersfährtigen Pilger die Frage stellen: ›Was eignen doch den Ehrwürdigen für Merkmale, was für Kennzeichen, daß ihr von ihnen also redet: »Freilich haben jene Ehrwürdigen die Gier verloren oder sind auf dem Wege die Gier zu verleugnen, haben den Haß verloren oder sind auf dem Wege den Haß zu verleugnen, haben die Irre verloren oder sind auf dem Wege die Irre zu verleugnen«?‹, so mögt ihr auf diese Frage, Hausväter, den andersfährtigen Pilgern also Bescheid geben: ›Darum eben suchen jene Ehrwürdigen tief im Walde abgelegene Orte auf: dort aber gibt es keinerlei durch das Gesicht ins Bewußtsein tretende Formen, die man sehn und sehn und begehren könnte; dort aber gibt es keinerlei durch das Gehör ins Bewußtsein tretende Töne, die man hören und hören und begehren könnte; dort aber gibt es keinerlei durch den Geruch ins Bewußtsein tretende Düfte, die man riechen und riechen und begehren könnte; dort aber gibt es keinerlei durch den Geschmack ins Bewußtsein tretende Säfte, die man schmecken und schmecken und begehren könnte; dort aber gibt es keinerlei durch das Getast ins Bewußtsein tretende Tastungen, die man tasten und tasten und begehren könnte. Das sind, ihr Brüder, Merkmale, das sind Kennzeichen, um deren willen wir von jenen Ehrwürdigen also reden: »Freilich haben jene Ehrwürdigen die Gier verloren oder sind auf dem Wege die Gier zu verleugnen, haben den Haß verloren oder sind auf dem Wege den Haß zu verleugnen, haben die Irre verloren oder sind auf dem Wege die Irre zu verleugnen.«‹ Also mögt ihr, Hausväter, den andersfährtigen Pilgern auf eine solche Frage Bescheid geben.«

[1078] Nach dieser Rede sprachen die brāhmanischen Hausleute von Nagaravindam also zum Erhabenen:

»Vortrefflich, Herr Gotamo, vortrefflich, Herr Gotamo! Gleichwie etwa, Herr Gotamo, als ob man Umgestürztes aufstellte, oder Verdecktes enthüllte, oder Verirrten den Weg zeigte, oder ein Licht in die Finsternis hielte: ›Wer Augen hat wird die Dinge sehn‹: ebenso auch ist von Herrn Gotamo die Lehre gar vielfach gezeigt worden. Und so nehmen wir bei Herrn Gotamo unsere Zuflucht, bei der Lehre und bei der Jüngerschaft: als Anhänger möge uns Herr Gotamo betrachten, von heute an zeitlebens getreu533

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 1075-1079.
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