Neunte Rede

Almosenläuterung

[1079] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Rājagaham, im Bambusparke, am Hügel der Eichhörnchen.

Da begab sich denn der ehrwürdige Sāriputto gegen Abend, nach Aufhebung der Gedenkensruhe, zum Erhabenen hin, begrüßte den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich seitwärts nieder. Zum ehrwürdigen Sāriputto, der da seitwärts saß, sprach nun der Erhabene also:

»Heiter, Sāriputto, ist dein Angesicht, hell die Hautfarbe und rein; was hast du wohl, Sāriputto, in dieser Zeit am meisten erfahren mögen?«

»Armut erfahren hab' ich, o Herr, in dieser Zeit am meisten gemocht.«

»Recht so, recht so, Sāriputto. Großer Männer Erfahrung erfahren hast du wahrlich, Sāriputto, in dieser Zeit am meisten gemocht. Großer Männer Erfahrung heißt es ja, Sāriputto, ist die Armut. – Darum aber, Sāriputto, so ein Mönch sich wünscht ›Armut erfahren möcht' ich am meisten‹, hat ein solcher Mönch, Sāriputto, sich also zu erforschen: ›Auf dem Wege wo ich nach dem Dorfe um Almosen hinging, an dem Orte wo ich um Almosen stand, auf dem Wege wo ich aus dem Dorfe vom Almosengange wiederkam, ist mir da etwa bei den durch das Gesicht ins Bewußtsein tretenden Formen Wille, oder Gier, oder Haß, oder Irre, oder Widerstreit im Geiste auf gestiegen?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Auf dem Wege [1079] wo ich nach dem Dorfe um Almosen hinging, an dem Orte wo ich um Almosen stand, auf dem Wege, wo ich aus dem Dorfe vom Almosengange wiederkam, da ist mir bei den durch das Gesicht ins Bewußtsein tretenden Formen Wille, oder Gier, oder Haß, oder Irre, oder Widerstreit im Geiste aufgestiegen‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um Befreiung von ebendiesen bösen, schlechten Dingen zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Auf dem Wege wo ich nach dem Dorfe um Almosen hinging, an dem Orte wo ich um Almosen stand, auf dem Wege wo ich aus dem Dorfe vom Almosengange wiederkam, da ist mir bei den durch das Gesicht ins Bewußtsein tretenden Formen Wille, oder Gier, oder Haß, oder Irre, oder Widerstreit im Geiste nicht aufgestiegen‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Auf dem Wege wo ich nach dem Dorfe um Almosen hinging, an dem Orte wo ich um Almosen stand, auf dem Wege wo ich aus dem Dorfe vom Almosengange wiederkam, ist mir da etwa bei den durch das Gehör ins Bewußtsein tretenden Tönen, bei den durch den Geruch ins Bewußtsein tretenden Düften, bei den durch den Geschmack ins Bewußtsein tretenden Säften, bei den durch das Getast ins Bewußtsein tretenden Tastungen, bei den durch das Gedenken ins Bewußtsein tretenden Dingen Wille, oder Gier, oder Haß, oder Irre, oder Widerstreit im Geiste aufgestiegen?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Auf dem Wege wo ich nach dem Dorfe um Almosen hinging, an dem Orte wo ich um Almosen stand, auf dem Wege wo ich aus dem Dorfe vom Almosengange wiederkam, da ist mir bei den durch das Gedenken ins Bewußtsein tretenden Dingen Wille, oder Gier, oder Haß, oder Irre, oder Widerstreit im Geiste aufgestiegen‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um Befreiung von ebendiesen bösen, schlechten Dingen zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Auf dem Wege wo ich nach dem Dorfe um Almosen hinging, an dem Orte wo ich um Almosen stand, auf dem Wege wo ich aus dem Dorfe vom Almosengange wiederkam, da ist mir bei den durch das Gedenken ins Bewußtsein tretenden Dingen Wille, oder Gier, oder Haß, oder Irre, oder Widerstreit im Geiste nicht aufgestiegen‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, eben diese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Hab' ich sie aufgehoben, die fünf Begehrungen?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Nicht aufgehoben hab' ich sie, die fünf Begehrungen‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um die Aufhebung der fünf Begehrungen zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung [1080] erkennt: ›Aufgehoben hab' ich sie, die fünf Begehrungen‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Hab' ich sie aufgehoben, die fünf Hemmungen?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Nicht aufgehoben hab' ich sie, die fünf Hemmungen‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um die Aufhebung der fünf Hemmungen zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Aufgehoben hab' ich sie, die fünf Hemmungen‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Hab' ich sie durchschaut, die fünf Stücke des Anhangens?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Nicht durchschaut hab' ich sie, die fünf Stücke des Anhangens‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um die Durchschauung der fünf Stücke des Anhangens zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Durchschaut hab' ich sie, die fünf Stücke des Anhangens‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Hab' ich sie vollendet, die vier Pfeiler der Einsicht?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Nicht vollendet hab' ich sie, die vier Pfeiler der Einsicht‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um die Vollendung der vier Pfeiler der Einsicht zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Vollendet hab' ich sie, die vier Pfeiler der Einsicht‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Hab ich sie vollendet, die vier gewaltigen Kämpfe?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Nicht vollendet hab' ich sie, die vier gewaltigen Kämpfe‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um die Vollendung der vier gewaltigen Kämpfe zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Vollendet hab' ich sie, die vier gewaltigen Kämpfe‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Hab' ich sie vollendet, die vier Machtgebiete?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Nicht vollendet hab' ich sie, die vier Machtgebiete‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um die Vollendung der vier Machtgebiete zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung [1081] erkennt: ›Vollendet hab' ich sie, die vier Machtgebiete‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Hab' ich sie vollendet, die fünf Fähigkeiten?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Nicht vollendet hab' ich sie, die fünf Fähigkeiten‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um die Vollendung der fünf Fähigkeiten zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Vollendet hab' ich sie, die fünf Fähigkeiten‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Hab' ich sie vollendet, die fünf Vermögen?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Nicht vollendet hab' ich sie, die fünf Vermögen‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um die Vollendung der fünf Vermögen zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Vollendet hab' ich sie, die fünf Vermögen‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Hab' ich sie vollendet, die sieben Erweckungen?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Nicht vollendet hab' ich sie, die sieben Erweckungen‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um die Vollendung der sieben Erweckungen zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Vollendet hab' ich sie, die sieben Erweckungen‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Hab' ich ihn vollendet, den heiligen achtfältigen Weg?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Nicht vollendet hab' ich ihn, den heiligen achtfältigen Weg‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um die Vollendung des heiligen achtfältigen Weges zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Vollendet hab' ich ihn, den heiligen achtfältigen Weg‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Hab' ich sie vollendet, Ruhe und Klarsicht?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Nicht vollendet hab' ich sie, Ruhe und Klarsicht‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um die Vollendung von Ruhe und Klarsicht zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung [1082] erkennt: ›Vollendet hab' ich sie, Ruhe und Klarsicht‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Weiter sodann, Sāriputto, hat ein Mönch sich also zu erforschen: ›Hab' ich es verwirklicht, Wissen und Erlösung?‹ Wenn da, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Nicht verwirklicht hab' ich es, Wissen und Erlösung‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, um die Verwirklichung von Wissen und Erlösung zu kämpfen. Wenn aber, Sāriputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt: ›Verwirklicht hab' ich es, Wissen und Erlösung‹, so hat ein solcher Mönch, Sāriputto, ebendiese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu bewahren.

Denn wer immer auch, Sāriputto, von den Asketen oder den Priestern in vergangenen Zeiten Almosen geläutert hat, ein jeder hat also und also betrachtend und betrachtend Almosen geläutert. Und wer immer auch, Sāriputto, von den Asketen oder den Priestern in künftigen Zeiten Almosen läutern wird, ein jeder wird also und also betrachtend und betrachtend Almosen läutern. Und wer immer auch, Sāriputto, von den Asketen oder den Priestern in der Gegenwart Almosen läutern mag, ein jeder mag also und also betrachtend und betrachtend Almosen läutern.

Darum aber, Sāriputto: ›Betrachtend und betrachtend wollen wir Almosen läutern‹: so habt ihr, Sāriputto, euch wohl zu üben.«


Also sprach der Erhabene. Zufrieden freute sich der ehrwürdige Sāriputto über das Wort des Erhabenen534.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 1079-1083.
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