Zehnte Rede

Der Erwägungen Eingehn

[139] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapiṇḍikos. Dort nun wandte sich der Erhabene an die Mönche: »Ihr Mönche!« – »Erlauchter!« antworteten da jene Mönche dem Erhabenen aufmerksam. Der Erhabene sprach also:

»Wer nach Hohem strebt, Mönche, soll sich von Zeit zu Zeit fünf Arten von Vorstellungen gegenwärtig halten: welche fünf? Da faßt, ihr Mönche, ein Mönch eine Vorstellung, vergegenwärtigt sich eine Vorstellung, und dabei steigen ihm böse, unwürdige Erwägungen auf, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung: da soll, ihr Mönche, der Mönch aus dieser Vorstellung eine andere gewinnen, ein würdiges Bild. Während er aus dieser Vorstellung eine andere gewinnt, ein würdiges Bild, schwinden die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark. Gleichwie etwa, ihr Mönche, ein geschickter Maurer oder Maurergeselle mit einem feinen Keil einen groben heraustreiben, herausschlagen, herausstoßen kann, ebenso nun auch, ihr Mönche, soll ein Mönch, wenn er eine Vorstellung faßt, eine Vorstellung sich vergegenwärtigt, und ihm dabei böse, unwürdige Erwägungen aufsteigen, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, aus dieser Vorstellung eine andere gewinnen, ein würdiges Bild. Während er aus dieser Vorstellung eine andere gewinnt, ein würdiges Bild, schwinden die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark.

Wenn einem solchen, ihr Mönche, bei seinem Bemühn aus der einen Vorstellung eine andere zu gewinnen, ein würdiges Bild, noch böse, unwürdige Erwägungen aufsteigen, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, so soll er, ihr Mönche, das Elend derartiger Erwägungen betrachten: ›Da sind sie ja, diese unwürdigen Erwägungen, da sind sie ja, diese unlauteren Erwägungen, da sind sie ja, diese Leiden ausbrütenden Erwägungen!‹ Während er das Elend derartiger Erwägungen betrachtet, schwinden die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, [139] lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark. Gleich wie etwa, ihr Mönche, ein Weib oder ein Mann, jung, frisch, gefallsam, dem ein Schlangenaas oder ein Hundeaas oder ein Menschenaas an den Hals gebunden würde, sich entsetzen, empören und sträuben möchte: ebenso nun auch, ihr Mönche, soll ein Mönch, wenn ihm bei seinem Bemühn aus der einen Vorstellung eine andere zu gewinnen, ein würdiges Bild, noch böse, unwürdige Erwägungen aufsteigen, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, das Elend derartiger Erwägungen betrachten. Während er das Elend derartiger Erwägungen betrachtet, schwinden die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark.

Wenn einem solchen, ihr Mönche, bei seiner Betrachtung des Elends jener Erwägungen noch böse, unwürdige Erwägungen aufsteigen, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, so soll er, ihr Mönche, jenen Erwägungen keinen Sinn, keine Beachtung schenken. Während er jenen Erwägungen keinen Sinn, keine Beachtung schenkt, schwinden die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark. Gleichwie etwa, ihr Mönche, ein scharfsehender Mann, der in seinen Gesichtskreis getretene Erscheinungen nicht verfolgen will, die Augen schließen oder anderswo hinblicken mag: ebenso nun auch, ihr Mönche, soll ein Mönch, wenn ihm bei seiner Betrachtung des Elends jener Erwägungen noch böse, unwürdige Erwägungen aufsteigen, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, solchen Erwägungen keinen Sinn, keine Beachtung schenken. Während er solchen Erwägungen keinen Sinn, keine Beachtung schenkt, schwinden die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark.

Wenn einem solchen, ihr Mönche, ob er gleich jenen Erwägungen keinen Sinn, keine Beachtung schenkt, noch böse, unwürdige Erwägungen aufsteigen, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, so soll er, ihr Mönche, jene Erwägungen der Reihe nach einzeln eingehn lassen. Während er jene Erwägungen der Reihe nach einzeln eingehn läßt, schwinden die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark. Gleichwie etwa, ihr Mönche, wenn da ein Mann eilig dahinschritte und es käme ihm der Gedanke ›Was schreite ich denn so eilig dahin? Ich will etwas langsamer gehn‹, und er ginge langsamer [140] und es käme ihm der Gedanke ›Doch warum geh' ich überhaupt? Ich will nun stehn bleiben‹, und er bliebe stehn und es käme ihm der Gedanke ›Aber weshalb steh' ich? Ich werde mich setzen‹, und er setzte sich nieder und es käme ihm der Gedanke ›Warum sollt' ich nur sitzen? Ich will mich da hinlegen‹, und er legte sich hin; und so hätte dieser Mann, ihr Mönche, die gröberen Bewegungen eingestellt und sich den feineren hingegeben: ebenso nun auch, ihr Mönche, soll ein Mönch, wenn ihm trotz seiner Verachtung und Verwerfung jener Erwägungen noch böse, unwürdige Erwägungen aufsteigen, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, jene Erwägungen der Reihe nach einzeln eingehn lassen. Während er jene Erwägungen der Reihe nach einzeln eingehn läßt, schwinden die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark.

Wenn einem solchen, ihr Mönche, während er jene Erwägungen der Reihe nach einzeln eingehn läßt, noch böse, unwürdige Erwägungen aufsteigen, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, so soll er, ihr Mönche, mit aufeinandergepreßten Zähnen und an den Gaumen gehefteter Zunge durch den Willen das Gemüt niederzwingen, niederdrücken, niederquälen. Während er mit aufeinandergepreßten Zähnen und an den Gaumen gehefteter Zunge durch den Willen das Gemüt niederzwingt, niederdrückt, niederquält, schwinden die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark. Gleichwie etwa, ihr Mönche, wenn ein starker Mann einen schwächeren beim Kopf oder bei der Schulter ergreifend niederzwingt, niederdrückt, niederquält: ebenso nun auch, ihr Mönche, soll ein Mönch, wenn ihm beim Eingehnlassen der Reihe jener Erwägungen noch böse, unwürdige Erwägungen aufsteigen, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, mit aufeinandergepreßten Zähnen und an den Gaumen gehefteter Zunge durch den Willen das Gemüt niederzwingen, niederdrücken, niederquälen. Während er mit aufeinandergepreßten Zähnen und an den Gaumen gehefteter Zunge durch den Willen das Gemüt niederzwingt, niederdrückt, niederquält, schwinden die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark.

Wenn also, ihr Mönche, einem von euch beim Fassen einer Vorstellung, beim Vergegenwärtigen einer Vorstellung böse, unwürdige Erwägungen aufsteigen, Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, und er aus dieser Vorstellung eine andere gewinnt, ein würdiges Bild, so schwinden die bösen, [141] unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark. Und er betrachtet das Elend jener Erwägungen, und die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, schwinden, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark. Und er schenkt jenen Erwägungen keinen Sinn, keine Beachtung, und die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, schwinden, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark. Und er läßt jene Erwägungen der Reihe nach einzeln eingehn, und die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, schwinden, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark. Und mit aufeinandergepreßten Zähnen und an den Gaumen gehefteter Zunge zwingt er durch den Willen das Gemüt nieder, drückt es nieder, quält es nieder, und die bösen, unwürdigen Erwägungen, die Bilder der Gier, des Hasses und der Verblendung, schwinden, lösen sich auf; und weil es sie überwunden hat, festigt sich eben das innige Herz, beruhigt sich, wird einig und stark.

Ein solcher, ihr Mönche, wird Mönch Herrscher über der Erwägungen Arten genannt. Welche Erwägung er will, die wird er erwägen, welche Erwägung er nicht will, die wird er nicht erwägen. Abgeschnitten hat er den Lebensdurst, weggeworfen die Fessel, durch vollständige Dünkeleroberung ein Ende gemacht dem Leiden.«


Also sprach der Erhabene. Zufrieden freuten sich jene Mönche über das Wort des Erhabenen.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 139-143.
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