Dritte Rede

Der Rinderhirt

I

[247] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapiṇḍikos. Dort nun wandte sich der Erhabene an die Mönche: »Ihr Mönche!« – »Erlauchter!« antworteten da jene Mönche dem Erhabenen aufmerksam. Der Erhabene sprach also:

»Elf Eigenschaften, ihr Mönche, machen es einem Rinderhirten unmöglich seine Herde zu hüten, zum Gedeihen zu bringen; welche elf? Da ist, ihr [247] Mönche, ein Rinderhirt der Leibesart unkundig, versteht nicht die Lebensweise, verscheucht nicht das Schädliche, verbindet nicht Wunden, macht kein Feuer an, kennt keine Furt, kennt keine Quelle, kennt keinen Steig, kennt keine Weide, er melkt übermäßig, und den Stieren, den Vätern der Herde, den Führern der Herde, denen schenkt er keine besondere Aufmerksamkeit.

Diese elf Eigenschaften, ihr Mönche, machen es einem Rinderhirten unmöglich, seine Herde zu hüten, zum Gedeihen zu bringen.

Ebenso nun auch, ihr Mönche, machen es elf Eigenschaften einem Mönch unmöglich in dieser Lehre und Zucht zum Gedeihen, zur Reife und Entfaltung zu gelangen; welche elf? Da ist, ihr Mönche, ein Mönch der Leibesart unkundig, versteht nicht die Lebensweise, verscheucht nicht das Schädliche, verbindet nicht Wunden, macht kein Feuer an, kennt keine Furt, kennt keine Quelle, kennt keinen Steig, kennt keine Weide, er melkt übermäßig, und den Mönchen, den Oberen, den Bejahrten, den im Asketentume Ergrauten, den Vätern des Ordens, den Führern des Ordens, denen schenkt er keine besondere Aufmerksamkeit.

Wie aber, ihr Mönche, ist ein Mönch der Leibesart unkundig? Da betrachtet, ihr Mönche, ein Mönch alles Körperliche, die gesamte Körperlichkeit, die vier Hauptstoffe und was durch die vier Hauptstoffe besteht, nicht der Wahrheit gemäß als körperlich. Also, ihr Mönche, ist ein Mönch der Leibesart unkundig. Und wie, ihr Mönche, versteht ein Mönch nicht die Lebensweise? Da erkennt, ihr Mönche, ein Mönch nicht der Wahrheit gemäß: die Tat zeigt mir den Toren, die Tat zeigt mir den Weisen. Also, ihr Mönche, versteht ein Mönch nicht die Lebensweise. Und wie, ihr Mönche, verscheucht ein Mönch nicht das Schädliche? Da gönnt, ihr Mönche, ein Mönch einem aufgestiegenen Wunschgedanken Raum, verleugnet ihn nicht, vertreibt ihn nicht, vertilgt ihn nicht, erstickt ihn nicht im Keime; einem aufgestiegenen Haßgedanken, einem aufgestiegenen Wutgedanken und anderen aufgestiegenen bösen, schlechten Gedanken gönnt er Raum, verleugnet sie nicht, vertreibt sie nicht, vertilgt sie nicht, erstickt sie nicht im Keime. Also, ihr Mönche, verscheucht ein Mönch nicht das Schädliche. Und wie, ihr Mönche, verbindet ein Mönch nicht Wunden? Wenn da, ihr Mönche, ein Mönch mit dem Gesicht eine Form erblickt hat, faßt er Neigung, faßt er Absicht. Obgleich Begierde und Mißmut, böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, der unbewachten Gesichtes verweilt, befleißigt er sich dieser Bewachung nicht, hütet nicht das Gesicht, wacht nicht eifrig über das Gesicht. Wenn er mit dem Gehör einen Ton gehört, mit dem Geruch einen Duft gerochen, mit dem Geschmack einen Saft geschmeckt, mit dem Getast eine Tastung getastet, mit dem Gedenken ein Ding gedacht hat, faßt er Neigung, faßt er Absicht. Obgleich [248] Begierde und Mißmut, böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, der unbewachten Gedenkens verweilt, befleißigt er sich dieser Bewachung nicht, hütet nicht das Gedenken, wacht nicht eifrig über das Gedenken. Also, ihr Mönche, verbindet ein Mönch nicht Wunden. Und wie, ihr Mönche, macht ein Mönch kein Feuer an? Da zeigt, ihr Mönche, ein Mönch nicht den anderen die Lehre, weithin sichtbar, wie er sie gehört und aufgefaßt hat. Also, ihr Mönche, macht ein Mönch kein Feuer an. Und wie, ihr Mönche, kennt ein Mönch keine Furt? Da sucht, ihr Mönche, ein Mönch nicht von Zeit zu Zeit jene Mönche auf, die viel gehört haben und wissen, die Hüter der Lehre, die Hüter der Ordnung, die Hüter der Regel, fragt nicht, erkundigt sich nicht: ›Wie ist das, o Herr, was ist der Sinn davon?‹ Und so eröffnen ihm jene Ehrwürdigen nicht das Uneröffnete, klären das Unaufgeklärte nicht auf, lösen nicht den Zweifel über Dinge, die vielfach bezweifelbar sind. Also, ihr Mönche, kennt ein Mönch keine Furt. Und wie, ihr Mönche, kennt ein Mönch keine Quelle? Da gelangt, ihr Mönche, ein Mönch bei der Darlegung der Lehre und Zucht des Vollendeten nicht zum Verständnis des Sinnes, nicht zum Verständnis der Lehre, nicht zum Genusse der Lehre. Also, ihr Mönche, kennt ein Mönch keine Quelle. Und wie, ihr Mönche, kennt ein Mönch keinen Steig? Da erkennt, ihr Mönche, ein Mönch den heiligen achtfältigen Weg nicht der Wahrheit gemäß. Also, ihr Mönche, kennt ein Mönch keinen Steig. Und wie, ihr Mönche, kennt ein Mönch keine Weide? Da kennt, ihr Mönche, ein Mönch die Vier Pfeiler der Einsicht nicht der Wahrheit gemäß. Also, ihr Mönche, kennt ein Mönch keine Weide. Und wie, ihr Mönche, melkt ein Mönch übermäßig? Da laden, ihr Mönche, gläubige Hausväter einen Mönch ein, sich Kleidung, Almosenspeise, Lagerstatt und Arzeneien für den Fall einer Krankheit auszuwählen, und der Mönch kennt kein Maß im Annehmen. Also, ihr Mönche, melkt ein Mönch übermäßig. Und wie, ihr Mönche, schenkt ein Mönch jenen Mönchen, den Oberen, den Bejahrten, den im Asketentume Ergrauten, den Vätern des Ordens, den Führern des Ordens, keine besondere Aufmerksamkeit? Da dient, ihr Mönche, ein Mönch jenen Mönchen, den Oberen, den Bejahrten, den im Asketentume Ergrauten, den Vätern des Ordens, den Führern des Ordens, weder mit liebevoller Tat, so offen als verborgen, noch mit liebevollem Wort, so offen als verborgen, noch mit liebevoller Gesinnung, so offen als verborgen. Also, ihr Mönche, schenkt ein Mönch jenen Mönchen, den Oberen, den Bejahrten, den im Asketentume Ergrauten, den Vätern des Ordens, den Führern des Ordens, keine besondere Aufmerksamkeit.

Diese elf Eigenschaften, ihr Mönche, machen es einem Mönch unmöglich in dieser Lehre und Zucht zum Gedeihen, zur Reife und Entfaltung zu gelangen.

[249] Elf Eigenschaften, ihr Mönche, machen es einem Rinderhirten möglich seine Herde zu hüten, zum Gedeihen zu bringen; welche elf? Da ist, ihr Mönche, ein Rinderhirt der Leibesart kundig, versteht die Lebensweise, verscheucht das Schädliche, verbindet Wunden, macht Feuer an, kennt die Furt, kennt die Quelle, kennt den Steig, kennt die Weide, er läßt noch Milch im Euter, und den Stieren, den Vätern der Herde, den Führern der Herde, denen schenkt er besondere Aufmerksamkeit.

Diese elf Eigenschaften, ihr Mönche, machen es einem Rinderhirten möglich seine Herde zu hüten, zum Gedeihen zu bringen.

Ebenso nun auch, ihr Mönche, machen es elf Eigenschaften einem Mönch möglich in dieser Lehre und Zucht zum Gedeihen, zur Reife und Entfaltung zu gelangen; welche elf? Da ist, ihr Mönche, ein Mönch der Leibesart kundig, versteht die Lebensweise, verscheucht das Schädliche, verbindet Wunden, macht Feuer an, kennt die Furt, kennt die Quelle, kennt den Steig, kennt die Weide, er läßt noch Milch im Euter, und den Mönchen, den Oberen, den Bejahrten, den im Asketentume Ergrauten, den Vätern des Ordens, den Führern des Ordens, denen schenkt er besondere Aufmerksamkeit.

Wie aber, ihr Mönche, ist ein Mönch der Leibesart kundig? Da betrachtet, ihr Mönche, ein Mönch alles Körperliche, die gesamte Körperlichkeit, die vier Hauptstoffe und was durch die vier Hauptstoffe besteht, der Wahrheit gemäß als körperlich. Also, ihr Mönche, ist ein Mönch der Leibesart kundig. Und wie, ihr Mönche, versteht ein Mönch die Lebensweise? Da erkennt, ihr Mönche, ein Mönch der Wahrheit gemäß: die Tat zeigt mir den Toren, die Tat zeigt mir den Weisen. Also, ihr Mönche, versteht ein Mönch die Lebensweise. Und wie, ihr Mönche, verscheucht ein Mönch das Schädliche? Da gönnt, ihr Mönche, ein Mönch einem aufgestiegenen Wunschgedanken keinen Raum, verleugnet ihn, vertreibt ihn, vertilgt ihn, erstickt ihn im Keime; einem aufgestiegenen Haßgedanken, einem aufgestiegenen Wutgedanken und anderen aufgestiegenen bösen, schlechten Gedanken gönnt er keinen Raum, verleugnet sie, vertreibt sie, vertilgt sie, erstickt sie im Keime. Also, ihr Mönche, verscheucht ein Mönch das Schädliche. Und wie, ihr Mönche, verbindet ein Mönch Wunden? Wenn da, ihr Mönche, ein Mönch mit dem Gesicht eine Form erblickt hat, faßt er keine Neigung, faßt keine Absicht. Da Begierde und Mißmut, böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, der unbewachten Gesichtes verweilt, befleißigt er sich dieser Bewachung, er hütet das Gesicht, er wacht eifrig über das Gesicht. Wenn er mit dem Gehör einen Ton gehört, mit dem Geruch einen Duft gerochen, mit dem Geschmack einen Saft geschmeckt, mit dem Getast eine Tastung getastet, mit dem Gedenken ein Ding gedacht hat, faßt er keine Neigung, faßt keine Absicht. Da Begierde und Mißmut, böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, [250] der unbewachten Gedenkens verweilt, befleißigt er sich dieser Bewachung, er hütet das Gedenken, er wacht eifrig über das Gedenken. Also, ihr Mönche, verbindet ein Mönch Wunden. Und wie, ihr Mönche, macht ein Mönch Feuer an? Da zeigt, ihr Mönche, ein Mönch den anderen die Lehre, weithin sichtbar, wie er sie gehört und aufgefaßt hat. Also, ihr Mönche, macht ein Mönch Feuer an. Und wie, ihr Mönche, kennt ein Mönch die Furt? Da sucht, ihr Mönche, ein Mönch von Zeit zu Zeit jene Mönche auf, die viel gehört haben und wissen, die Hüter der Lehre, die Hüter der Ordnung, die Hüter der Regel, fragt und erkundigt sich: ›Wie ist das, o Herr, was ist der Sinn davon?‹ Und so eröffnen ihm jene Ehrwürdigen das Uneröffnete, klären das Unaufgeklärte auf, lösen den Zweifel über Dinge, die vielfach bezweifelbar sind. Also, ihr Mönche, kennt ein Mönch die Furt. Und wie, ihr Mönche, kennt ein Mönch die Quelle? Da gelangt, ihr Mönche, ein Mönch bei der Darlegung der Lehre und Zucht des Vollendeten zum Verständnis des Sinnes, zum Verständnis der Lehre, zum Genusse der Lehre. Also, ihr Mönche, kennt ein Mönch die Quelle. Und wie, ihr Mönche, kennt ein Mönch den Steig? Da erkennt, ihr Mönche, ein Mönch den heiligen achtfältigen Weg der Wahrheit gemäß. Also, ihr Mönche, kennt ein Mönch den Steig. Und wie, ihr Mönche, kennt ein Mönch die Weide? Da kennt, ihr Mönche, ein Mönch die Vier Pfeiler der Einsicht der Wahrheit gemäß. Also, ihr Mönche, kennt ein Mönch die Weide. Und wie, ihr Mönche, läßt ein Mönch noch Milch im Euter? Da laden, ihr Mönche, gläubige Hausväter einen Mönch ein, sich Kleidung, Almosenspeise, Lagerstatt und Arzeneien für den Fall einer Krankheit auszuwählen, und der Mönch kennt Maß im Annehmen. Also, ihr Mönche, läßt ein Mönch noch Milch im Euter. Und wie, ihr Mönche, schenkt ein Mönch jenen Mönchen, den Oberen, den Bejahrten, den im Asketentume Ergrauten, den Vätern des Ordens, den Führern des Ordens, besondere Aufmerksamkeit? Da dient, ihr Mönche, ein Mönch jenen Mönchen, den Oberen, den Bejahrten, den im Asketentume Ergrauten, den Vätern des Ordens, den Führern des Ordens, diesen dient er mit liebevoller Tat, so offen als verborgen, dient er mit liebevollem Wort, so offen als verborgen, dient er mit liebevoller Gesinnung, so offen als verborgen. Also, ihr Mönche, schenkt ein Mönch jenen Mönchen, den Oberen, den Bejahrten, den im Asketentume Ergrauten, den Vätern des Ordens, den Führern des Ordens, besondere Aufmerksamkeit.

Diese elf Eigenschaften, ihr Mönche, machen es einem Mönch möglich in dieser Lehre und Zucht zum Gedeihen, zur Reife und Entfaltung zu gelangen.«


Also sprach der Erhabene. Zufrieden freuten sich jene Mönche über das Wort des Erhabenen.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 247-252.
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