Siebente Rede

Versiegung des Durstes

I

[280] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Osthaine, auf Mutter Migāros Terrasse. Da nun begab sich Sakko der Götterkönig dorthin wo der Erhabene weilte, begrüßte den Erhabenen ehrerbietig und stellte sich seitwärts hin. Seitwärts stehend sprach nun Sakko der Götterkönig zum Erhabenen also:

»Inwiefern ist wohl, o Herr, ein Mönch, kurz gesagt, durch Versiegung des Durstes erlöst, durchaus gefeit, durchaus gesichert, durchaus geheiligt, durchaus vollendet, Höchster der Götter und Menschen?«

»Da hat, König der Götter, ein Mönch gehört: ›Kein Ding ist der Mühe wert.‹ Wenn der Mönch, König der Götter, dies gehört hat ›Kein Ding ist der Mühe wert‹, so betrachtet er jedes Ding; und wenn er jedes Ding betrachtet hat, durchschaut er jedes Ding; und wenn er jedes Ding durchschaut hat und nun irgendein Gefühl empfindet, ein freudiges oder leidiges oder weder freudig noch leidiges, so beobachtet er bei diesen Gefühlen die Gesetze der Vergänglichkeit, der Aufhebung, der Auflösung, der Entäußerung; und indem er bei diesen Gefühlen die Gesetze der Vergänglichkeit, der Aufhebung, der Auflösung, der Entäußerung beobachtet, hangt er nirgend in der Welt an; ohne anzuhangen wird er nicht erschüttert, unerschütterlich gelangt [280] er eben bei sich selbst zur Erlöschung: ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ versteht er da. Insofern, König der Götter, ist ein Mönch, kurz gesagt, durch Versiegung des Durstes erlöst, durchaus gefeit, durchaus gesichert, durchaus geheiligt, durchaus vollendet, Höchster der Götter und Menschen.«

Da war nun Sakko der Götterkönig durch des Erhabenen Rede erfreut und befriedigt, begrüßte den Erhabenen ehrerbietig, ging rechts herum und verschwand von diesem Orte.

Zu jener Zeit nun hatte der ehrwürdige Mahāmoggallāno nicht fern vom Erhabenen Platz genommen. Da nun kam dem ehrwürdigen Mahāmoggallāno der Gedanke: ›Ist wohl dieser Geist durch des Erhabenen Rede vollauf befriedigt worden, oder nicht? Wie, wenn ich nun diesen Geist prüfte, ob er durch des Erhabenen Rede vollauf befriedigt wurde, oder aber nicht?‹ Da verschwand nun der ehrwürdige Mahāmoggallāno, so schnell wie etwa ein kräftiger Mann den eingezogenen Arm ausstrecken oder den ausgestreckten Arm einziehn mag, von Mutter Migāros Terrasse im Osthain und erschien bei den Dreiunddreißig Göttern.

Zu jener Zeit nun erging sich Sakko der Götterkönig im Garten der weißen Lotusblüte, dem Genusse der fünfhundertstimmigen Himmelsmusik hingegeben. Da erblickte Sakko der Götterkönig den ehrwürdigen Mahāmoggallāno wie von ferne herankommen. Als er ihn gesehn winkte er jener fünfhundertstimmigen Himmelsmusik ab, ging dem ehrwürdigen Mahāmoggallāno entgegen und sprach also zu ihm:

»Komm', o würdiger Moggallāno, sei gegrüßt, würdiger Moggallāno! Lange schon, würdiger Moggallāno, habe ich auf die Gunst dieses Besuches gehofft! Setze dich, würdiger Moggallāno, nimm hier Platz.«

Es setzte sich der ehrwürdige Mahāmoggallāno auf den angebotenen Sitz. Sakko aber, der Götterkönig, nahm einen anderen, niederen Stuhl und setzte sich zur Seite. Den zur Seite sitzenden Sakko, den König der Götter, sprach nun der ehrwürdige Mahāmoggallāno also an:

»Auf welche Weise hat dir denn, Kosiyo, der Erhabene die Erlösung durch Versiegung des Durstes kurz dargelegt? Gut wär' es, wenn auch wir dieser Rede teilhaftig würden und sie hörten.«

»Wir haben, o würdiger Moggallāno, viele Pflichten, wir haben viele Obliegenheiten zu erfüllen, so wohl in eigener Sache als auch in Beziehung auf die Dreiunddreißig Götter. Aber, würdiger Moggallāno, es ist gar wohl verstanden, wohl begriffen, wohl gemerkt, wohl aufbewahrt, so daß es nicht so bald vergessen sein wird. – Es war einmal, würdiger Moggallāno, ein Kampf zwischen Göttern und Unholden zum Ausbruch gekommen. In jenem Kampfe nun, würdiger Moggallāno, siegten die Götter und verloren die Unholde. [281] Nachdem ich nun, würdiger Moggallāno, jenen Kampf glücklich beendet hatte und siegreich wieder zurückgekehrt war, erbaute ich ein Schloß und nannte es Siegesbanner. Und das Siegesbanner-Schloß, o würdiger Moggallāno, hat hundert Tore: auf jedem der Tore sind siebenmal siebenhundert Terrassen, auf jeder der Terrassen befinden sich siebenmal sieben Nymphen, und jede der Nymphen hat ein Gefolge von siebenmal sieben Gespielinnen. Wünschest du nicht, würdiger Moggallāno, die Wonnen des Siegesbanner-Schlosses zu sehn?«

Schweigend gewährte der ehrwürdige Mahāmoggallāno die Bitte.

Da nun begaben sich Sakko der Götterkönig und Vessava?o der Große Herrscher unter dem Vortritt des ehrwürdigen Mahāmoggallāno zum Siegesbanner-Schlosse. Und es sahn des Götterkönigs Sakko Trabanten, wie der ehrwürdige Mahāmoggallāno von ferne herankam, und als sie ihn gesehn erröteten sie, schämten sich und zogen sich in ihre Gemächer zurück. Gleichwie etwa eine Schwiegertochter, den Schwiegervater erblickend, errötet und sich schämt, so auch erröteten da des Götterkönigs Sakko Trabanten als sie den ehrwürdigen Mahāmoggallāno gesehn, schämten sich und zogen sich in ihre Gemächer zurück. Da nun führten Sakko der Götterkönig und Vessava?o der Große Herrscher den ehrwürdigen Mahāmoggallāno im Siegesbanner-Schlosse umher, geleiteten ihn dahin und dorthin: »Sieh' nur, würdiger Moggallāno, diese Wonne des Siegesbanner-Schlosses, sieh' nur, würdiger Moggallāno, jene Wonne des Siegesbanner-Schlosses!«

»Dieses Glück glänzt dem ehrwürdigen Kosiyo, weil er früher Gutes getan. Die Menschen sagen ja, wenn sie irgend etwas Entzückendes sehn: ›Ach das glänzt wie bei den Dreiunddreißig Göttern!‹ Dieses Glück glänzt dem ehrwürdigen Kosiyo, weil er früher Gutes getan.«

Da kam dem ehrwürdigen Mahāmoggallāno der Gedanke: ›Allzu leicht lebt wohl dieser Geist dahin; wie, wenn ich ihn nun erschütterte?‹ Da ließ nun der ehrwürdige Mahāmoggallāno eine magische Erscheinung von solcher Art erscheinen, als ob er mit der großen Zehe das Siegesbanner-Schloß zum Wanken, zum Beben, zum Erzittern brächte. Da wurden Sakko der Götterkönig und Vessava?o der Große Herrscher und die Dreiunddreißig Götter durch den außerordentlichen, wunderbaren Vorgang im Innersten getroffen: ›Ach wie erstaunlich, wie doch so wunderbar ist des Asketen hohe Macht, hohe Gewalt! Sogar Himmelspaläste kann er da mit der großen Zehe zum Wanken, zum Beben, zum Erzittern bringen!‹ Als nun der ehrwürdige Mahāmoggallāno Sakko, den König der Götter, erschüttert und gesträubten Haares dastehn sah, sprach er also zu ihm:

»Auf welche Weise hat dir denn, Kosiyo, der Erhabene die Erlösung durch Versiegung des Durstes kurz dargelegt? Gut wär' es, wenn auch wir dieser Rede teilhaftig würden und sie hörten.«

[282] »Ich hatte mich, würdiger Moggallāno, zum Erhabenen begeben, den Erhabenen ehrerbietig begrüßt und seitwärts hingestellt. Seitwärts stehend sprach ich nun, würdiger Moggallāno, zum Erhabenen also: ›Inwiefern ist wohl, o Herr, ein Mönch, kurz gesagt, durch Versiegung des Durstes erlöst, durchaus gefeit, durchaus gesichert, durchaus geheiligt, durchaus vollendet, Höchster der Götter und Menschen?‹ – Hierauf, würdiger Moggallāno, erwiderte mir der Erhabene: ›Da hat, König der Götter, ein Mönch gehört: »Kein Ding ist der Mühe wert.« Wenn der Mönch, König der Götter, dies gehört hat »Kein Ding ist der Mühe wert«, so betrachtet er jedes Ding; und wenn er jedes Ding betrachtet hat, durchschaut er jedes Ding; und wenn er jedes Ding durchschaut hat und nun irgendein Gefühl empfindet, ein freudiges oder leidiges oder weder freudig noch leidiges, so beobachtet er bei diesen Gefühlen die Gesetze der Vergänglichkeit, der Aufhebung, der Auflösung, der Entäußerung; und indem er bei diesen Gefühlen die Gesetze der Vergänglichkeit, der Aufhebung, der Auflösung, der Entäußerung beobachtet, hangt er nirgend in der Welt an; ohne anzuhangen wird er nicht erschüttert, unerschütterlich gelangt er eben bei sich selbst zur Erlöschung: »Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt« versteht er da. Insofern, König der Götter, ist ein Mönch, kurz gesagt, durch Versiegung des Durstes erlöst, durchaus gefeit, durchaus gesichert, durchaus geheiligt, durchaus vollendet, Höchster der Götter und Menschen.‹ Auf solche Weise hat mir, würdiger Moggallāno, der Erhabene die Erlösung durch Versiegung des Durstes kurz dargelegt.«

Da war nun der ehrwürdige Mahāmoggallāno durch Sakkos des Götterkönigs Rede erfreut und befriedigt. Und so schnell wie etwa ein kräftiger Mann den eingezogenen Arm ausstrecken oder den ausgestreckten Arm einziehn mag, verschwand er da von den Dreiunddreißig Göttern und erschien auf der Terrasse Mutter Migāros im Osthain.

Da nun sagten die Trabanten des Götterkönigs Sakko, kurz nachdem sich der ehrwürdige Mahāmoggallāno entfernt hatte, zu Sakko, dem König der Götter:

»Der bei dir war, Würdiger, das war wohl Er, der Erhabene, der Meister?«

»Nein, ihr Würdigen, nicht Er, der Erhabene, der Meister war bei mir, sondern ein Jünger, der ehrwürdige Mahāmoggallāno.«

»Heil dir, Würdiger, der du einen Jünger von so hoher Macht, von so hoher Gewalt kennst: ach, wie mag dir erst Er, der Erhabene, der Meister erschienen sein!«

Da begab sich nun der ehrwürdige Mahāmoggallāno zum Erhabenen, begrüßte den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich zur Seite hin. Zur Seite sitzend wandte sich nun der ehrwürdige Mahāmoggallāno an den Erhabenen:

[283] »Bestätigt wohl, o Herr, der Erhabene eben zuvor einem gewissen großmächtigen Geiste die Erlösung durch Versiegung des Durstes kurz dargelegt zu haben?«

»Ich bestätige es, Moggallāno. Sakko der Götterkönig kam da zu mir, begrüßte mich ehrerbietig und stellte sich seitwärts hin. Seitwärts stehend, Moggallāno, sprach nun Sakko der Götterkönig also zu mir: ›Inwiefern ist wohl, o Herr, ein Mönch, kurz gesagt, durch Versiegung des Durstes erlöst, durchaus gefeit, durchaus gesichert, durchaus geheiligt, durchaus vollendet, Höchster der Götter und Menschen?‹ – Hierauf, Moggallāno, erwiderte ich dem Götterkönige Sakko: ›Da hat, König der Götter, ein Mönch gehört: »Kein Ding ist der Mühe wert.« Wenn der Mönch, König der Götter, dies gehört hat »Kein Ding ist der Mühe wert«, so betrachtet er jedes Ding; und wenn er jedes Ding betrachtet hat, durchschaut er jedes Ding; und wenn er jedes Ding durchschaut hat und nun irgendein Gefühl empfindet, ein freudiges oder leidiges oder weder freudig noch leidiges, so beobachtet er bei diesen Gefühlen die Gesetze der Vergänglichkeit, der Aufhebung, der Auflösung, der Entäußerung; und indem er bei diesen Gefühlen die Gesetze der Vergänglichkeit, der Aufhebung, der Auflösung, der Entäußerung beobachtet, hangt er nirgend in der Welt an; ohne anzuhangen wird er nicht erschüttert, unerschütterlich gelangt er eben bei sich selbst zur Erlöschung: »Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt« versteht er da. Insofern, König der Götter, ist ein Mönch, kurz gesagt, durch Versiegung des Durstes erlöst, durchaus gefeit, durchaus gesichert, durchaus geheiligt, durchaus vollendet, Höchster der Götter und Menschen.‹ Auf solche Weise bestätige ich, Moggallāno, dem Götterkönige Sakko kurzgefaßt die Erlösung durch Versiegung des Durstes dargelegt zu haben.«


Also sprach der Erhabene. Zufrieden freute sich der ehrwürdige Mahāmoggallāno über das Wort des Erhabenen.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 280-284.
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