Neunte Rede

Gulissāni

[503] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Rājagaham, im Bambusparke, am Hügel der Eichhörnchen.

Um diese Zeit nun war ein Mönch namens Gulissāni, ein Waldeinsiedler, ein Höhlenasket, zu den Ordensbrüdern auf Besuch gekommen, zu irgendeinem[503] Zwecke. Da nun wandte sich der ehrwürdige Sāriputto, in Beziehung auf den Mönch Gulissāni, also an die Mönche:

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, hat die Ordensasketen mit Achtung zu behandeln und Ergebenheit. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, die Ordensasketen ohne Achtung behandelt und ohne Ergebenheit, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er seine Ordensbrüder ohne Achtung behandelt und ohne Ergebenheit!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, die Ordensasketen mit Achtung zu behandeln und Ergebenheit.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, hat zu wissen wie man Platz nimmt, so zwar: ›Die alten Mönche werd' ich nicht aufstehn lassen um mich zu setzen, die jungen Mönche nicht von ihren Sitzen gehn heißen.‹ Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, nicht weiß wie man Platz nimmt, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er nicht einmal die Regeln des Betragens kennt!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, zu wissen wie man Platz nimmt.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, hat nicht zur Unzeit nach dem Dorfe zu gehn, nicht bis Mittag auszubleiben. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, zur Unzeit nach dem Dorfe geht, bis Mittag ausbleibt, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er zur Unzeit nach dem Dorfe geht, bis Mittag ausbleibt!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, nicht zur Unzeit nach dem Dorfe zu gehn, nicht bis Mittag auszubleiben.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, hat nicht vor dem Mahl und nach dem Mahl bei den Häusern um Almosen zu stehn. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, vor dem Mahl und nach dem Mahl bei den Häusern um Almosen steht, so sagt man von ihm: ›Nun hat sich gar dieser Waldeinsiedler, der allein im Walde für sich lebt, an den Gang zur Unzeit gewöhnt; selbst als Ordensasket läßt er sich verleiten!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, nicht vor dem Mahl und nach dem Mahl bei den Häusern um Almosen zu stehn.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, hat weder stolz zu sein noch unstet. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler, [504] der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, stolz ist und unstet, so sagt man von ihm: ›Nun hat sich gar dieser Waldeinsiedler, der allein im Walde für sich lebt, an Stolz und Unstete gewöhnt; selbst als Ordensasket läßt er sich verleiten!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, weder stolz zu sein noch unstet.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, hat nicht gesprächig zu sein und vielrednerisch. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, gesprächig ist und vielrednerisch, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er gesprächig ist und vielrednerisch!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, nicht gesprächig zu sein und vielrednerisch.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, hat sanft zu reden und gütig. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, beißend redet und boshaft, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er beißend redet und boshaft!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, sanft zu reden und gütig.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, hat die Tore der Sinne zu hüten. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler, der den Orden aufsucht, im Orden verweilt, die Tore der Sinne nicht hütet, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er die Tore der Sinne nicht hütet!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler die Tore der Sinne zu hüten.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, hat beim Essen Maß zu halten. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler beim Essen kein Maß kennt, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er beim Essen kein Maß kennt!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler beim Essen Maß zu halten.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, hat sich der Wachsamkeit zu weihen. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler die Wachsamkeit versäumt, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er die Wachsamkeit versäumt!‹: also spricht man von ihm. Darum hat sich ein Waldeinsiedler der Wachsamkeit zu weihen.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, hat sich eifrig zu üben. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler feige verzagt ist, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl[505] diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er feige verzagt ist!‹: also spricht man von ihm. Darum hat sich ein Waldeinsiedler eifrig zu üben.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, hat sich die Einsicht gewärtig zu halten. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler der Einsicht vergißt, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er der Einsicht vergißt!‹: also spricht man von ihm. Darum hat sich ein Waldeinsiedler die Einsicht gewärtig zu halten.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, hat gesammelt zu sein. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler zerstreut ist, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er zerstreut ist!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler gesammelt zu sein.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, hat weise zu sein. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler törig ist, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er törig ist!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler weise zu sein.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, hat über die Lehre und über die Regel ernstlich nachzudenken. Es kommt vor, ihr Brüder, daß man einem Waldeinsiedler über die Lehre und über die Regel Fragen stellt. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler, über die Lehre und über die Regel befragt, nicht zu antworten weiß, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er, über die Lehre und über die Regel befragt, nicht zu antworten weiß!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler über die Lehre und über die Regel ernstlich nachzudenken.

Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, hat über jene heiligen Erlösungen, die, jenseit der Formen, keinerlei Form behalten, ernstlich nachzudenken. Es kommt vor, ihr Brüder, daß man einem Waldeinsiedler über jene heiligen Erlösungen, die, jenseit der Formen, keinerlei Form behalten, Fragen stellt. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler, über jene heiligen Erlösungen, die, jenseit der Formen, keinerlei Form behalten, befragt, nicht zu antworten weiß, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er, über jene heiligen Erlösungen, die, jenseit der Formen, keinerlei Form behalten, befragt, nicht zu antworten weiß!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler über jene heiligen Erlösungen, die, jenseit der Formen, keinerlei Form behalten, ernstlich nachzudenken.

»Ein Waldeinsiedler, ihr Brüder, hat über die Dinge, die jenseit menschlichen Ermessens liegen, ernstlich nachzudenken. Es kommt vor, ihr Brüder,[506] daß man einem Waldeinsiedler über die Dinge, die jenseit menschlichen Ermessens liegen, Fragen stellt. Wenn, ihr Brüder, ein Waldeinsiedler, über die Dinge, die jenseit menschlichen Ermessens liegen, befragt, nicht zu antworten weiß, so sagt man von ihm: ›Was taugt es wohl diesem ehrwürdigen Waldeinsiedler, daß er allein im Walde für sich lebt, da er ja das Ziel, warum er hinausgezogen ist, nicht einmal kennt!‹: also spricht man von ihm. Darum hat ein Waldeinsiedler über die Dinge, die jenseit menschlichen Ermessens liegen, ernstlich nachzudenken.«

Nach dieser Rede wandte sich der ehrwürdige Mahāmoggallāno an den ehrwürdigen Sāriputto und sprach:

»Und hat wohl nur ein Waldeinsiedler, Bruder Sāriputto, diese Dinge insgesamt zu beobachten, oder auch ein Landpilger?«

»Ein Waldeinsiedler hat wohl, Bruder Moggallāno, diese Dinge insgesamt zu beobachten: wie erst ein Landpilger!«

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 503-507.
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