Siebente Rede

Was einem Lieb ist

[665] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapiṇḍikos.

Um diese Zeit nun war irgendeinem Hausvater sein einziges, vielgeliebtes Büblein gestorben. Und wie es nun tot war, mocht' er sich weder um Arbeit noch Essen kümmern. Er ging immer wieder zur Leichenstätte und jammerte: ›Wo bist du, einziges Büblein, wo bist du, einziges Büblein?‹

Da nun begab sich jener Hausvater dorthin wo der Erhabene weilte, begrüßte den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich seitwärts hin. Und zu jenem Hausvater, der da seitwärts saß, wandte sich nun der Erhabene also:

»Nicht zeigst du, Hausvater, die Züge des geistig Gefaßten: es sind deine Züge verstört.«

»Wie sollten auch, o Herr, meine Züge nicht verstört sein: ist mir doch, o Herr, das einzige, vielgeliebte Büblein gestorben! Und da es nun tot ist, mag ich mich weder um Arbeit noch Essen kümmern. Ich geh' immer wieder zur Leichenstätte und jammere: ›Wo bist du, einziges Büblein, wo bist du, einziges Büblein?‹«

»So ist es, Hausvater, so ist es, Hausvater. Was einem lieb ist, Hausvater, gibt ja Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt225

[665] »Wer wird da nur, o Herr, also denken: ›Was einem lieb ist gibt Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt‹: was einem lieb ist, o Herr, gibt ja Freude und Befriedigung, was von Liebem kommt.«

Und jener Hausvater, ungehalten und verstimmt über das Wort des Erhabenen, stand von seinem Sitze auf und ging fort.

Nun waren gerade damals, nicht gar fern vom Erhabenen, viele Würfelspieler beisammen, die Würfel spielten. Da begab sich denn jener Hausvater zu ihnen hin und sprach also:

»Ich war da, ihr Herren, zum Asketen Gotamo gegangen, hatte ehrerbietigen Gruß dargeboten und mich seitwärts hingesetzt. Und als ich da saß, ihr Herren, wandte sich der Asket Gotamo also an mich: ›Nicht zeigst du, Hausvater, die Züge des geistig Gefaßten: es sind deine Züge verstört.‹ Also angeredet, ihr Herren, entgegnete ich dem Asketen Gotamo: ›Wie sollten auch o Herr, meine Züge nicht verstört sein: ist mir doch, o Herr, das einzige, vielgeliebte Büblein gestorben! Und da es nun tot ist, mag ich mich weder um Arbeit noch Essen kümmern. Ich geh' immer wieder zur Leichenstätte und jammere: »Wo bist du, einziges Büblein, wo bist du, einziges Büblein?«‹ – ›So ist es, Hausvater, so ist es, Hausvater. Was einem lieb ist, Hausvater, gibt ja Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt.‹ – ›Wer wird da nur, o Herr, also denken: »Was einem lieb ist gibt Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt«; was einem lieb ist, o Herr, gibt ja Freude und Befriedigung, was von Liebem kommt.‹ So sprach ich, ihr Herren, ungehalten und verstimmt über das Wort des Asketen Gotamo, stand von meinem Sitze auf und ging fort.«

»So ist es, Hausvater, so ist es, Hausvater! Was einem lieb ist, Hausvater, gibt ja Freude und Befriedigung, was von Liebem kommt.«

Da sagte jener Hausvater: »So hab' ich recht, mit den Würfelspielern!«; und er ging fort.

Aber dieses Gespräch verbreitete sich allmählich bis an den Hof des Königs. Und König Pasenadi von Kosalo wandte sich an seine Gemahlin Mallikā:

»Höre, Mallikā, dein Asket Gotamo hat gesagt: ›Was einem lieb ist gibt Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt.‹«

»Wenn das, großer König, der Erhabene gesagt hat, dann ist es also.«

»Immer doch also gibt diese Mallikā, was auch da der Asket Gotamo sagen mag, eben aber auch alles zu: ›Wenn das, großer König, der Erhabene gesagt hat, dann ist es also.‹ Gleichwie etwa der Lehrer dem Schüler was immer auch sagen mag, und ihm der Schüler eben auf alles zustimmt, ›So ist es, [666] Meister, so ist es, Meister‹, ebenso auch gibst du, Mallikā, was immer auch da der Asket Gotamo sagen mag, eben aber auch alles zu: ›Wenn das, großer König, der Erhabene gesagt hat, dann ist es also.‹ Laß' es gut sein, Mallikā, hör' auf!«

Da wandte sich Königin Mallikā an den Brāhmanen Nāḷijaṉgho226 und bat ihn:

»Begib dich, Brāhmane, zum Erhabenen hin und bring' dem Erhabenen zu Füßen meinen Gruß dar und wünsche Gesundheit und Frische, Munterkeit, Stärke und Wohlsein: ›Mallikā‹, sage, ›o Herr, die Königin, bringt dem Erhabenen zu Füßen Gruß dar und wünscht Gesundheit und Frische, Munterkeit, Stärke und Wohlsein‹; und füge hinzu: ›hat wohl, o Herr, der Erhabene dieses Wort gesprochen: »Was einem lieb ist gibt Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt«?‹ Und wie dir der Erhabene antworten wird, das merke dir gut und melde mir. Denn die Vollendeten reden nicht unvollkommen.«

»Schön, Herrin!« entgegnete da gehorsam Nāḷi jaṉgho der Brāhmane Mallikā der Königin. Und er begab sich dorthin wo der Erhabene weilte, tauschte höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte mit dem Erhabenen und setzte sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend sprach nun Nāḷijaṉgho der Brāhmane zum Erhabenen also:

»Mallikā, o Gotamo, die Königin, bringt Herrn Gotamo zu Füßen Gruß dar und wünscht Gesundheit und Frische, Munterkeit, Stärke und Wohlsein; und sie fügte hinzu: hat wohl, o Herr, der Erhabene dieses Wort gesprochen: ›Was einem lieb ist gibt Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt‹?«

»So ist es, Brāhmane, so ist es, Brāhmane. Was einem lieb ist, Brāhmane, gibt ja Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt. Darum muß man es eben, Brāhmane, je nach dem Umstand beurteilen, wie da was einem lieb ist Wehe und Jammer gibt, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt. Eines Tages, Brāhmane, war eben hier zu Sāvatthī irgendeinem Weibe die Mutter gestorben. Durch deren Tod irrsinnig, geistesverstört geworden lief sie von Straße zu Straße, von Markt zu Markt und schrie: ›Habt ihr nicht meine Mutter gesehn, habt ihr nicht meine Mutter gesehn?‹ Darum soll man es eben, Brāhmane, je nach dem Umstand beurteilen, wie da was einem lieb ist Wehe und Jammer gibt, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt.

Eines Tages, Brāhmane, war eben hier zu Sāvatthī irgendeinem Weibe der Vater gestorben – war der Bruder, die Schwester gestorben – war der Sohn, war die Tochter gestorben – war der Gatte gestorben. Durch dessen Tod irrsinnig, geistesverstört geworden lief sie von Straße zu Straße, von [667] Markt zu Markt und schrie: ›Habt ihr nicht meinen Gatten gesehn, habt ihr nicht meinen Gatten gesehn?‹ Darum soll man es eben, Brāhmane, je nach dem Umstand beurteilen, wie da was einem lieb ist Wehe und Jammer gibt, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt.

Eines Tages, Brāhmane, war eben hier zu Sāvatthī irgendeinem Manne die Mutter gestorben – war der Vater gestorben – war der Bruder, die Schwester gestorben – war der Sohn, war die Tochter gestorben – war die Frau gestorben. Durch deren Tod irrsinnig, geistesverstört geworden, lief er von Straße zu Straße, von Markt zu Markt und schrie: ›Habt ihr nicht meine Frau gesehn, habt ihr nicht meine Frau gesehn?‹ Darum soll man es eben, Brāhmane, je nach dem Umstand beurteilen, wie da was einem lieb ist Wehe und Jammer gibt, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt.

Eines Tages, Brāhmane, war eben hier zu Sāvatthī irgendein Weib zu Verwandten ins Haus gekommen. Und die Verwandten verboten dieser, mit ihrem Gatten zu leben, wollten sie einem anderen vermählen: sie aber mochte den nicht. Und sie beschwor ihren Mann: ›Diese Verwandten, o Gemahl, reißen mich von dir und wollen mich einem anderen vermählen: ich aber mag den nicht!‹ Und der Mann gab seinem Weibe den Tod und entleibte sich selbst: ›Gestorben werden wir beisammen sein!‹ Darum soll man es eben, Brāhmane, je nach dem Umstand beurteilen, wie da was einem lieb ist Wehe und Jammer gibt, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt.«

Und Nāḷijaṉgho der Brāhmane, durch des Erhabenen Rede erfreut und befriedigt, stand auf und begab sich zu Mallikā der Königin zurück und berichtete Wort für Wort das ganze Gespräch, das der Erhabene mit ihm gepflogen. Und Königin Mallikā ging nun zu König Pasenadi von Kosalo hin und sprach also:

»Was meinst du wohl, großer König: hast du deine Tochter Vajīrī lieb?«

»Gewiß, Mallikā, hab' ich meine Tochter Vajīrī lieb.«

»Was meinst du wohl, großer König: wenn deiner Tochter Vajīrī etwas verschlüge, etwas geschähe, würdest du da Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung empfinden?«

»Wenn, Mallikā, meiner Tochter Vajīrī etwas verschlüge, etwas geschähe, könnt' es auch um mein Leben geschehn sein: wie sollt' ich da etwa nicht Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung empfinden!«

»Daran aber, großer König, hat Er gedacht, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte, als er gesagt hat: ›Was einem lieb ist gibt Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt.‹ – Was meinst du wohl, großer König: hast du die Fürstin Vāsabhā lieb?«

»Gewiß, Mallikā, hab' ich die Fürstin Vāsabhā lieb.«

[668] »Was meinst du wohl, großer König: wenn der Fürstin Vāsabhā etwas verschlüge, etwas geschähe, würdest du da Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung empfinden?«

»Wenn, Mallikā, der Fürstin Vāsabhā etwas verschlüge, etwas geschähe, könnt' es auch um mein Leben geschehn sein: wie sollt' ich da etwa nicht Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung empfinden!«

»Daran aber, großer König, hat Er gedacht, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte, als er gesagt hat: ›Was einem lieb ist gibt Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt.‹ – Was meinst du wohl, großer König: hast du den Feldherrn Viḍūḍabho lieb?«

»Freilich, Mallikā, hab' ich den Feldherrn Viḍūḍabho lieb.«

»Was meinst du wohl, großer König: wenn dem Feldherrn Viḍūḍabho etwas verschlüge, etwas geschähe, würdest du da Wehe und Jammer, Leiden Gram und Verzweiflung empfinden?«

»Wenn, Mallikā, dem Feldherrn Viḍūḍabho etwas verschlüge, etwas geschähe, könnt' es auch um mein Leben geschehn sein: wie sollt' ich da etwa nicht Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung empfinden!«

»Daran aber, großer König, hat Er gedacht, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte, als er gesagt hat: ›Was einem lieb ist gibt Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt.‹ – Was meinst du wohl, großer König: hast du mich lieb?«

»Gewiß, Mallikā, hab' ich dich lieb.«

»Was meinst du wohl, großer König: wenn mir etwas verschlüge, etwas geschähe, würdest du da Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung empfinden?«

»Wenn, Mallikā, dir etwas verschlüge, etwas geschähe, könnt' es auch um mein Leben geschehn sein: wie sollt' ich da etwa nicht Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung empfinden!«

»Daran aber, großer König, hat Er gedacht, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte, als er gesagt hat: ›Was einem lieb ist gibt Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt.‹ – Was meinst du wohl, großer König: hast du dein Reich Benāres und Kosalo lieb?«

»Sicherlich, Mallikā, hab' ich mein Reich Benāres und Kosalo lieb: durch die Macht meines Reiches Benāres und Kosalo besitzen wir Seide und Sandel, haben Schmuck und duftende Salben.«

»Was meinst du wohl, großer König: wenn deinem Reiche Benāres und Kosalo etwas verschlüge, etwas geschähe, würdest du da Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung empfinden?«

[669] »Wenn, Mallikā, meinem Reiche Benāres und Kosalo etwas verschlüge, etwas geschähe, könnt' es auch um mein Leben geschehn sein: wie sollt' ich da etwa nicht Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung empfinden!«

»Daran aber, großer König, hat Er gedacht, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte, als er gesagt hat: ›Was einem lieb ist gibt Wehe und Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung, was von Liebem kommt.‹«

»Wunderbar, Mallikā, außerordentlich, Mallikā, ist es, wie da Er, der Erhabene, weise durchdringend, weise blickt! Wohl denn, Mallikā: rühme weiter227

Und König Pasenadi von Kosalo stand auf von seinem Sitze, entblößte eine Schulter, verneigte sich ehrerbietig nach der Richtung wo der Erhabene weilte, und ließ dann dreimal den Gruß ertönen:


»Verehrung dem Erhabenen,

Dem heilig auferwachten Herrn!


Verehrung dem Erhabenen,

Dem heilig auferwachten Herrn!


Verehrung dem Erhabenen,

Dem heilig auferwachten Herrn!«

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 665-670.
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