Form

[820] Die deutsche Sprache ist durch eine außerordentliche Gestaltungskraft geeigneter als irgendeine andere die verschiedensten Idiome in ihrer eigentümlichen Färbung wiederzugeben. Vom Griechischen bis zum Chinesischen, vom Französischen bis zum Isländischen findet der Übersetzer, wenn er sich in seinen Stoff ganz verliert, geheimnisvolle Anklänge, die nur darauf harren zu scheinen, in unserer herrlichen Sprache wiederaufzuerstehn und ihr eigenstes Wesen zu offenbaren. Wie kräftig spricht doch SHAKESPEARE, wie lebendig CALDERON durch A. w. VON SCHLEGEL zu uns, wie anschaulich läßt VOSS den HOMER reden, wie ergreifend wirkt selbst VOLTAIRE durch GOETHES Mund! Daß er sich die köstlichsten Gaben ferner Zeiten und Länder gleichsam neu erwirbt, das ist das edelste Merkmal des Deutschen, den, ach, so vieles entstellt. »Was ist deutsch?« fragt einer der deutschesten Männer und antwortet darauf: »›Deutsche‹ Völker heißen diejenigen germanischen Stämme, welche auf heimischem Boden ihre Sprache und Sitte sich bewahrten. Selbst aus dem lieblichen Italien verlangt der Deutsche nach seiner Heimath zurück. Er verläßt deßhalb den römischen Kaiser und hängt desto inniger und treuer an seinem heimischen Fürsten. In rauhen Wäldern, im langen Winter, am wärmenden Herdfeuer seines hoch in die Lüfte ragenden Burggemaches pflegt er lange Zeit Urvätererinnerungen, bildet seine heimischen Göttermythen in unerschöpflich mannigfaltige Sagen um. Er wehrt dem zu ihm dringenden Einfluß des Auslandes nicht; er liebt zu wandern und zu schauen; voll der fremden Eindrücke drängt es ihn aber, diese wiederzugeben; er kehrt deshalb in die Heimat zurück, weil er weiß, daß er nur hier verstanden wird: hier am heimischen Herde erzählt er, was er draußen sah und erlebte. Romanische, wälische, französische Sagen und Bücher übersetzt er sich, und während Romanen, Wälsche und Franzosen Nichts von ihm wissen, sucht er eifrig sich Kenntniß von ihnen zu verschaffen. Er will aber nicht nur das Fremde, als solches, als rein Fremdes, anstarren, sondern er will es ›deutsch‹ verstehn. Er dichtet das fremde Gedicht deutsch nach, um seines Inhaltes innig bewußt zu werden. – – – So wird von Deutschen ›Parzival‹ und ›Tristan‹ wiedergedichtet: während die Originale heute zu Kuriosen von nur litterar-geschichtlicher Bedeutung geworden sind, erkennen wir in den deutschen Nachdichtungen poetische Werke von unvergänglichem Werthe« etc. (RICHARD WAGNER, Gesammelte Schriften, Bd. 10 S. 62f.).

Kein WOLFRAM VON ESCHENBACH, kein GOTTFRIED VON STRASSBURG, kein KONRAD VON WÜRZBURG ist bisher den indischen Meisterwerken bei uns erstanden. Wie lange ist es auch her, daß wir Zuverlässiges von Indien wissen, oder gar vom Buddhismus, [820] von seiner Poesie? Zwar spricht CLEMENS ALEXANDRINUS bereits im zweiten Jahrhundert vom »Βουττας«, aber er kennt nur den Namen, weiter nichts, ebenso SUIDAS achthundert Jahre später; zwar nennt der gelehrte BAYLE in seinem reichen »Dictionaire historique et critique« Ende des 17. Jahrhunderts schon den Sommonacodom, d.i. den Samaṇo Gotamo, und erzählt uns viel Abenteuerliches und Interessantes nach dem Berichte französischer Reisender nach Siam (5e éd. Amsterd. 1740 fol. 237 bis 240); zwar kann der treffliche BRUCKER 1766 in seiner »Historia critica philosophiae« (s. bes. tom. IV., part. alt. p. 819, § IX.) über den »Buddhas« und seine angeblichen Lehren eine längere pragmatische Darstellung liefern, aber das Beste fehlt. Ja, bis gut in die Mitte unseres Jahrhunderts bleibt es, mit vereinzelten Ausnahmen, beim Sekundanerverständnisse indischer Texte, wie SCHOPENHAUER scharfsinnig erkannt hat. Erst seit BÖHTLINGKS und ROTHS grundlegendem Saṃskṛt-The-saurus, erst seit CHILDERS' Pāli-Dictionary, erst seit BÜHLERS Arbeiten über indische Altertümer und Inschriften erscheint die Indologie als Schwester der klassischen Philologie, im Lichte der Wissenschaft. Die letzten Jahrzehnte, die letzten Jahre haben uns erst Aufschluß darüber gegeben, wer der Buddho war und was er gelehrt hat.

Aus meiner Übersetzung erhellt wohl zur Genüge, daß die einfachen indischen Metra, liebevoll der Sprache angepaßt, dem deutschen Ohre nicht widerstreben. Wer eine wirkliche Übersetzung liefern will muß eben auch das Versmaß streng beibehalten, darf sich nicht sogenannte Freiheiten erlauben; sonst tut er ja nichts anderes (wie BOXBERGER im Vorwort zu seiner ausgezeichneten Übersetzung der Bhagavadgītā, Berlin 1870, mit Recht an der gelehrten aber schwerfälligen LORINSERS tadelt), als den schönen, eigentümlichen Rhythmus des Metrum gelegentlich zerstören. Völlige Treue in allem und jedem – freilich ohne Steifheit und Pedanterie – muß als oberstes Gesetz gelten. Diesem Gesetze habe ich mich überall unterworfen. Wortbildungen, Wortanklänge, Wortspiele, Umdeutungen, Wendungen, Redeweisen und viel dergl., ferner die im Pāli weit ausdrucksvoller als selbst bei GOETHE und BÜRGER2 [821] hervortretende Alliteration, die fast jeder Vers sehr schön aufweist, habe ich im Spiegel der deutschen Sprache reflektiert. Wenn trotz alledem meine Übersetzung gewiß noch recht mangelhaft ist, wenn die unvergleichlich reiche Schönheit des Pāli nur hindurchschimmern, wenn die ursprüngliche Kraft der Dichtung gar oft nicht zum Durchbruch gelangen kann, wenn die klare Tiefe des Textes bei mir verflacht oder getrübt erscheint, kurz, wenn die Übersetzung hinter dem Originale weit zurückbleiben mußte, zeigt sie wenigstens, daß es auch hier möglich ist, Inhalt und Form in einen Guß zu schmelzen und als Ganzes wiederzugebären.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 820-822.
Lizenz:
Kategorien: