Zum ersten Teil (1906)

Die Längere Sammlung Dīghanikāyo wird in drei Fächer eingereiht und enthält die vierunddreißig uns überkommenen längeren Reden und Gespräche Gotamo Buddhos. Der erste Band als Grundlage heißt Buch der Tugendstücke: er gibt dreizehn Ansprachen, deren jede an einer oder der anderen Stelle die stets gleichen Staffeln der Lehre vorträgt, nach dem Schema der ersten und zweiten Rede. Im übrigen sind die dreizehn Unterredungen reichlich verschieden an Inhalt und eigentümlichen Umständen im Umkreis nur einmal beschrittener Pfade und Ausblicke. Zugleich zeigen sie uns ein recht anschauliches Bild indischer Verhältnisse im großen antiken Zeitalter. Es sind die einzigen Urkunden dieser Art, die da zwei Jahrtausende hindurch ungebrochen erhalten blieben, während die Ordner der Mittleren Sammlung um die Stufen zu den Zinnen der Satzung ehrlich auszurichten nebensächliche Dinge als Trümmer auf ihrem Wege zumeist, und mit Recht, beiseite liegen lassen mochten. In das zweite und dritte Fach oder Buch sind sogar mancherlei spätere und unzugehörige Ausladungen querkantig mit verkröpft worden und als solche unschwer zu erkennen, im ersten ist der alte geradlinige Terrassenbau auch in den Seitenflügeln mit ihren Freitreppen bis an die Spitze noch im Geiste Gotamos, in den Umrissen wenigstens, durchgeführt.

Über Geschichte und Alter des Kanons der Reden habe ich im Vorbericht zum ersten Bande der Mittleren Sammlung gesprochen und nachgewiesen, daß bis in die Zeit einer asokischen Topenstele aus dem dritten Jahrhundert nach Gotamo der Kanon der Reden, das Suttapiṭakam, als Piṭakam schlechthin erscheint. Kein anderes, also kein Piṭakam des vinayo, geschweige von einem des abhidhammo, ist auf solchen ältesten Inschriften irgend ersichtlich oder erschließbar: oft aber begegnet uns dort der suttantiko und pañcanekāyiko, der Kenner der Reden und Kenner der Fünf Sammlungen, und eben diese Wechselbegriffe waren unter dem gemeinsamen Titel peṭaki, Kenner des Kanons, zusammengefaßt. Der halb und halb aufgeteilte und endlich um noch ein Fach vermehrte Korb ist erst lange nach Asoko, in Wort, Regel und Übersatz auseinandergepult, zwei- und dreispältig verflochten und als Tipiṭakam verbreitet [14] worden, im ersten vorchristlichen Jahrhundert, zumal als dann Kanerki, der tüchtige Soldatenkaiser, das Erbe der Asokiden neu erobert, gesichert und alsbald, um auch den geistigen Etappen zu folgen, buddhistische Brücken auf tausend und tausend Pfeilern bis nach Syrien und Griechenland und über Tibet nach China geschlagen und den nun als Kanon anerkannten buntscheckig an gefüllten Dreikorb jedem der Völker zum Geschenk dargebracht hatte: eine Gabe, die noch über den Ozean an Ufer geschafft wurde, von wo die Spuren in der Runde wieder zu uns führen.

Asoko selbst, oder wie er sich nennt, Devānaṃpiyo Piyadassi rājā, das heißt also Gratiadivus Gratianus rex, dieser doppelt erfahrene, merkwürdigste der Erderoberer hat auf seinen steinernen Urkunden überall nur Stellen aus dem Kanon der Reden, mehr oder minder wörtlich, angeführt, ausgezogen, umschrieben, übertragen. Nachdem zumal Bühler in seiner vorzüglichen Ausgabe der Inschriften Asokos im zweiten bis fünften Bande der Epigraphia Indica auf einige solcher wichtigen Bestätigungen unserer Texte hingedeutet hatte, habe ich dann im Laufe der Jahre noch etwa ein halbes Hundert dieser kostbaren und köstlichen Belege als Kronzeugen beigebracht, die man mit Hülfe der Register zu den drei Bänden der Mittleren Sammlung, zu den Bruchstücken der Reden und zu den Liedern der Mönche und Nonnen leicht auffinden kann. Auch hier in der Längeren Sammlung haben wir nun wieder Gelegenheit manche vollkräftige Probe zugunsten der alten Hörer der Botschaft als Überlieferung durch jenen ersten und bisher unübertroffenen weltbürgerlichen Herrscher näher zu betrachten. So bietet namentlich die fünfte Rede ein willkommenes Musterstück für Asoko dar, nach welchem er seine Erlässe entworfen, ausgearbeitet und in Stein gemeißelt hat; ein ganz besonderer, sonst an keinerlei anderen Stelle gebrauchter Ausdruck, den der König zu gleichem Zwecke angewandt hat, ist z.B. Anm. 158 angegeben. Derart unterschiedliche, wenn auch oft sehr feine Züge sind nun fast bei jeder Rede überraschend genau einzusehn. Es werden sich freilich da noch keine wahrnehmbaren Schwankungen an der Zunge des Theravādo zeigen.

Der Text, dem die Übersetzung Silbe um Silbe nachfolgt, liegt in der Ausgabe des Königs von Siam [Bangkok 1894] im ganzen wohlerschlossen vor, nach den besten Handschriften mit zarter, inniger Sorgfalt überliefert (S). Nützlich erwiesen sich zur Vergleichung der Lesarten auch die früheren Digesten und zwar Grimblot, Sept Suttas pâlis, Paris 1876, für die erste und zweite Rede, und Rhys Davids und Carpenter, The Dīgha Nikāya, Vol. I., Pali Text Society, London 1890, für alle dreizehn Stücke, sowie der neu begonnene siṇhalesische Nachdruck des Dīghanikāyo, erster Band Colombo 2447 = 1904 (C), den mir ein Freund, der bhikkhu Saddhānusārī in Matara, als gütiges Geschenk seiner Gabenspender zusenden ließ. An schon angefertigten [15] Übertragungen und Besprechungen kamen mir vor: Gogerly zu No. 1-2, Burnouf zu No. 2, beide bei Grimblot; De Alwis zu No. 11, im Orientalist, Kandy 1891, Warren zu No. 11, Buddhism in Translations, Cambridge, Mass., 1896; Rhys Davids, Dialogues of the Buddha, London 1899, zu No. 1 bis 13; Samarasekeras siṇhalesische Wiedergabe, Colombo 2447. Über die Art und Weise der gegenwärtigen Arbeit sei letztens bemerkt, daß ein glatterer, gefälligerer Ausdruck ohne Zweifel an sich erreichbar gewesen wäre und eher gewirkt hätte, ich aber, mit den zehntausend Werkzeugen einer altbegüterten Sprache betraut, wiederum den Versuch vorgezogen habe die indischen Töne immer deutlicher vernehmbar nachklingen zu lassen, ob auch wohl hüben der fremde Klang nicht selten bei einer solchen beinahe nur für das öfter geübte geistige Ohr bestimmten Behandlung eben noch als fremder Klang und bisweilen recht kühner und ungewohnter Einsatz empfunden werden muß. Denn was mir einmal auf indischer Erde ein gar aufgeweckter Seidenhändler, als er erfahren, ich sei ein Deutscher, mit lebhafter Teilnahme versichert hat: »O das Deutsche ist ganz wie das Saṃskṛt, hab' ich sagen hören«: das, leider, scheint mir auch für das Pāli doch erst je nach den Lautgesetzen und Schallverhältnissen der Gegenschwingungen und der zulänglichen Hörweite allenfalls bei trefflichem Gelingen näherhin vergleichbar sein zu mögen.

Die Zahlen am Rande geben die Seiten der siamesischen Fassung an.


Wien, Anfang Februar 1906.

K.E.N.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 2, Zürich/Wien 31957, S. 14-17.
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