Erster Brief.

[169] – – 1759.


H.H.


Für geneigte Mittheilung des Manuscripts statte Ew. Hochedelgebornen meinen verbindlichsten Dank ab. Ich bin dadurch aufgemuntert worden, die Obseruationes sacras noch einmal zu lesen, weil ich mir jetzt mehr Nutzen davon zutrauen kann, als da ich sie das erstemal in Curland durchgelaufen.

Eine kleine Unpäßlichkeit verbietet mir heute in meinem Homer fortzufahren; und Ihre polemische Abhandlung hat mir zu allerhand Einfällen Anlaß gegeben, die ich mit der Feder auffangen will, damit mir nicht die Zeit auf dem Bette zu lang wird – – Sie verweisen mit gutem Grunde den Leser bey dem Titel des Buchs auf die Proprietät des Worts: Obseruationes; ich weiß aber keinen, warum man dergleichen obseruationes eben sacras und nicht profanas, criticas u.s.w. nennt, da sie doch bloß in einem Picknick aus Profanscribenten bestehen; frage also aus Haggai 2, 13. Wenn jemand heilig Fleisch trüge in seines Kleides Geren, und rührete darnach an mit seinem Geren Brodt, Gemüse, Wein, Öl, oder was es für Speise wäre, würde es auch heilig? – Die Priester antworteten und sprachen: Nein!

Der Streit über die Sprache und Schreibart des Neuen Testaments ist mir nicht ganz unbekannt; ich zweifele daher, daß eine bloße Sprachkunst hinreiche den Widerspruch der Meynungen aufzuheben. Man muß nicht nur wissen, was gut griechisch ist, wie der Recensent sagt, sondern auch was Sprache überhaupt, nicht nur, was die Wohlredenheit eines klaßischen Schriftstellers, sondern was Schreibart überhaupt sey. Über beyde Gegenstände hat man wenig philosophische Einsichten. Der Mangel an Grundsätzen ist aber mehrentheils Schuld am Schulgezänke. Hierzu gehört wirklich eine höhere Philosophie, aus der dem Verfasser der Obseruationum sacrarum ein sehr rümlicher Schandfleck gemacht wird. Weil es mir aber nicht gegeben ist, hierüber viel κατ᾽ εξοχην zu sagen, so werde meine Betrachtungen κατ᾽ ανϑρωπον anstellen.

Es fällt mir sehr bequem zu glauben, daß die Bücher des neuen Bundes εβραιστι, ελληνιστι, ρωμαιστι geschrieben sind, wie der Titel des Kreutzes. Joh. 19, 20. Wenn es wahr ist, daß sie im jüdischen Lande unter der Herrschaft der Römer von Leuten, die keine literati[169] ihres Seculi waren, aufgesetzt worden: so ist der Charackter ihrer Schreibart der avthenikeste Beweiß für die Urheber, den Ort und die Zeit dieser Bücher. Im wiedrigen Falle würde die Kritick unendlich mehr für sich haben, sich gegen die Zuverlässigkeit derselben ungläubig zu gebärden.

Da diese Bücher nicht für Griechen geschrieben I Kor. I, 22. 23. und die Gelehrten, die für und wider die Reinigkeit ihrer Sprache eingenommen sind, auch keine geborne Griechen, sondern wie Klaudius Lysias, der Chiliarch, in Ansehung ihres kunstrichterlichen Bürgerrechts in dieser Sprache bekennen müssen, es mit vielem Kopfbrechen erkauft zu haben, (εγω πολλου Κεφαλαιου την πολιτειαν ταυτην εκτησαμην Apostelg. 22, 28) unterdessen sich Paulus in Ansehung ihrer auf seine längst zerrissene Kinderschuhe berufen könnte; da ferner keine Sprache aus Büchern allein übersehen werden kann, und die Autorsprache sich als eine todte zur Sprache des Umgangs verhält: so sind dies Merkmale genug, daß mehr Wahn als Wahrheit in allen diesen Untersuchungen zum Grunde liege.

Matthäus, der Zöllner, und Xenophon – –. Wer sucht bey einem Joachim Lange die Schreibart eines von Mosheim, und doch giebt es Kanzler, die ungeachtet ihrer Würde Erlaubnis haben wie Pädagogen zu schreiben, auch von ihrem Styl keine Ausnahme gegen ihre Maasregeln annehmen.

Jede Denkungsart, die ein wenig mode wird, jeder unmerkliche Übergang der Leidenschaften tingirt der Ausdruck unserer Begriffe. Der Weg der Christen, (der zu allen Zeiten eine Secte gescholten wird) muste demnach gleichfalls eine neue Zunge und eine heilige Schreibart zu ihrem Unterscheid erhalten. Gehen Sie in welche Gemeine der Christen Sie wollen; die Sprache auf der heiligen Stäte wird ihr Vaterland und Genealogie verrathen, daß sie heydnische Zweige sind, παρα φυσιν auf einen jüdischen Stamm gepfropft. Je erbaulicher der Redner seyn wird: desto mehr wird uns sein galiläisches Schiboleth in die Ohren fallen. Je mehr Feuer; desto mehr von jenem Canariensect, über den die Ismaeliten, (Kinder unserer Kirche nach dem Fleisch) ihr Gespött treiben, (wie geschrieben steht, χλευαζοντες ελεγον, οτι γλευκους μεμεστωμενοι εισι); desto mehr von jenem Thau der Morgenröthe, in deren Schoos uns die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen mit Heil unter ihren Flügeln – – Kurz, das Orientalische in unserm Kanzelstyl führt uns auf die Wiege unsers Geschlechts und unserer Religion zurück, daß man sich gar nicht den ästhetischen Geschmack einiger christlichen Wortführer darf befremden[170] lassen, si aures (mit einem hispanisch-schönen Lateiner1 unserer Zeit zu reden) perpetuis tautologiis, Orienti iucundis, Europae inuisis laedant, prudentioribus stomachaturis, dormitaturis reliquis.

Es gehört zur Einheit der göttlichen Offenbarung, daß der Geist GOttes sich durch den Menschengriffel der heiligen Männer, die von ihm getrieben worden, sich eben so erniedrigt und seiner Majestät entäußert, als der Sohn Gottes durch die Knechtsgestalt und wie die ganze Schöpfung ein Werk der höchsten Demuth ist. Den allein weisen GOtt in der Natur bloß bewundern ist vielleicht eine ähnliche Beleidigung mit dem Schimpf, den man einem vernünftigen Mann erweist, dessen Werth nach seinem Rock der Pöbel schätzet.

Wenn also die göttliche Schreibart auch das alberne – das seichte – das unedle – erwählt, um die Stärke und Ingenuität aller Profanscribenten zu beschämen: so gehören freylich erleuchtete, begeisterte, mit Eyfersucht gewaffnete Augen eines Freundes, eines Vertrauten, eines Liebhabers dazu, in solcher Verkleidung die Strahlen himmlischer Herrlichkeit zu erkennen. DEI Dialectus, Soloecismus; sagt ein bekannter Ausleger. – Es gilt auch hier: Vox populi, vox DEI. – Der Kayser spricht Schismam und die Götter der Erden bekümmern sich selten darum, Sprachmeister zu seyn. – Das Erhabene in Cäsars Schreibart ist ihre Nachlässigkeit.

Wir haben diesen Schatz göttlicher Urkunden mit Paulo zu reden, εν οστρακινοις σκευεσιν, ινα η υπερβολη της δυναμεως ῃ του Θεου και μη εξ ημων2 und der Stylus curiae des Himmelreichs bleibt wohl, besonders in Vergleichung asiatischer Höfe, der sanftmüthigste und demüthigste. Das äußerliche Ansehen des Buchstabens ist dem unberittenen Füllen einer lastbaren Eselin ähnlicher, als jenen stolzen Hengsten, die dem Phaethon die Hälse brachen; – nec nomina nouit equorum.

Der Zeitungs- und Briefstyl gehören nach allen Rhetoricken zum humili generi dicendi, von dem uns wenig analoges in der griechischen Sprache übrig geblieben. In diesem Geschmack muß gleichwohl[171] die Schreibart der Bücher des N.B. beurtheilt werden, und hierinnen sind sie gewissermaßen original.

Die Apostelgeschichte und Offenbarung sind historische Schriften im eigentlichen Verstande. Von der Schreibart, worinn künftige Begebenheiten vorgetragen werden müssen, haben mit nichts isoperimetricalisches als etwa Fragmente delphischer und sibyllinischer Sprüche.

Da Wörter und Gebräuche Zeichen sind: so ist ihre Geschichte und Philosophie einander sehr gleichförmig und zusammenhängend. Die Frage: ob die Heyden in ihren Religionsbräuchen judaisirt, oder ob die Juden den Diebstahl abergläubischer Sitten ihrem Gott geheiligt? Diese Frage ist mit den Geschlechtsregistern der Redensarten, die Sprachen untereinander gemein haben, nach ähnlichen Grundsätzen zu zergliedern. Photius3 dehnt die Ritterschaft Pauli, alles unter dem Gehorsam Christi gefangen zu nehmen, bis auf die heydnischen Floskeln und Phrases aus.

Das Französische ist zu unsern Zeiten so allgemein, als das Griechische ehemals war. Wie sollte es aber möglich seyn, als daß jenes zu London und Berlin eben so ausarten muß, wie das Griechische im jüdischen Lande, zumal in Galiläa radgebrochen worden seyn mag. Absicht, Zeit, Ort eines Autors sind alles Bestimmungen seines Ausdruckes. Hof, Schule, Handel und Wandel, geschloßne Zünfte, Rotten und Secten haben ihre eigene Wörterbücher.

Die Migrationen der lebenden Sprachen geben uns Licht genug über die Eigenschaften, welche die todten mit ihnen theilen, und über das wandelbare Schema aller Sprachen überhaupt. Ich habe lange das Wort Salamalec in den jüngern Werken des Witzes gefunden, so in Frankreich auskommen, ohne es zu verstehen, bis ich unvermuthet in des Arvieux Reisebeschreibung antraf, daß Salamalec einen morgenländischen Bückling oder Fußfall bedeute – – –

Jetzt lese eben des Fürsten Demetrie Kantemir Geschichte des osmanischen Reichs zur Abwechselung, und fand gestern einige Nachrichten von Misri Efendi, Sheih von Prusa unter Achmet II., und Mustapha II. Regierung. Das frische Andenken und das Vergnügen über diese Stellen veranlaßet mich mit diesem außerordentlichen Manne zu[172] schließen, der ein geistreicher Dichter und heimlicher Christ gewesen seyn soll. Der Mufti unterstand sich nicht über seine Gesänge zu urtheilen und soll gesagt haben »Die Bedeutung und der Sinn derselben ist niemanden bekannt als GOtt und Misri« – – Der Mufti befahl auch seine Poesien zu sammlen, um selbige untersuchen zu können. Er laß – warf sie ins Feuer – und gab dies Fetwa von sich:

»Wer also redt und glaubt wie Misri Efendi, der soll verbrannt werden, Misri Efendi allein ausgenommen; denn über diejenigen, die mit der Begeisterung eingenommen sind, kann kein Fetwa ausgesprochen werden4

Wie gefällt Ihnen H.H. der Mufti? Beschämt er nicht viele Päbste und Recensenten? – – Alles was Sie wollen mit diesem heillosen Geschmiere, nur kein Fetwa über

Ihren

ect. ect.[173]

1

Michaelis. S. Balzacs Socrate Chretien Discours VI. de la lanque de l'Eglise et du Latin de la Messe et Discours VII. des quelque Paraphrases nouvelles.

2

Sokrates drückt sich in Platons Jon von der Thorheit der Poeten auf eine ähnliche Art aus: – – ο Θεος εξαιρουμενος τουτων νουν τουτοις χρηται υπηρεταις και τοις μαντεσι τοις ϑειοις, ινα ημεις οι ακουοντες ειδωμεν οτι ουχ ουτοι εισιν οι ταυτα λεγοντες ουτω πολλου αξια, οις νους μη παρεστιν, αλλ᾽ ο Θεος αυτος εστιν ο λεγων, δια τουτων δε φϑεγγεται προς ημας – –

3

– – ο πολλα πολλακις σοφως αιχμαλωτισας Παυλος εις την υπακοην του Χριστου, ουδεν δε ηττον και των εξω φονων, ουχ οση κομψη και γλωττα και ευηχος αλλ᾽ οση γνησια σημαναι και παραστησαι το προκειμενον. Photius in seinen Antworten an Amphilochius, welche Johann Christoph Wolf dem letzten Theil von seinen Curis philologicis & criticis über das N.T. angehängt, p. 743.

4

Ce n'est pas la peine d'être inspiré pour être commun, sagt ein anderer Mufti in seinen Remarques sur les Pensées de Pascal.

Quelle:
Johann Georg Hamann: Kreuzzüge des Philologen, in: Sämtliche Werke, Band 2: Schriften über Philosophie / Philologie / Kritik. 1758–1763, Wien 1950, S. 169-174.
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