VII. Die All-Einheit des Unbewussten

[155] Dass es dem Unbewussten, wie es sich in einem organischen und Bewusstseinsindividuum wirkend zeigt, nicht an starker Einheit fehlt, ist wohl sofort einleuchtend. Wir erkennen ja überhaupt das Unbewusste nur durch die Causalität, es ist eben die Ursache aller derjenigen Vorgänge in einem organischen und Bewusstseinsindividuum, welche eine psychische und doch nicht bewusste Ursache voraussetzen lassen. Alles, was wir innerhalb dieses Unbewussten an Unterschieden oder Theilen gefunden haben, beschränkt sich auf die beiden Momente Wille und Vorstellung, und von diesen haben wir doch auch wiederum die untrennbare Einheit im Unbewussten erkannt. Falls aber jemand durchaus dabei stehen bleiben wollte, Wille und Vorstellung als verschiedene Theile des Einen Unbewussten zu fassen, so wäre doch ihre Wechselwirkung in Motivation des Willens durch die Vorstellung und Erweckung der Vorstellung durch das Interesse des Willens ganz unverkennbar. Was wir im Organismus noch als Einheit durch Wechselwirkung der Theile fassen müssen, ist in der Einen Ursache dieser Vorgänge in die Einheit des Zweckes aufgehoben, zu welchem diese einzelnen Thätigkeiten des einen und des anderen Theiles alle nur als gemeinsame Mittel gesetzt werden. Die Einheit der Zeit in der Continuität des Wirkens ist ebenfalls vorhanden, die Einheit des Raumes kann hier natürlich nicht mehr zur Sprache kommen, weil wir es mit einem unräumlichen Wesen zu thun haben, in den Wirkungen jedoch ist sie ebensowohl vorhanden, als die Einheit der Zeit. So viel steht also fest, dass die Einheit des psychisch Unbewussten im Individuum die stärkste ist, die man nur finden kann. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass es unbewusst psychische Individuen giebt, denn wenn die Einheit im Unbewussten so stark wäre, dass sie alles Unbewusst-psychische,[155] wo es auch in der Welt wirken möge, in sich ohne Theile befasste, so gäbe es nur noch Ein Unbewusstes und nicht mehrere Unbewusste, dann gäbe es auch keine Individuen mehr im Unbewussten, sondern das ganze Unbewusste wäre ein einziges Individuum ohne subordinirte, coordinirte oder superordinirte Individuen. Da auch Materie und Bewusstsein nur Erscheinungsformen des Unbewussten sind, so wäre dann dieses Wesen das Alles umfassende Individuum, welches alles Seiende ist, das absolute Individuum, oder das Individuum kat' exochên.

Bei den Organismen brauchten wir die Frage, ob wir denn auch wirklich mehrere Dinge und nicht Eines vor uns haben, gar nicht aufzuwerten, weil die räumliche Besonderung der Gestalt sie im Voraus beantwortete; bei den Bewusstseinen haben wir die Frage, die apriorisch wohl kaum zu entscheiden wäre, der inneren Erfahrung gemäss beantwortet, welche uns lehrt, dass das Bewusstsein von Peter und Paul, von Hirn und Unterleibsganglien, nicht Eines, sondern mehrere verschiedene sind; beim Unbewussten aber tritt diese Frage in ihrem ganzen Ernste an uns heran, da das Wesen des Unbewussten unräumlich ist, und die innere Erfahrung des Bewusstseins selbstverständlich gar nichts über das Unbewusste aussagt. Niemand kennt das unbewusste Subject seines eigenen Bewusstseins direct, Jeder kennt es nur als die an sich unbekannte psychische Ursache seines Bewusstseins; welchen Grund könnte er zu der Behauptung haben, dass diese unbekannte Ursache seines Bewusstseins eine andere, als die seines Nächsten sei, welcher deren Ansich ebenso wenig kennt? Mit einem Worte, die unmittelbare innere oder äussere Erfahrung giebt uns gar keinen Anhaltspunct zur Entscheidung dieser wichtigen Alternative, die mithin vorläufig völlig offene Frage ist. In einem solchen Falle tritt zunächst der Grundsatz in Kraft, dass die Principien nicht ohne Notwendigkeit vervielfältigt werden dürfen, und dass man sich bei mangelnder unmittelbarer Erfahrung stets an die einfachsten Annahmen zu halten habe. Hiernach würde ohne Zweifel die Einheit des Unbewussten so lange supponirt werden müssen, als nicht der Gegner dieser einfachsten Annahme sich der ihm obliegenden Beweislast zu seinen Gunsten entledigt hat. Hierfür ist uns aber noch kein Versuch bekannt geworden; denn Herbart's Satz: »wie viel Schein, so viel Hindeutung auf Sein« kann offenbar nur die Vielseitigkeit, aber nicht die Vielheit des Seins zu beweisen dienen, da bekanntlich ein und dasselbe[156] Seiende nach verschiedenen Seiten meistens ganz verschieden erscheint. Dass die Annahme der unmittelbaren Einheit wirklich viel einfacher ist, braucht wohl kaum noch besonders begründet zu werden, da hier nur die Beziehungen des Thätigen zu seinen Thätigkeiten und die Wechselwirkung der Thätigkeiten eines und desselben Thätigen zur Sprache kommt, während bei der entgegengesetzten Annahme die Beziehungen verschiedener Thätigen zu ihren Thätigkeiten und ausserdem die der Thätigen und ihrer Thätigkeiten unter einander in Frage stehen, welche letzteren entweder als ganz unerklärlich anerkannt oder durch die weiteren uns völlig unzugänglichen und undiscutirbaren Beziehungen dieser vielen Thätigen zu dem über ihnen stehenden und sie umfassenden Absoluten erklärt werden müssen.

Nur deshalb, weil der eine Theil meines Hirnes mit dem anderen leitend verbunden ist, ist das Bewusstsein beider Theile geeint (vgl. Cap. C. III, 5. S. 60-64), und könnte man die Gehirne zweier Menschen durch eine den Gehirnfasern gleichkommende Leitung verbinden, so würden die beiden nicht mehr zwei, sondern ein Bewusstsein haben. Sollte überhaupt eine Vereinigung zweier Bewusstseine in Eins, wie sie factisch überall statt hat, möglich sein können, wenn das Unbewusste, aus welchem auf den materiellen Reiz das Bewusstsein geboren wird, nicht schon an sich Eins wäre?

Die ganze Ameise hat ein, die zerschnittene zwei Bewusstseine, und wenn man die Hälften zweier verschiedener Polypen (also zwei vorher getrennte Bewusstseine) zusammennäht, so wird Ein Polyp mit Einem Bewusstsein daraus. Reichthum und Armuth des Bewusstseins kann bei diesen principiellen Untersuchungen keinen Unterschied machen. So wenig es nach den früheren Betrachtungen Jemand läugnen kann, dass er so viele (mehr oder weniger getrennte) Bewusstseine hat, als er Nervencentra, ja sogar als er lebende Zellen hat, so sehr wird Jeder sich mit Recht gegen die Behauptung sträuben, dass er so viele unbewusst wirkende Seelen habe, als er Nervencentra oder Zellen habe; die Einheit des Zweckes im Organismus, das richtige Eingreifen jedes einzelnen Theiles im richtigen Moment, kurz die wunderbare Harmonie des Organismus wäre unerklärlich, in der That nur als prästabilirte Harmonie zu fassen, wenn nicht die Seele im Leibe Eine ungetheilte wäre, welche aber gleichzeitig in allen Theilen des Organismus wirkt, wo ihr Wirken nöthig ist, – wenn es nicht Ein und dieselbe Seele wäre, welche hier die Athmung, dort die Excretion regulirt, welche[157] hier im Gehirn das Hirnbewusstsein, dort im Ganglion das Ganglienbewusstsein zu Stande kommen lässt. Wenn die Zerschneidung der niederen Thiere uns zeigt, dass dieselbe Seele, die vorher in dem ganzen Thiere die verschiedenen Theile leitete, und die verschiedenen Bewusstseine erzeugte, nun auch nach der Trennung unverändert weiter functionirt, können wir dann glauben, dass die körperliche Durchschneidung auch die Seele zerschnitten und in zwei Theile getrennt habe, kann überhaupt durch Trennung eines blossen Aggregats von Atomen die sie zufällig beherrschende unräumliche Seele afficirt gedacht werden, ausser insofern die Bedingungen ihrer Wirksamkeit geändert sind?A22

Wenn aber die Seele in zwei künstlich getrennten Thierstücken noch Eine ist, sollte sie nicht auch bei der spontanen Ablösung von Knospen, Scheren u.s.w. ungetheilt bleiben? Und nicht auch bei der zweigeschlechtlichen Zeugung, wo Ein hermaphroditisches Thier sich selbst begattet (z.B. Bandwurm)? (Näheres im neunten Capitel). Wenn die unbewusste Seele in den Trenn stücken eines Insectes oder in dem Mutterstocke und den abgelösten Knospen noch Eine ist, sollte sie nicht auch in den von Natur getrennten Insecten eines Bienen- oder Ameisenstaates dieselbe sein, welche auch ohne räumliche Verbindung der Organismen dennoch gerade so harmonisch in einander wirken, wie die einzelnen Theile desselben Organismus? Sollte nicht das Hellsehen, welches wir überall in den Eingriffen des Unbewussten wiederkehrend gefunden haben, und welches in dem beschränkten Individuum so höchst auffallend ist, sollte nicht dies allein schon zu dieser Lösung auffordern, dass die scheinbar individuellen Acte des Hellsehens eben nur Kundgebungen des in Allem identischen Unbewussten seien, womit auf einmal alles Wunderbare des Hellsehens verschwindet, da nun das Sehende auch die Seele des Gesehenen ist? Und wenn es der unbewussten Seele eines Thieres möglich ist, in allen Organen und Zellen des Thieres gleichzeitig anwesend und zweckthätig wirksam zu sein, warum soll nicht eine unbewusste Weltseele in allen Organismen und Atomen zugleich anwesend und zweckthätig wirksam sein können, da doch die eine wie die andere unräumlich gedacht werden muss?

Was sich gegen diese Auffassung sträubt, ist nur das alte Vorurtheil, dass die Seele das Bewusstsein sei, so lange man dies nicht überwunden und jeden heimlichen Rest davon völlig in sich ertödtet hat, so lange muss jene All-Einheit des Unbewussten freilich[158] von einem Schleier bedeckt sein; erst wenn man erkannt hat, dass das Bewusstsein nicht zum Wesen, sondern zur Erscheinung gehört, dass also die Vielheit des Bewusstseins nur eine Vielheit der Erscheinung des Einen ist, erst dann wird es möglich, sich von der Macht des practischen Instinctes, welcher stets »Ich, Ich« schreit, zu emancipiren, und die Wesenseinheit aller körperlichen und geistigen Erscheinungsindividuen zu begreifen, welche Spinoza in mystischer Conception erfasste und als die Eine Substanz aussprach. Es ist kein Widerspruch gegen die All-Einheit des Unbewussten, dass das individuelle Selbstgefühl, welches zuerst nur als dumpfer practischer Instinct vorhanden, mit steigender Ausbildung des Bewusstseins immer mehr gesteigert und zum reinen Selbstbewusstsein zugespitzt wird, dass also der für das bewusste Denken unzerstörbare Schein der individuellen Ichheit nur um so schärfer hervortritt, je schärfer das bewusste Denken wird; es ist dies, sage ich, kein Widerspruch gegen den Monismus des Unbewussten, denn alles bewusste Denken bleibt ja in den Bedingungen des Bewusstseins befangen, und kann sich seiner Natur nach über dieselben niemals in directer Weise erheben, muss vielmehr mit dem Trugschleier der Maja sich um so enger umspinnen, je mehr es seine eigenthümliche Natur zur Entfaltung bringt. Dabei kann sehr wohl die Einheit des Unbewussten bestehen, nämlich dessen, was nie in's Bewusstsein fallen kann, weil es hinter demselben liegt, wie der Spiegel nie sich selber spiegeln kann (höchstens sein Bild in einem zweiten Spiegel). So lange man freilich das Unbewusste nicht streng ausgeschieden und entwickelt hat, so lange besteht jener Einwand in voller Kraft, und so lange kann die Idee der All-Einheit nicht rationell begriffen und gebilligt, sondern nur mystisch concipirt werden, trotz dem Widerspruche des Bewusstseins.

Ein andrer Punct, der oft zum billigen Spott gegen den Monismus benutzt ist, ist das Paradoxon, dass das Eine als ein Selbstentzweites sich selbst bekämpfe, dass z.B. das Eine Wesen in Gestalt zweier hungriger Wölfe mit sich im Streite liege, von denen jeder den andern zu verschlingen trachtet. Hierin sind zwei Probleme vermischt, erstens das Problem des Auseinandergehens des Einen in die Vielen, und zweitens die Frage, wie die Vielen, wenn sie doch nur Realisationen oder Objectivationen oder Erscheinungen des Einen sind, sich in Streit und Zwietracht gegen einander kehren können. Das erste Problem, das der Individuation, wird in[159] einem besonderen Capitel (C. XI) behandelt werden, und nur unter der Voraussetzung, dass dieses in befriedigender Weise gelöst werden wird, hat es überhaupt einen Sinn, sich mit der zweiten Frage zu beschäftigen. Hier will ich nur soviel sagen, dass eine Selbstentzweiung nur dann unbegreiflich sein würde, wenn das Eine seine Einheit (und mit ihr ein Stück seiner Wesenheit) aufgäbe, dass hingegen eine Selbstentzweiung zu einer secundären (weil phänomenalen) Vielheit, bei welcher die Einheit in der Vielheit gewahrt bleibt, gerade erst die Mannichfaltigkeit in die abstracte Einheit bringt, oder genauer ausgedrückt, dass ein Auseinandergehen des Einen zur Vielheit nichts Anstössiges haben kann, wenn damit nur nicht Zersplitterung der Einen Substanz in viele isolirte Substanzen, sondern Manifestation des Eins seienden und bleibenden Wesens in einer Vielheit von Functionen gemeint ist. Ist aber diese Vielheit verschiedener Functionen einmal gegeben, so muss nothwendig in Folge des Umstandes, dass sie Functionen Eines Wesens sind, die ideale Verschiedenheit ihres Inhalts einen nach Ausgleichung strebenden ideellen Einfluss auf einander ausüben, welcher ideelle Compromiss aber dadurch zum realen Conflict wird, dass die einander compromittirenden ideellen Momente zugleich Inhalte realer Willensacte sind. Es ist also ganz derselbe Process, der sich im Bewusstsein des Individuums als Kampf zwischen verschiedenen Strebungen, Begehrungen und Affecten vollzieht; so gut hier ein Streit möglich ist unbeschadet der Einheit der Seele, deren Functionen die sich kreuzenden Begehrungen sind, ebensogut auch im All-Einen Unbewussten; der Kampf zweier Leidenschaften in einer Menschenseele braucht an Wuth und aufreibender Erbarmungslosigkeit wahrlich den Vergleich mit dem Kampf zweier hungrigen Wölfe nicht zu scheuen. Der Unterschied ist nur der, dass, was auf subjectivem Boden innerhalb eines Individuums vor sich gebt, sich der directen Beobachtung für Dritte entzieht, während der Kampf verschiedener individualisirter Willensacte des Unbewussten dadurch eine objectiv-phänomenale Realität besitzt, dass die in Conflict befindlichen Individuen einander und andre unbetheiligte Individuen unmittelbar sinnlich afficiren. – Stellt man hingegen die Frage so: »warum müssen die vielen Functionen des Einen Wesens so beschaffen sein, dass sie mit einander collidiren, anstatt ungestört nebeneinander herzulaufen?« so ist die Antwort in Cap. C. III. zu suchen: »Ohne Collision verschiedener Willensacte kein Bewusstsein« – und das Bewusstsein ist es, worauf es ankommt.[160]

Bisher haben wir einerseits gezeigt, dass es keinen Grund giebt und geben kann, der gegen die Einheit des Unbewussten spräche, und haben andrerseits verschiedene aposteriorische Wahrscheinlichkeitsgründe für dieselbe beigebracht. Wir können aber auch die Frage unmittelbar durch Deduction aus bereits feststehenden Voraussetzungen, also im Aristotelischen Sinne des Worts a priori erledigen.

Das Unbewusste ist unräumlich, denn es setzt erst den Raum (die Vorstellung den idealen, der Wille durch Realisirung der Vorstellung den realen). Das Unbewusste ist also weder gross noch klein, weder hier noch dort, weder im Endlichen, noch im Unendlichen, weder in der Gestalt noch im Puncte, weder irgendwo noch nirgends. Daraus folgt, dass das Unbewusste keine Unterschiede räumlicher Natur in sich haben kann, ausser sofern es dieselben im Vorstellen und Wirken setzt. Wir dürfen mithin nicht sagen: das, was in einem Atom des Sirius wirkt, ist etwas Anderes, als das, was in einem Atome der Erde wirkt, sondern nur: es wirkt auf andere Weise, nämlich räumlich verschieden. Wir haben zwei Wirkungen, ohne das Recht, zwei Wesen für diese Wirkungen zu supponiren; denn die Verschiedenheit der Wirkungen lässt nur auf eine Verschiedenheit der Functionen im Wesen, die Verschiedenheit zweier Functionen aber keineswegs auf die Nichtidentität des functionirenden Wesens schliessen. Wir müssen nochmals betonen: wir sind genöthigt, so lange bei der einfachsten Annahme (der Identität des functionirenden Wesens) stehen zu bleiben, bis die Gegner den Beweis der Nichtidentität geführt haben; ihnen, nicht uns liegt die Beweislast ob, da sie Vieles, wir nur Eines supponiren. Jedenfalls ist soviel von uns streng erwiesen, dass dem Unbewussten keine Vielheit des Wesens durch räumliche Bestimmungen zukommen kann, weil ihm eben keine räumliche Bestimmungen zukommen. Bei zeitlichen Unterschieden ist dies noch viel klarer, da wir ja auch so gewöhnt sind, die Identität des continuirlich wirkenden Wesens trotz aller zeitlichen Verschiedenheit, trotz des Früher oder Später der Wirkungen, anzuerkennen. Nun giebt es aber, objectiv genommen, keine anderen, als räumliche Unterschiede; denn was wir sonst noch an Unterschieden kennen, die Unterschiede der Vorstellungen unter einander und der Unterschied des Wollens und Vorstellens, sind innere subjective Unterschiede verschiedener Thätigkeiten desselben Wesens oder Subjectes, nicht aber ein Unterschied verschiedener Wesen oder Subjecte. Von dem Unterschiede verschiedener Vorstellungen[161] unter einander ist dies ohne Weiteres klar, aber es gilt auch für den durch alle Individuen der Natur sich durchziehenden Unterschied der beiden Grundthätigkeiten Wollen und Vorstellen, denn das Unbewusste ist Eines im Wollen wie im Vorstellen, nur dass es hier will und dort vorstellt,A23 es verhält sich zu jenen Thätigkeiten wie Spinoza's Substanz zu ihren Attributen. (Näheres darüber in Cap. C. XV. 4.) Alle uns bekannte Unterscheidung zwischen Existirendem läuft auf räumliche und zeitliche Bestimmungen hinaus. Raum und Zeit sind das einzige uns bekannte principium individuationis. Mit Schopenhauer zu behaupten, dass sie das einzig mögliche pr. ind. seien, wäre zu viel behauptet, denn es könnte ja Welten geben, in denen andre Daseinsformen als Raum und Zeit herrschen. Aber abgesehen davon, dass die Beweislast für die Existenz solcher auf die Schultern der Gegner fällt, und wir bis zur unmöglichen Erbringung dieses Beweises uns um solche leere Möglichkeiten nicht zu kümmern haben, so würden doch auch solche Daseinsformen in ihren betreffenden Welten, ebenso wie Raum und Zeit bei uns, nur phänomenale Bedeutung haben, d.h. es würde sich nachweisen lassen, dass sie ebenso wenig Bestimmungen des Unbewussten sein können wie bei uns Raum und Zeit, und sie würden mithin ebenso untauglich wie diese sein zur Begründung einer Vielheit des Wesens im Unbewussten. Wenn also dem Unbewussten weder durch räumliche, noch sonstige Unterschiede eine Vielheit des Wesens aufgebürdet werden kann, so muss es eben eine einfache Einheit sein.

Wir können diesem directen Nachweis aus zugestandenen Voraussetzungen noch einen indirecten hinzufügen. Gesetzt den Fall nämlich, dass die phänomenale Getrenntheit der Individuen nicht bloss auf einer Vielheit der Functionen des ihnen zu Grunde liegenden Wesens, sondern auf einer Nichtidentität des Wesens, auf einer Vielheit seiender Substanzen beruhte, so wären unter den Individuen keine realen Relationen möglich, wie sie doch thatsächlich bestehen. Es ist dies eine der grössten Leistungen des grossen Leibniz, dass er diesen Satz trotz seiner höchst fatalen (und auch seinem System verderblichen) Consequenzen ehrlich und unumwunden einräumte: Herbart steht auch hierin viel tiefer, denn nachdem er aus der Vielheit des Scheins den falschen Schluss auf die Vielheit (statt auf die Vielseitigkeit) des Seins gemacht hat, setzt er die gegenseitigen Störungen dieser vielen Seienden (einfachen Realen) als etwas Selbstverständliches, statt sie wie Leibniz als etwas Unmögliches zuzugeben. Wer einmal viele Substanzen anerkennt (d.h. viele Wesen,[162] deren jedes in sich subsistirt, und fortsubsistiren würde, auch wenn alles andre rings umher plötzlich aufhörte zu subsistiren), der muss auch eingestehen, dass diese Monaden nicht nur keine Fenster haben können, durch die ein influxus idealis hineinscheinen könnte, sondern dass auch keine Möglichkeit abzusehen ist, wie dieselben, die doch keinen Theil an einander und nichts mit einander gemein haben, in irgend welche metaphysische Berührung sollten treten können. Jede einzelne müsste vielmehr eine isolirte Welt für sich darstellen. Wollte man ein metaphysisches Band supponiren, dem die Rolle der Vermittelung zufiele, so wäre die Schwierigkeit zu lösen, wie diese neu hinzutretende Substanz mit jeder der vorhandenen Substanzen in reale Beziehung treten könnte. Denn wollte man sich dieses Band etwa als eine Function des Absoluten oder als das Absolute selbst denken, so ist (abgesehen davon, dass bei vielen Substanzen eigentlich nicht von Einem Absoluten, sondern nur von so vielen Absoluten, als Substanzen sind, die Rede sein kann) hiergegen zu bemerken, dass eine reale Beziehung zwischen einem sogenannten Absoluten und einer der vielen Substanzen nur deshalb minder unbegreiflich erscheint, als die Beziehung zwischen zweien der vielen Substanzen, weil die Phantasie dem sogenannten Absoluten williger das Vermögen zu unbegreiflichen Leistungen zuzuschreiben geneigt ist. Der Einfluss des Absoluten auf die Vielen wird aber nur dann begreiflich, wenn das sogenannte Absolute aus einer thatsächlich durch die Vielen beschränkten Substanz zu einer unbeschränkten, wahrhaft allumfassenden wird, welche also die Vielen als integrirende Theile ihrer selbst enthält. Dann sind aber in Wahrheit die Vielen ihrer Selbstständigkeit und Substantialität entkleidet, und zu aufgehobenen Momenten des Einen Absoluten herabgesetzt. Diesen Schritt, der den intendirten Pluralismus letzten Endes wieder in Monismus auflöst, haben sowohl Leibniz in der allumfassenden Centralmonade, als auch Herbart in dem geglaubten Gott-Schöpfer zu thun sich genöthigt gesehen, ohne jedoch die Unverträglichkeit dieser Wendung mit der Beibehaltung der Grundlagen ihrer Systeme ausdrücklich anzuerkennen, und ohne diesen Schritt zur Erklärung des influxus physicus oder der Causalität der Monaden unter einander zu verwerthen, welche ohne jenen nothwendig scheitern muss, durch die Wesensidentität der Vielen in dem Einen sich aber völlig ungezwungen ergiebt.A24

Wenngleich der Pluralismus nicht im Stande ist, sich in seiner eigentlichen Gestalt zu behaupten, sobald er seine Consequenzen[163] sich zum Bewusstsein bringt, so sucht er dennoch dem täuschenden Schein des Bewusstseins zu Liebe sich gleichsam in verschämter Form innerhalb eines widerwillig zugestandenen Monismus aufrecht zu erhalten. Hierzu dient zunächst der in sich widerspruchsvolle Begriff der abgeleiteten Substanz. Substanz ist das, was in sich (nicht in einem andern) ist und durch sich (ohne Hülfe eines andern) subsistirt; die abgeleitete Substanz aber soll nicht in sich, sondern in der absoluten Substanz sein, und nicht durch sich, sondern nur durch die absolute Substanz subsistiren. Die abgeleitete Substanz erweist sich also als Nichtsubstanz, sie erweist sich als bestimmte Art und Weise (modus) der Manifestation des Absoluten, oder, wie wir es jetzt nennen, als Phänomen. Nun versucht der Pluralismus weiter, wenigstens das Phänomen des individuellen Geistes zu einer höheren Kategorie von Phänomenen zu erheben, oder die übrigen Phänomene um eine Stufe herabzudrücken, als ob sie erst mittelbar aus jenem Phänomen resultirten. Dies ist aber so unrichtig, dass in gewissem Sinne das Gegentheil wahr ist, insofern nämlich der individuelle Geist von der einen Seite erst aus den materiellen Phänomenen resultirt. Indem das von der unbewussten Centralsonne ausgestrahlte Licht auf die Hohlspiegel der Organismen trifft, wird es reflectirt und vereinigt sich in dem Brennpuncte des selbstbewussten Geistes; so entstehen die separaten Centra der individuellen bewussten Geister, aber mit diesen communicirt das absolute Centrum nicht direct, sondern nur vermittelst der den Organismus (das Gehirn) treffenden unbewussten Strahlen (Functionen), die von diesem zum Brennpuncte des Bewusstseins reflectirt werden. Von diesen separaten Centren gehen keine jener Functionen aus, die dem unbewussten Regens des Organismus zugeschrieben werden; sollte also in Bezug auf letzteres auch noch für jedes Individuum ein separates Centrum angenommen werden, so müsste es ein zweites, neben jenem ersten sein; in diesem zweiten müsste man sich dann die vom absoluten Centrum ausgehenden Functionsstrahlen geknickt oder gebrochen denken. Wie eine solche Knickung an solchem imaginären Centrum zu Stande kommen sollte, wäre hier ganz unverständlich, während die Reflexion an dem Organismus, resp. an seinem Bewusstseinsorgan, ein ganz wohl verständliches Bild ist. Es wird aber durch die gehäuften Schwierigkeiten dieser separaten Centra für die Erklärung der Thatsachen auch nicht das Geringste gewonnen; d.h. diese nicht substantiell zu denkenden, sondern ideellen mathematischen Knickungspuncte der[164] Functionsstrahlen des absoluten Centrums bilden eine bloss erschwerende und unnütz zwischengeschobene Hypothese.

Wie man es auch versuchen möge, den Individuen eine über die der einfachen Phänomenalität hinausgehende Realität und Selbstständigkeit zu retten, es ist verlorene Liebesmühe zu Gunsten der unphilosophischen Liebhabereien des auf sein Ich versessenen Bewusstseins. Wie alle Vielheit der Individuation dem Gebiete der Phänomenalität angehört, so fällt alles jenseits der Phänomenalität Gelegene auch ausserhalb der Vielheit der Individuen in das All-Eine Unbewusste und seine unmittelbare Thätigkeit. Nur auf diese Weise vermag die absolute Centralmonade des Leibniz den ihr anhaftenden Widerspruch abzustreifen, nämlich indem sie sich wieder mit Spinoza's Einer Substanz identificirt, in welcher die vielen Individuen oder Monaden zu unselbstständigen Erscheinungsformen oder modis herabgesetzt sind.

Dieses Zurückgehen von Leibniz auf Spinoza ist aber so wenig ein Rückschritt, wie das Zurückgehen von dem Standpuncte der heutigen Naturwissenschaft; in beiden Fällen ist man durch die Fortschritte der Empirie und Induction in Stand gesetzt, mystisch-geniale Conceptionen eines Früheren a posteriori zu begreifen und zu begründen. Ein solches Zurückgehen auf die grossen Vorgänger ist also ein wahrhafter Fortschritt und ein bleibender Gewinn; denn es sei mir vergönnt, noch einmal daran zu erinnern, dass der Gang der Philosophie die Umwandlung mystisch-genialer Conceptionen in rationelle Erkenntniss ist. (Vgl. Cap. B. IX.)

Wo wir uns auch umblicken unter den genialen philosophischen oder religiösen Systemen ersten Ranges, überall begegnen wir dem Streben nach Monismus, und es sind nur Sterne zweiten und dritten Ranges, die in einem äusserlichen Dualismus oder noch grösserer Zersplitterung Befriedigung finden. Selbst in ausgesprochen polytheistischen Religionen, wie die griechische und die verschiedenen nordischen Mythologien, erkennt man dies Streben nach Monismus sowohl in den ältesten Fassungen, als in den späteren Auffassungen tieferer religiöser Gemüther, und auch in den philosophischeren Auffassungen des christlichen Monotheismus ist die Welt nur eine von Gott gesetzte Erscheinung, die nur so lange Bestand (Subsistenz) hat, als sie von Gott erhalten, d.h. unaufhörlich neu gesetzt wird. Es ist nicht allen nach Monismus strebenden Systemen gelungen, denselben wirklich zu erreichen, doch fühlt man das unverkennbare Bedürfniss nach einer einheitlichen Weltanschauung heraus, und nur[165] die seichteren religiösen und philosophischen Systeme haben sich mit einem äusserlichen Dualismus (z.B. Ormuzd und Ahriman, Gott und Welt, Weltordner und als Chaos gegebene Materie, Kraft und Stoff u.s.w.) oder gar einer Vielheit begnügt. Es giebt gar keine näher liegende Conception für den mystisch Erregbaren, als die, die Welt als einheitliches Wesen aufzufassen, sich als Theil dieses Wesens zu fühlen, aber als Theil, in dem zugleich das Ganze wohnt, und in dem Contrast des Ich mit jenem die Erhabenheit des letzteren und die Theilnahme des Ich an derselben religiös zu geniessen. In Folge des Christenthums hat man dies Eine Wesen im Deutschen Gott genannt, und die Anschauung, welche behauptet, dass dieses Eine Wesen das All oder das Ganze ist, demgemäss Pantheismus (im weitesten Sinne des Wortes) betitelt. Recht verstanden kann man sich das Wort gewiss gefallen lassen, ich ziehe aber wegen der Missverständnisse, denen es ausgesetzt ist, das nach unserer Erklärung von Pantheismus mit demselben gleichbedeutende Wort Monismus vor. Der orthodoxe Katholicismus und der seicht rationalistische Protestantismus, welche beide Gott zu erheben glaubten, indem sie ihn anthropopathisirend verkleinerten, haben freilich die tieferen Geister in der christlichen Kirche, welche das Bedürfniss dieses Monismus erkannten und aussprachen, stets verketzert und verbrannt (z.B. Eckhart, Giordano Bruno), aber aus allen solchen Verfolgungen ist das Streben nach monistischer Läuterung des Christenthums immer nur gestärkt hervorgegangen, und hat immer mehr Kraft über die urtheilsfähigen Geister gewonnen. Schelling sagt: »Dass bei Gott allein das Sein, und daher alles Sein nur das Sein Gottes ist, diesen Gedanken lässt sich weder die Vernunft, noch das Gefühl rauben. Er ist der Gedanke, dem allein alle Herzen schlagen« (Werke Abth. II, Bd. 2, S. 39); und: »Dass Alles aus Gott sei, hat man von jeher gleichsam gefühlt, ja man kann sagen: eben dieses sei das wahre Urgefühl der Menschheit« (Werke Abth. II, Bd. 3, S. 280). Dieses mystische Urgefühl der Menschheit zieht sich als ein zwar oft nur höchst mangelhaft realisirtes, aber mit Ausnahme der Skeptiker stets erkennbares Streben nach Monismus wie ein rother Faden durch die gesammte Philosophie von den ältesten indischen Ueberlieferungen bis auf die neueste Zeit. Da ein noch so flüchtiger Ueberblick über das Ganze für unseren Raum unthunlich ist, so beschränke ich mich darauf, die neueste Epoche in dieser Hinsicht mit wenigen Strichen zu skizziren.

Das Wesen, welches der Erscheinung des Wahr nehmungsobjects[166] zu Grunde liegt, nannte Kant das »Ding an sich«. Es ist merkwürdig, dass Kant aus seiner Lehre, dass Raum und Zeit nicht dem Ding an sich, sondern nur seiner Erscheinung zukommen, niemals die so auf der Hand liegende Consequenz gezogen hat, dass es nicht Dinge an sich, sondern nur Ding an sich im Singular geben könne da alle Vielheit erst durch Raum und Zeit entsteht; dagegen hat er selbst (Kaufs Werke II. 288-289 und 303) die Bemerkung ausgesprochen, dass wohl das Ding an sich und das dem empirischen Ich zu Grunde liegende Intelligible ein und dasselbe Wesen sein könnte, da sich zwischen beiden schlechterdings kein Unterschied mehr angeben lässt. Dies ist einer der Züge, wo das unwillkürliche Streben grosser Geister nach Monismus sich nicht verläugnen kann. Dass Kant trotzdem in solchen Consequenzen so zaghaft war, liegt darin, dass er den Anfang der modernen Epoche der Philosophie bildete, einer Epoche, in welcher die früher auf ein oder zwei Genies concentrirte Arbeit auf die Schultern mehrerer vertheilt werden musste, weil diese Arbeit um so schwieriger wurde, je öfter die alten Probleme in neuer und zugespitzterer Form wieder auftauchten, und je mehr der Umkreis des Wissens und der Erfahrung sich erweiterte.

Was Kant als zaghafte Vermuthung aufstellte, dass das Ding an sich und das thätige Subject ein und das selbe Wesen sein möchten, das sprach Schopenhauer als kategorische Behauptung aus, indem er als den positiven Charakter dieses Wesens den Willen erkannte (vgl. meine »Gesammelten philos. Abhandlungen« Nr. III).A25 Es ist schon oben (I, 25-20 und 103) erwähnt, dass Schopenhauer's Wille sich ganz so benimmt, als ob er mit Vorstellung verbunden wäre, ohne dass Schopenhauer dies zugiebt.

Fichte verkannte die Wahrheit jener Kant'schen Andeutung; er spricht der Erscheinung des Dinges jedes vom erkennenden Subject unabhängige Wesen ab, und macht sie zu einer ganz vom vorstellenden Subjecte gesetzten Erscheinung. So verliert das Ding an sich seine Wesenheit in unmittelbarer Weise an das Ich. Nur was in der Form eines Ich existirt, hat bei Fichte Wesen, und die todte Natur, soweit sie in diese Form nicht eingeht, bleibt eine rein subjective, d.h. bloss vom Subjecte gesetzte Erscheinung. Aber auch Fichte muss auf seine Weise auf den Monismus zustreben; das Ich streift den zufälligen Charakter dieses oder jenes beschränkten empirischen Ich's ab, indem es sich zum absoluten Ich erhebt. Das absolute Ich ist das Wesen, welches allein alle die verschiedenen[167] zufälligen, empirischen beschränkten Ich's ist, denn das Wesen, welches sich im Processe des absoluten Ich entwickelt, ist dasselbe, welches diesen Process in seiner zufälligen empirischen Beschränkung hervorbringt, so dass hiermit die vielen Ich's auch wieder nur zu Erscheinungen des Einen absoluten herabgesetzt werden.

Schelling sucht in seinem transcendentalen Idealismus den Reichthum der bei Fichte in das kable Abstractum des Nichtich's zusammengeschrumpften Aussenwelt in der Mannigfaltigkeit ihrer Bestimmungen aus der Thätigkeit des Ich's zu deduciren; indem er aber die Uebereinstimmung der Anschauungen der verschiedenen beschränkten Ich's aus der ebenfalls stark betonten Einheit der unendlichen Intelligenz oder des absoluten Ich's in den endlichen Intelligenzen oder beschränkten Ich's erklärt, führt ihn nothwendig der Standpunct des transcendentalen Idealismus zur Naturphilosophie, wo er ohne Berücksichtigung der beschränkten Ich's die Deduction der ausserweltlichen Bestimmungen unmittelbar vom absoluten Ich oder reinen Subjecte aus vornimmt, und hier unter anderen natürlichen Bestimmungen selbstverständlich auch auf den Geist und seine Producte trifft. In beiden Systemen geht er von der Identität des Subjectes und Objectes aus, nur erscheint dieses absolute Subject-Object das eine Mal mehr von der subjectiven, das andere Mal mehr von der objectiven Seite.A26

Die hierbei benutzte Methode des sich stufenweise als Object setzenden reinen Subjectes, das sich aus jeder Objectivation in seine stufenweise gesteigerte Subjectivität zurücknimmt, führte Hegel zu seiner dialectischen Methode aus.

»Die Methode ist nur die Bewegung des Begriffes selbst, aber mit der Bedeutung, dass der Begriff Alles und seine Bewegung die allgemeine absolute Thätigkeit ist.«

Hegel erkannte, dass die Schelling'sche Deduction entweder gar keinen oder einen rein logischen Werth als Process im Reiche des Denkens habe, aber er erhob den Anspruch, dass seine hierauf gebaute Logik zugleich Ontologie, dass der Begriff Alles, d.h. alleinige Substanz und alleiniges absolutes Subject, und dass der Weltprocess reine dialectische Selbstbewegung des Begriffes sei, dass also für ein eigentlich Unlogisches, d.h. Alogisches (nicht Antilogisches) kein Raum zur Existenz bleibe; denn in seinem imposant geschlossenen Systeme war die Welt erschöpft mit dem zur absoluten Idee gesteigerten Begriffe, mit der in der Natur[168] ausser sich gekommenen und im Geiste wieder zu sich gekommenen absoluten Idee (vgl. meine »Ges. phil. Abhandl.« Nr. II)A27

Schelling in seinem letzten Systeme (vgl. »Schelling's positive Philosophie als Einheit von Hegel und Schopenhauer«, Berlin, O. Löwenstein 1869; besonders den zweiten und dritten Abschnitt) behauptete die Negativität, d.h. rein logische oder rein rationale Beschaffenheit der Hegel'schen Philosophie; er sprach ihr also ab, dass sie sagen könne, was und wie es sei, und gab nur zu, dass sie sagen könne: wenn etwas ist, so muss es so sein. Er erklärte, dass in der Hegel'schen und allen ihr vorausgehenden Philosophien nur von einem ewigen Geschehen die Rede sein könne; »ein ewiges Geschehen ist aber kein Geschehen. Mithin ist die ganze Vorstellung jenes Processes und jener Bewegung eine selbst illusorische, es ist eigentlich Nichts geschehen, Alles ist nur in Gedanken vorgegangen und diese ganze Bewegung war nur eine Bewegung des Denkens« (Werke I. 10. S. 124-125).

Er erklärt die Existenz für das wahrhaft Uebervernünftige, was als Wirklichkeit nun und nimmermehr in der Vernunft sondern nur in der Erfahrung sein kann (Werke II. 3. S. 69) und nennt in dieser Hinsicht die Natur und Erfahrung das der Vernunft Fremdartige (ebenda S. 70). Wenn schon die absolute oder höchste Idee keinen realen Werth hat, wenn sie nicht mehr als blosse Idee, wenn sie nicht das wirklich Existirende ist (II. 3. S. 150), so könnte selbst diese Idee nicht einmal als Gedanke sein, wenn sie nicht Gedanke eines sie denkenden Subjectes wäre (I. 10. S. 132): man muss also in doppelter Hinsicht über die Idee als solche hinausgehen zu einem ausser und unabhängig vom Denken Seienden, zu etwas allem Denken Zuvorkommenden (II. 3. S. 164), zu einem unvordenklichen Sein. So lange man vom Standpuncte der rein rationalen oder negativen Philosophie vom Seienden spricht, spricht man also eigentlich von demselben nur seinem Wesen oder seinem Begriffe nach, mehr kann man eben a priori nicht erreichen; die Frage aber, mit der die positive Philosophie beginnt, steht nach demjenigen, welches (grammatikalisches Subject) das Seiende (grammatikalisches Object) ist, oder, wie Schelling sich auch ausdrückt, welches das Seiende istet, oder »diesem, das nicht seiend (mê on), blosse Allmöglichkeit ist, Ursache des Seins aitia tou einai wird.« »Erkannt ist das Eine dadurch oder darin, dass es das allgemeine Wesen ist, das pan das Seiende dem Inhalte nach (nicht das effectiv Seiende).[169] Damit ist es erkannt und unterschieden von anderen Einzelwesen, als das Einzelwesen, das Alles ist.« (II. 3. S. 174.)

Man vergleiche hiermit die schon in der Einleitung (I, 22) angeführte Stelle aus dem transcendentalen Idealismus, so wird man finden, dass Schelling schon in seinem ersten Systeme unter dem »ewig Unbewussten« sich im Wesentlichen das Nämliche gedacht hat, was er in seinem dritten Systeme zur Grundlage der positiven Philosophie erhebt.

So haben wir in allen Philosophien der neueren Epoche dieses Strebens nach Monismus auf die eine oder andere Art, vollständiger oder unvollständiger realisirt gesehen. Was in der historischen Entwickelung als der letzte Gipfel der speculativen Arbeit der Neuzeit sich darstellt, das Schelling'sche »Einzelwesen, das alles Seiende ist«, dasselbe haben wir a posteriori auf inductivem Wege entwickelt oder vielmehr gleichsam unwillkürlich gewonnen, nun aber nicht mehr als ein nur Wenigen zugängliches speculatives Princip, sondern mit dem vollgültigen Nachweis seiner empirischen Berechtigung. Indem wir nämlich das Gebiet des Unbewussten sorgfältig von dem des Bewusstseins trennten, und das Bewusstsein als eine blosse Erscheinung des Unbewussten erkannten (Cap. C. III.), zerflossen die Widersprüche, in welchen das natürliche Bewusstsein sich bei seinem Streben nach monistischer Anschauung unvermeidlich verstrickt und verfängt. Aber nicht bloss das Bewusstsein, sondern auch die Materie hatte sich (Cap. C. V.) uns als eine blosse Erscheinung des Unbewussten ausgewiesen, und Alles in der Welt, was nicht durch die Begriffe Materie und Bewusstsein erschöpft ist, wie das organische Bilden, die Instincte u.s.w., hatte sich (in den Abschnitten A und B) als die am unmittelbarsten und leichtesten erkennbaren Wirkungen des Unbewussten herausgestellt.

Hiermit war 1) Materie, 2) Bewusstsein und 3) organisches Bilden, Instinct u.s.w. als drei Wirkungsweisen oder Erscheinungsweisen des Unbewussten, und letzteres als das Wesen der Welt begriffen. Nach dem wir endlich den Begriff der Individualität einerseits und die eigenthümliche Natur des Unbewussten andererseits mit dem Verständnisse, so weit erforderlich, durchdrungen hatten, war uns der letzte Grund zur Annahme einer Wesensvielheit im Unbewussten unter den Händen entschwunden, alle Vielheit gehörte nunmehr nur noch der Erscheinung an, nicht dem Wesen, welches jene setzt, sondern dieses ist das Eine absolute Individuum, das Einzelwesen, das Alles ist, während die Welt mit ihrer Herrlichkeit[170] zur blossen Erscheinung herabgesetzt wird, aber nicht zu einer subjectiv gesetzten Erscheinung, wie bei Kant, Fichte und Schopenhauer, sondern zu einer objectiv (wie Schelling – Werke II. 3. S. 280-sagt: »göttlich«) gesetzten Erscheinung, oder, wie Hegel es ausdrückt (Werke VI. S. 97), zur »blossen Erscheinung nicht nur für uns sondern an sich«.10 Was uns als Stoff erscheint,[171] »ist blosser Ausdruck eines Gleichgewichtes entgegengesetzter Thätigkeiten« (Schelling's Werke I. 3. S. 400), was uns als Bewusstsein erscheint, ist ebenfalls blosser Ausdruck eines Widerstreites entgegengesetzter Thätigkeiten. Jenes Stück Materie dort ist ein Conglomerat von Atomkräften, d.h. von Willensacten des Unbewussten, von diesem Puncte des Raumes aus in dieser Stärke anzuziehen, von jenem Puncte in jener Stärke abzustossen; das Unbewusste unterbreche diese Willensacte und hebe sie auf, so hat in demselben Moment dieses Stück Materie aufgehört zu existiren; das Unbewusste wolle von Neuem, und die Materie ist wieder da. Hier verliert sich das Ungeheuerliche der Schöpfung der materiellen Welt in das alltägliche, jeden Augenblick sich erneuernde Wunder ihrer Erhaltung, welche eine continuirliche Schöpfung ist. Die Welt ist nur eine stetige Reihe von Summen eigenthümlich combinirter Willensacte des Unbewussten, denn sie ist nur, so lange sie stetig gesetzt wird; das Unbewusste höre auf, die Welt zu wollen, und dieses Spiel sich kreuzender Thätigkeiten des Unbewussten hört auf zu sein.

Es ist eine vor der gründlichen Betrachtung verschwindende Täuschung, eine Sinnestäuschung im weiteren Sinne, wenn wir an der Welt, an dem Nichtich, etwas unmittelbar Reales zu haben glauben; es ist eine Täuschung des egoistischen Instinctes, wenn wir an uns selber, an dem lieben Ich, etwas unmittelbar Reales zu haben glauben; die Welt besteht nur in einer Summe von Thätigkeiten oder Willensacten des Unbewussten, und das Ich besteht in einer anderen Summe von Thätigkeiten oder Willensacten des Unbewussten; nur insoweit erstere Thätigkeiten letztere kreuzen, wird mir die Weltempfindlich, nur insoweit letztere die ersteren kreuzen, werde ich mir empfindlich. Im Gebiete der Vorstellung oder reinen Idee besteht das ideell Entgegengesetzte friedlich nebeneinander und geht höchstens ruhig und ohne Stürme logische Verbindungen mit einander ein; erfasst aber ein Wille diese ideell Entgegengesetzten und macht sie zu seinem Inhalt, so treten die mit entgegengesetztem Inhalt erfüllten Willensacte in Opposition, sie gerathen in realen Widerstreit (vgl. oben S. 160), in welchem sie sich gegenseitig Widerstand leisten und einander aufzuheben drohen, was entweder dem einen ganz gelingt, oder beiden theilweise, so dass sie sich gegenseitig zu einem Compromiss beschränken. Nur in diesem Widerstreit, dem gegenseitig geleisteten Widerstand der individuell vertheilten Willensacte des All-Einen entsteht und besteht das, was[172] wir Realität nennen. Nicht ein unwirksames passives Substrat, wie etwa der in Cap. C. V. kritisirte Stoff vorgestellt wird, sondern nur eine wirksame actuelle Function kann das Prädicat der Wirklichkeit in Anspruch nehmen.A29Dieser Tisch z.B. documentirt seine Wirklichkeit für mich durch die Abstossungskräfte, welche die Aetheratome seiner Oberflächenmolecüle gegen die Oberflächenmolecüle meines Körpers bei der Annäherung über eine bestimmte Grenze in rasch steigender Progression entwickeln; diese Collision der ihn constituirenden Atomwillen mit den meinen Körper constituirenden Atomwillen ist ein Theil der Wirksamkeit oder Wirklichkeit des Tisches, und die Totalität seiner Wirklichkeit besteht in der Summe aller Collisionen, in welchen sich die den Tisch constituirenden Atomwillen mit allen übrigen Atomen der Welt befinden. Gäbe es gar nichts in der Welt als diesen Tisch, so würde zwar seine Realität eine viel beschränktere sein, aber sie wäre immer noch nicht aufgehoben, weil die den Tisch constituirenden Atomwillen, wenn auch nicht mehr nach aussen, so doch immer noch unter einander in actuellen Collisionen sich befinden würden Dächte man sich aber alle Atome der Welt bis auf Eines plötzlich vernichtet, so wäre dadurch in der That auch die Wirklichkeit oder Realität dieses Einen mitvernichtet, da es durch den Mangel eines Objectes seiner Kraftäusserung ausser Stand gesetzt wäre, zu wirken, d.h. actuell zu functioniren.

Das Unbewusste ändere die Combination von Thätigkeiten oder Willensacten, welche mich ausmacht, und ich bin ein Anderer geworden; das Unbewusste lasse diese Thätigkeiten aufhören, und ich habe aufgehört zu sein. Ich bin eine Erscheinung wie der Regenbogen in der Wolke; wie dieser bin ich geboren aus dem Zusammentreffen von Verhältnissen, werde ein Anderer in jeder Secunde, weil diese Verhältnisse in jeder Secunde andere werden, und werde zerfliessen, wenn diese Verhältnisse sich lösen; was an mir Wesen ist, bin ich nicht. An derselben Stelle kann einmal ein anderer Regenbogen stehen, der diesem völlig gleicht, aber doch ist er nicht derselbe, denn die zeitliche Continuität fehlt; so kann auch an meiner Statt einmal ein mir völlig gleiches Ich stehen, aber das werde ich nicht mehr sein; nur die Sonne strahlt immer, die auch in dieser Wolke spielt, nur das Unbewusste waltet ewig, das auch in meinem Hirn sich bricht.

Die hier in grossen Zügen verzeichneten Resultate werden in den Capiteln IX – XI eine mannigfaltige Anwendung und Ausführung[173] im Einzelnen finden, welche hoffentlich dazu beitragen werden, sie dem bisher in der Anschauungsweise des practisch sinnlichen Instinctes befangenen Leser minder abstossend erscheinen zu lassen; zunächst aber wollen wir versuchen, eine solche Verdeutlichung der bisher erlangten Resultate durch eine Anseinandersetzung des All-Einen Unbewussten mit demjenigen Gottesbegriff zu erzielen, welchen unsre Gebildeten aus der Schulmetaphysik der in Europa verbreiteten Religionen in's Leben mitzubringen pflegen.[174]

A22

S. 158 Z. II. Ein Schüler Haekel's, Max Verworn, hat in seinen »Psycho-physiologischen Protistenstudien« (Jena 1889) durch zahlreiche Theilungsversuche an Moneren nachgewiesen, dass jedes kernlose Theilchen des Protaplasmakörpers dieselben spontanen und Reizbewegungen macht wie das kernhaltige Ganze, dass also weder im Kern noch in einem andern Theile ein einheitliches Centrum für die psychischen Leistungen gesucht werden darf (S. 211). Für eine monadologische Auffassung der Seele ist dieser Nachweis vernichtend: aber eine monistische Auffassung der psychischen Funktionen wird von ihr nicht nur nicht widerlegt, sondern geradezu unterstützt. Denn die monistische Ansicht des Seelenlebens besteht ja eben darin, dass ein ausserräumliches, nirgends »sitzendes« unbewusstes psychisches Subjekt seine unbewussten psychischen Functionen auf alle gleich empfänglichen materiellen Theilchen des Organismus in gleicher Weise erstreckt, ganz unabhängig davon, ob dieselben zufällig organisch verbunden oder getrennt sind. Eine monadische Seelensubstanz müsste beim Zerschneiden des Organismus in mehrere Theilstücke mit zerschnitten werden, weil es nach der monadologischen Ansicht auf die substantielle Besonderung dieser Seele und ihre Zugehörigkeit zu diesem Leibe ankommt; ein monistisches Subjekt aller psychischen Functionen aber wird von der Zertheilung des Organismus gar nicht berührt, da nur die Functionen des monistischen Subjekts von nun an auf getrennte, wie vorher auf verbundene, materielle Theile grichtet werden. Hinsichtlich der Theilung eines Individuums scheint die materialistische und die monistische Ansicht gleich gut den Thatsachen zu entsprechen; hinsichtlich der Vereinigung vorher getrennter Theile aber gebührt der monistischen Ansicht der Vorrang, weil sie in dem einheitlichen Subjekt aller psychischen Acte auch die innere Bedingung für die Möglichkeit einer funktionellen psychischen Einheit darbietet, die materialistische Ansicht aber nur die äussere Bedingung der materiellen Leitung ohne die innere liefert und deshalb die Möglichkeit der psychischen Einheit als Resultat der äussern materiellen Vereinigung unbegreiflich lässt.

A23

S. 162 Z. 5. Da Wollen und Vorstellen im Unbewussten untrennbar verbunden sind und eine einzige Thätigkeit mit zwei ungeschiedenen, aber begrifflich wohl zu unterscheidenden Seiten ausmachen, so kann der Satz, dass das Unbewusste hier will und dort vorstellt, nichts anderes bedeuten, als dass es auf dieser Seite seiner einheitlichen Thätigkeit als wollendes, auf jener Seite als vorstellendes functionirt.

A24

S. 163 Z. 3 V. U. (Vgl. oben S. 123.) Es ist das geschichtliche Hauptverdienst Lotze's, dass er gegen die pluralistische Metaphysik Herbart's und Leibniz's die Unmöglichkeit einer Wechselwirkung unter solchen Voraussetzungen mit Nachdruck geltend gemacht und den Monismus als die einzige Voraussetzung auf seine Fahne geschrieben hat, unter welcher irgend welche Wechselwirkung zwischen Atomen, Dingen oder Individuen möglich sei. Dass er aber diesen Beweis in einer überzeugenden Weise geführt und von irreleitenden und abschwächenden Irrthümern frei gehalten habe, wird sich ebenso wenig behaupten lassen, als dass der auf dieser Grundlage von ihm errichtete Monismus in irgend welcher Hinsicht einen principiellen Fortschritt über die vorhergehenden monistischen Philosophen theistischer Richtung (Krause, Weisse, J. H. Fichte) aufweise. (Vgl. meine Schrift »Lotze's Philosophie«, speciell II 4: »Die Causalität« S. 83-98.)

A25

S. 167 Z. 16 v. u. »Ges. Stud. u. Aufsätze« Absch. C. Nr. IV.

A26

S. 168 Z. 18 v. u. »Ges. Stud. u. Aufsätze«. Abschn. D. Nr. II.

A27

S. 169 Z. 2. »Ges. Stud. u. Aufsätze.« Abschn. D. Nr. III.

10

Diese objectiv gesetzte Erscheinungswelt oder diese Welt der Erscheinung au sich ist das unentbehrliche causale Zwischenglied zwischen dem monistischen Wesen einerseits und den subjectiv-phänomenalen Vorstellungswelten der vielen verschiedenen Bewusstseine andrerseits; während sie sich zum alleinigen Unbewussten wie die Erscheinung zum Wesen verhält, verhält sie sich zu ihren subjectiven Spiegelbildern in den zahllosen Bewusstseinsindividuen wie das Ding an sich zu seinen (subjectiven) Phänomenen. Der subjective Idealismus begeht den Irrthum, die Unentbehrlichkeit dieses Zwischengliedes zu verkennen, und vom subjectiven Bewusstseins-Phänomen unmittelbar auf das letzte Wesen zurückgehen zu wollen, anstatt Eine objectiv seiende (nach Kantischer Terminologie transcendente) Welt der Dinge (nach Kant der Dinge an sich) als Urbild dieser vielen subjectiven Vorstellungswelten anzuerkennen, welche freilich auf das alleinige Wesen bezogen doch nur als »der Gottheit lebendiges Kleid« erscheint. Wie der alternde Kant und seine Schule diesen subjectivistischen Irrthum seiner Kritik d. r. V. wieder gut zu machen suchte, so Schelling den Fichte's durch Aufstellung seiner Naturphilosophie, so endlich der alternde Schopenhauer und noch mehr seine Jünger durch die Anerkennung einer vom betrachtenden Bewusstseinssubject unabhängigen Realität der individuellen Objectivationen des all-einigen Willens. (Vgl. hierzu oben Cap. B. VIII. S. 284-286). Von erkenntnisstheoretischer und metaphysischer Seite drängt Alles gleichmässig nach dem Begriffe der objectiven Erscheinung hin; in ihm trifft der bleibende Kern des theistischen Schöpfungs- und Erhaltungsbegriffs (vgl. Cap. C. VIII, auch oben S. 160 u. 163), des pantheistischen Emanationsbegriffs, des naturwissenschaftlichen Begriffs des »Dynamidensystems« (vgl. Cap. C. V), des Schelling-Schopenhauer'schen Begriffs der Objectivation des absoluten Subjects resp. Willens, des Herbart'schen Begriffs der »absoluten Position« im Gegensatz zu der bloss relativen Position für's Bewusstsein, d, h, also zur subjectiven Setzung oder Erscheinung, kurz in ihm trifft Alles zusammen, was jemals über die Beziehung des Daseins zu seinem metaphysischen Grunde gedacht worden ist. Dass das Wort »Erscheinung« hier im metaphysischen Sinne gebraucht wird, kann nicht dadurch verhindert werden, dass die Erkenntnisstheorie sich seiner seit dem Auftauchen des subjectiven Idealismus bemächtigt hat; denn die metaphysische Bedeutung war bis zu Kant die überwiegende in dem Worte, wenngleich zugegeben werden muss, dass bei der bis Kant herrschenden Confusion zwischen Metaphysik und Erkenntnisstheorie die erkenntnisstheoretische in demselben ebenfalls mit enthalten war. Nach vollzogener Trennung des metaphysischen und erkenntnisstheoretischen Problems muss auch das Wort Erscheinung sich die Spaltung (in »objective« und »subjective«) gefallen lassen, was um so eher angeht, als beiden Theilen verschiedene Gegensätze (»Wesen« und »Ding an sich«) gegenüberstehn. Schon deshalb dürfte es gut sein, das Wort Erscheinung auch für das metaphysische Verhältniss nicht fallen zu lassen, weil Vieles von dem, was Kant irrthümlich für die subjective Erscheinung behauptete, thatsächlich für die objective gilt. Dies kommt aber daher, dass bei Kant die Metaphysik ebenso einseitig von der Erkenntnisstheorie absorbirt wurde, wie vor ihm meistens die Erkenntnisstheorie von der Metaphysik verschlungen worden war, oder mit andern Worten weil er alles »Was« des Daseins ganz in die Subjectivität herüberzog und dem Ding an sich nichts als das reine »Dass« übrig liess, so dass es natürlich noch kahler als das kahlste metaphysische Wesen, und eine Unterscheidung zwischen beiden zur Unmöglichkeit wurde.

A29

S. 173 Z. 4. (Vgl. »Lotze's Philosophie« II 3: »Die Realität« S. 66-80.)

Quelle:
Eduard Hartmann: Philosophie des Unbewussten. Band 2, Leipzig 10[o.J.], S. 155-175.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Philosophie des Unbewußten
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (8); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (7); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
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