X. Die aufsteigende Entwickelung des organischen Lebens auf der Erde

[222] Wir haben im vorigen Capitel den Satz als wahrscheinlich nachgewiesen, dass das Unbewusste nur so lange dem Kraftaufwand der Urzeugung sich unterzog, als es durchaus nöthig war, d.h. bis die Elternzeugung sie ersetzen konnte. Aus demselben allgemeinen Naturprincip der grösstmöglichen Kraftersparniss folgt unmittelbar auch der andere, bei den vorhergehenden Betrachtungen als selbstverständlich vorausgesetzte Satz, dass eine Urzeugung, d.h. eine unmittelbare Erzeugung aus unorganisirter Materie, sich nur auf die allereinfachsten Formen organischen Lebens beziehen kann, dass dagegen zur Darstellung höherer Lebensformen das Unbewusste keinenfalls den schon für die einfachsten Wesen so schwierigen Weg unmittelbarer Erzeugung, sondern eine durch Zwischenstufen vermittelte Entstehungsweise einschlagen wird. Nicht als ob ich damit die absolute Unmöglichkeit der directen Urzeugung eines höheren Thieres behaupten wollte, – im Gegentheil, ich habe ja stets behauptet: der Wille kann, was er will, wenn er nur stark genug will, um die entgegenstehenden Willensacte zu überwinden, – auch nicht als ob ich die theoretische Möglichkeit läugnen wollte, dass selbst innerhalb der anorganischen Naturgesetze in gewissen Momenten der Erdentwickelung das Unbewusste eine directe Urzeugung höherer Thiere hätte in's Werk setzen können, darüber sich ein Urtheil anzumaassen, wäre Thorheit, – nur so viel behaupte ich, dass eine directe Urzeugung höherer Organismen einen ungeheuren Kraftaufwand erfordert hätte, einen Kraftaufwand, welcher den zur Urzeugung der einfachsten Zelle nöthigen unendlich viel Mal übertroffen hätte, dass deshalb das unfehlbare Logische im Unbewussten, gemäss dem Principe der Erreichung aller Ziele mit möglichst geringem Kraftaufwand, unzweifelhaft der Urzeugung höherer Organismen eine durch mannigfache[222] Durchgangsstufen vermittelte Erzeugungsweise vorziehen musste, deren jede, ausserdem dass sie vermittelnde Durchgangsstufe zu höheren Wesen war, noch für sich anderen und selbstständigen Zwecken diente, und dabei mit relativ geringem Kraftaufwand vermittelst einer modificirten Elternzeugung erreichbar war.

Fragen wir aus nämlich einfach, was zur Urzeugung eines höheren Organismus gehören würde, so ist die Antwort: zunächst organische Stoffe von nicht zu niedriger chemischer Zusammensetzung in genügender Menge und hinreichender Concentration; wo wären diese aber leichter zu finden gewesen, als in einem schon vorhandenen niederen Organismus? Jedenfalls würde also schon die directe Verwandlung eines schon bestehenden niederen Organismus in einen höheren (z.B. eines Wurmes in einen Fisch) weniger Schwierigkeiten darbieten, als die Urzeugung des letzteren ohne Zuhülfenahme eines bestehenden Organismus. Aber auch hier wären die Schwierigkeiten immer noch so gross, dass ein enormer Kraftaufwand des Unbewussten zu ihrer Ueberwindung gehören würde, denn es müssten die schon festgestellten Formen und schon ausgebildeten Organe des niederen Organismus grossentheils in ihrer Beschaffenheit erst vernichtet werden, um den anderartigen entsprechenden Formen und Organen des höheren Wesens Raum zu geben. Diese nicht unbeträchtliche negative Arbeit, die nur erst Das wieder zu vernichten hat, was in der embryonalen Entwickelung des niederen Organismus geschaffen wurde, wird offenbar ganz vermieden, wenn der Verwandlungsprocess in so frühen Stadien der individuellen Entwickelung beginnt, dass diese specifischen Formen und Organe der niederen Stufe gar nicht erst zur Ausbildung kommen, sondern an ihrer Statt sofort die der höheren Stufe. Dann kann man eigentlich nur noch in idealem Sinne von einem Verwandlungsprocesse sprechen, denn nur der ideelle Typus, der nach dem gewöhnlichen Gange der Entwickelung aus dem Keime des niederen Organismus hervorgegangen wäre, ist der Verwirklichung eines anderartigen ideellen Typus gewichen, in Wirklichkeit hat aber keine Verwandlung, sondern nur eine embryonale Entwickelung stattgefunden. Selbst Agassiz, ein Hauptvertreter der getrennten Erschaffung der Arten, räumt ein, dass nur in Gestalt von Eiern diese Erschaffung habe stattfinden können, und dass für die Entwickelung dieser elternlos erschaffenen Eier zugleich ähnliche Bedingungen mitgeschaffen worden sein müssten,[223] wie die, unter denen die elterlich erzeugten Eier sich jetzt entwickeln, d.h. aber doch wohl, dass für die der elterlichen Pflege bedürftigen Eier Pflegeeltern, natürlich von anderen Arten, eingesetzt worden seien.

Nun frage ich aber, welche Vorstellung ist ungeheuerlicher, die dass aus dem Ei einer niederen Art sich ein Individuum einer höheren Art entwickele, oder die, dass das Ei der höheren Art fix und fertig durch Urzeugung gebildet worden sei, und zwar ein solches Ei, aus dem nun schlechterdings nichts als diese höhere Art mehr hervorgehen konnte, und in welchem folgerecht sämmtliche Charaktere der höheren Art implicite bereits enthalten waren? Zu bemerken ist dabei, dass die Eier der allerhöchsten und die der allerniedrigsten Thiere morphologisch und chemisch sich so ähnlich sind, und die ersten Entwickelungsstadien der embryonalen Entwickelung so gleichmässig durchlaufen, dass sie gar nicht oder wenig, und selbst dann noch meist nur an zufälligen Kennzeichen, zu unterscheiden sind. Es hilft nichts, sich darauf zu stützen, dass für gewöhnlich im befruchteten Ei einer Art wirklich sämmtliche Charaktere der Gattung implicite enthalten seien; mag diese (übrigens unbeweisbare) Ansicht noch so richtig sein, so muss doch ein Ei immer schon eine Menge Entwickelungsstadien durchgemacht haben, ehe es so weit kommt, dass es selbstständig existiren und durch Einwirkung der Sonnenwärme oder der thierischen Wärme der Pflegeeltern oder der damaligen Erdwärme das Junge ausgebrütet werden kann, abgesehen davon, dass die Eier der lebendig gebärenden Thiere nie diese Selbstständigkeit erlangen. Wo soll nun diese Entwickelung des Ei's vor der Selbstständigkeit stattgefunden haben, woher soll es die Menge Albumin geschöpft haben, wenn nicht aus einem Mutterthier woher soll der erste sammelnde Brennpunct für die primitive Dotterzelle gekommen sein, wenn er nicht in einem Eierstocke lag? Das Albumin ist wahrlich nicht so häufig in der anorganischen Natur, dass die Urzeugung einer Dotterzelle etwas Leichtes wäre. Jedenfalls also hätte es für das Unbewusste unendlich viel mehr Schwierigkeiten haben müssen, ein solches mit allen Charakteren der neu zu schaffenden höheren Art behaftetes Ei durch Urzeugung herzustellen, als entweder aus einem die Charaktere einer anderen nie deren Art enthaltenden Ei durch Verwischung dieser doch immer bloss im Keime angedeuteten Charaktere und Hinzufügung neuer, ein Individuum der neuen höheren Art zu entwickeln, oder aber das die Charaktere der neuen höheren Art vollständig[224] enthaltende Ei in dem Eierstocke eines Individuums einer niederen Art zu Entwickeln, oder endlich beide Hülfsmittel zugleich anzuwenden, d.h. ein besonderes günstig schon nach der Richtung der neuen Art hin angelegtes Ei sowohl in dem Eierstock des niederen Individuums, als auch nach Verlassen desselben mit den zur Erzielung der höheren Art nothwendigen Modificationen zu entwickeln. Wo ist der natürliche Ursprung des Individuums, wenn nicht aus dem Ei? Wo ist der natürliche Ursprung des Ei's, wenn nicht im Eierstocke eines Mutterthieres? Wie unerheblich erscheinen die Schwierigkeiten, welche das Unbewusste bei der Entwickelung eines höheren Organismus aus dem Mutterschooss eines niederen zu überwinden hat, gegen die colossalen Schwierigkeiten, welche sich ihm bei der Urzeugung des höheren Organismus entgegenstellen würden. Wenn wir also nur zwischen diesen beiden Annahmen die Wahl haben, so werden wir uns unbedenklich zu der ersteren entscheiden, dass die höhere Art durch Elternzeugung aus der niederen hervorgeht, aber durch eine Zeugung mit modificirter Entwickelung des Ei's, wie Kölliker (Siebold und Kölliker, Zeitschrift für wissenschaftl. Zoolog. und Medic. 1865, Heft 3), der sich zu dieser Anschauungsweise bekennt, es nennt: »heterogene Zeugung«.

Hiermit haben wir für die zur Erzeugung höherer Thiere gleich anfangs vorausgesetzten Zwischenstufen einen bestimmten Anhalt gewonnen, es ist eine Stufenleiter von immer höheren und höheren Arten, auf welcher das organisirende Unbewusste zur Darstellung der höchsten Organismen gelangt. So gewiss dies allgemeine Resultat richtig ist, so gewiss dürfen wir dabei noch nicht stehen bleiben.

Wenn wir auch im Cap. A. VIII. nachgewiesen haben, dass in jedem Moment des organischen Bildens an jeder Stelle des Organismus das Unbewusste thätig eingreift, und seine Einwirkung ganz besonders in der relativ so stürmischen embryonalen Entwickelung geltend macht, so ist doch andererseits nicht zu verkennen, dass, wie überall, wo es angänglich ist, so auch für die Entwickelung des Ei's das Unbewusste durch vorher hergestellte Mechanismen sich sein Eingreifen möglichst erleichtert und auf materielle Minimalwirkungen reducirt hat. Es findet also in den männlichen und weiblichen Zeugungsstoffen allem Vermuthen nach eine von ihm selbst in früheren Stadien absichtlich hineingelegte Disposition vor, welche diese Stoffe befähigen, sich unter der nöthigen psychischen Leitung leichter nach der durch die elterlichen Organismen vorgezeichneten Richtung, als nach irgend einer anderen zu entwickeln. Da nun[225] das Unbewusste stets der dispositionell vorgezeichneten Entwickelungsrichtung, als der im Allgemeinen seinen vorgesetzten Zwecken entsprechenden und die geringsten Realisationswiderstände darbietenden Richtung folgt, wenn es keinen besonderen Grund hat, für bestimmte Zwecke eine Abweichung vorzunehmen, und da ein solcher Grund für die gewöhnliche Zeugung, wo es nur auf die Erhaltung der Art ankommt, fehlt, so schlägt es bei der psychischen Leitung der embryonalen Entwickelung für gewöhnlich den durch die von ihm selbst den Zeugungsstoffen vorher imprägnirten Eigenschaften als den leichtesten bezeichneten Weg ein, d.h. das Erzeugte gleicht den Erzeugern, und diese Erscheinung nennt man die »Vererbung oder Erblichkeit der Eigenschaften«.

Von einer solchen allgemeinen teleologischen Regel weicht das Unbewusste um so weniger gern ab, je allgemeiner ihre Geltung ist, z.B. von den anorganischen Naturgesetzen gar nicht. Da nun die Schwierigkeiten schon gross genug sind, welche durch das Hinausgehen über die alte Art und das Hinzufügen neuer Charaktere entstehen, so wird das Unbewusste suchen, sich denjenigen Schwierigkeiten möglichst zu entziehen, welche es bei der Vernichtung solcher Charaktere der alten Art zu überwinden hätte, die in die neue Art nicht mit hinüber genommen werden können oder sollen, und wird es zu diesem Zwecke die neue höhere Art aus solchen Arten hervorzubilden suchen, bei denen nur neue Charaktere hinzuzufügen, aber möglichst wenig oder gar keine bestehenden positiven Charaktere zu vernichten sind, d.h. aus relativ unvollkommenen, mit wenig specifischen Charakteren versehenen, der weiteren Entwickelung viel Spielraum bietenden Arten, nicht aber aus bereits hoch entwickelten, stark differenzirten und mit vielen und bestimmten Charakteren ausgestatteten Arten.

Dies wird durch die paläontologische Entwickelungsgeschichte des Thierreiches vollkommen bestätigt. Jede Hauptordnung des Thierreiches gleicht einem Aste des grossen Baumes, und entwickelt sich in einer bestimmten geologischen Periode aus einfachen Anlängen zu hochstehenden Formen. Diese letzteren aber, die den Enden des Astes gleichen, sind es nicht, aus welchen bei den veränderten Verhältnissen einer späteren geologischen Periode eine neue Thierordnung entspringt, – denn sie haben sich durch Reichthum entschiedener Charaktere gleichsam in eine Sackgasse verrannt, – sondern jene unvollkommenen primitiven Stammformen der Ordnung, die sich mit Mühe und Noth jene Periode hindurch gegen ihre[226] weit überlegenen Sprossformen im Kampfe um's Dasein behauptet haben, gleichsam die dem Stamme am nächsten stehenden schüchternen Sprösslinge jenes Astes, sie sind es, aus denen durch Hinzufügung neuer, bisher noch nicht dagewesener Urcharaktere später die neue Ordnung erwächst. Es ist dies ein allgemeines Naturgesetz, dessen specielle Anwendung auf die Entwickelung der Menschheit jedem Kenner der Geschichte längst geläufig ist. Wenn die Racen oder Stämme, welche zu einer gewissen Zeit den Gipfel der menschheitlichen Entwickelung repräsentiren, in Stagnation (oder wohl gar zeitweilige Depravation) verfallen sind, so erscheinen unentwickeltere, gleichsam jungfräuliche Racen und Stämme neu auf dem Schauplatz der Geschichte, um sich in Kurzem zu einer Höhe zu entwickeln, welche die Blüthenperiode der früher am höchsten stehenden Racen entschieden überragt (Bd. I, S. 331-332). Ebenso ist es bei der Entwickelung des Thierreichs, nur dass die mit wachsender Intelligenz stets Hand in Hand gehende Steigerung der Organisation dort sichtbarer zu Tage tritt, als beim Menschen, der mit Ausnahme der gesteigerten Gehirnentfaltung die Organe seiner wachsenden Cultur sich in äusseren Werkzeugen (statt wie das Thier in Leibesorganen) schafft und bildet. – So mangelhaft auch unsere Kenntnisse der Uebergangsstufen nach den bis in die heutige Fauna erhaltenen Formen und nach den bis jetzt gefundenen paläontologischen Resten, so genügen sie doch vollständig, um unsere obige Behauptung zu erweisen.

Nachdem die Crustaceen in den Krebsen gegipfelt, setzen die Arachniden mit den unvollkommensten Milben ein; nachdem diese sich zur Spinne vervollkommnet, erfolgt in den Insecten der Rückschlag zu den tiefstehenden Läusen. Die höchsten Formen der Weichthiere sind die Sepien, der Gliederthiere die Hautflügler; beide sind weit höher organisirt als die niedrigsten uns bekannten Fische, beide lebten in einer der heutigen gleichkommenden Vollkommenheit, ehe es Wirbelthiere auf der Erde gab. Aber sie waren zu einseitig und zu reich differenzirt, um von ihnen aus eine auf ganz anderen Grundbedingungen des Baues beruhende Ordnung zu beginnen. Die Fische entwickelten sich vielmehr aus Ascidiern, Würmern und Crustaceen. Die ältesten fossilen Fische gehören aus dem leicht begreiflichen Grunde nur den Uebergangsformen der Crustaceen an, weil die beiden anderen Arten zu weich waren, um fossile Reste zu hinterlassen; dagegen haben sich die Uebergangsformen aus letzteren beiden in zwei Specien bis heute lebend erhalten. Das[227] an den Küsten der Nordsee und des Mittelmeeres lebende, zwei Zoll lange, fast durchsichtige Lanzettfischchen, Amphioxus lanceolatus Pall., besitzt noch keinen Schädel und keine Wirbelsäule, sondern nur eine einfache massive Knorpelsaite als Unterlage des Rückenmarkes, kein vom Rückenmarke abgesondertes Gehirn, noch kein Herz, keine Milz, statt der Leber nur einen Blinddarm, kein gefärbtes Blut, keine Flossenstrahlen, sondern nur eine zarte häutige (embryonale) Schwanzflosse. Wie Linné einen andern Fisch (Myxine) für einen Wurm angesehen hatte, so hatte Pallas den Amphioxus noch für eine Nacktschnecke (Limax) gehalten; erst neuere anatomische Untersuchungen zeigten, dass er bereits nach dem Typus der Wirbelthiere gebaut ist, die niedrigste bekannte Stufe der Fische darstellt und überhaupt als Prototyp oder Urform des ganzen Wirbelthierreiches, als unmittelbarer Nachkomme der ältesten Wirbelthiere der Urwelt gelten kann, dessen Verwandte gewiss in unzähligen Massen die urweltlichen Meere bevölkert haben. Am nächsten ist der Amphioxus den Ascidiern (einer Molluskenart) verwandt, bei welchen nicht nur in der embryonalen22 Entwickelung (ebenso wie bei gewissen niederen Würmern) die bisher für den Wirbelthiertypus als durchaus charakteristisch angesehene Bildung der sogenannten Keimblätter sich ganz analog wie bei Amphioxus gestaltet, sondern welche sogar in einem gewissen Stadium ihrer Entwickelung die knorpelige Anlage der Wirbelsäule besitzen, die sie allerdings später wieder verlieren.

Gehen wir weiter von den Fischen zu den Amphibien, so zeigt sich wiederum ein Uebergang nur in unvollkommenen und tiefstehenden Formen, während beide Ordnungen sich um so mehr von einander entfernen, jemehr sie sich in ihrer charakteristischen Einseitigkeit entwickeln. Der im Amazonenstrome lebende Schuppenmolch oder Lepidosiren paradoxa Natt. ist ein drei Fuss langes Thier von fischartiger Körperform, mit Fischkiemen und einer Schuppenbekleidung, die ganz der der Knochenfische entspricht. Zwei Flossen am[228] Kopfe und zwei am Bauche deuten die Vorder- und Hintergliedmassen an. Ausser den Kiemen aber hat das Thier auch noch eine paarige Lange, die sich durch einen Luftgang in den Schlund öffnet, mithin eine Organisation, wie sie nie bei Fischen, wohl aber bei fischartigen Lurchen, z.B. Proteus, vorkommt. Athmung und Kreislauf verweisen also den Schuppenmolch in die höhere Klasse der Amphibien, während die ganze übrige Organisation noch die eines Fisches ist. Betrachten wir nun aber die Entwickelungsstufe des Thieres als Wirbelthier überhaupt, so steht es so tief als möglich. Sein Skelett ist erst unvollkommen verknöchert, die Wirbelsäule besteht noch in einem ungetheilten, knorpeligen Strange, auf dem die verknöcherten Wirbelbogen aufsitzen. Aehnlich wie Lepidosiren ist der in Westafrika lebende Protopterus gebaut, der in den überschwemmten Sümpfen nur der Kiemen, in den ausgetrockneten aber der Lungen bedarf. Wenn Huxley schon vor zehn Jahren diese Merkmale hinreichend fand, um die Abstammung der doppelathmigen Schuppenmolche von den kreisschuppigen Knorpelfischen anzunehmen, so wird dies zur Evidenz erhoben durch ein neues von Krefft im Burnettfluss (Queensland) entdecktes Thier (Ceratodus), welches genau in der Mitte steht zwischen den Knorpelfischen und Schuppenmolchen (Abbildung und Beschreibung Ergänzungsbl. VI. S. 227). Es darf hiernach als erwiesen angesehen werden, dass die Amphibien (und mit diesen auch die höheren Thiere) von den Knorpelfischen abstammen, und dass die jetzt vorzugsweise das Wasser bevölkernden Knochenfische eine Seitenlinie im Stammbaum des Thierreichs bilden, in welchem sie entschieden höher stehen als die Knorpelfische. – Diese Beispiele mögen genügen, um unsere Behauptung zu belegen und zu veranschaulichen.

Es lässt sich diese Thatsache, welche Darwin anerkennt, nicht durch dessen Behauptung erklären, dass die strenge Constanz der Vererbung der Eigenschaften ein durch die Dauer des Bestehens erworbener Besitz für jede Art sei, und jede Art um so weniger von ihrem Artcharakter abzuweichen geneigt sei, je älter sie sei. Es liegt in dieser Behauptung das Richtige, dass junge Arten ihrer Stammform noch näher stehen als ältere, die ihres Ursprungs gleichsam uneingedenk sich in ihrer beschränkten Eigenthümlichkeit verhärtet haben, und dass deshalb junge Arten von gemeinsamer Abstammung auch unter einander mehr Verwandtschaft und Vermischungsfähigkeit zeigen als ältere. Solche junge Arten, die noch in beliebiger Kreuzung haltbare Bastardracen liefern, nennt man[229] flüssige Arten, im Gegensatz zu den in sich abgeschlossenen festen Arten, bei denen jede Bastardrace schnell wieder durch Rückschlag in die Stammracen untergeht. Solche flüssige Arten sind z.B. die Arten der Hunde, Finken, Mäuse, während die Menschenracen sich im Uebergangsstadium von flüssigen zu festen Arten befinden, so zwar, dass zwischen den entlegeneren Gliedern der Reihe schon keine dauerhafte Bastardrace mehr zu erzielen ist. – Entschieden unrichtig ist hingegen der obige Satz Darwins, insofern er behauptet, dass mit der Dauer des Bestehens allgemein und gesetzmässig die Fähigkeit, zu variiren, abnähme; vielmehr zeigt die künstliche Züchtung an Pflanzen und Thieren bisher keine Unterschiede für die Variationsfähigkeit von alten und jungen Arten. Gesetzt aber, die Behauptung wäre richtig, so würde man doch ihr zufolge grade das Gegentheil von dem erwarten müssen, was sie erklären soll; denn da die vollkommeneren und reich differenzirten Arten allemal seit kürzerer Zeit bestehen, also jünger sind als ihre unvollkommeneren Stammformen, so würden die letzteren, als die älteren, minder geeignet sein, neue Entwickelungsreihen aus sich zu beginnen, während die Thatsachen das Gegentheil lehren. Wir haben also festzuhalten, dass vollkommenere Arten factisch eben so leicht und eben so sehr variiren, als unvollkommenere, wenn sie durch veränderte Verhältnisse dazu veranlasst werden; nur haben erstere nicht den Trieb, so leicht in höhere Ordnungen umzuschlagen wie letztere, und warum dies nicht der Fall ist und warum dieses Umschlagen in eine neue Ordnung grade dann erst stattfindet, wenn innerhalb der bisherigen Ordnung der Reichthum der vollkommeneren Formen erschöpft ist, dies kann die Darwin'sche Theorie nun und nimmermehr aus ihren Voraussetzungen nachweisen. –

Nachdem wir in der heterogenen Zeugung das eine Hülfsmittel kennen gelernt haben, dessen das Unbewusste sich bedient, um sich die Ausbildung neuer Arten zu erleichtern, wollen wir uns weiter nach solchen umschauen. Bis jetzt haben wir noch gar nicht in Erwägung gezogen, wie gross bei der heterogenen Zeugung die Verschiedenheit des Erzeugten von den Eltern sein darf. Es ist aber klar, dass das Unbewusste in der Fortbildung der Arten zu höheren keine unnütz grossen Sprünge machen, sondern die Grenzen so eng als möglich an einander rücken will. Ein Sprung bleibt freilich immer bestehen, denn sonst müssten von einer Art zur nächsten unendlich viele Zeugungen hinüberführen, was bei der endlichen Entwickelungszeit der Organisation auf der Erde unmöglich ist.[230] Aber zum mindesten wird der jedesmalige Schritt keine im geraden Entwickelungsgange liegende Art überspringen, sondern höchstens von einer Art zur nächst höheren übergehen.

Hier tritt die Frage an uns heran, wie weit denn eine Art von der nächstverwandten abliege, oder wie sich der Begriff Art abgrenze einerseits von den Unterschieden, die grösser als Artunterschiede, andererseits von denen, die kleiner als Artunterschiede sind, oder mit einem Wort die Frage nach der Definition des Artbegriffes. Nun räumt aber jeder vorurtheilsfreie Naturforscher ein, dass solche Grenzen des Artbegriffes in der Natur gar nicht vorhanden sind, sondern dass derselbe einerseits in den Begriff der Varietät oder der Race und andererseits in den der Familie, oder wie man den nächst allgemeinen Begriff nennen will, mit völlig flüssigen Uebergängen hinüberführt, dass es mithin wie bei allen quantitativ limitirten Begriffen, eine Sache der subjectiven Willkür und des gegenseitigen Uebereinkommens ist, wie weit man den Artbegriff ausdehnen will; dass man zwar im Grossen und Ganzen sich über diejenigen anatomischen und äusseren Abzeichen geeinigt hat, welche zu einem Artunterschiede gehören, dass aber natürlich an den Grenzen immer Meinungsverschiedenheiten über die Anwendung des Begriffes bestehen bleiben werden. Einige haben gemeint, den Streit dadurch zu schlichten, dass sie als Kriterien der Artverschiedenheit zweier Thiere die Unmöglichkeit der Erzeugung fruchtbarer Nachkommen durch dieselben aufstellten; aber erstens sind zwei Thiere nicht deshalb über ein gewisses Maass hinaus verschieden, weil sie keine fruchtbaren Nachkommen zeugen können, sondern sie können deshalb keine fruchtbaren Nachkommen zeugen weil sie über ein gewisses Maass hinaus verschieden sind, und dieses Merkmal würde mithin immer nicht das Wesen, sondern nur eine Folge der Artverschiedenheit betreffen; zweitens jedoch ist die Grenze der Zeugung fruchtbarer Nachkommen eben so flüssig, wie der Artbegriff, da eben nur die Anzahl der fruchtbare Nachkommen liefernden Begattungen unter ein und derselben Gesammtzahl von Begattungen um so kleiner wird, je verschiedener die Thiere werden, aber Niemand früher als nach unendlich vielen Versuchen behaupten kann, dass eine Zeugung fruchtbarer Nachkommen zwischen diesen beiden Thieren unmöglich ist; drittens endlich ist factisch dieses Merkmal in nicht wenigen Fällen mit dem durch allgemeine Uebereinstimmung festgestellten Gebrauch des Artbegriffes in Widerspruch, denn von allgemein als artverschieden betrachteten[231] Thieren sind durch Kreuzung fruchtbare Nachkommen erzielt worden, z.B. von Pferd und Esel (in Spanien), von Schaf und Ziege, von Stieglitz und Zeisig, von Mathiola maderensis und incana, von Calceolaria plantaginea und integrifolia u.a.m., ja sogar freiwillige Bastardzeugungen ohne Dazwischenkunft des Menschen zwischen wilden oder doch halbwilden Thieren constatirt worden (zwischen Hund und Wölfin, Fuchs und Hündin, Steinbock und Ziege, Hund und Schakal u.s.w.), und zahlreiche Bastardracen giebt es, welche unter einander bis in's Unendliche fruchtbare Nachkommenschaft liefern, z.B. Bastarde von Hase und Kaninchen, von Wolf und Hund, Ziege und Schaf, Kameel und Dromedar, Lama und Alpaca, Vigogne und Alpaca, Steinbock und Ziege u.s.w. Andererseits verhalten sich auch die Racen sehr verschieden; einige können, andere wollen sich durchaus nicht mit einander vermischen, bei wieder anderen ist thatsächlich die Fruchtbarkeit in der Generationsfolge sehr beschränkt. Ebensowenig wie die Fruchtbarkeit der Bastarde für die Art überhaupt, ebensowenig kann die Unfähigkeit, mit anderen Arten dauerhafte Bastardracen zu liefern, als ein absolutes Merkmal fester Arten (im Gegensatz zu flüssigen) angesehen werden; auch dieser Gegensatz ist nur quantitativ zu limitiren, weil es erstens immer ganz darauf ankommt, mit welcher andern Art die Bastardirung versucht wird, und zweitens auch bei den gegenwärtig allerfestesten Arten (ebenso wie bei jungen Bastardracen zwischen festen Arten) bisweilen, wenn auch sehr selten, überraschende Rückschläge in eine Ahnenstammform auftreten (Atavismus).

Wenn wir demnach an der Flüssigkeit und Conventionalität des Artbegriffes festhalten müssen, wenn wir zugeben müssen, dass es in der Natur nur kleinere und grössere Verschiedenheiten giebt, aber in so reich vertretenen Abstufungen, dass von der unmerklichsten individuellen Nuance bis zum Unterschiede des höchsten vom niedrigsten Organismus ein in für uns unmerklich kleinen Schritten verlaufender Uebergang stattfindet (vgl. hierzu Wallace »Beiträge zur natürlichen Zuchtwahl«, deutsch von Meyer, S. 163 ff.), so kann auch weder im Artbegriff noch einem ihm ähnlichen engeren oder weiteren Begriff mehr ein Zwang für das Unbewusste liegen, welcher die Minimalgrösse seiner Schritte in der Fortentwickelung der Organisation normirte, sondern das kleinste Maass für die Sprünge der heterogenen Zeugung wird nur noch in der Grösse der Modificationswiderstände und den vom Unbewussten verfolgten Zielen (z.B.[232] Erreichung gewisser Organisationsstufen in gewissen Zeiträumen) zu suchen sein. Nun findet aber schon von selbst bekanntlich nicht Gleichheit, sondern nur Aehnlichkeit zwischen Erzeugern und Erzeugten statt, denn die verschiedenen materiellen Umstände bewirken bei der Zeugung individuelle Abweichungen vom ideellen Normaltypus, welche vollständig zu nivelliren einen ganz unnützen Kraftaufwand des Unbewussten in Anspruch nehmen würde, da diese individuellen Abweichungen für gewöhnlich und der Hauptsache nach sich durch Kreuzung der Familien von selbst wieder ausgleichen. Demnach hat man sich nicht über die Ungleichheit, sondern vielmehr über die Gleichheit von Eltern und Kind zu wundern, denn wenn das Unbewusste sich bei allen Zeugungen innerhalb derselben Art auf dieselbe Weise verhalten und sich die Arbeit eines fortwährend ausgleichenden Eingreifens ersparen wollte, so würden die Abweichungen zwischen Erzeugern und Erzeugten, welche durch die Unterschiede der materiellen Verhältnisse entstehen würden, noch weit grösser sein, als die Erfahrung sie uns jetzt zeigt. Sehen wir doch trotzdem Fälle eintreten, wo das Unbewusste lieber Missgeburten zur Welt schickt, als dass es sich bis zur Ueberwindung der vorliegenden materiellen Schwierigkeiten anstrengte. – Die so übrig bleibenden individuellen Unterschiede sind unzweifelhaft gross genug, um schnell zu einer wesentlichen Abänderung des Typus zu fuhren, und das Unbewusste braucht nur die Ausgleichung dieser Unterschiede durch Kreuzung für diejenigen Fälle, wo die Abweichungen seinem Fortbildungsplane entsprechen, zu verhindern, sei es nun durch directes Festhalten oder durch einen äusserlichen Mechanismus so wird schon wieder ein grösser Theil Kraftaufwandes auf diese Weise erspart sein.

Dass solche Artentstehungen durch Summation individueller Abweichungen wirklich vorgekommen sind, zeigen mehrfache Thierclassen in den geologischen Sammlungen, wenn die Sammler nicht die unbequemen Mittelstufen ausmerzen, die in keine Arteintheilung mehr passen wollen. »Zahllos sind die Arten von beschriebenen Ammoniten, alljährlich kommen zu den alten noch neue, und füllen sich ganze Schränke mit Büchern nur über Ammoniten. Ordnet man dieselben in eine Reihe, so sind die Unterschiede zwischen je zwei Exemplaren in der That so unbedeutend, dass Jeder sie unbedingt bloss für individuelle Eigenthümlichkeiten ansehen muss. Bei einem Dutzend aber summiren sich die kleinen Differenzen und bei zwei Dutzend ist die Summe der Differenzen so gross geworden,[233] dass sich gar keine Aehnlichkeit mehr zwischen dem Ersten und Letzten beobachten lässt. Hier hält kein Artbegriff mehr Stich, sobald man nur genug Exemplare beisammen hat, welche die Uebergänge veranschaulichen.« (Fraas: Vor der Sündfluth, S. 269.) Ziemlich ebenso steht die Sache mit den Trilobiten und manchen anderen Classen. Hier nur noch ein Citat über Schnecken: »Bei Steinheim (Württemberg) erhebt sich ein tertiärer Hügel, der zu mehr als der Hälfte aus den schneeweissen Schalen der Valtata multiformis besteht; das eine Extrem dieser Schnecke ist hoch gethürmt, wie eine Paludine (noch einmal so hoch als dick), das andere hat einen ganz flachen Nabel (scheibenförmig, ein Viertel so hoch als dick). Selbst der ängstlichste Gelehrte, der alle Unterschiede zur Aufstellung einer Species benutzt, steht rathlos vor dem Klosterberg zu Steinheim und muss gestehen, dass alle die Millionen Formen, auf die sein Fuss tritt, so leise und unvermerkt in einander verlaufen, dass nur von Einer Art die Rede sein kann.« (Fraas, S. 30.) Zu unterst im Hügel liegen die flachsten, zu oberst die gethürmtesten Formen, in den Jahrtausenden, die zum Aufbau dieses Hügels gehörten, hat sich also die Species auf diese Weise verändert. In demselben Steinheimer Kalksande kann man an den Uebereinanderlagerungen ganz deutlich das allmähliche Auseinandergehen einer Stammform in sich abzweigende, später scharf getrennte Arten verfolgen (vgl. Hilgendorf's Mittheilung im Monatsber. d. Berl. Acad. d. Wiss. Juli 1866).

Wenn es sonach als feststehend zu betrachten ist, dass das Unbewusste zur Herstellung einer neuen Art häufig eine Summe zufälliger individueller Abweichungen wird benutzen können, so ist damit doch keineswegs gesagt, dass diese sich dem Unbewussten auch immer in allen denjenigen Richtungen darbieten, welche es einzuschlagen beabsichtigt; es bleibt viel mehr die Möglichkeit offen, dass gerade die allerwichtigsten Fortschritte nicht durch zufällige Abweichungen, sondern nur durch planmässig abweichende Bildungsvorgänge begriffen werden können; ich glaube sogar annehmen zu müssen, dass alle Erhebungen zu wesentlich höheren Stufen, welche Herstellung von vorher nicht vorhandenen Organen voraussetzen, nicht durch zufällige individuelle Abweichungen erklärt werden können, wenn letztere auch für die erschöpfende Durchbildung eines vorhandenen Typus nach allen Richtungen hin die Hauptarbeit verrichtet haben mögen.

Wie kann erst gar eine an verschiedenen Körpertheilen[234] gleichzeitig auftretende Veränderung, die sich in ihren verschiedenen Theilen planmässig ergänzt, durch zufällige Abweichungen genügend begriffen werden, z.B. die Bildung der Euter beim ersten Beutelthier, die nothwendig mit dem Lebendiggebären Hand in Hand gehen musste, wenn die Jungen nicht nach der Geburt jämmerlich umkommen sollten, oder auch die Hand in Hand gehen müssende Veränderung der männlichen und weiblichen Geschlechtstheile, wenn eine Begattung möglich bleiben soll? Ebenso wenig kann das Princip der zufälligen Abweichung da als ausreichend erachtet werden, wo gewisse Thiergestalten Eigenthümlichkeiten des anatomischen Baues aufweisen, die für sie selbst werthlos, nur als vermittelnde Durchgangsformen für höher entwickelte Stufen eine Bedeutung haben, wo man also das vorweggenommene Dasein um des künftigen Zweckes willen deutlich sieht, z.B. die erste Bildung von einem knorpeligen Rückenstrang in denjenigen primitiven Fischformen, welche durch ein äusseres Schalgerüst vollkommene Festigkeit wie die Crustaceen besassen, von denen sie abstammen, so dass das primitive innere Knochengerüst nicht für sie selbst, sondern nur für ihre späteren Nachkommen eine Wichtigkeit hatte, welche den Schalpanzer in ein Schuppenkleid verwandelten, oder wie das Gehirn der tiefstehendsten Wilden und Urmenschen (älteste Schädelfunde), welches reichlich 5/6 so gross als das Gehirn der vorgeschrittensten Culturracen ist, während für die Functionen, denen es dient, ganz füglich das Gehirn der anthropoïden Affen hinreichen würde, das nur 1/3 von dem des Culturmenschen beträgt. Selbst Wallace sagt wörtlich: »Natürliche Zuchtwahl konnte den Wilden nur mit einem Gehirn ausstatten, welches ein wenig dem des Affen überlegen ist, während er thatsächlich eines besitzt, welches dem eines Philosophen wenig nachsteht« (Beiträge S. 409).A48 Dieser Umstand in Verbindung damit, dass die Behaarung auf dem menschlichen Rücken fehlt, dass Hand und Fuss unnöthig vollkommene Organe für den Wilden zu sein scheinen, und dass die menschlichen Stimmorgane, namentlich der weibliche Kehlkopf, so wunderbare und für den Wilden nutzlose latente Fähigkeiten enthalten, welche erst bei hoher Cultur zur Verwerthung gelangen, – alle diese Umstände lassen Wallace den Schluss ziehen, »dass eine überlegene Intelligenz die Entwickelung des Menschen nach einer bestimmten Richtung hin und zu einem bestimmten Zwecke geleitet hat, gerade so wie der Mensch die Entwickelung vieler Thier- und Pflanzenformen leitet« (Beiträge S. 412).[235]

Die Darwin'sche Theorie hat das Verdienst, auf die Summirung der individuellen Abweichungen nach einer bestimmten Richtung und die dadurch ermöglichte Veränderung eines Typus in den einer anderen Varietät oder Art hingewiesen und mit reichen Beispielen belegt zu haben; es ist sehr verzeihlich für eine verdienstvolle neue Ansicht, wenn sie ihre Tragweite überschätzt und alles zu erklären glaubt, wenn sie in Wirklichkeit nur einiges, vielleicht auch das Meiste, erklärt, und um so interessanter ist das obige Zeugniss des Darwin'schen Concurrenten Wallace, welches die Unzulänglichkeit dieser Theorie für die Erklärung der Entstehung des Menschen offen eingesteht. –

Betrachten wir nun, welcher Hülfsmittel das Unbewusste sich in den Fällen bedient, wo seine einzig übrig bleibende Aufgabe darin besteht, die zufällig entstandenen individuellen Abweichungen nach einer bestimmten Richtung festzuhalten, und ihre normale Wiederausgleichung und Verwischung durch Kreuzung zu verhindern.

Das eine uns schon bekannte Hülfsmittel ist der Instinct der individuellen Auswahl bei der Befriedigung des Geschlechtstriebes. Im Capitel B. V. haben wir gesehen, wie die Schönheit im Thierreiche durch dieses Mittel gemehrt und gehoben wird, im Capitel B. II. haben wir den Werth desselben für die Veredelung des Menschengeschlechtes in jeder Hinsicht erkannt und einen Seitenblick auf die Möglichkeit ähnlicher Vorgänge in den höheren Classen des Thierreiches geworfen. Wenn dieses Hülfsmittel in den niederen Thierclassen fast bedeutungslos ist, so wächst es mit steigender Entwickelung an Wichtigkeit, wirkt aber freilich immer mehr zur Befestigung und Veredelung einer Species in sich, als zur Ueberführung in eine andere. Häufig tritt an Stelle der activen Auswahl der Männchen eine passive Auswahl der Weibchen, indem die brünstigen Männchen, durch einen besonderen Kampftrieb beseelt, um den Besitz der Weibchen kämpfen, wobei natürlich die kräftigsten und gewandtesten den Sieg behalten.

Viel eingreifender wirkt zur Veränderung der Art ein anderer Umstand, welchen zur Geltung gebracht zu haben, das allereigentlichste Verdienst der Darwin'schen Theorie ist, die natürliche Auslese (natural selection) im Kampfe um's Dasein.

Jede Pflanze, jedes Thier hat in doppelter Hinsicht einen Kampf um's Dasein zu führen, erstens in negativer Hinsicht eine Abwehr gegen seine es zerstören wollenden Feinde, als z.B. die Elemente,[236] die Räuber und Schmarotzer, die von ihm leben wollen, und zweitens in positiver Hinsicht eine Concurrenz im Erwerben resp. Festhalten des zum Weiterleben Erforderlichen, als Nahrung, Luft, Licht, Boden u.s.w. Die schnellsten Thiere, welche sich am besten zu verstecken wissen, oder durch ihre Farbe und Gestalt in der Umgebung am wenigsten auffallen, werden sich am leichtesten den Verfolgungen ihrer Feinde entziehen; von Thieren und Pflanzen werden den Unbilden der Witterung, Sturm, Frost, Hitze, Nässe, Trockenheit u.s.w., diejenigen am wenigsten zum Opfer fallen, welche gegen diese Verhältnisse durch ihre äussere oder innere Organisation am fähigsten zum Widerstände sind; von Raubthieren werden bei Nahrungsmangel nur die gewandtesten, schnellsten, kräftigsten und listigsten dem Hungertode entgehen; von Pflanzen werden diejenigen, welche sich unter gleichen Verhältnissen am kräftigsten nähren, die anderen überwuchern und in Bezug auf den Genuss von Licht, Luft und Regen in so entschiedenen Vortheil gelangen, dass sie die am meisten zurückgebliebenen ersticken. Wir sehen diesen Kampf um's Dasein häufig zwischen verschiedenen Arten entbrennen und mit der völligen Vernichtung der einen schliessen, z.B. der Hausratte durch die Wanderratte; weniger beachtet, aber weit allgemeiner ist der unter abweichenden Individuen derselben Art. Letzterer führt natürlich eine Veredelung der Art herbei, denn es sind in allen Fällen die schwächlichsten Individuen, welche durch frühere Vernichtung vom Fortpflanzungsgeschäfte ausgeschlossen werden, während dasselbe vorzugsweise den tüchtigsten und kräftigsten Individuen die längste Zeit hindurch zufällt. Es kann aber ausser der Veredelung auch eine derartige Veränderung der Species stattfinden, dass daraus zunächst Varietäten und Racen und endlich neue Arten entstehen. Dieser Fall kann natürlich nur dann eintreten, wenn die äusseren Lebensverhältnisse andere werden; dann wird die natürliche Auslese bei der Fortpflanzung diejenigen Individualcharaktere begünstigen, welche besonders in den neuen Verhältnissen besondere Lebenskraft zeigen; die Folge wird also allemal eine Accommodation an die äusseren Lebensbedingungen sein. Da nun das Unbewusste ebenfalls diese Accommodation will, so darf es in geeigneten Fällen die natürliche Auslese im Kampfe um's Dasein nur unbehindert walten lassen, um diesen Zweck ohne jedes Eingreifen mühelos erreicht zu sehen.

Solche Verändenrugen der äusseren Lebensbedingungen können auf sehr mannigfache Weise entstehen. Erstens kann die Pflanze[237] oder das Thier durch Wanderung dieselben aufsuchen, und so durch räumliche Absonderung, oder Colonienbildung, die neu zu bildende Varietät vor dem sonst drohenden Wiederuntergehen in die Stammart schützen; zweitens kann ihr Gebiet durch fremde, auf der Wanderschaft befindliche Pflanzen und Thierarten aufgesucht werden, und sie genöthigt sein, ihre Kräfte im Kampfe mit diesen zu proben und zu stärken; drittens können durch Hebungen oder Senkungen die Terrainverhältnisse und die Höhe über dem Meere verändert werden, es können Gebirge zum Hügelland, Ebene zu Gebirgen, Seegrund zur Ebene, Strand zum Festland, getrennte Länder vereinigt, vereinigte getrennt werden u.s.w., es können viertens klimatische Veränderungen, auch abgesehen von den schon genannten Ursachen, eintreten, und fünftens endlich sind Veränderungen im Pflanzenreich veränderte Lebensbedingungen für das Thierreich und umgekehrt. Diese Verhältnisse bieten eine reiche Mannigfaltigkeit, und auf den meisten geographischen Bezirken haben solche Wandlungen im Laufe der geologischen Entwickelung der Erdoberfläche nicht Ein Mal, sondern unzählige Male stattgefunden.

Wenn eine Pflanze auf einen mehr gleichmässig durchfeuchteten Boden übersiedelt, werden ihre Blätter im Allgemeinen weniger zertheilt, kahler und grasgrün, die Blüthen kleiner und dunkler; umgekehrt, wenn eine Pflanze auf einem mehr porösen und trockenen Boden sich ansiedelt, werden ihre Blätter blauer, gelappter, zertheilter oder zerfaserter, die Blüthen grösser und heller, und sie hüllt sich in einen dichten Haarpelz. So geht auf trockenem, kalkhaltigem Boden Hutchinsia brevicaulis in H. alpina, Arabis coerulea in bellidifolia, Alchemilla fissa in vulgaris, Betula pubescens in alba über; auf feuchtem kalklosem Boden verwandelt sich Dianthus alpinus in deltoides (nach A. Kerner in der Oesterr. bot. Zeitschrift). Im Thierreich, wo die veränderten äusseren Verhältnisse nicht so nahe beisammen liegen, wie für die Pflanze der verschiedene Boden, sind für uns bei der gegenwärtigen durchschnittlichen Constanz der geologischen und klimatischen Verhältnisse Artveränderungen durch natürliche Auslese noch nicht beobachtet worden, wohl aber Bildung von stark abweichenden Varietäten besonders unter dem unabsichtlichen Einflusse des Menschen, z.B. Entstehung von sehr verschiedenen Hausthierracen (Hunde, Rindvieh, Schafe, Pferde), und kann man bei der schon erwähnten Flüssigkeit des Ueberganges von der Race zur Varietät mit Recht annehmen, dass in früheren Zeiten, wo nicht selten eine schnellere Umwandlung der äusseren[238] Verhältnisse eingetreten sein mag, als das Menschengeschlecht historisch verzeichnet hat, dass in diesen früheren Zeiten mannigfache Entstehungen neuer Arten durch natürliche Auslese im Kampfe um's Dasein vorgekommen sein mögen. – Es wird hiergegen behauptet, dass man alsdann die unendlich vielen Mittelformen, durch welche eine Art in die andere übergegangen ist, in den Schichten nachweisen können müsste, während doch die fossilen Arten meist eben so scharf und noch schärfer wie die lebenden von einander unterschieden sind. Dies beweist gar nichts; denn es liegt in der Natur der Sache, dass diejenige Form die Endform sein muss, welche lebensfähiger ist als alle vorhergehenden Stufen der Aenderung, welche also alle diese im Kampfe um's Dasein besiegt, d.h. ausrottet: wenn sie aber von der Endform bald verdrängt werden, so haben sie nur ein kurzes Bestehen gehabt im Verhältnisse zur Endform, welche nun als die den Verhältnissen möglichst angepasste mindestens so lange als diese Verhältnisse besteht; demnach kann man sich nicht wundern, wenn man bis jetzt so wenig Uebergangsformen zwischen verschiedenen Arten gefunden hat. Dass man aber gar keine gefunden hat, ist nicht richtig, im Gegentheil finden sich sowohl bei höheren als auch ganz besonders bei niedrigen Thieren überraschend reiche Uebergänge.

Ausser den schon oben (S. 227-230) erwähnten Beispielen führe ich noch folgende an. Vom radiären zum bilateralen Typus führend kennen wir zwei Reihen: 1) Seesterne, Seeigel, Seewalzen; bei letzteren ist das, was Unten und Oben war, Vorn und Hinten geworden, und da sich durch die Anordnung der sogenannten Füsschen ein neues Unten und Oben gebildet hat, so ist zugleich ein Rechts und Links entstanden; 2) Korallen, Rugosen, Pantoffelmuschel; bei den paläozoischen Rugosen ordnen sich die den einspringenden Falten der Leibeshöhle entsprechenden Scheidewände des Kalkgerüstes nicht mehr wie bei den anderen Korallen regulär, sondern wenigstens bei dem sich einschaltenden Nachwuchs stets zur Seite einer Hauptscheidewand, so dass in Bezug auf letztere ein bilateraler Typus entsteht. Indem sich noch ein Deckel für die Rugosa entwickelt, entsteht die bis jetzt den Muscheln zugerechnete Pantoffelmuschel.

Wie die australisch-neuseeländische Fauna im Allgemeinen als stehen geblichener Repräsentant einer älteren geologischen Periode zu betrachten ist, so hat sie uns kürzlich in der neuseeländischen Brückeneidechse ein Thier kennen gelehrt, das in gewissen Charakteren[239] (biconcave Wirbelkörper nach Art der Saurier, Geschlechtsapparat ohne männliches Organ) auf der Stufe der Fischmolche stehen geblieben ist, im Uebrigen aber sich zur äusseren Gestalt einer Eidechse entwickelt hat, welche wunderbarer Weise die maassgebenden Charaktere der Schildkröten (Zahnlosigkeit), Krokodile (Unbeweglichkeit des Quadratbeins) und Schlangen (bewegliche, durch ein Band vermittelte Verbindung der Unterkieferäste und Theilnahme der Rippen an der Ortsbewegung) in sich vereint.

Huxley führt den Stammbaum des Pferdes der Neuzeit Schritt für Schritt durch das Pferd älterer Zeit, durch Hipparion und Hipparitherium auf Plagiolophus zurück, welches letztere bereits eine Art der Gattung Paläotherium (des gemeinsamen Stammvaters der Hufthiere und Dickhäuter) ist, und in ähnlicher Weise die Moschusthiere der Gegenwart durch das Cainotherium des Miocen auf Dichobune aus dem Eocen als Stammform. – Gaudry hat in den miocenen Schichten von Pikermi in Griechenland »die Gruppe der Limocyonidae gefunden, welche zwischen Bären und Wölfen in der Mitte steht; die Gattung Hyaenictis, welche die Hyänen mit den Zibethkatzen verbindet; das Ancylotherium, welches sowohl mit dem ausgestorbenen Mastodon, als auch mit dem lebenden Pangolin oder schuppigen Ameisenfresser verwandt ist, und das Helladotherium, welches die jetzt isolirte Giraffe mit dem Hirsch und der Antilope verbindet« (Wallace S. 342). – Eine reiche Formenwelt offenbart sich uns bei der Betrachtung der Gattung Krokodil. Die Krokodile der Kreidezeit sind verschieden von denen der älteren Tertiärzeit, und diese sind wieder ebensowohl von den Krokodilen der jüngeren Tertiärschichten wie von denen der Gegenwart verschieden. Gleichwohl sind die Differenzen von einem Glied der Reihe zum anderen so gering, dass sie nur dem Kennerblick wahrnehmbar sind. – Zwei der entferntesten Ordnungen scheinen Reptilien und Vögel zu sein, und doch hat uns der Soolenhofer Schiefer einerseits einen Vogel (Archäopteryx) kennen gelehrt, der durch gestreckte Statur, unverwachsene Zwischenhandknochen und starke Klauen an den Flügelfingern sich den Reptilien schon weit mehr nähert als die straussartigen Vögel der Gegenwart, und andererseits ein Reptil (Compsognathus longipes) an's Licht gefördert, das nicht nur (wie wahrscheinlich die meisten Dinosaurier thaten) ausschliesslich auf den Hinterbeinen ging, sondern auch in den vorgefundenen Theilen dem Archäopteryx ausserordentlich ähnlich ist. Die durch alle nur denkbaren Nüancen mit einander verknüpften Fussspuren von Reptilien und Vögeln aus jener Zeit lassen erwarten,[240] dass wir auch von Mittelformen noch mehr Reste finden werden, welche die bis jetzt noch bestehenden Differenzen überbrücken.

Wenn man bedenkt, dass fast jedes Jahr neue überraschende Mittelformen zu Tage fördert, und dass schon jetzt die alte Systematik der Zoologie absolut unhaltbar geworden ist, so muss die Berufung der Gegner Darwin's auf den Mangel an Mittelformen in der That als ein verlorner Posten betrachtet werden. Man darf es nachgerade als eine feststehende Thatsache betrachten, dass, wenn man den Stammbaum der jetzt lebenden Arten nach rückwärts verfolgt, nicht die Specien, sondern die Gattungen in früheren geologischen Perioden ihre entsprechenden Repräsentanten haben, und dass diese Repräsentanten verschiedener Gattungen und Ordnungen sich in weiter zurückliegenden Epochen nur in dem Maasse unterscheiden, wie jetzt verschiedene Specien einer Gattung oder Ordnung. So versichert Owen in seiner Palaeontology, »dass er nie eine gute Gelegenheit vorübergehen liesse, um die Resultate von Beobachtungen mitzutheilen, welche die mehr verallgemeinerten Structuren ausgestorbener Thiere beweisen, verglichen mit den specialisirten Formen neuerer Thiere.« (Vgl. als Ergänzung zu diesem und dem vorigen Cap. Ernst Häckel's treffliches populäres Werk: »Natürliche Schöpfungsgeschichte« 2. Aufl. Berlin, Reimer, 1870.)

Wie der Uebergang von Wasser- zu Land-Thieren, so ist auch der von Wasser- zu Land-Pflanzen durch amphibische Organismen vermittelt. Die anatomische Structur eines im Wasser lebenden Stengels und Blattes muss, um lebensfähig zu sein, mindestens ebenso verschieden von einem in der Luft lebenden sein, wie Kiemen von Lungen verschieden sind. So besteht die Utricularia vulgaris gleichsam aus zwei verschiedenen Organismen, deren einer durch den unter Wasser lebenden Theil der Pflanze, deren anderer durch die in die Luft ragenden Blüthenzweige repräsentirt wird. In jeder der drei grossen Abtheilungen des Pflanzenreiches (Kryptogamen, Monokotyledonen, Dikotyledonen) giebt es Luftpflanzen (z.B. Marsilia, Sagittaria, Polygonum), welche ihre Abstammung von Wasserpflanzen dadurch beweisen, dass ihre jungen Triebe, wenn man sie unter Wasser bringt, Stengel und Blätter von der anatomischen Structur der Wasserpflanzen entwickeln, was die meisten Luftpflanzen, die gleichsam ihre entfernteren Ahnen schon vergessen haben, nicht thun.

Wenn wir nun auch somit die natürliche Auslese im Kampfe um's Dasein als ein wichtiges Hülfsmittel zur Entstehung neuer[241] Arten anerkannt haben, so kann ich doch keineswegs zugeben, dass mit diesem Princip überhaupt die Entstehungsgeschichte der organischen Welt erschöpft sei. Nicht als ob sich diese Annahme nicht ganz gut mit unseren Voraussetzungen vom Wesen des Unbewussten vertrüge, – denn wenn dieses sich überhaupt die Sache möglichst erleichtert, so könnte es ihm natürlich gerade recht sein, wenn es sich nur um das Individuum zu bekümmern brauchte, und die Fortbildung der Arten ganz von selbst mechanisch weiter ginge, – nur deshalb, weil die zu erklärenden Thatsachen weit reicher als die Tragweite des Erklärungsprincips sind, kann ich dasselbe nicht für ausreichend erachten.

Bei dem gegenwärtigen allgemeinen Interesse an der Darwin'schen Theorie und der so häufig stattfindenden Ueberschätzung ihrer Tragweite dürfte es sich lohnen, noch einige Augenblicke bei der Betrachtung zu verweilen, in wiefern sich dieselbe als unzulänglich herausstellt. (Vgl. auch Bd. I, S. 248 – 250.)

Wenn man annimmt, dass durch den Kampf um's Dasein allein sich die Organisation von der primitiven Urzelle bis zu ihrer gegenwärtigen Höhe entwickelt habe, dass also jede höher entwickelte Art nur dadurch aus der nächst niederen hervorgegangen sei, dass sie derselben gegenüber einen höheren Grad von Lebensfähigkeit besass, so liegt darin die nothwendige Consequenz, dass jede höhere Art auf ihrem Terrain jeder niederen Art an Lebensfähigkeit überlegen sei, und zwar in um so höherem Grade überlegen, je grösser der Abstand ihrer beiderseitigen Organisationsstufe ist, da sich ja bei jedem neuen Entwickelungsschritt ein neuer Zuwachs au Lebensfähigkeit ergiebt, und diese Zuwachse sich addiren. Diese unmittelbare Consequenz ist nun aber im vollkommenen Widerspruch mit dem Thatbestand, welcher ergiebt, dass jede Organisationsstufe im Ganzen genommen die gleiche Lebensfähigkeit besitzt und dass nur innerhalb derselben Organisationsstufe die verschiedenen Arten oder Varietäten sich durch eine grössere oder geringere Lebensfähigkeit unterscheiden, womit auch übereinstimmt, dass der Kampf um's Dasein in der Concurrenz um die Lebensbedingungen um so häufiger vorkommt, um so erbitterter ist, und um so sicherer mit gänzlicher Vernichtung des einen Theils endet, je näher verwandt die concurrirenden Arten oder Varietäten sind, während die Arten um so friedlicher neben einander wohnen und um so mehr sich gegenseitig in der Lebenserhaltung unterstützen, je ferner sie in dem verwandtschaftlichen Stammbaum der Organisation sich[242] stehen. In jeder Localität, wenn man von dem Unterschiede zwischen Land und Meer absieht, findet man alle Organisationsstufen vertreten, und alle gedeihen trefflich neben einander, während nach der Darwin'schen Theorie streng genommen an jeder Localität zuletzt nur Eine Art, und zwar die höchste übrig bleiben dürfte, weil diese alle anderen an Lebensfähigkeit für diese Verhältnisse überträfe. Das ist ja aber gerade das Wunderbare und Grossartige an der Natur, dass jeder Schlusstypus einer Classe so vollkommen in sich ist, dass man wohl darüber hinaus gehen kann, jedoch nur indem man neue anatomisch-morphologische Voraussetzungen des Baues hinzunimmt, nicht aber durch physiologische Steigerung der bisherigen Form oder ihrer Accommodation zu den Lebensbedingungen; denn beide sind vollendet. Hätten nicht wirklich alle Organisationsstufen im Durchschnitt die gleiche Lebensfähigkeit, so müssten ja in dem Millionen Jahre bestehenden Kampfe um's Dasein alle niederen Arten von den höheren längst vollständig verdrängt sein, während doch die fossilen Reste erweisen, dass es unter den allerverschiedensten Umständen verhältnissmässig wenige Classen von Thieren und Pflanzen gegeben hat, die nicht auch in der Gegenwart ihre völlig lebensfähigen Vertreter hätten.

Die Accommodationsfähigkeit einer Classe und selbst einer Art innerhalb ihrer eigenen Grenzen ist im Allgemeinen weit grösser, als man glaubt; dies folgt theils aus dem Fortbestehen nicht weniger Arten seit ihrer Entstehung bis zur heutigen Zeit, wo sich doch wahrlich die Verhältnisse genug geändert haben, theils aus den grossen Verbreitungskreisen heutiger Classen und Arten. Manche Classen bevölkern die ganze Erde oder das ganze Meer, viele Arten haben eine Verbreitung über 20 bis 40 Breitegrade. Endlich wird es durch die Acclimatisationsfähigkeit der Arten bewiesen, die oft in's Erstaunliche geht, wenn die Erfahrungen sich nur über genügende Zeiträume erstrecken. So wollte der Pfirsichbaum, der vermuthlich ein indisches Gewächs ist, zu des Aristoteles Zeiten in Griechenland noch nicht gedeihen, während wir heute in Norddeutschland recht gute Pfirsiche ziehen. Es ist also die Accommodationsfähigkeit der Arten innerhalb ihrer specifischen Grenzen, theils durch innere physiologische Abänderungen, die sich der Beobachtung entziehen, theils durch Bildung von Varietäten, eine so grosse, dass sie einer schon recht erheblichen Aenderung des Klima's u.s.w. sich völlig anzubequemen im Stande sind, [243] ohne aus der Art zu schlagen. Höchst zahlreich sind die Beispiele, wo nah verwandte Arten auf einer Localität neben einander wohnen ohne merkliche Veränderung ihrer relativen Anzahl, und doch ist gerade innerhalb der Artgrenzen zwischen Varietäten und noch geringeren Unterschieden der Kampf um's Dasein am heftigsten; mag aber dieser Kampf in einem bestimmten Falle eintreten oder ausbleiben, so wird doch in keinem der hier betrachteten Fälle ein Ueberschreiten der Artgrenze sich herausstellen. Endlich wird nicht leicht an eine Art eine so grosse Veränderung der äusseren Verhältnisse herantreten, oder eine Art in so abweichende Verhältnisse hineinwandern, dass nicht die von uns als so beträchtlich erkannte Accommodationsfähigkeit und Acclimatisationsfähigkeit innerhalb der Artgrenzen diesen Ansprüchen genügte. Tritt dann aber später eine abermalige Veränderung der Lebensbedingungen an demselben Orte ein, so wird dieselbe meistens eine Rückkehr zu den schon früher dagewesenen Verhältnissen sein, also wird die Art dieser Veränderung einfach dadurch Genüge thun, dass sie die früher gethanen Schritte in umgekehrter Richtung thut (wie dies bei den vorhin erwähnten Versuchen mit Versetzung von Pflanzen in verschiedene Bodenarten beobachtet ist), und wieder liegt keine Veranlassung vor zum Uebergange in eine neue oder gar in eine ferner stehende Art. Ist hingegen die abermalige Veränderung der Lebensbedingungen in derselben Richtung gelegen, so wird die Art leichter an diesem Orte aussterben (z.B. die Fauna der europäischen Eiszeit), als dass sie in eine neue Art übergeht, welche ihrer Stammform noch ferner liegt, als ihr bisher erreichter Standpunct.

Wie könnte auch das Anheben einer neuen Entwickelungsrichtung nach erschöpfender Durchbildung der letzterreichten Organisationsstufe und vielleicht Jahrtausende langer Pause aus dem Kampfe um's Dasein zu begreifen sein? Wir haben gesehen, dass es gerade die unvollkommeneren Formen der vorigen Stufe sind, von denen die Entwickelung der höheren Stufe ausgeht. Abgesehen von dem schon erwähnten Umstand, dass diese unvollkommeneren Formen von allen Arten der niederen Stufe die am längsten unverändert bestehenden sind, also nach Darwin's Ansicht die stabilsten und am wenigsten einer individuellen Abweichung und Weiterbildung fähigen sein müssten, abgesehen auch davon, dass, wenn allein der Kampf um's Dasein die späteren Formen der niederen Stufe geschaffen hätte, diese Primitivformen sich alle bereits aus demselben Grunde und durch denselben Process in entwickeltere[244] Formen derselben Stufe verwandelt haben müssten, oder doch von den einmal entstandenen lebensfähigeren Formen in den unermesslichen Zeiträumen längst hätten vernichtet sein müssen, abgesehen von alle dem, sollte man doch meinen, dass, wenn wirklich aus wer weiss welchen Ursachen diese sich behauptet habenden Primitivformen einen Anstoss zur Weiterentwickelung erhalten hätten, dass dann durch den Kampf um's Dasein doch immer nur eine Wiederholung der ihnen viel näher liegenden Entwickelung zu den schon vorhandenen höheren Formen derselben Stufe hervorgerufen werden müsste, als ein Uebergang zu der morphologisch so abweichenden höheren Stufe, da ja notorisch sich die höheren Formen der niederen Stufe auch unter den neuen Verhältnissen meistens ebenso lebensfähig erweisen, als die Arten der höheren Stufe. Es erhält diese Betrachtung um so mehr Gewicht, je mehr die Geologie zu der Erkenntniss gelangt, dass die Klimate und Lebensbedingungen früherer geologischer Perioden (mit Ausnahme der ersten Zeiten nach der Abkühlung der Erdoberfläche) immerhin mit denen irgend welcher Localitäten der heutigen Erdoberfläche weit näher vergleichbar waren, als die ältere von Katastrophen und ungeheuerlichen Revolutionen träumende Geologie dies annahm. – Am unbegreiflichsten aus den Darwin'schen Voraussetzungen ist der Uebergang aus den einzelligen zu den mehrzelligen Organismen, da gerade die unglaubliche Indifferenz der einzelligen Gewächse gegen ihre Umgebung, d.h. ihre Fähigkeit, sich auch den allerabweichendsten Verhältnissen durch relativ geringe Modificationen zu accommodiren, den Mangel eines Motives zum Ueberschlagen in zusammengesetzte Typen recht deutlich hervortreten lässt.

Fragt man endlich positiv, von welcher Art die durch den Kampf um's Dasein entstehenden nützlichen Anpassungen sind, so ist die Antwort: sie sind ausschliesslich physiologischer Natur. Hier liegt die eigentliche Grenze des Darwin'schen Princips deutlich vor Augen: es reicht aus, so lange es sich um Ausbildung und Umbildung eines bestehenden Organs zu einer durch die Verhältnisse erforderten physiologischen Verrichtung handelt, es verlässt uns, so wie eine morphologische Veränderung zu erklären ist. Dass auch morphologische Veränderungen durch Summirung individueller Abweichungen möglich sind, ist nicht zu bezweifeln, und Darwin beweist es mit vielen Beispielen, namentlich am Skelett von Tauben; aber in allen den angeführten[245] Fällen findet eine künstliche Züchtung statt. Ein Paar Zähne, Wirbel, oder eine Zehe mehr oder weniger, ein so oder anders gestalteter Wirbel sind für den Kampf um's Dasein ganz indifferent, und gerade dies sind die Merkmale, an denen der Zoologe am sichersten die Arten unterscheidet: der Kampf um's Dasein hingegen kann selbstverständlich nur an solchen Elementen des Organismus eine Aenderung hervorrufen, welche für denselben irgend welche Wichtigkeit haben, und wird um so kräftiger auf ihre Umgestaltung einwirken, je grösser ihre Bedeutung für den Kampf um's Dasein ist. Der Kampf um's Dasein bewirkt, dass ein und dasselbe Organ (in morphologischer Beziehung) die verschiedensten physiologischen Verrichtungen übernimmt, während bei Arten, die unter ähnlichen Lebensbedingungen stehen, aber von verschiedener Abstammung sind, oft dieselbe Leistung durch morphologisch ganz verschiedene Organe verrichtet wird. (So haben z.B. die auf thierischen Haaren lebenden Schmarotzermilben ein Organ zum Umklammern des Haares, auf dem sie wandern; dieses wird aber bei Listrophorus durch die umgewandelte Lippe, bei Myobia durch das vorderste Fusspaar, bei Mycoptes durch das dritte, oder auch zugleich das vierte Fusspaar dargestellt.) Bei allen diesen Veränderungen bleibt aber der morphologische Grundtypus unverändert und unangetastet.

Beim Thierreich stösst die durchgehende Anerkennung der Behauptung, dass nur die physiologischen, nicht aber die morphologischen Veränderungen für den Grad der Lebensfähigkeit entscheidend sind, deshalb auf Schwierigkeiten, weil das auch von Darwin eingeräumte Vorkommen der sympathischen Veränderungen noch häufig mit der physiologischen Veränderung eines Organs auch morphologische Veränderungen, oft an ganz anderen Körpertheilen, Hand in Hand gehen lässt, welche Erscheinung, aus eigenthümlichen Gesetzen der organischen Bildungsthätigkeit des Unbewussten entspringend, ganz geeignet ist, das Urtheil zu verwirren; in voller Klarheit aber tritt unsere Behauptung im Pflanzenreiche zur Erscheinung. Das competente Urtheil Nägeli's (Entstehung und Begriff der naturhistorischen Art, München, 1865, S. 26) lautet hierüber: »Die höchste Organisation thut sich in zwei Momenten kund, in der mannigfaltigsten morphologischen Gliederung und in der am weitesten durchgeführten Theilung der Arbeit. Beide Momente fallen im Thierreich in der Regel zusammen, da das nämliche Organ auch die gleiche Verrichtung besitzt. Bei den Pflanzen[246] aber sind sie unabhängig von einander; die gleiche Function kann von ganz verschiedenen Organen, selbst bei nahe verwandten Pflanzen, übernommen werden, das nämliche Organ kann alle möglichen physiologischen Verrichtungen vollziehen. Es ist nun bemerkenswerth, dass die nützlichen Anpassungen, welche Darwin für Thiere anführt und die man in Menge für das Pflanzenreich auffinden kann, ausschliesslich physiologischer Natur sind, dass sie immer die Ausbildung und Umbildung eines Organs zu einer besonderen Function aufzeigen. Eine morphologische Modification, welche durch die Darwin'sche Theorie zu erklären wäre, ist mir im Pflanzenreiche nicht bekannt, und ich sehe selbst nicht ein, wie dieselbe erfolgen könnte, da die allgemeinen Processe der Gestaltung sich gegen die physiologische Verrichtung so indifferent verhalten. Die Darwin'sche Theorie verlangt die auch von ihr ausgesprochene Annahme, dass indifferente Merkmale variabel, die nützlichen dagegen constant seien. Die rein morphologischen Eigenthümlichkeiten der Gewächse müssten demnach am leichtesten, die durch eine bestimmte Verrichtung bedingten Organisationsverhältnisse am schwierigsten abzuändern sein. Die Erfahrung zeigt das Gegentheil. Die Stellungsverhältnisse und die Zusammenordnung der Zellen und Organe sind sowohl in der Natur, als in der Cultur die constantesten und zähesten Merkmale. Bei einer Pflanze, die gegenüber stehende Blätter und vierzählige Blüthenkreise hat, wird es eher gelingen, alle möglichen die Function betreffenden Abänderungen an den Blättern, als eine spiralige Anordnung derselben hervorzubringen, obgleich diese, als für den Kampf um das Dasein ganz gleichgültig, durch die natürliche Züchtung zu keiner Constanz hätte gelangen können.« Hätte Darwin seine Beispiele mehr von Pflanzen als von Thieren entlehnt, so wäre er vielleicht selbst auf die natürliche Grenze für die Wirkung des Kampfes um's Dasein aufmerksam geworden. Es ist klar, dass derselbe nur das Verhalten der Organismen zu den äusseren Lebensbedingungen alteriren kann, d.h. ihre Verrichtungen, und die Organe nur, so weit die Verrichtungen von ihnen abhängig sind, dass er aber auf solche Eigenschaften der Organismen keinen Einfluss haben kann, deren Abänderung für die Beziehungen zwischen den Organismen und der Aussenwelt den ersteren weder Vortheil, noch Nachtheil bringt. Zu letzteren Eigenschaften geboren aber bei den Pflanzen und selbst bei den Thieren die meisten Grundprincipien des morphologischen Typus,[247] z.B. namentlich die für denselben gewählten Zahlverhältnisse.

Wir haben hierin eine Bestätigung gefunden für unsere obige Behauptung, dass die natürliche Auslese im Kampfe um's Dasein wohl ein höchst schätzenswerthes Hülfsmittel für die erschöpfende Durchbildung eines einmal vorhandenen Typus innerhalb derselben Organisationsstufe ist, nicht aber zur Erklärung des Ueberganges von einer niederen zu einer höheren Organisationsstufe dienen kann, da mit einem solchen allemal auch eine Steigerung des morphologischen Typus verbunden ist. In seinen neuesten Untersuchungen (Botan. Mittheilungen, 1868) über das Verhalten der Individuen einer und derselben Pflanzenart einerseits unter den gleichen, andererseits unter verschiedenen äusseren Umständen kommt Nägeli zu dem Resultat, dass ebensowohl die Bildung ungleicher Varietäten unter gleichen, als die Bildung gleicher Varietäten unter ungleichen Verhältnissen vorkomme, woraus Folgendes zu schliessen sei: 1) die äusseren Verhältnisse reichen als alleinige Ursache zur Varietätenbildung nicht hin, sondern setzen als zweite, entgegenkommende Bedingung eine der Pflanze innewohnende Eigenschaft, eine »Tendenz abzuändern« (und zwar nach bestimmten Richtungen) voraus; 2) wohl aber kann diese innere Eigenschaft der Pflanze allein hinreichen, um auch unter gleichen äusseren Verhältnissen eine Bildung verschiedener Varietäten herbeizuführen. Dies bestätigt unsere oben gemachten Annahmen.A49 Von Zoologen hat noch ganz neuerdings Kölliker sich für die Nägeli'sche Annahme ausgesprochen, dass die Umgestaltung bestehender Organismen durch zufälligen Wechsel der äusseren Umstände an Wichtigkeit und Tragweite zurücktritt gegen die der organischen Welt innewohnende Tendenz der Entwickelung aus inneren Ursachen nach vorausbestimmten Gesetzen, gleichviel, mit welchen Namen man dieses schaffende Princip, diese schöpferische Thätigkeit nennen wolle; in diesem Sinne will er jetzt seine frühere Aufstellung der »heterogenen Zeugung« (vgl. oben S. 225) interpretirt wissen.23A50

Bevor wir den Gegenstand verlassen, sei noch eines eigenthümlichen Hülfsmittels erwähnt, dessen wirkliche Benutzung zwar bis[248] jetzt noch nicht nachgewiesen ist, dessen bloss mögliche Anwendung aber schon so interessant ist, dass ich den Lesern eine bezügliche Andeutung nicht vorenthalten will. – Bis vor zehn Jahren galt es als wissenschaftlicher Grundsatz, dass von allen Thieren, die eine Metamorphose durchmachen, nur der vollkommenste Zustand fortpflanzungsfähig sei. Jetzt kennt man aber schon drei Ausnahmen. Die von Leptodera appendiculata, einem in dem Fuss der gemeinen nackten Wegschnecke lebenden parasitischen Fadenwurm, erzeugten Jungen repräsentiren die Larvenform ihrer Eltern; bei reichlicher Nahrung und Feuchtigkeit verpuppen sie sich aber nicht, sondern pflanzen sich unter einander beliebig oft ohne Abnahme der Fruchtbarkeit fort. Ein zweites Beispiel ist die schon im vor. Cap. (S. 207) erwähnte Cecidomyia, ein drittes der mexikanische Axolotl, dessen Identität mit dem ebenfalls längst bekannten Amblystoma erst dadurch festgestellt wurde, dass in den Aquarien die Metamorphose des Axolotl in Amblystoma in einzelnen Fällen direct beobachtet wurde. Die Larvenform des Thieres hat äussere Kiemen wie der keiner Metamorphose unterworfene Proteus, während die vollkommene Form kiemenlos ist. Es ist nun hier offenbar die Larvenform die ältere und ursprüngliche, und man muss annehmen, dass unter günstigen Umständen eines dieser molchartigen Thiere zum ersten Mal die Metamorphose vollzog, ein Umschwung, der seinen Nachkommen durch Vererbung erleichtert wurde. Der Axolotl hat nun das nächstfolgende Stadium der Entwickelung nicht erreicht, wo die Metamorphose, wie bei den meisten Lurchen, regelmässiger Ablauf des Lebens wird. Wie aber der Fortschritt von den Fischmolchen zu den höheren Lurchen dadurch geschieht, dass die Fähigkeit der Metamorphose durch Vererbung zum Gesetz wird, so kann man sich den weiteren Fortschritt von den Lurchen zu den Reptilien dadurch vollzogen denken, dass unter günstigen Umständen ein Lurch dazu gelangt, Junge von bereits erlangter Endgestalt zu gebären, oder mit andern Worten, die Metamorphose in das Embryonenleben hineinzuverlegen.A51 – Eine ähnliche Betrachtung wie an die Metamorphose lässt sich an den Generationswechsel anknüpfen (vgl. Häckel); doch fehlen uns bis jetzt zu sehr die Daten, um auf diesem Wege sichere Resultate zu erzielen. –

Fassen wir den Gedankengang dieses Capitels noch einmal kurz zusammen, so ergab sich aus dem Princip, das vorgesetzte Ziel stets mit kleinstmöglichem Kraftaufwand zu erreichen, Folgendes:

1) Das Unbewusste verzichtet bei der Darstellung höherer[249] Organisationsstufen auf die Urzeugung, es knüpft vielmehr an die schon bestehenden Organisationsformen an.

2) Es verwandelt nicht direct die niedere Form in die höhere, sondern bildet letztere aus einem günstig angelegten Keim der niederen Art heraus.

3) Es macht möglichst kleine Schritte, und bildet die grösseren Differenzen durch Summirung einer Menge kleiner individueller Unterschiede.

4) Es benutzt die bei jeder Zeugung zufällig entstehenden individuellen Abweichungen, so weit solche in denjenigen Richtungen vorhanden sind, die seinem Zwecke entsprechen.

5) Es benutzt zum Festhalten der gleichviel wie entstandenen Abweichungen die natürliche Auslese im Kampfe um's Dasein, so weit dieselben in letzterem den Organismen eine grössere Lebensfähigkeit verleihen.

6) Das Unbewusste muss (abgesehen von seinem fortwährenden Eingreifen bei jedem organischen Bilden, also auch bei jeder Zeugung) bei der Fortentwickelung der Organisation eine directe Thätigkeit entfalten: einerseits um bei neuen Keimen die nicht zufällig entstehenden und doch in seinem Plane liegenden Abweichungen hervorzurufen, und andererseits um die entstandenen Abweichungen, welche zu seinem Plane gehören, aber den Organismen keine gesteigerte Concurrenzfähigkeit im Kampfe um's Dasein verleihen, vor dem Wiederverlöschen durch Kreuzung zu bewahren. –

Schliesslich sei noch bemerkt, dass aus demselben Grunde, wie nach Ermöglichung der Elternzeugung keine Urzeugung mehr stattfindet, so auch die Entwickelung einer neuen Art aus niederen nur dann stattfindet, wenn die Art noch nicht, oder wenigstens nicht auf dieser Localität besteht. Es würde also die Entwickelung einer neuen Art als ein nur einmaliger oder doch nur wenige Male auf verschiedenen Localitäten unter gleichen Umständen vorkommender Process aufzufassen sein, was empirisch durch die günstigen Resultate der jüngsten Forschungen nach den Entstehungsbezirken oder Ausbreitungscentren der Thier- und Pflanzenspecien bestätigt wird, – wohingegen nach der einmaligen Entstehung einer neuen Art die gleichartige oder wenig modificirte Fortpflanzung derselben der normale, immer wiederholte Process ist, bis zum etwaigen Untergange der Art. (Nach Darwin müsste sich[250] der Process der Herausbildung gewisser höherer Arten aus ihren niederen Stammformen so lange oder so oft beständig wiederholen, als die äusseren Bedingungen, welche ihn das erstemal hervorriefen, andauern, oder von Neuem eintreten: aber diese Anforderung lässt sich schwer mit den Thatsachen der Erfahrung in Einklang bringen, da sie hierzu das anderweitig nicht wahrscheinliche einmalige Auftreten kurz andauernder und nie wiederkehrender Verhältnisse zu Hülfe nehmen müsste.) Mag man sich also immerhin den Entwickelungsprocess einer neuen Art ziemlich langsam denken (etwa einige Hunderte oder Tausende von Jahren einnehmend), so wird er dennoch von dem Zeitraum der wesentlich gleichen Fortdauer der fertigen Art (einige Hunderttausende bis Zehnmillionen von Jahren) immer nur ein unerheblich kleiner Theil sein.

Dies ist ein zweiter Grund zu anderen schon oben angeführten, weshalb man so viel mehr gleichartige fossile Exemplare von gesonderten Artcharakteren findet, als solche, die Uebergangsstufen zwischen nächst verwandten Arten darstellen.A52[251]

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Die Embryologie ist jetzt eine der wichtigsten Stützen und Forschungsquellen für die Descendenztheorie, da man im Allgemeinen sagen kann, dass jedes Thier in seiner embryonalen Entwickelung die Organisationsstufen der embryonalen Entwickelung seiner sämmtlichen directen Vorfahren kurz repetirt. Niemals werden Formen berührt, welche nicht in der directen Abstammungslinie liegen, sondern nur in Seitenlinien ausgebildet sind, wohl aber können die Entwickelungsreihen auch der directen Vorfahren, namentlich der entfernteren, in so abgekürzter, ja sogar sprungweiser Reproduction angedeutet werden, dass das Auge des Forschers die Analogie mit den fernliegenden Ahnen erst dann durchschaut, wenn er sie sich durch das Studium der Embryologie dazwischen liegender Organisationsstufen für das Verständniss vermittelt (z.B. Säugethier und Ascidier durch Amphioxus.)

A48

S. 235 Z. 17. (Vgl. im dritten Theile dieses Werkes die Entgegnung gegen Oskar Schmidt Nr. 6 die zwei letzten Seiten.)

A49

S. 248 Z. 24. Ein anderer hervorragender Botaniker N. Pringsheim äussert sich zum Schluss einer Untersuchung über die zusammenhängende Formenreihe der Sphacelarien, welche von den einfachen confervenartigen Ectocarpeen durch die Gattungen Halopteris, Stypocaulon u.s.w. zu der cormophytenähnlichen Gattung Cladostephus führt, folgendermaassen (Abhandl. der physik. Classe der Ak. der Wiss. zu Berlin 1873, auszüglich im Naturf. 1874 Nr. 4): »Nirgends lässt sich hier eine fortschreitend günstigere Anpassung der entstandenen Abweichungen an die gleichartigen Lebensbedingungen, unter denen sie entstanden sind, voraussetzen und nachweisen. Die entstehenden Formendifferenzen zeigen nirgends deutliche, physiologisch günstige Eigenthümlichkeiten; sie beruhen wesentlich auf geringen, allmählich wachsenden Abweichungen im anatomischen Bau und in der Stellung der Verzweigungssysteme. – Bei diesen einfachen Geschöpfen beschränkt sich dieser Kampf (um's Dasein) auf einen Kampf um den Platz. Der einzige Punkt, der hier von Wichtigkeit wäre, die Mannichfaltigkeit, die Zahl und die Erhaltungsfähigkeit der Reproductionsformen, spricht in keiner offenbaren Weise für die Einhaltung der Richtung, die die Reihe bei ihrer Entwickelung genommen hat. Es lässt sich bei Betrachtung dieser und anderer ähnlicher Reihen unter den niedrigsten Gewächsen nicht verkennen, dass die ersten Formenabweichungen bei diesen einfachsten Organismen rein morphologischer Natur sind, d.h. dass sie keine nachweisbaren Beziehungen zu irgend welchen physiologischen Functionen haben, die für die Erhaltung des Lebens von Wichtigkeit sind. Die Existenz solcher in diesem Sinne rein morphologischer Arten-Reihen scheint mir entscheidend für die Frage nach den Ursachen der Artbildung. Bestehen nun – um nur bei den Algen zu bleiben – die Reihen der Protococcaceen, Palmellaceen, Desmidia ceen, Diatomeen, Conferven, Ulothritheen, Ceramieen, Polysphonieen u.s.w. nicht aus solchen im Gegensatze zur Darwinistischen Vorstellung nur rein morphologischen Arten? Dennoch ist in allen diesen Reihen ein Entwickelungsgang der Formen, der immer vom Einfachen zum Complicirten, oder, wenn man will, vom Unvollkommenen zum Vollkommenen führt, unverkennbar. Also diese niederen, rein morphologischen Reihen sprechen mit Entschiedenheit dafür, dass der Kampf um das Dasein für sich allein nicht genügt, um die Accumulation der Formenabweichungen in der durch die ganze Schöpfungsreihe constanten Richtung vom Einfachen zum Mannichfaltigen zu erklären. Dieser setzt ja mit Notwendigkeit die physiologisch günstigere Beschaffenheit der entstehenden Variationen und die Häufung dieser günstigen Eigenschaften in der bevorzugten Richtung voraus. Diese Bedingungen fehlen aber in dem Entwickelungsgange der rein morphologischen Arten-Reihen der niedrigsten Gewächse. Hier treten jene inneren, richtenden Kräfte, die den Gang der gesteigerten Abweichungen in die bevorzugte Richtung drängen, in ihrer Reinheit, unvermischt mit den Wirkungen des Kampfes um das Dasein, in die Erscheinung und lassen ihre Existenz nicht bezweifeln.«

23

Morphologie und Entwickelungsgeschichte des Pennatulidenstammes nebst allgemeinen Betrachtungen zur Descendenzlehre von A. Kölliker. Frankfurt a M. bei Winter, 1872, S. 26-27, u. 30 ff. Die ganze allgemein gehaltene Einleitung dieser Schrift ist ein sehr interessanter Beitrag zur Descendenztheorie und zur Kritik der Theorie der natürlichen Zuchtwahl.

A50

S. 248 Z. 2 v. u. Ein andrer Zoologe, Moritz Wagner, ist ebenso wie Kölliker Anhänger der Descendenztheorie, zugleich aber hält er die Selectionstheorie nicht bloss an und für sich für unzulänglich, sondern sogar für falsch und gänzlich werthlos. Dies ist nun offenbar eine zuweitgehende Gegnerschaft, aber die Argumente gegen die Darwinistische Ueberschätzung der Selectionstheorie, welche Wagner in verschiedenen Abhandlungen und noch neuerdings im »Ausland« (1875 Mai bis Juli) zusammengestellt hat, sind jedenfalls sehr beachtenswerth. Seine Ansicht geht dahin, dass die räumliche Absonderung einzelner oder weniger Individuen einer bestehenden Art nicht nur, wie auch Darwin zugiebt, ein begünstigender Umstand für die Entstehung einer neuen Art sei, sondern die unerlässliche Bedingung und zugleich die zureichende Ursache dieses Vorgangs bilde. Wäre selbst seine Annahme richtig, dass der Wiederuntergang der entstehenden Abweichung in die Stammart durch Kreuzung durch kein anderes Mittel als durch räumliche Absonderung eines oder mehrerer Paare zu verhindern sei (was jedenfalls noch unerwiesen ist), so könnte doch die Absonderung immer nur Bedingung, aber niemals Ursache der neuen Artbildung sein, und die Frage, welches Princip jene bedeutenden Abweichungen separirter Individuen positiv hervorrufe, die durch die Absonderung bloss vor der Zerstörung geschützt werden, bliebe doch nach wie vor offen. Grade die von Wagner angeführten Beispiele sind der Art, dass ein Zurückgreifen auf das Geoffroy'sche Princip der Einwirkung der veränderten äusseren Umstände auf den Organismus hier noch unzulänglicher erscheinen muss, als das Darwinistische Pochen auf das Selectionsprincip, und dass auch Wagner bei einer Vervollständigung seiner »Absonderungstheorie« nach der positiven Seite nothwendig zur Anerkennung »innerer richtender Kräfte« oder einer »innewohnenden Tendenz der Entwickelung«, d.h. eines die Richtung der Variation bestimmenden organisirenden Princips, gelangen muss.

A51

S. 249 Z. 8 v. u. Die hier von mir ausgesprochene Vermuthung hat sich inzwischen verwirklicht durch die Entdeckung des Marineapothekers A. Bavay auf dem vulkanischen Felseneiland Guadeloupe, nach welcher eine dort massenhaft vertretene Art kleiner Frösche (Hylodes martinicensis) in Ermangelung von Sümpfen und Süsswasser für das Leben als Kaulquappen das Kaulquappenstadium lediglich innerhalb des Ei's durchmachen und als schwanzlose fertige kleine Frösche aus dem Ei ausschlüpfen. (Naturforscher 1873, Nr. 17.) In diesem Specialfall hat die Rückverlegung der Metamorphose in das embryonale Leben freilich zu keiner weiteren Entwickelungsreihe höherer Organismen geführt, aber es bietet uns dieses Beispiel wenigstens eine Analogie, nach der sich auch diejenigen Reptilien, aus denen die höheren Ordnungen des Thierreichs entsprungen sind, aus Lurchen entwickelt , haben können.

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S. 251 Z. 17. (Vergl. zu diesem Capitel im dritten Theile dieses Werkes die Monographie: »Wahrheit und Irrthum im Darwinismus. Eine kritische Darstellung der organischen Entwickelungstheorie.«)

Quelle:
Eduard Hartmann: Philosophie des Unbewussten. Band 2, Leipzig 10[o.J.], S. 222-252.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Philosophie des Unbewußten
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (8); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
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Philosophie des Unbewussten: 2
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