[Beurteilung der] Verhandlungen in der Versammlung der Landstände des Königreichs Württemberg im Jahr 1815 und 1816.

XXXIII Abteilungen.

[462] Das vor drittehalb Jahren begonnene Geschäft, eine deutsche Monarchie, die wir in unseren Zeiten entstehen sahen, durch die Einführung einer repräsentativen Verfassung zu vollenden, hat von seinem Beginnen ein so allgemeines Interesse bei dem deutschen Publikum erweckt, daß für dasselbe nichts Angenehmeres geschehen konnte, als daß die Verhandlungen der württembergischen Ständeversammlung öffentlich bekanntgemacht worden sind. An die Stelle der Hoffnungen, welche den Anfang und Fortgang begleiteten, muß am Schlüsse sich Erfolg und Urteil zeigen. Die 33 Hefte, auf welche sich diese Betrachtung zunächst beschränkt, enthalten zwar noch nicht die Vollendung des Hauptzwecks, aber sie bilden insofern ein geschichtliches Ganzes, als sie einerseits den Verfolg bis zum Tode des Königs darstellen, welcher die Monarchie gestiftet und auch den zweiten Schritt, den der inneren freien Konstituierung derselben, begonnen hat, und als die eigentümliche Entwicklung dieser Begebenheit in ihren Hauptzügen als seiner Regierung angehörig angesehen werden konnte; – andererseits erscheint die Arbeit von selten der Stände als ein Vollendetes, insofern ein hierzu von ihnen beauftragter Ausschuß mit seinem Entwürfe einer Verfassung fertiggeworden, welcher gleichfalls im Druck erschienen ist.

Diese Verhandlungen stellen ferner zwar vornehmlich nur [462] die eine Seite der Arbeiten jenes Versuchs dar, die öffentlichen Arbeiten nämlich, soweit sie in die Ständeversammlung treten; die innere Geschichte der Arbeiten des Kabinetts und des Ministeriums sowie, was außer der Versammlung im Volke vorging, die etwaigen äußeren Zwecke und Tätigkeiten der Mitglieder der Stände, überhaupt was man sonst zum geheimen Zusammenhange der Ereignisse und Handlungen zu rechnen pflegt, ist hier verdeckt. Das Interesse des Publikums ist aber schon von selbst vornehmlich auf den öffentlichen Teil der Verhandlungen aufmerksam gewesen, welcher ohnehin vornehmlich den Charakter hat, die würdigen Materialien der Geschichte abzugeben. Die sogenannten geheimen Triebfedern und Absichten einzelner Individuen, Anekdoten und subjektive Einwirkungen wurden in einer noch vor kurzem beliebten psychologischen Ansicht der Geschichte für das Wichtigste gehalten. Diese Ansicht ist jedoch nun außer Kredit gekommen, und die Geschichte strebt wieder nach ihrer Würde, die Natur und den Gang der substantiellen Sache darzustellen und die Charaktere der handelnden Personen aus dem, was sie tun, zu erkennen zu geben; die Überzeugung ist allgemeiner geworden, daß aus Zufälligkeiten weder die Sache noch die Charaktere in ihrer Gediegenheit hervorgehen und zu erkennen sind.

Die geschichtlichen Vorgänge, die wir hier vor uns sehen, haben den eigentümlichen Reiz, daß sie nicht einen so beträchtlichen Teil von Vergangenem enthalten als eine Geschichte fernerer Zeiten; die großen Zwecke und Interessen wie die kleineren Eigentümlichkeiten und Äußerlichkeiten haben noch Gegenwart. Die Begriffe über den Gegenstand des Interesses, welche wir an diese Begebenheit mitbringen müssen, dürfen wir an kein entfernteres Zeitalter, selbst nicht des gebildeten Griechenlands und Roms fordern; sie sind unserer Zeit eigentümlich. Alsdann sehen wir diese Ideen über Staatsverfassung und insbesondere über die Aufnahme eines Anteils daran, wodurch dem Volke eine Einwirkung in dieselbe und ein öffentliches Leben eingeräumt[463] wird, hier nicht als Gedanken eines Schriftstellers etwa mit den Gedanken eines anderen verglichen, sondern eine deutsche Regierung und ein deutsches Volk in der geistigen Arbeit um diese Gegenstände begriffen und die Gedanken in der Wiedergeburt einer Wirklichkeit beschäftigt.


Die Zeit hatte für Württemberg eine neue Aufgabe und die Forderung ihrer Lösung herbeigeführt, die Aufgabe, die württembergischen Lande zu einem Staate zu errichten. Nachdem der Unsinn der Einrichtung, welcher Deutsches Reich genannt und wohl am richtigsten von einem wenigstens geistreichen Geschichtsschreiber als die Konstituierung der Anarchie bezeichnet worden ist, endlich sein verdientes und ihm auch in der äußeren Art und Weise gemäßes schimpfliches Ende erreicht hatte, erhielt das vormalige Württemberg nicht nur eine Vergrößerung um mehr als das Doppelte gegen seinen vorherigen Bestand, sondern dieses Ganze, dessen Teile vorher deutsche Reichslehen, der Teil, der das Herzogtum ausgemacht hatte, auch ein böhmisches Afterlehen gewesen war, warf diese Unterordnung ab, trat mit der königlichen Würde des Fürsten in die Souveränität über und in die Stellung eines Staates, – eines von den wirklichen deutschen Reichen, die den Platz des Undings einnehmen, das nur noch den leeren Namen eines Reichs geführt hatte.

Solche Epochen sind höchst selten, ebenso selten die Individuen, welchen das Schicksal das ausgezeichnete Los zuteilte, Staaten zu stiften. Das Geschichtliche dieser Wenigen verliert sich meist in eine graue Vorzeit und in einen Zustand von wilden, wenigstens noch wenig gebildeten Sitten, wo nach außen zwar ein Staat geworden, die innere Einrichtung aber in einfachen Gewohnheiten des Volks und in dem Charakter des Chefs lag. Die geschichtliche Entstehung gegliederter Verfassungen ist durch eine lange Reihe von Jahrhunderten ausgedehnt; den wenigen Hauptzügen, die zugrunde lagen, gab das Bedürfnis des Augenblicks, Not und Gewalt der Umstände jedesmal an irgendeinem einzelnen Punkte[464] eine Entwicklung und Zusätze. Der Gesichtspunkt, um den sich die näheren Bemühungen dieser Ausbildung drehen, ist ziemlich einfach; es sind einerseits die Anstrengungen der Regierung, die Macht und die Anmaßungen des aristokratischen Mittelgliedes zu bezwingen und dem Staate seine Rechte gegen dasselbe zu erwerben, andererseits die Anstrengungen des dritten Standes, der oft auch für sich Volk heißt, gegen dieselbe Zwischenmacht, zuweilen auch gegen die Regierung selbst, sich Bürgerrechte zu erringen und abzutrotzen. So zeigt eine Verfassung im Überblicke sich als ein Aggregat entstanden, die Entwicklung nicht gleichförmig fortgeschritten, einzelne Teile zurückgeblieben, andere zu störenden Auswüchsen erweitert, so daß solche Verfassung einem alten Hause gleicht, dessen einfache Grundform eine lange Reihe von Besitzern, nach den Erweiterungen der Familie und dem Bedürfnisse des Augenblicks, in eine Sammlung von Anbauten und Winkeln verwandelt hat, die ihre einzelnen Bequemlichkeiten haben, aber zusammen ein unförmliches und unverständiges Ganzes ausmachen. Die Geistesbildung der Zeit hat die Idee eines Staats und damit seiner wesentlichen Einheit, und eine fünfundzwanzigjährige, soeben abgelaufene, meist fürchterliche Wirklichkeit hat die Anschauung der mannigfaltigen Versuche, die Idee zu fassen, und eine kostbare vollständige Erfahrung gegeben. Die Gunst der Umstände endlich gewährte hierzu dem Regenten Württembergs auch das Dritte, die äußerlichen Bedingungen, und noch den ausgezeichneten Vorteil, daß er den aristokratischen Mittelstand nicht als ein früher festgestelltes Hindernis in einem privilegierten Landadel vorzufinden, sondern daß dies Element jetzt erst nur aufzunehmen zu sein schien. Der König schien hiermit auf den in der Geschichte einzigen Standpunkt gestellt zu sein, eine Verfassung aus einem Gusse geben zu können.

Von der erlangten Souveränität war die eine Seite, die Existenz und Anerkennung des neuen württembergischen Staats nach außen, vollbracht. Die erste Zeit ihrer Entstehung war[465] in Umstände gefallen, unter denen alles für die äußerliche Herstellung und Erhaltung gebieterisch aufgeboten, nach innen daher die Mittel durch eine kräftige Ministerialregierung zusammengenommen und in fester Hand zum Gebrauch bereitgemacht werden mußten. Nun war die Zeit gekommen, wo nicht bloß die Macht des Staats, sondern auch der Wille desselben lebendig werden konnte. Das Glück und die Anstrengungen der europäischen Regierungen und ihrer Völker hatten es vollbracht, die Souveränität der deutschen Reiche von der Beschränkung, unter der sie noch lagen, zu befreien, und damit die Möglichkeit herbeigeführt, den Völkern freie Verfassungen zunächst zu versprechen. Eine höhere Notwendigkeit aber als in dem positiven Bande eines Versprechens liegt in der Natur der zu allgemeiner Oberzeugung gewordenen Begriffe, welche an eine Monarchie die Bestimmung einer repräsentativen Verfassung, eines gesetzmäßigen Zustandes und einer Einwirkung des Volkes bei der Gesetzgebung knüpfen. – Friedrich II. tat nun auch diesen zweiten Schritt, den monarchischen Staat nach innen zu schaffen.

Das Versprechen ließ sich auf eine Weise erfüllen, welche für die klügste gehalten, ja sogar für die rechtlichste ausgegeben werden konnte, welche aber der perfideste Rat gewesen wäre, den Minister hätten geben können. Wenn die Fürsten der neuen Reiche ihre Völker recht gründlich hätten betrügen und sich Ehre sozusagen vor Gott und den Menschen hätten erwerben wollen, so hätten sie ihren Völkern die sogenannten alten Verfassungen zurückgegeben; – Ehre vor Gott und der Welt – denn nach so vielen öffentlichen Stimmen und insbesondere auch nach der vorliegenden Geschichte könnte man meinen, daß die Völker in die Kirchen geströmt und laute Tedeums gesungen hätten. – Für Machiavellis Manen hätten sich die Fürsten den Ruhm der feinen Politik der Auguste und der Tibere erworben, welche gleichfalls die Formen des vorhergehenden Zustandes, damals einer Republik, bestehen ließen, während diese Sache nicht mehr war[466] und unwiderruflich nicht mehr sein konnte, – ein Bestehen und ein Betrug, in welchen ihre Römer eingingen und wodurch die Errichtung eines vernünftigen, monarchischen Zustandes, dessen Begriff die Römer noch nicht fanden, unmöglich wurde. – Diese Politik konnte unseren Fürsten um so näher liegen, wenn sie aus der Erfahrung der letzten fünfundzwanzig Jahre die Gefahren und Fürchterlichkeiten, welche sich an die Erschaffung neuer Verfassungen und einer vom Gedanken ausgehenden Wirklichkeit geknüpft, und dagegen die gefahrlose Ruhe und Nullität, in welche die Institute der vormaligen landständischen Verfassungen sich herabgebracht hatten, miteinander verglichen, – wenn sie mit dieser schon vorhandenen Nullität weiter die Reflexion verbanden, wie jene Institute in dem ganz anderen Verhältnisse, das eingetreten war, wie die römischen Institute, welche Augustus und Tiberius bestehen ließen, den wenigen Sinn und Konsequenz vollends verloren, die sie in einem deutschen Reichslehen noch zu haben scheinen konnten.

König Friedrich hat sich über die Versuchung dieser Täuschung erhaben gezeigt. Er berief die fürstlichen und gräflichen Familienhäupter seines Reichs und eine Auswahl aus dem übrigen Adel desselben, ingleichen eine Anzahl von den Bürgern gewählter Volksdeputierter auf den 15. März 1815 zusammen, und die Geschichte dieser Verhandlungen eröffnet sich mit der immer großen Szene, daß der König in voller Versammlung dieser seiner Reichsstände zuerst vom Throne eine Rede an sie hielt, worin er, nachdem er zunächst ausgedrückt, was bereits getan sei, daß nämlich die vorher so verschiedenen Landesteile und Untertanen in ein unzertrennbares Ganzes vereinigt, der Unterschied des Religionsbekenntnisses und des Standes in bürgerlicher Beziehung verschwunden, die öffentlichen Lasten für alle in gleiches Verhältnis gebracht und somit alle zu Bürgern eines Staats geworden, – dann seinem Volke das Zeugnis der Treue und Gehorsams, dem Heer das Zeugnis der Tapferkeit und der dem Namen Württemberg gebrachten Ehre, den Staatsdienern[467] das der Unterstützung in seinen Bemühungen und den Untertanen aller Klassen das einer willigen Ergebung in die schweren Lasten der Zeit und der Anstrengungen aller Art, durch welche die Sicherheit und Erhaltung errungen worden, erteilt hatte,

nun erklärte, daß er den Schlußstein zu dem Gebäude des Staats lege, indem er seinem Volke eine Verfassung gebe.

Nachdem er an die anwesenden Stellvertreter, durch welche die Nation berufen sei, sich mit dem Staatsoberhaupte zur Ausübung der bedeutendsten Rechte der Regierungsgewalt zu vereinigen,

zum Schlusse noch den Aufruf gemacht hatte: Laßt Uns vereinigt zur Förderung der Angelegenheiten der Nation, wozu die Verfassung diese Versammlung beruft, das heilige Band zwischen Mir und meinen Untertanen mit entgegenkommendem Vertrauen befestigen,

ließ er die Verfassungsurkunde durch den Minister des Innern verkündigen. Nach ihrer Verlesung verpflichtete er sich selbst darauf und übergab sie eigenhändig dem Präsidenten der Versammlung.

Es kann wohl kein größeres weltliches Schauspiel auf Erden geben, als daß ein Monarch zu der Staatsgewalt, die zunächst ganz in seinen Händen ist, eine weitere und zwar die Grundlage hinzufügt, daß er sein Volk zu einem wesentlich einwirkenden Bestandteil in sie aufnimmt. Wenn man sonst das große Werk einer Staatsverfassung, ja die meisten anderen Regierungshandlungen nur in einer Reihe zerstückelter Handlungen und zufälliger Begebenheiten ohne Übersicht und Öffentlichkeit werden sieht und die öffentliche Erscheinung der Fürstlichkeit und Majestät sich nach und nach auf Geburtstagsfeier oder Vermählungsfeste beschränkt hatte, so kann man versucht werden, bei jener Szene, wo die Erscheinung der Majestät dem inneren Gehalte ihrer Handlung so entsprechend ist, als bei einer wohltätigen, erhabenen und bekräftigenden Anschauung einen Augenblick zu verweilen. Aber ebenso nahe würde es liegen, zu meinen, man[468] habe sich für einen solchen Augenblick des Verweilens zu entschuldigen. Denn die Veranlassungen, in denen wir die fürstliche Repräsentation zu sehen gewohnt worden, die Leerheit und Tatlosigkeit der vormaligen Staatsversammlung, des deutschen Reichstags, überhaupt die Nullität und Unwirklichkeit des öffentlichen Lebens haben eine solche Verdrießlichkeit gegen dergleichen Aktus, einen moralischen und hypochondrischen Privatdünkel gegen das öffentliche und gegen die Erscheinung der Majestät zur durchgreifenden Stimmung gemacht, daß die Erwähnung derselben und etwa die Ansicht, solche Erscheinung für fähig zur Anregung großherziger Gefühle zu halten, eher für alles andere als für Ernst, kaum für Gutmütigkeit genommen, vielmehr als höfische Torheit und sklavische Verblendung und Absichtlichkeit beurteilt zu werden sich der Gefahr aussetzte. Unsere politische Erstorbenheit ist unempfänglich, solcher Szenen froh zu werden, und die Gründlichkeit wendet sich davon als bloßen Äußerlichkeiten ab zur Substanz der Sache und eigenen Gedanken darüber; und auch hier ist zunächst die Substanz der Sache, der Inhalt der Verfassungsurkunde, die der König gegeben hat, kurz anzuführen.

Sie besteht aus 66 Paragraphen und zerfällt in zwei Teile, deren der erste von 46 § § den Titel Die landständische Verfassung, der zweite von 20 § § den Titel Allgemeine Bestimmungen in Beziehung auf die Verfassung des Königreichs und die Rechte und Verbindlichkeiten der königl. Untertanen führt, somit der eine sich gleich als der ausführlichere, der andere als der weniger entwickelte zeigt.

Durch den ersten gewährte der König eine ständische Repräsentation mit folgenden Hauptbestimmungen: Sie soll a) aus Virilstimmführern und b) aus gewählten Mitgliedern, beide in einer Kammer, bestehen. Die Wahlfähigkeit für die letzteren ist an keinen Stand gebunden; die in königlichen Stellen befindlichen Diener, Unteroffiziere und Soldaten, Geistliche, Ärzte und Chirurgen sind ausgeschlossen; die einzige weitere Bedingung ist ein Lebensalter von 30 Jahren,[469] außerdem zu einem der drei christlichen Religionsbekenntnisse zu gehören; der Besitz eines gewissen Vermögens ist nicht unter die Bedingungen aufgenommen. – Zur Eigenschaft eines Wahlmanns wird der reine Ertrag von 200 Gulden ausliegenden Gründen und ein Alter von 25 Jahren gefordert. Die Stände versammeln sich nur auf Einberufung des Königs und notwendig alle drei Jahre, nach welcher Zeit die gewählten Repräsentanten zur Hälfte austreten, doch wieder wählbar sind und durch neue Wahlen ersetzt werden. Die Versammlung dauert nicht über sechs Wochen und wird vom Könige entlassen, vertagt oder ganz aufgelöst. Die gewählten Deputierten mit Einschluß des Kanzlers der Universität, des evangelischen Generalsuperintendenten und katholischen Dekans erhalten die Reisekosten bezahlt und Taggelder (à 5 Fl. 30 Kr.). Die Minister können zu jeder Zeit der Versammlung beiwohnen. – In den Jahren, in welchen die Ständeversammlung nicht einberufen wird, versammelt sich ein von ihr auf drei Jahre gewählter Ausschuß von 12 Mitgliedern zur Erledigung der dringenden Angelegenheiten; eine Erhöhung der Abgaben oder Umänderung der Gesetzgebung jedoch ist nicht in seiner Kompetenz.

Für die Einführung neuer Steuern, direkter sowohl als indirekter Abgaben, und für die Erhebung ist die Einwilligung der Stände nötig; die bestehenden Abgaben bleiben für die Regierung des damaligen Königs als Grundlagen. Die Berechnung der Einnahmen und die Verwendung der Abgaben wird den Ständen alle Jahre vorgelegt. Die Bestimmung einer Zivilliste für den König ist weiteren Verhandlungen ausgesetzt.

Ebensolchen Anteil haben die Stände an der Gesetzgebung, ohne ihre Zustimmung kann kein neues, die persönliche Freiheit und das Eigentum oder die Verfassung betreffendes allgemeines Gesetz promulgiert werden. Dem Könige kommt dabei die initiative zu; die Stände können aber Gesetzesvorschläge als Wünsche dem Könige vortragen, im Fall abschlägiger Antwort sie dreimal in künftigen Versammlungen[470] wiederholen und auf die letzte Antwort, die motiviert sein muß, in Hinsicht der Motive neue Vorstellungen machen.

Den Ständen ist ferner eingeräumt, allgemeine Wünsche, Vorstellungen und Beschwerden dem Könige vorzulegen, – und der König verspricht, auf Jeden Vortrag der Stände Entschließung zu geben, auch die von einzelnen Untertanen an sie gebrachten Beschwerden anzunehmen, wenn bescheinigtermaßen die Staatsbehörden sich geweigert haben, sie anzunehmen.

Endlich können die Stände gegen königliche Staatsbeamte Anordnung einer Untersuchung verlangen, und auf die vom Könige nie zu versagende Bewilligung soll im Falle des Hochverrats und der Konkussion von einem ständischen Gerichte, in anderen Fällen auf dem ordentlichen Rechtswege Urteil gesprochen werden.


Die unendliche Wichtigkeit und Liberalität der Rechte, welche hier den Landständen eingeräumt sind, sowie die Einfachheit und Offenheit dieser Bestimmungen, unparteiisch bloß nach ihrem Inhalt ohne alle andere Rücksicht betrachtet, macht gewiß dem Fürsten, der sie gab, sowie der Zeit, in welcher das Staatsrecht sich von Privilegien gereinigt hat und bis zu Grundsätzen gereift ist, die höchste Ehre, und noch mehr gewinnt ein solches Werk durch die Vergleichung mit der Unförmlichkeit, Engherzigkeit und Unklarheit, durch welche in in- und ausländischen Verfassungen, namentlich in der altwürttembergischen, oft Volksrechte in Privilegien und Partikularitäten verhüllt und verkümmert, beschränkt und zweideutig, ja oft ganz zum leeren Scheine gemacht sind. Sind die angeführten Bestimmungen nicht solche Verfassungsgrundlagen, welche nicht anders als mit höchster Zustimmung anerkannt und angenommen werden müssen? Was vermißt werden könnte, kann nicht etwas sein, was ihnen entgegen wäre, sondern nur Zusätze und entwickeltere Bestimmungen, aber nur jenen allgemeinen Wahrheiten eines staatsrechtlichen Zustandes gemäß. Was noch aus dem positiven[471] Staatsrechte herrührt, ist vornehmlich nur das Privilegium des aristokratischen Instituts. Außerdem aber, daß das vernünftige Staatsrecht von den demokratischen Abstraktionen zurückgekommen ist, welche ein solches Institut schlechthin verwerfen, so ist das Privilegium dieser ohnehin gegebenen Wirklichkeit durch weitere Statuten vom vormaligen Feudalrechte überhaupt sehr entfernt gesetzt worden. – Hier verdient zunächst nur dies ausgezeichnet zu werden, daß diesem Elemente in der königlichen Verfassungsurkunde, das mit den gewählten Deputierten in eine Kammer vereinigt ist, nur 50 Stimmen, den letzteren dagegen 73 Stimmen, hiermit ein bedeutendes Übergewicht eingeräumt wurde. Dies Verhältnis politischer Macht weicht von dem sehr ab, welches bei dem Systeme von zwei Kammern eintritt und schon durch seine allgemeinere Einführung und sein Alter wichtige Autorität hat. Der Kontrast jenes Stimmenverhältnisses gegen das in der provisorischen Ständeversammlung des Königreichs Hannover angenommene, wo dem Ritterstande eine Stimme mehr als dem bürgerlichen zugeteilt worden war, kann beiläufig darum angeführt werden, weil die württembergischen Stände in folgenden Verhandlungen auf die liberalen Äußerungen der hannoverschen Gesandtschaft bei dem Kongresse in Wien in betreff von deutschen Verfassungsangelegenheiten mehrere Male provoziert haben.

Unerwarteter noch konnte die weitere Ausdehnung und beinahe völlige Ungebundenheit scheinen, welche dem demokratischen Prinzip durch die Wählungsart der Repräsentanten gegeben worden, so daß dies Element in fast ganz loser Form in die Staatsordnung eintritt. Die wenigen Temperamente, die sich hierbei zeigen, nachdem bereits die Virilstimmführer nicht in einer eigenen Kammer gegenübergestellt sind, sind etwa die Bestimmungen, daß die Wahlversammlungen von den königlichen Oberamtleuten und in den guten Städten von den Landvögten präsidiert werden, daß die zum Wahlgeschäfte zugezogenen Personen, wie der Amtsschreiber[472] und dessen Substitut, in dem Bezirke selbst, worin sie diese Funktion haben, nicht wählbar sind; jedoch sind sie es in anderen Bezirken. Die Fähigkeit, zum Repräsentanten gewählt zu werden, ist, wie oben angeführt, auf sehr wenige Bedingungen beschränkt. Fürs erste sind alle Staatsdiener und Geistlichen wie auch die Ärzte und Chirurgen ausgeschlossen. Die Rücksicht, welche wohl die letzteren beiden Klassen ausgeschlossen hat, mag auch bei den ersteren genommen worden sein, daß nämlich ihre Amtsfunktionen ihnen keine längere Entfernung und anderweitige Beschäftigung gestatten. Abgesehen davon, daß dies auch bei den Virilstimmführern, die in königlichen Ämtern stehen, insofern der Fall wäre, als wohl nicht vorausgesetzt wird, daß sie sich Jedesmal durch andere vertreten lassen sollen, alsdann, daß sich bei den im Ort der Ständeversammlung, der in der Regel die Hauptstadt sein wird, Bediensteten jener Grund vermindert, so ist diese Rücksicht gewiß nicht bedeutend genug, um eine für die Hauptsache so höchst wichtige Disposition zu rechtfertigen. Noch in dem Entwürfe der Grundzüge der neuen ständischen Verfassung, mit deren Abfassung sich der König selbst beschäftigt hatte (s. Supplement von Aktenstücken S. 5) und die er in einer im versammelten Staatsrat den 11. Januar 1815 gehaltenen Rede einer eigenen Kommission von Staatsräten und Oberbeamten zur Beratung übergeben hatte, kommt die Bestimmung vor (s. S. 8), daß auch die königlichen Diener, insofern ihre Dienstverhältnisse es gestatten, wahlfähig seien.

Referent will sich über diesen Gegenstand, der von großer Wichtigkeit ist, weitläufiger verbreiten. – Schon dieser Umstand darf dabei nicht übersehen werden, daß in großen Staaten, wie Frankreich z.B. und noch mehr England, der ganze gesellschaftliche Zustand im Innern und der weitreichende Zusammenhang nach außen die Individuen in ganz andere Verhältnisse des Reichtums, der Bildung und der Gewohnheit, in allgemeineren Interessen zu leben und sich zu benehmen, stellt als in einem Lande von größerer Beschränktheit[473] des Umfangs, des gesellschaftlichen Zustands und Reichtums. In solchen kleineren Ländern wird sich der größte Teil derer, die sich eine wissenschaftliche, überhaupt allgemeinere Bildung er werben, veranlaßt sehen, seine ökonomische und gesellschaftliche Existenz in einem Staatsdienste zu suchen; es werden daher, wenn die Staatsdiener abgezogen worden, außer Verhältnis wenigere zu finden sein, die eine bedeutende Einsicht und Erfahrung in allgemeinen Angelegenheiten in eine Ständeversammlung mitbringen, – ohnehin noch wenigere, welche Staatsmänner genannt werden könnten. Der Adelsstand ist schon zum Teil unter den Virilstimmführern weggenommen, ein anderer Teil desselben wird sich in königlichen Diensten befinden; überhaupt ist für die Stellen der zu wählenden Deputierten nicht auf den Adel gerechnet; im Gegenteil. Der Advokatenstand, der unter den übrigbleibenden Ständen vornehmlich in Rücksicht kommen kann, ist zunächst in seinen Begriffen und Geschäften an die Prinzipien des Privatrechts, überdem des positiven Rechts gebunden, die den Prinzipien des Staatsrechts entgegengesetzt sind, nämlich des vernünftigen, von dem nur bei einer vernünftigen Verfassung die Rede sein kann, – so daß der Sinn eines nur zu berühmten Staatsmannes es hierin wohl richtig traf, wenn er die Advokaten für die ungeschicktesten erklärte, in öffentlichen Angelegenheiten zu raten und zu handeln. Wie der Advokatengeist in der Geschichte der württembergischen Ständeversammlung gewirkt hat, wird sich in der Folge zeigen. – Der gesetzlichen Ausschließung dieses Standes würde von seilen des abstrakten Rechts wohl widersprochen werden können, doch nicht mehr als der Ausschließung der Ärzte und Chirurgen; eine Staatsorganisation aber beruht auf einer ganz anderen konkreten Weisheit als einem aus dem Privatrecht abstrahierten Formalismus. Ein ganz eigentümliches Gebilde des altwürttembergischen Zustandes, das für dortige ständische Verfassung von der ersten Wichtigkeit ist, den Schreiberstand, werden wir im Verfolge kennenlernen. Der Beitrag, den der Stand[474] der Kaufleute, Gewerbsleute, sonstiger Güterbesitzer für eine Ständeversammlung liefern kann, so wichtig er ist, kann für diesen Behuf nicht in so zahlreichem Verhältnisse sein als in England etwa und für sich das nicht ersetzen, was durch die Ausschließung der Staatsbeamten abgeht.

So wichtig diese Ausschließung nun schon durch die Verminderung des Materials ist, aus welchem fähige Deputierte genommen werden können, soviel wichtiger ist sie für das Element der Gesinnung, welches das Überwiegende in einer Ständeversammlung sein muß, wenn sie nicht in das gefährlichste Übel ausschlagen soll, das in einem Staate möglich ist. Diese Grundeigenschaft kann im allgemeinen der Sinn des Staates genannt werden. Sie ist nicht mit abstrakter Einsicht, noch mit bloßer Rechtschaffenheit und einer guten Gesinnung für das Wohl des Ganzen und das Beste der Einzelnen abgetan. Güterbesitzer, ebensowohl aber auch die gewerbetreibenden und sonst im Besitze eines Eigentums oder einer Geschicklichkeit befindlichen Individuen haben das Interesse der Erhaltung bürgerlicher Ordnung, aber das Direkte ihres Zweckes hierbei ist das Private ihres Besitzes. Wenn landständische Deputierte den Sinn des Privatinteresses und Privatrechts als ihres ersten Zwecks mitbringen, wovon das übrige abhängig und eine Folge sein soll, so gehen sie darauf aus, soviel als möglich dem Staate abzudingen und überflüssig, wenn auch sonst nicht unzweckmäßig, doch für ihren Zweck nicht unumgänglich notwendig zu finden, und sie kommen überhaupt mit dem Willen herbei, für das Allgemeine sowenig als möglich zu geben und zu tun. – Es ist nicht davon die Rede, welche Gesinnungen Deputierte, aus welchem Stande oder Verhältnisse sie hergenommen werden, haben können; bei Einrichtungen des Staats, wie bei jeder vernünftigen Veranstaltung, darf nicht auf das Zufällige gerechnet werden, sondern es kann allein die Frage danach sein, was die Natur der Sache, hier des Standes, mit sich bringt.

Der Sinn des Staates erwirbt sich aber vornehmlich in der [475] habituellen Beschäftigung mit den allgemeinen Angelegenheiten, in welcher nicht nur der unendliche Wert, den das Allgemeine in sich selbst hat, empfunden und erkannt, sondern auch die Erfahrung von dem Widerstreben, der Feindschaft und der Unredlichkeit des Privatinteresses und der Kampf mit demselben, insbesondere mit dessen Hartnäckigkeit, insofern es sich in der Rechtsform festgesetzt hat, durchgemacht wird. Indem die Deputierten gewählt werden, so ist es eine wesentliche Rücksicht, daß die Wahlmänner vornehmlich aus solchen Verhältnissen ausgehen, in welchen dieser Sinn vorhanden sein muß und worin er gebildet wird. Der vorige Minister des Innern in Frankreich, Vaublanc, nahm in seinen Entwurf eines Gesetzes für die Wahlart der Deputiertenkammer geradezu die Bestimmung auf, daß die königlichen Beamten aller Art nebst den Geistlichen in den Departementen die Mehrzahl der Wähler ausmachen sollten. Man ist darüber einstimmig, daß die englische Konstitution durch das allein, was man ihre Mißbräuche nennt, erhalten werde, nämlich durch die ganz ungleichen und daher ungerechten, ja zum Teil völlig sinnlosen Privilegien in Ansehung der Wahlrechte, wodurch es aber allein möglich wird, daß die Regierung im allgemeinen auf die Mehrzahl der Stimmen rechnen kann. – Es ist dabei eine Ansicht Ununterrichteter, die Oppositionspartei als eine Partei gegen die Regierung oder gegen das Ministerium als solches zu betrachten; wenn die Opposition auch nicht bloß einzelne Ministerialmaßregeln angreift, was auch von den independenten Mitgliedern, die im ganzen sonst mit dem Ministerium stimmen, geschieht, sondern wenn sie dieses In allen und jeden Stücken bekämpft, so geht ihr Kampf nur gegen dieses einzelne Ministerium, nicht gegen die Regierung und gegen das Ministerium überhaupt. Was man ihnen oft als etwas Schlechtes vorwirft, daß sie nämlich nur selbst ins Ministerium kommen wollen, ist gerade ihre größte Rechtfertigung, ganz das Gegenteil von der Tendenz, die man an deutschen Landständen oder Individuen oft als Tapferkeit[476] der Freiheit und Verteidigung der Bürger und ihrer Rechte gepriesen werden sieht, – der Tendenz, dem Staate an Vermögen soviel [als] möglich für sich abzugewinnen und abzudingen.

Es muß der deutschen Geschichte überlassen bleiben, aufzuzeigen, inwiefern das Erscheinen des ehemaligen sogenannten dritten Standes auf Landtagen seinen Ursprung in dem Verhältnis der Ministerialität hatte, in welchem die Vorsteher der Städte als fürstliche Beamte gestanden, und inwiefern durch das Eintreten in dasselbe nachher die bürgerlichen Ratsverwandten auch Anteil an der Landstandschaft erhalten haben, ingleichen wie die ursprünglichen Beamten anfänglich beratschlagend und erst in der Folge der Zeit ihre Stimmen entscheidend geworden sind. – In dem Tübinger Vertrag von 1514, welcher als Grundgesetz in der Verfassung des vormaligen Herzogtums Württemberg angesehen wird, sind ausdrücklich die fürstlichen Amtleute nebst einem vom Gericht und einem vom Rate einer Stadt genannt, welche die Deputierten der Landschaft bei den Landtagen ausmachen sollen. – Allein bei den kaiserlichen Kommissarien brachten es die Landstände bereits sechs Jahre nachher, im Jahre 1520, dahin, daß die Beamten wieder ausgemerzt wurden; die Stände geben dadurch ein schlechtes Beispiel von der Unveränderlichkeit soeben feierlich beschlossener Verträge. – Ganz nahe liegt der Einwurf gegen die Wahlfähigkeit der Beamten zu Deputierten, daß sie, als im Dienste des Fürsten, natürlich auch in seinem Interesse sprechen und handeln werden, wobei der Gedanke etwa mit unterläuft, daß, was im Interesse des Fürsten sei, gegen das Interesse des Volkes und des Staates sei. Ohnehin ist der Dienst bei der Person des Fürsten, Hofchargen, etwas Verschiedenes von dem Dienste, welcher der Regierung und dem Staate geleistet wird, und die Meinung, daß, was im Interesse der Regierung und des Staates geschehe, gegen das Interesse des Volkes sei, unterscheidet den Pöbel von den Bürgern. – Die neuesten Weltbegebenheiten, der Kampf um[477] Deutschlands Unabhängigkeit hat der deutschen Jugend auf den Universitäten ein höheres Interesse eingeflößt als die bloße Richtung auf die unmittelbare künftige Erwerbung des Brots und auf Versorgung; sie hat auch für den Zweck, daß die deutschen Länder freie Verfassungen erhalten, zum Teil mitgeblutet und die Hoffnung eines dereinstigen weiteren Wirkens dazu und einer Wirksamkeit im politischen Leben des Staats aus dem Schlachtfelde mitgebracht. Indem sie durch wissenschaftliche Ausbildung sich die Befähigung dazu verschafft und sich vornehmlich dem Staatsdienste widmet, soll sie, sowie der ganze wissenschaftlich gebildete Stand, der sich meist dieselbe Bestimmung gibt, eben hiermit die Fähigkeit, Mitglieder von Landständen, Repräsentanten des Volks zu werden, verlieren?

Es ist hierbei noch der wichtige Umstand in Betracht zu ziehen, daß die Veränderung im Verhältnisse vormaliger fürstlicher Dienerschaft ein bedeutendes Moment in dem Übergange Deutschlands von früherer Unförmlichkeit und Barbarei zum vernünftigen Zustande eines Staatslebens ausmacht. – Es läßt sich über diesen Umstand einiges aus dem Anhang zur 25. Abteilung der Verhandlungen anführen; daselbst wird S. 25 aus dem dreizehnten und den nächstfolgenden Jahrhunderten erwähnt, daß die Kammerämter zuerst meistens nur Personen aus dem Ritterstande mit einem Bezuge ansehnlicher Einkünfte ausliegenden Gründen und Prästationen der Untertanen anvertraut wurden, welche aber Vorwand fanden, die beschwerlich gewordene Ausübung des Amtes aufzugeben und solches durch einen Pflegverweser aus dem Bürgerstande mit Anweisung auf eine geringere Benutzung verwalten zu lassen. Später wurden diese, wie die vogteilichen, Richter- und andere Ämter bloß Personen, aus dem Bürgerstande übertragen, die dies aber nicht, wie späterhin, für eine Gnade, sondern für eine große Bürde ansahen und sie annehmen mußten; auch wurde diese Beschwerde keinem auf zu lange aufgedrungen; es galt für eine besondere Gnade, von solchen Ämtern verschont zu[478] bleiben, – wovon ebendaselbst mehrere Beispiele angeführt werden.

Bei dem Verhältnisse dieser Ministerialen nun fielen wenigstens, wenn auch sonst eine Vasallenschaft und selbst etwas von einer Hörigkeit darin liegt, die anderen Umstände weg, wonach man sie nur für das Interesse des Fürsten, gegen das Volk zu sein, in dem Sinne glauben konnte, in welchem man fürstliche Diener späterhin ungefähr für fürstliche Bediente und für eine vom Volke ausgeschlossene Klasse nahm. Diese letztere Stellung hatten sie insofern, als die Einkünfte, welche sie einzuziehen und zu verrechnen, wie auch die richterliche und polizeiliche Gewalt, die sie im Namen des Fürsten auszuüben hatten, mehr für Rechte eines Privatbesitzes und der Privatgewalt eines Dritten gegen die Bürger galten als für Staatseinkünfte und Staatspflichten. Aber wie der Domanialbesitz und die Familienfideikommisse der fürstlichen Familien sich so in späteren Zeiten immer mehr dem Charakter vom Staatsvermögen genähert und die vogteilichen und anderen Rechte über untertänige und hörige Leute in den vernünftigeren Charakter von Staatspflicht und Staatsgewalt überzugehen angefangen haben, so sind die fürstlichen Diener auch über die Abhängigkeit ihrer Besoldungen von der Willkür hinaus zu Rechten in ihren Ämtern und zu der Würde von Staatsdienern gekommen. Dieser Übergang von Verwaltung eines Privatbesitzes in Verwaltung von Staatsrechten ist einer der wichtigsten, welcher durch die Zeit eingeleitet worden und der auch das Verhältnis der Beamten nicht mehr in der Bestimmung gelassen hat, welche zur Zeit der vormaligen württembergischen Verfassung statthatte; – es ist eine der Veränderungen, welche dann mit dem allgemeinen Übergange eines nicht souveränen Fürstentums in einen Staat sich befestigt und vollendet hat. – Da das positive Staatsrecht, welches die ständische Versammlung sich vornehmlich zur Basis ihrer Ansprüche machte, die Geschichte zu seiner Basis hat, so kann die allgemeine Bemerkung hier angefügt werden, daß es gerade die Geschichte[479] ist, welche die Umstände erkennen lehrt, unter denen eine Verfassungsbestimmung vernünftig war, und hier zum Beispiel das Resultat gibt, daß, wenn die Ausschließung der königlichen Beamten von den Landständen früherhin vernünftig war, nunmehr unter anderen Umständen es nicht mehr ist. – Daß die Ständeversammlung sich weder des alten Verhältnisses der Ministerialität und der ausdrücklichen Disposition im Tübinger Vertrag noch des Unterschieds von vormaligen fürstlichen Bedienten und von Staatsbeamten erinnert hat, ist sehr begreiflich. Auffallender aber ist es, daß das Ministerium die Ausschließung von Staatsbeamten veranlaßt zu haben scheint.

Einen anderen nahe verwandten Kreis des öffentlichen Geschäfts gab die Verfassung des vormaligen Herzogtums an, nämlich Gericht und Rat der Städte, woraus die Landtagsdeputierten genommen werden sollten. Gewiß ist eine Magistratsstelle eine passende Vorbereitungsschule für landständische Funktionen; Magistratspersonen leben wie die Beamten in der täglichen Tätigkeit, die bürgerliche Ordnung handhaben zu helfen, und in der Erfahrung, wie Gesetze und Einrichtungen wirken, ebenso welche Gegenwirkungen der bösen Leidenschaften sie zu bekämpfen und auszuhalten haben. Magistratspersonen sind ferner selbst aus dem Bürgerstande, sie teilen dessen bestimmtere Interessen, so wie sie dessen näheres Zutrauen teilen können. – Nur war freilich von einem Ende Deutschlands zum ändern die Klage über Unfähigkeit, Trägheit und Gleichgültigkeit, – wenn nicht auch über weitere Verdorbenheit und Schlechtigkeit der Ge meindeverwaltungen so laut geworden, daß ihre Einrichtung vor allem eine Wiedergeburt schien nötig gehabt zu haben, ehe ihre Männer gebildet [werden] und aus ihr hervorgehen konnten, welche Fähigkeit und Zutrauen für einen größeren Wirkungskreis besäßen. Das Recht der Magistrate, die Wiederbesetzung der in ihnen ledig werdenden Stellen selbst vorzunehmen, wird wohl ein Hauptumstand gewesen sein, der sie so heruntergebracht hat. Was man sonst[480] wohl Despotismus nennen könnte, nämlich daß viele Regierungen den Städtemagistraten und sonstigen Gemeindevorständen die Verwaltung des Gemeindeeigentums und der übrigen, Kirchen, Schulen und der Armut gehörigen Stiftungen und Anstalten abgenommen haben, mag in jener Unfähigkeit nicht nur seine Rechtfertigung finden, sondern sich vielmehr als unumgängliche Pflicht haben zeigen können. Derselbe Grund der Unfähigkeit ist es, der auch von dem Anteil, den die Magistrate als Gerichte an der Rechtspflege haben sollten, häufig nicht mehr als die bloße Formalität übriggelassen, das Geschäft und die Entscheidung in die Hände der fürstlichen Gerichtsvorstände, der Oberamtleute, gebracht oder zu Rechtsgutachten von Konsulenten und Advokaten die Zuflucht zu nehmen genötigt hatte; die Regierungen sahen sich ebenfalls hierdurch veranlaßt, auch den bisherigen Anteil an der Rechtspflege nicht länger in den Händen der Magistrate zu lassen.

Wenn nun auch die Städtemagistrate nach ihrer bisherigen Organisation und Beschaffenheit eben keine große Hoffnung für sich erwecken können, tüchtige Landtagsdeputierte zu liefern, so hätte diese Bestimmung doch verdient, nicht ganz vergessen zu werden; aber erweiternde Modifikationen müßten freilich dem Übertriebenen und Einseitigen jener Beschränkung abhelfen. Das andere, ebenso zu weit gehende Extrem aber sehen wir in der königlichen Verfassung, daß fürs erste die Wahlfähigkeit zum Deputierten fast so gut als unbeschränkt, und dann fürs andere, daß die Bedingungen, um Wähler zu sein, ebenso unbedeutend sind; – außer einem Alter von 25 Jahren wird hierzu nur eine Vermögenssumme von 200 Fl. aus Liegenschaften erfordert.

Diese letztere Art von Bedingungen der Fähigkeit zu wählen ist den deutschen Institutionen bisher fremd gewesen und erst in neueren Zeiten diese Idee in Umlauf gekommen; wir[481] wollen einiges darüber bemerken. Das zunächst Auffallende dabei ist, daß nach solchen trockenen, abstrakten Bestimmungen, als die beiden angeführten sind, die Wähler sonst in keinem Verband und Beziehung auf die bürgerliche Ordnung und auf die Organisation des Staatsganzen auftreten. Die Bürger erscheinen als isolierte Atome und die Wahlversammlungen als ungeordnete, unorganische Aggregate, das Volk überhaupt in einen Haufen aufgelöst, – eine Gestalt, in welcher das Gemeinwesen, wo es eine Handlung vornimmt, nie sich zeigen sollte; sie ist die seiner unwürdigste und seinem Begriffe, geistige Ordnung zu sein, widersprechendste. Denn das Alter, ingleichen das Vermögen sind Qualitäten, welche bloß den Einzelnen für sich betreffen, nicht Eigenschaften, welche sein Gelten in der bürgerlichen Ordnung ausmachen. Ein solches Gelten hat er allein kraft eines Amtes, Standes, einer bürgerlich anerkannten Gewerbsgeschicklichkeit und Berechtigung nach derselben, Meisterschaft, Titel usf. – Die Volksvorstellung ist mit solchem Gelten so vertraut, daß man erst dann von einem Manne sagt, er ist etwas, wenn er ein Amt, Meisterschaft und sonst in einem bestimmten bürgerlichen Kreise die Aufnahme erlangt hat; von einem hingegen, der nur 25 Jahre alt und Besitzer einer Liegenschaft [ist], die ihm 200 Fl. und mehr jährlich abwirft, sagt man, er ist nichts. Wenn eine Verfassung ihn doch zu etwas macht, zu einem Wähler, so räumt sie ihm ein hohes politisches Recht, ohne alle Verbindung mit den übrigen bürgerlichen Existenzen, ein und führt für eine der wichtigsten Angelegenheiten einen Zustand herbei, der mehr mit dem demokratischen, ja selbst anarchischen Prinzip der Vereinzelung zusammenhängt als mit dem Prinzip einer organischen Ordnung.

Die großen Anfänge zu inneren rechtlichen Verhältnissen in Deutschland, wodurch die förmliche Staatsbildung vorbereitet worden, sind in der Geschichte da zu suchen, wo, nachdem die alte königliche Regierungsgewalt im Mittelalter versunken und das Ganze sich in Atome aufgelöst hatte, nun[482] die Ritter, die freien Leute, Klöster, die Herren wie die Handel- und Gewerbetreibenden sich gegen diesen Zustand der Zerrüttung in Genossenschaften und Korporationen bildeten, welche sich dann so lange aneinander abrieben, bis sie ein leidliches Nebeneinanderbestehen fanden. Weil dabei die oberste Staatsgewalt, in deren Ohnmacht gerade das Bedürfnis jener Korporationen lag, etwas so Loses war, so bildeten diese partiellen Gemeinwesen ihre Verbindungsweisen desto fester, genauer, ja selbst peinlich bis zu einem ganz einengenden Formalismus und Zunftgeist aus, der durch seinen Aristokratismus der Ausbildung der Staatsgewalt hinderlich und gefährlich wurde. Nachdem in den neuesten Zeiten die Ausbildung der oberen Staatsgewalten sich vervollkommnet hat, sind jene untergeordneten Zunftkreise und Gemeinheiten aufgelöst oder ihnen wenigstens ihre politische Stelle und Beziehung auf das innere Staatsrecht genommen worden. Es wäre aber nun wohl wieder Zeit, wie man bisher vornehmlich in den Kreisen der höheren Staatsbehörden organisiert hat, auch die unteren Sphären wieder zu einer politischen Ordnung und Ehre zurückzubringen und sie, gereinigt von Privilegien und Unrechten, in den Staat als eine organische Bildung einzufügen. Ein lebendiger Zusammenhang ist nur in einem gegliederten Ganzen, dessen Teile selbst besondere, untergeordnete Kreise bilden. Um aber ein solches zu erhalten, müssen endlich die französischen Abstraktionen von bloßer Anzahl und Vermögensquantum verlassen, wenigstens nicht mehr zur Hauptbestimmung gemacht und vornehin als die einzigen Bedingungen einer der wichtigsten politischen Funktionen gestellt werden. Solche atomistische Prinzipien sind wie in der Wissenschaft so im Politischen das lotende für allen vernünftigen Begriff, Gliederung und Lebendigkeit.

Es kann noch daran zu erinnern sein, daß die Ausübung eines solchen ganz vereinzelten Berufs, wie der ist, ein Wähler zu sein, leicht in kurzem sein Interesse verliert, überhaupt von der zufälligen Gesinnung und augenblicklichem Belieben[483] abhängt. Dieser Beruf ist mit einer einzelnen Handlung abgelaufen, einer Handlung, die innerhalb mehrerer Jahre nur ein einziges Mal vorkommt; bei der großen Anzahl von Stimmgebenden kann von dem Einzelnen der Einfluß, den seine Stimme hat, für sehr unbedeutend angesehen werden, um so mehr, da der Deputierte, den er wählen hilft, selbst wieder nur ein Mitglied einer zahlreichen Versammlung ist, in welcher immer nur eine geringe Anzahl sich zur Evidenz einer bedeutenden Wichtigkeit bringen kann, sonst aber durch nur eine Stimme unter vielen einen ebensolchen unscheinbaren Beitrag liefert. Sosehr also psychologischerweise erwartet wird, daß das Interesse der Staatsbürger sie antreiben solle, die Stimmfähigkeit eifrigst zu suchen, für wichtig und für eine Ehre zu halten sowie sich zur Ausübung dieses Rechts zu drängen und es mit großer Umsicht wie ohne alles andere Interesse wirklich auszuüben, so zeigte dagegen auch die Erfahrung, daß der zu große Abstand zwischen der Wichtigkeit der Wirkung, die herauskommen soll, zu dem sich als äußerst geringfügig vorstellenden Einfluß des Einzelnen bald die Folge hat, daß die Stimmberechtigten gleichgültig gegen dies ihr Recht werden; und wenn die ersten Gesetze sich mit dem Ausschließen vieler Bürger vom Stimmgeben beschäftigen, werden bald gesetzliche Dispositionen nötig, die Berechtigten zu vermögen, sich zum Stimmgeben einzufinden. – Das so oft oberflächlich gebrauchte Beispiel von England von dem starken Umtrieb bei den Wahlen zum Parlament paßt auch hier nicht; denn in diesem Teile der englischen Verfassung sind gerade die Privilegien und Ungleichheiten der Berechtigung der einflußreichste Umstand, – wovon vielmehr das Gegenteil in jener atomistischen Methode liegt.

Übrigens versteht es sich von selbst, daß diese Bemerkungen gegen die abstrakten Prinzipien der Anzahl, des Vermögensquantums, des Alters nicht dahin gehen können, diesen Umständen ihre Bedeutung und ihren Einfluß benehmen zu wollen. Im Gegenteil, wenn die Berechtigung zum Stimmgeben[484] bei den Wahlen und die Wählbarkeit selbst mit den anderen Institutionen des Staats zusammenhängt, so üben diese Umstände schon von selbst ihren Einfluß aus; und wenn dieser hier gesetzlich angeordnet und z.B. für die Fähigkeit, Mitglied eines Städtemagistrats, Gerichts, Vorstand und Mitglied einer Korporation, Zunft und dergleichen zu sein, ein gewisses Alter, Grundvermögen usf. gefordert wird, so steht dies bei weitem mehr im Verhältnis, als wenn solche trockenen, doch nur äußerlichen Bedingungen dem hohen Interesse der ständischen Mitgliedschaft so schroff gegenübergestellt werden. – Die Garantie, welche durch dergleichen Bedingungen für die Tüchtigkeit der Wählenden und Gewählten gesucht wird, ist ohnehin teils negativer Art, teils eine bloße Präsumtion; da es hingegen eine ganz andere, positive Garantie gibt, durch das Zutrauen der Regierung zu Staatsdiensten oder durch das Zutrauen der Gemeinden und der Mitbürger zu Gemeindediensten, Ämtern erwählt und in Genossenschaften aufgenommen worden zu sein, ferner durch wirkliche Tätigkeit und Anteil am organischen Staats- und Volksleben die Geschicklichkeit sowie den Sinn desselben, den Sinn des Regierens und Gehorchens sich erworben und Gelegenheit gegeben zu haben, daß die Wähler die Gesinnungen und Befähigung kennenlernen und erproben konnten.

Bestimmungen jener Art, welche das Volk, statt als einen Staat, vielmehr als einen Haufen voraussetzen und diesen nun nach Anzahl in besondere Haufen und nach Alter und einer einzelnen Vermögensbestimmung in zwei Klassen überhaupt abteilen, können eigentlich nicht Staatseinrichtungen genannt werden. Sie reichen nicht hin, dem Anteil des Volkes an den allgemeinen Angelegenheiten seine demokratische Unförmlichkeit zu nehmen und näher den Zweck, tüchtige Deputierte für eine Landesversammlung zu erhalten, dem Zufall zu entziehen. Eine Staatseinrichtung kann nicht bloß bei der Forderung stehenbleiben, daß etwas geschehen solle, bei der Hoffnung, daß es geschehen werde, bei der Beschränkung einiger Umstände, welche es erschweren könnten, – sie[485] verdient jenen Namen nur, wenn sie die Anordnung ist, daß geschieht, was geschehen soll.


Indem Referent über diesen Punkt so weitläufig geworden ist, müssen die Bemerkungen über die anderen kürzer gefaßt werden. – Den Ständen ist die Gerechtsame eingeräumt, daß ohne ihre Einwilligung keine neuen Steuern eingeführt und die bestehenden nicht erhöht werden sollen. Württemberg möchte wohl das erste deutsche Land gewesen sein, worin allgemeine Landstände so früh auf eine so offene und bestimmte Weise in den Besitz dieses Rechts gekommen sind; die Landstände, die wir anderwärts hatten hervorkommen oder Wiederaufleben sehen, enthalten teils aus der Feudalverfassung sehr beschränkende Elemente, teils scheint ihre Bildung und die Bestimmung ihrer Wirksamkeit noch zu sehr in provisorischem und trübem Lichte, als daß sie mit der freien, freimütigen und klaren Form verglichen werden könnte, in welche der Monarch Württembergs die seinigen setzen wollte. – Der blutige Kampf der Tiroler gegen Staatsverwaltungsformen, die sie ihren alten angestammten Rechten zuwider glaubten, hat allgemeines Interesse erweckt; bei der endlich erfolgten Wiedereinführung ihrer vormaligen Verfassung hat der Monarch die Bestimmung der Summe der Staatsabgaben sich vorbehalten und den Ständen nur die Repartition überlassen. Es läßt sich nun darüber streiten, ob die alten württembergischen Stände das ihnen durch die Verfassung des Königs zugestandene Recht schon gehabt oder nicht und ob sie früher nicht ein viel weitergreifendes besessen haben, – ein Streit, der ohne praktisches Interesse, übrigens auch darum um so mehr geeignet wäre, eine rechte querelle d'Allemand abzugeben. Man kann wohl sagen, daß die württembergischen Stände durch die Bestimmung, daß die bestehenden Steuern belassen und nur eine Erhöhung nicht ohne Ihre Bewilligung eintreten sollte, formell ungefähr auf den Standpunkt wieder versetzt wurden, auf welchem sich die vormalige württembergische Landschaft[486] befand. Denn die direkten und indirekten Abgaben, die in die fürstliche Kammer vormals wie jetzt flossen und auf Bodenzinsen, Gilten, Zehnten, Leistungen von Arbeit usf. beruhen, sind Dominikalrenten und in privatrechtlichem Sinne Eigentum des Regenten oder des Staats; sie haben das Bestehende zu ihrer Basis und sind somit aller Einwilligung der Landstände entnommen. Der andere Teil der eigentlichen, direkten und indirekten Steuern, der Abgaben, die in staatsrechtlichem Sinne erhoben wurden, war sowohl dem Betrag als ihrer Verwendung zu Staatszwecken nach, nämlich zur Abtragung der Staatsschulden, zur Bezahlung des Kreis- und Hausmilitärs, durch Vertrag unter oberstrichterlicher Einwirkung und Bestätigung der Reichsbehörde festgesetzt, so daß die Landstände auch hierin an das Bestehende als an ein Gesetz gebunden waren. Möchten nun aus allen Verklausulierungen und besonderen Verumständungen heraus, unter denen die vormaligen Landstände, außer im Falle einer Erhöhung, die Steuerbewilligung überhaupt ausübten, auch ein allgemeiner Gesichtspunkt und die Behauptung gezogen werden können, daß sie dieses Bewilligungsrecht in umfassendem Sinne besessen haben, so erhält doch solches Recht eine ganz neue Stellung und einen unvergleichbar größeren Umfang und Wichtigkeit durch die neue Stellung, daß das württembergische Land aus einem Reichslehen ein selbständiger Staat geworden ist. In jenem Zustande wurde Krieg und Frieden nicht vom einzelnen Reichsstand, sondern von Kaiser und Reich gemacht; die Anstrengungen, welche ein Krieg erforderte, waren zum Teil ein für allemal durch eine Matrikel festgesetzt. Davon nicht zu sprechen, daß der formelle Eigensinn der deutschen Stände, ja nicht mehr zu leisten, als rechtlich oder unrechtlich nicht abzuwehren war, die Folge hatte, daß die passiven Anstrengungen um so größer wurden, – ein Aufwand, welcher ebenso unabwendbar auf die Landschaft zurückfiel.[487]

Gegen Weigerungen der Landstände hatte der Fürst überhaupt an den Reichsgerichten eine Stütze und Hilfe. Nachdem aber Württemberg ein selbständiger Staat geworden, erhält das Recht der Steuerbewilligung durch Stände eine ebensolche Selbständigkeit und damit einen ganz neuen Sinn, worüber sich auf den vorhergehenden Zustand gar nicht berufen läßt. Hier bedarf denn auch der Staat ganz neuer Garantien gegen Privatsinn und gegen Anmaßlichkeit der Stände, da die vorigen Garantien, welche die Regierung an Kaiser und Reich hatte, nicht mehr vorhanden sind; es ist ein ganz neues Element, das politische, entstanden, in welches die Stände versetzt werden, dessen sie vorher entbehrten. – Die deutsche Spezialgeschichte liefert Beispiele genug, daß der Trieb vormaliger Landstände in ihrer politischen Nullität auf die passive Neutralität ging, am liebsten das Eingreifen in Weltverhältnisse ganz von sich abzuhalten und mit Schande über sich ergehen zu lassen, was ergehen mochte, lieber als zu einem Selbstentschluß zum Handeln und zur Ehre zu greifen. Mit solchem Triebe zur Ehr- und Tatlosigkeit nach außen hängt die Richtung zusammen, die Aktivität statt gegen die äußeren Feinde vielmehr gegen die Regierung zu kehren. Nur zu oft haben die Landstände in kritischen Umständen nichts anderes als eine vorteilhafte Gelegenheit gesehen, die Regierung in Verlegenheit zu setzen und für die Anstrengungen, welche diese zu ihrer und ihres Volkes Ehre und Wohl verlangte, Bedingungen vorzuschreiben und sich Vergünstigungen an Rechten gegen sie zu erwerben. Nur zu oft brachten sie es dahin, dadurch Unglück und Schimpf auf ein Land für den gegenwärtigen Augenblick zu bringen, für die Zukunft aber eine Beschränkung und Schwächung der Regierungskraft und damit eine fortdauernde Grundlage für innere und äußere Zerrüttung. Aus der politischen Nullität, zu welcher das deutsche Volk durch seine Verfassung herabgebracht war, aus der Unvermögendheit der vielen kleinen Ganzen, des größeren Teils der Reichsstände, einen eigenen Entschluß und Willen zu haben,[488] mußte ein Geist der Versumpfung ins Privatinteresse und der Gleichgültigkeit, ja der Feindschaft gegen den Gedanken, eine Nationalehre zu haben und für sie Aufopferungen zu machen, hervorgehen. – Wenn z. B, in der englischen Nation das Gefühl der Nationalehre die verschiedenen Volksklassen allgemeiner durchdrungen hat, so hat das Recht des Parlaments, die Abgaben jährlich zu verwilligen, einen ganz anderen Sinn, als dasselbe Recht in einem Volke haben würde, das in dem Privatsinne auferzogen und, weil es außerhalb des politischen Standpunkts gelegen, in dem Geiste der Beschränktheit und der Privateigensucht gehalten war. Schon gegen solchen Geist bedürften die Regierungen zur Erhaltung des Staats neuer Garantie, da sie die ohnehin wenig genügende von Kaiser und Reich verloren haben. Das Recht der Teilnahme an der Bestimmung der Staatsabgaben, wie es auch vormals beschaffen sein mochte, ist nunmehr, da die Stände keinen Oberen als ihre Staatsregierung über sich haben, der sie zugleich gegenübertreten, an und für sich eine unendlich höhere, unabhängigere Befugnis als vorher, so wie sie damit ein Verhältnis und Einfluß auf Krieg und Frieden, auf die äußere Politik überhaupt sowie auf das innere Staatsleben erhalten.

Durch den Umstand, daß die bestehenden Abgaben durch die königliche Verfassung für die Lebzeiten des regierenden Monarchen zur Grundlage genommen worden, wurde dem Recht der Besteuerung allerdings der Form nach eine Beschränkung gegeben; denn der Sache nach beschränkt es sich ohnehin durch die Notwendigkeit des Bedürfnisses. Diese Notwendigkeit konnte nun in Ansehung der Größe der Abgaben sehr wohl vorhanden sein; – in allen Staaten hat das Bedürfnis der letzten Jahre – und in den reichsten, wie England, am meisten – die Auflagen zu einer vorhin nie geahnten Höhe getrieben, und Frankreich, Österreich und andere haben sich in diesen Finanzverlegenheiten nur durch eigenmächtige, gewaltsame Operationen geholfen. Abgesehen nun von dem Bedürfnisse, von dem man nirgend Erweise[489] gesehen hat, daß es nicht vorhanden gewesen, abgesehen von der Unmöglichkeit, eine Finanzverfassung auf einmal auf andere Prinzipien zu basieren, konnten die württembergischen Landstände sich diesen Artikel aus Dankbarkeit gegen den Fürsten gefallen lassen, der der erste und bis jetzt, nach drittehalb Jahren, fast der einzige gewesen, der seinem Lande eine solche offene und liberale Verfassung gegeben, – gegen einen Fürsten, gegen den, wie Herr Graf von Waldek in der er sten Rede, die von seiten der Ständeversammlung die Sitzungen eröffnete, gleich zu Anfang (Verh. II. Abt., S. 3) sagt, alle Stände des Landes, alle Provinzen des Reichs in Gefühlen der Dankbarkeit über dessen Entschluß der Herstellung einer Konstitution wetteiferten, – gegen einen Fürsten, welchem Herr Graf von Waldek das Lob zu erteilen fortfährt (ebendaselbst):

»daß derselbe Württemberg in allen Stürmen der letzten Jahrzehnte mit seltener Stärke geleitet« (»seltene Eigenschaften«, heißt es im Verfolg der Rede (a. a. O., S. 4), »haben von jeher die Regenten Württembergs ausgezeichnet«; für dieses unbestimmte Wort gibt die weitere historische Ausführung daselbst bei ihnen, außer bei Herzog Christoph, die nähere Bedeutung herrischer Willkür oder Schwäche des Charakters) –

das Lob, »daß derselbe Württemberg eine beträchtliche Ausdehnung gegeben« (nämlich durch die sogenannte Mediatisierung deutscher vorher reichsunmittelbarer Stände – eine Ausdehnung, welche Herr Graf von Waldek (VI. Abt., S. 93) als einen widerrechtlichen Zustand, eine Beeinträchtigung der Rechte der Standesherren und ihrer ihnen von Gott anvertrauten Untertanen, als eine Ausdehnung charakterisiert, welcher sich die, durch deren Einverleibung sie statthatte, nur deswegen nicht entziehen konnten, weil sie der Gewalt weichen mußten) –

das Lob, »daß derselbe nun keinen Augenblick verliere, um die seinem Willen fremden Folgen der Umstände des Jahres 1806, nämlich die Aufhebung der von Seinen Erlauchten[490] Ahnherren für ewige Zeiten gegründeten Verfassung, wieder aufzuheben«. (Der ganze Verfolg der Verhandlungen zeigt, daß die Widersetzung der Landstände den einzigen Punkt betraf, daß durch die gegebene königliche Verfassung die vormalige nicht wiederhergestellt, jene Folge nicht aufgehoben sei.)

Übrigens hat bekanntlich die Forderung der Landstände, daß auch noch bei Lebzeiten des Königs ihre Konkurrenz sich auf die schon bestehenden Steuern erstrecke, wegen des frühzeitigen Todes des Königs keinen Erfolg gehabt, so wie sie auch wegen ihrer Nichtannahme der königlichen Konstitution, welche ihnen neue Verhandlungen über die Steuern bei einer Regierungsveränderung einräumte, solche Verhandlungen abgeschnitten haben.

Um die geschichtliche Angabe der Hauptmomente der Verfassungsurkunde zu vollenden, wäre noch der zweite Teil derselben, die allgemeinen Bestimmungen in Beziehung auf die Verfassung des Königreichs und die Rechte und Verbindlichkeiten der königlichen Untertanen, anzuführen. Diese leiden aber weder einen Auszug noch eine Beurteilung, es sind einfache organische Bestimmungen, welche für sich selbst sprechen und die vernünftige Grundlage eines staatsrechtlichen Zustandes ausmachen. Z.B. § 52. Alle Untertanen sind vor dem Gesetze gleich; sie haben zu allen Staatsämtern Zutritt; weder Geburt noch eines der drei christlichen Religionsbekenntnisse schließt davon aus. – § 53. Zu den öffentlichen Lasten und Abgaben haben nach den Gesetzen alle verhältnismäßig gleich beizutragen. – § 55. Jeder Untertan hat, wenn er von der Militärpflichtigkeit frei ist oder ihr Genüge geleistet, das Recht der Auswanderung. – § 56. Jedem Untertan steht es frei, seinen Stand und Gewerbe nach eigener freier Neigung zu wählen und sich dazu auszubilden usf. Diese Grundsätze lassen nur die Bemerkung zu, daß es Reichsständen nie wird einfallen können, sie zu verwerfen, und nur eine widrige Verkehrtheit, Verstocktheit, oder wie man es nennen wollte, eine solche Versammlung[491] dahin bringen könnte, ihrer nicht zu erwähnen und dem Regenten nicht die Ehre zu geben, der sie ausdrücklich zu Grundbestimmungen der Rechte und Verbindlichkeiten seiner Untertanen macht. Wie auch ältere Verfassungen sich zu solchen Grundsätzen verhalten mögen, so sind diese darin an partikuläre und äußerliche Umstände geknüpft, in ihnen befangen, ja oft verdunkelt; es ist nicht um des Prinzips willen, d. i. um der Vernünftigkeit und eines absoluten Rechts willen, daß darin Rechte vorhanden erscheinen, sondern sie erscheinen als einzelne Erwerbungen, welche besonderen Umständen zu verdanken, auch nur auf diese und jene Fälle eingeschränkt sind, als ob sie durch unglückliche Umstände ebensogut auch verlorengehen könnten. Es ist ein unendlich wichtiger Fortschritt der Bildung, daß sie zur Erkenntnis der einfachen Grundlagen der Staatseinrichtungen vorgedrungen ist und diese Grundlagen in einfache Sätze als einen elementarischen Katechismus zu fassen gewußt hat. Wenn die Ständeversammlung veranlaßt hätte, daß die 20 § §, welche diese allgemeinen Bestimmungen enthalten, auf Tafeln in den Kirchen aufgehängt, der erwachsenen Jugend beigebracht und zu einem stehenden Artikel des Schul- und kirchlichen Unterrichts gemacht worden wären, so würde man sich weniger darüber verwundern können, als daß die Landesversammlung dieselben ignoriert und den Wert der öffentlichen Anerkennung durch die Regierung und der allgemeinen Kenntnis solcher Grundsätze nicht empfunden hat.

Aber um dieser Allgemeinheit willen machen sie nur erst den Grundriß für eine zu entwerfende Gesetzgebung aus, wie die mosaischen Gebote oder die berühmten Droits de l'homme et du citoyen der neueren Zeit. Für eine bestehende Gesetzgebung und schon vorhandene Regierung und Verwaltung sind sie die bleibenden Regulatoren, auf welche sich eine Revision sowie eine Erweiterung des bereits Bestehenden gründen muß, wenn die eine oder die andere nötig ist. Die königliche Verfassungsurkunde bleibt bei diesen allgemeinen[492] Grundlagen stehen und enthält die weitere Entwicklung derselben nicht, noch die Aufnahme näherer Bestimmungen, welche schon als Staatseinrichtungen vorhanden sein konnten. Organische Verfassungsbestimmungen und eigentliche Gesetze grenzen überhaupt sehr nahe aneinander, und die weitere Arbeit der Entwicklung und Subsumtion der schon bestehenden Einrichtungen konnte vornehmlich einen Gegenstand der Tätigkeit der Ständeversammlung abgeben.


Dies sind nun die Hauptmomente der Art und Weise, wie der König die bisherige Staatsverfassung seines Reichs mit dem wichtigen Gliede einer Volksvertretung und mit der Anerkennung und Proklamation der allgemeinen Grundsätze der Gerechtigkeit im Staatsleben ergänzt zu haben meinte, die Einverleibung jenes Gliedes und damit die Herstellung der Grundlage für die weitere Ausbildung und Anwendung der Rechtsprinzipien durch die wirkliche, nach der Bestimmung der Verfassungsurkunde vorgenommene Einberufung von Landständen, durch seine eigene öffentliche Verpflichtung auf die Urkunde, deren feierliche Übergabe an seine Stände und Bekanntmachung, als der Instruktion, welche ihnen ihre Berechtigung erteilte, bewerkstelligt und vollendet zu haben glaubte. Man erwartete nun etwa, daß der weitere Verlauf der Geschichte darstellen werde, wie dies neue Geschöpf, die Landstände, sich in dem ihnen eingeräumten Kreise bewegt und dies wichtige, zum Organismus des Staats hinzugefügte Lebenselement in ihm gewirkt habe. Aber es ist nicht die Geschichte einer solchen assimilierenden und lebenstätigen Wirksamkeit, die sich vor unseren Augen entwickelt, sondern die dazu berufenen Mitglieder verweigern, sich als dieses Glied in den Staat aufnehmen zu lassen, erklären sich dennoch für Landstände, aber einer anderen Welt, einer vergangenen Zeit, und fordern, daß die Gegenwart zur Vergangenheit, die Wirklichkeit zur Unwirklichkeit umgeformt werden solle.

In derselben Sitzung, am 15. März, worin der König sein[493] Reich vollends nach innen konstituiert zu haben glaubte, geschieht der Anfang, daß teils die vormals privilegierten Klassen, teils die, um Landstände zu sein, Einberufenen gemeinschaftlich erklärten, daß sie sich außerhalb der neuen Rechtsverfassung des Staates befinden und daß sie in die vom Könige gegebene Verfassung gar nicht eintreten.

Fürs erste erklären die Agnaten des königlichen Hauses (I. Abt., S. 26 ff.), daß sie sich und allen künftigen Agnaten, Erben und Erbes-Erben des königlichen Hauses die Rechte des vormaligen Zustandes ausdrücklich vorbehalten wollen. – Alsdann erklärt eine Anzahl von Standesherren, daß sie von dem Kongreß der Monarchen in Wien die Bestimmung ihrer Rechte und Verhältnisse erwarten und sich daher einer partikulär-landständischen Verfassung nicht zum voraus untergeben können; sie sagten sich daher von einer Teilnahme an den Verhandlungen los. – Überhaupt wurde in die erste Adresse der Stände die Erklärung eingeschaltet (ohne daß eben ersichtlich ist, aus welcher Bevollmächtigung), daß auch die übrigen Fürsten und Grafen und der Gesamtadel sich nur mit Vorbehalt ihrer Rechte und des Ausspruches des Kongresses einlassen können. – Diesen vorbehaltenen Rechten wird insbesondere in einer an die Stände gerichteten Beschwerdeschrift des Herrn Grafen von Waldek im Namen des hochgräflich-limpurgischen Hauses (VI. Abt., S. 91 ff.) ein auffallend weiter Sinn gegeben. Es heißt daselbst S. 93, daß dieses hochgräfliche Haus die Abdikation des römischen Kaisers nie angenommen habe (eine Abdikation, welche sonst von allen Potentaten Europas angenommen worden ist) und (S. 97) nach Aufhebung des Rheinbundes in den rechtlichen Besitz aller seiner früheren Rechtszuständigkeiten getreten sei, und es fehle bis auf diesen Augenblick nur widerrechtlich der wirkliche Besitz derselben; – d.h. mit anderen Worten, es wird sich hiermit von der rechtlichen Einverleibung in den württembergischen Staat und von dem Untertänigkeitsverhältnis zu demselben förmlich losgesagt und sogar hinzugefügt, daß der Herr[494] Graf bereit sei, seinerzeit, wenn erst ein konstitutioneller Zustand in Württemberg zustande gekommen, diejenigen Bestimmungen anzugeben, unter welchen die Grafschaft Limpurg durch einen Vertrag in ein Subjektionsverhältnis gegen Württemberg zu treten bereit sein werde.

Wie das königliche Ministerium dergleichen sogar ins Lächerliche, bis zur Nichtanerkennung der Abdikation des römischen Kaisers gehende Anmaßungen von Standesherren ansehen konnte, gehört hierher nicht; aber an einer Ständeversammlung kann es unbegreiflich scheinen, die Teilnahme und Stimmgebung bei ihren Beratschlagungen und Beschlüssen solchen Mitgliedern zuzugestehen, welche förmlich erklären, daß sie rechtlich dem Königreich Württemberg noch gar nicht angehören, daß sie wohl daran teilnehmen wollen, für das württembergische Volk verbindliche Beschlüsse zu fassen, daß aber diese für solche Helfer noch nicht verbindlich seien, sondern erst, wenn ein konstitutioneller Zustand mit ihrer Hilfe zustande gekommen, wollen sie sich erklären, auf welche Bedingungen sie sich daran anzuschließen belieben wollen. – Wenn auch sonst das Phänomen der Anmaßung, Gesetze für andere zu machen, sich selbst aber für denselben nicht unterworfen zu erklären, näher bei der Hand liegen mag, so wird es dagegen schwerer sein, Beispiele von einem solchen Grade der Schlaffheit an Landständen zu finden, dergleichen sich gefallen zu lassen und auf solche gegen den König ebenso eigenmächtige Bedingung einen Anteil an den Beratschlagungen und Beschlüssen zuzugestehen.

Noch ein Stand, die Prälaten nämlich, machten nach etlichen Tagen den unbedeutenden Schritt, in einer Adresse, doch nur als Wunsch vorzutragen, daß sie als ein besonderer Stand in der Ständeversammlung repräsentiert1 und ihnen die vormaligen[495] Rechte eingeräumt werden möchten. – Von den beiden Prälaten, welche bereits Mitglied der Ständeversammlung waren, erklärte der eine, der als Kanzler der Universität Tübingen berufene, daß er nicht wisse, ob er die Universität oder die Kirche oder den gelehrten Stand repräsentiere; der andere, der als evangelischer Generalsuperintendent berufene, machte die naive Äußerung, daß ihm ein guter Freund geraten, jene Eingabe der anderen Prälaten nicht zu unterschreiben, um als impartiell zu erscheinen und desto mehr ihre Sache unterstützen zu können (II. Abt., S. 64 ff.).

Die gesamte Ständeversammlung selbst stellt sich ebenso auf einen den wirklichen Weltverhältnissen entgegengesetzten Standpunkt. Sie verwirft die vom Könige gegebene Verfassung und damit die Instruktion, kraft der sie versammelt ist, nimmt sich einen eigenen Beruf heraus und beschließt die Nichtannahme Jener Verfassung in einem Sinne, welcher der allgemeinen, soeben von sämtlichen europäischen Mächten neu begründeten Verfassung Europas und Deutschlands widersprach. – Die Ständeversammlung verwarf die königliche Verfassung nicht deswegen, weil sie dem Rechte, welches Untertanen aus dem ewigen Rechte der Vernunft für sich in der Staatsverfassung fordern können, entgegen sei. Was man erwarten mußte, das sie ihrer Verwerfung vorausgehen lassen würde, eine Untersuchung jener Urkunde, darauf ließ sie sich gar nicht ein und hätte wohl die allgemeinen Grundsätze derselben anerkennen müssen, sondern sie verwarf dieselbe deswegen, weil sie nicht die altwürttembergische Verfassung sei, – auch nicht bloß insofern, als sie von dieser verschieden wäre, auch diese Untersuchung schickte sie nicht voran, sondern trocken und ausdrücklich, weil es nicht namentlich diese vormalige Verfassung sei, weil der Akt, wodurch sie eintreten sollte, nicht das bloße Wiederherstellen und Wiederaufleben des Alten sei. – Das Tote kann aber nicht wieder aufleben; die Ständeversammlung bewies in ihrer Forderung, daß sie von der Natur der Aufgabe,[496] welche zu lösen war, nicht nur keinen Begriff, sondern auch keine Ahnung hatte. Sie zeigte, daß sie das Notwendige der Aufgabe als ein Belieben und Privatwillkür des Königs oder seines Ministeriums betrachtete und es mit einer Zufälligkeit, nicht mit der Natur der Sache zu tun zu haben glaubte. Sie gab zwar zu, daß einige Umstände neu [seien] und in Ansehung derselben Modifikationen einzutreten hätten. Für diese neuen Umstände galten ihr bloß ein paar Äußerlichkeiten, welche das Wesen in dem Unterschiede des alten und neuen Verhältnisses so gut als gar nicht betrafen, – nämlich das Hinzukommen eines Adelsstandes, welcher, wie oben bemerkt worden, sich dafür ansehen wollte, daß er rechtlich, somit in Beziehung auf Verfassung, wo allein vom Rechtszustande die Rede war, eigentlich noch gar nicht einen Teil der Untertanen ausmache, ja der die Bestimmung einer staats- und privatrechtlichen Stellung im Reiche vom Staate mit Konkurrenz der Ständeversammlung zu erhalten ausschlug. Der andere Umstand war die Aufnahme der einer anderen christlichen Konfession angehörigen Untertanen in die gleichen Staatsbürgerrechte mit den Lutheranern, ein Umstand, der ohnehin die Natur der Verfassung nicht betraf, wie der erstere noch kein Gegenstand derselben sein sollte. Als eine weitere Veranlassung zu Modifikationen wurde die Vergrößerung des Landes um mehr als die Hälfte gegen seinen vorherigen Bestand betrachtet. In der Tat konnte dieser Umstand einen sehr wichtigen Grund gegen die trockene Einführung der vormaligen Verfassung Altwürttembergs abgeben, wogegen die Ständeversammlung mit Advokatengründen aus vormaligen Fällen, dem alten positiven Staatsrecht, dem formellen Begriffe der Inkorporation, zu erweisen suchte, daß der neu hinzugekommene Teil ein Recht an die Wohltat der Verfassung des anderen Teils habe. Im Grunde besehen aber war für die Hauptsache die ganze Betrachtung dieser Rücksicht und vollends die Advokatenbeweise etwas sehr Müßiges, nahezu eine querelle d'Allemand; denn wenn Württemberg auch gar keine Erweiterung[497] erhalten hätte und ganz nur in seinem vorigen Gebiete, das die alte Verfassung hatte, geblieben wäre, so wäre die Veränderung der Stellung für dasselbe, das Bedürfnis und die Notwendigkeit einer neuen Verfassung die nämliche geblieben.


Für die nähere Beleuchtung dieser Notwendigkeit ließen sich nun nach sehr vielen Seiten hin die nachteiligen Folgen entwickeln, welche die Wiedereinführung der altwürttembergischen Verfassung unter den ganz anders verschiedenen Umständen als nur den eben erwähnten gehabt haben würde. Die Bildung der Zeit forderte schon wenigstens eine Zusammenstellung und Sichtung der gleich der deutschen Reichsverfassung zu einem unförmlichen Gebäude ausgelaufenen Konstruktionen und Konstitutionen. Man braucht nur die verdienstliche, von unserem Herrn Geh. Kirchenrat Paulus veranstaltete Sammlung der Haupturkunden der württembergischen Landesgrundverfassung zu betrachten, um zu sehen, daß ein solcher Zustand der Verfassungsgrundlagen eine unerschöpfliche Rüstkammer für Advokaten und Konsulenten zu Deduktionen, aber zugleich eine Fassung ist, wodurch die Verfassungskenntnis und damit mehr oder weniger die Sache selbst dem Volke entzogen wird, eine Fassung, mit der sich die Zeit nicht mehr begnügen kann. Daß in Ansehung dieser Förmlichkeit etwas zustande gekommen und daß ein bloß die Form zu betreffen scheinendes Geschäft auch auf die Materie Einfluß haben mußte, davon wird unten noch die Rede sein. – Was aber die nachteiligen Folgen betrifft, so können ihnen die sogenannten wohltätigen Folgen, vornehmlich aber das Recht, welches nicht von Folgen abhängig gemacht werden soll, entgegengestellt werden; in Ansehung des letzteren insbesondere ist dies auch von den Ständen zur Genüge und zum Überdruß geschehen.

Es entsteht mit solcher Auseinandersetzung das gewöhnliche endlose Hin- und Herreden, weil solche Gründe und Gegengründe keine letzte Entscheidung in sich haben, wenn der[498] Prätor fehlt, der diese Entscheidung geben müßte. Worauf es ankommt, ist allein die Natur der Sache, und diese ist im vorliegenden Falle sehr einfach. Die Veränderung, die sich seit Jahrhunderten vorbereitet und spät genug vollendet hat, ist der schon genannte Übergang der beträchtlicheren deutschen Länder aus dem Verhältnis von Reichslehen in das Verhältnis von souveränen Ländern, d. i. von Staaten. In jenen konnten einerseits der Fürst, andererseits Land und Leute – obgleich die letzteren als Untertanen (selbst oft bis zum Grade der Leibeigenschaft) – mit einer Unabhängigkeit einander gegenüberstehen, welche von beiden Seiten sich fast Souveränitätsrechten nähern konnte. Denn zwischen beiden stand Kaiser und Reich als ein äußerliches Band, welches beide in dieser Selbständigkeit hielt und auch notdürftig zusammenhielt, – wie der Privatmann gegen den Privatmann eine unabhängige Person ist. In den Verhältnissen, die sie miteinander knüpfen, gehen sie von dem subjektiven Bedürfnis und der Willkür aus; aber allein, weil sie zugleich in einem Staate sind, eine Obrigkeit und Gerichte über sich haben, werden Verhältnisse zu Verträgen, hat es einen vollständigen wirklichen Sinn, Verträge zu schließen, und werden die Einzelnen in ihrer Selbständigkeit und in ihren Verhältnissen aufrechterhalten. Je ohnmächtiger aber jene Zwischen- und Obermacht sich bewies, desto schlimmer mußten beide Teile in ihren Kollisionen daran sein, weil sie, bei ihrer Unabhängigkeit zugleich als Regierung und Untertanen aneinander gebunden, nicht auseinanderkommen konnten.

Ein solcher Zustand, in welchem Fürst und Volk durch eine so äußerliche Macht verknüpft waren, führte es mit sich, daß eigentliche Staatsrechte sich auf selten der Untertanen befanden. Zu Rechten dieser Art gehören die meisten derjenigen, welche aus dem Lehensverhältnisse flossen; doch wäre es überflüssig, hier solche zu berühren, weil sich in Altwürttemberg nur ein unbedeutender Adel vorfand, dessen Rechte überhaupt von keiner großen Konsequenz für das Staatsverhältnis waren. Eine wesentliche Erwähnung aber verdient[499] das Recht der vormaligen württembergischen Landstände, die Steuerkasse in Händen zu haben. Es war damit das Recht für sie verbunden, nicht nur selbst Diäten zu genießen, sondern auch Beamte, Konsulenten und vornehmlich einen Ausschuß zu ernennen und dessen Mitgliedern sowie jenen Beamten Besoldungen aus der Steuerkasse anzuweisen. Ja, dieser Ausschuß hatte selbst die Verwaltung der Kasse, aus der er seine im ganzen von den Ständen bestimmte Besoldung bezog; aber außerdem erstreckte sich sein Verwaltungsrecht so weit, daß er sich sogar auch Besoldungszuschüsse und Remunerationen dekretierte, ferner seinen Mitgliedern sowie anderen Individuen für wirkliche oder eingebildete Dienste Belohnungen und Pensionen dekretierte und ausbezahlte; ja gerade diese Verwendung der Landesgelder fürs Persönliche, für sich selbst, welche geheim zu halten die Ehre am allermeisten verschmähen wird, war aller Kontrolle entzogen.

Der inneren Zerrüttung und sittlichen Versumpfung, die in einer solchen Privatplünderung und einem solchen Zustande überhaupt liegt, ist die förmliche Staatszerrüttung ganz nahe verwandt, daß Landstände durch die Kasse, welche sie in Händen haben, sich für sich als eine Art von souveräner Macht für ihre Zwecke mit äußeren Mächten in Verbindung setzen. Von der eigenen Kasse ist kein großer Schritt zur Unterhaltung eigener Truppen, und es würde nur lächerlich sein, das letztere Ständen gesetzlich zu verbieten, durch die erstere ihnen aber die Macht und die Mittel dazu in die Hände zu geben. Wenn die vorgenannte Zwischen- und Obermacht des Kaisers und Reichs noch vorhanden war, dann konnte eine solche Folge in einzelnen Fällen verhütet werden, – wo nämlich jene Macht wirksam war, sowie auch im Fall es ihr beliebte; aber es blieb eine Zufälligkeit, ob diese Folge verhütet wurde oder nicht. Doch fehlte es im Deutschen Reiche auch nicht an Fällen, wo Stände zur Haltung eigener Truppen berechtigt waren, wie z.B. in Ostfriesland die Stadt Emden, ebensowenig daran, daß in eben[500] diesem Lande, das entfernter von der Einwirkung des Reichs lag, die Stände selbst Truppen gegen ihren Fürsten warben, mit ausländischen Mächten Traktate schlössen und deren Armeen ins Land riefen und sie besoldeten. Es gibt in dieser Rücksicht nicht leicht eine lehrreichere Geschichte als die vortreffliche von Wiarda verfaßte Geschichte von Ostfriesland, wir sehen darin ein zusammenhängendes Gemälde der schmählichsten, widrigsten und zerstörendsten Zerrüttung, die aus dem Verhältnisse vom Fürsten und von Landständen hervorging, in deren Händen sich Rechte befanden, die der Souveränität zustehen. In größeren Zügen ist dergleichen übrigens z.B. in Frankreichs, Englands Geschichte vorhanden, ehe diese Länder ihre Bildung zu Staaten vollendet hatten, um Polens nicht zu erwähnen, nur daß diese Geschichten auch von der ekelhaften Seite, nämlich dem vollständigen Rechts- und Papierformalismus des deutschen Landes, mehr befreit sind.

Dem genannten Geschichtsschreiber waren die Archive der ostfriesischen Landstände, bei denen er selbst in Diensten steht und auf deren Auftrag er sein Werk schrieb, geöffnet. Die württembergischen Landstände haben eine solche Geschichte nicht veranlaßt; den berühmten Moser, der dazu befähigt, der auch ihr Konsulent war, haben sie aus ihrer Mitte vertrieben. Doch unter anderen Einzelheiten, die dem Publikum vorliegen, zeichnet sich eine Broschüre aus, die in eine Seite des berührten Gegenstandes, in die unabhängige ständische Kassenverwaltung während einer Periode wenigstens Blicke tun läßt und unter dem Titel erschienen ist: Die Verwaltung der württembergischen Landeskasse durch die vormaligen, nun kassierten Ausschüsse der württembergischen Landstandschaft; aus landschaftlichen Rechnungen, Akten und Urkunden gezogen (ohne Druckort) 1799. Die Landesversammlung, welche im Jahre 1796 nach etwa 25[501] Jahren wieder einmal zusammenberufen wurde, untersuchte die Rechnungen der von ihr vorgefundenen Ausschüsse, die genannte Broschüre liefert wenigstens einen Teil der Resultate dieser Untersuchung. Die Vorrede sagt darüber summarisch: »Die Resultate dieser Rechnungen enthalten nicht nur etliche Tonnen Goldes, welche gesetzwidrig verwendet worden sind, sondern sie laufen in Millionen und betragen von dem letzteren Landtage 1771 bis zu Anfange des gegenwärtigen, im März 1797, wo dem Unwesen ein Ende gemacht wurde, die enorme Summe von 4238000 Fl., sage: vier Millionen zweihundertachtunddreißigtausend Gulden Staatsvermögen, über deren treue Verwaltung und Verwendung die Ausschüsse Eid und Pflicht hatten.«

Dies Resultat mag hinreichend sein zu erwähnen; ein detailliertes Gemälde, wie tief die Unabhängigkeit diese ständische Verwaltung hat sinken lassen, daraus auszuziehen, gehört nicht hierher. Es wären insbesondere die vielfachen Remunerationen auszuheben, welche die Ausschußmitglieder für jedes bedeutende und unbedeutende Geschäft außer ihrem ordentlichen Gehalt (z.B. einem Kanzlisten dafür, daß er sich nach dem Befinden des Herzogs erkundigte) sich selbst zuteilten, und so manches, was eine förmliche Prellerei scheint genannt werden zu können, wobei dieselben Familiennamen besonders häufig vorkommen. Alsdann wären auch die sauberen Proben diplomatischer Versuche und Sendungen und vornehmlich deren Belohnungen merkwürdig; in der Rechnung von 1778 bis 1781 kommt eine Summe von 5000 Fl. vor, die einem auswärtigen Hofrat im Jahre 1770 zu einer Reise nach Petersburg übermacht wurden, um die dort verlegenen (??) Landesangelegenheiten zu betreiben; eine Reise nach München in Kommerzangelegenheiten à 8700 Fl. usw. – Es hilft nichts zu sagen, daß Vergeudungen und Plünderungen der Staatskasse Mißbräuche und Gesetzwidrigkeiten gewesen seien; wenn in 26 Jahren die Summe von gesetzwidrig verwendetem Landesgelde sich auf vier Millionen belaufen kann, so taugen gewiß die Gesetze nichts, bei[502] welchen dergleichen Gesetzwidrigkeit möglich ist; eine gute Verfassung ist ja wohl nur dann eine solche, wenn durch sie Gesetzwidrigkeiten bestraft und noch mehr verhütet werden. – Wenn solches geschah am grünen Holze, möchte man fragen, was soll's am dürren werden? Wenn Plünderung und Vergeudung geschah zu einer Zeit, wo Kaiser und Reichsgerichte noch über den Landständen standen, wo die Stände selbst einen langwierigen, höchst kostspieligen Prozeß gegen ihren Fürsten wegen Erpressungen und Gesetzwidrigkeiten beendigt und eine große Schuldenmasse – deren Abtragung seit bald 50 Jahren bis diese Stunde noch nicht vollendet sein mag – übernommen hauen; – zu einer Zeit, die man als eine Zeit deutscher Redlichkeit, landständischer Würdigkeit, einer durch die Verfassung erschaffenen Glückseligkeit im Gegensatze gegen das Verderben, den Luxus und das Unrecht neuerer Zeit lobpreisen hört!

Das Übel aber, daß die Selbständigkeit der Landstände es ihnen möglich machte, die Staatskasse zu plündern, sei nun eine notwendige Folge, oder es könne ihm durch Gesetze und veränderte Einrichtungen gesteuert werden, so bleibt immer der weit größere Übelstand im Verhältnis zum Staat, daß die Selbständigkeit der Landstände in der Disposition und Verwaltung einer Staatskasse es ihnen möglich macht, den Gang des Staates zu erschweren, ja zu hemmen, teils nach der Seite der inneren Angelegenheiten, teils insbesondere nach der Seite des politischen Verhältnisses zu anderen Staaten, welches den Landständen ohnehin entfernter liegt, ja oft verhaßt ist, den deutschen aber überhaupt bisher fremd war. Der Einfall, Landständen, oder welcher Korporation im Staate es sei, eine von der Regierung unabhängige Militärmacht und Armee in die Hände geben zu wollen, würde allgemein als eine den Staat zertrümmernde Maßregel angesehen werden; aber es wäre kein großer Unterschied, wenn die Disposition der ganzen oder eines Teils der Staatskasse und die Befugnis, daraus Besoldungen und Pensionen zu erteilen, einer solchen Korporation zustehen[503] sollte. Es kann scheinen, daß Stände eines vormaligen deutschen Landes, welche eine solche Disposition hatten, wenn ihnen diese nicht mehr zugestanden wird, an Befugnis und Macht sehr viel verlieren. Allein es ist schon bemerkt worden, daß durch die Veränderung eines Landes aus einem Reichslehen in einen souveränen Staat die Stände unendlich an Befugnis und Macht gewonnen und nur um dieses neuen Zuwachses willen mit demselben jene frühere Befugnis nicht vereinigt bleiben kann. Der Staat würde mit solchen Bestimmungen aufhören, ein Staat zu sein, und durch die zwei souveränen Gewalten, die sich in ihm befänden, zertrümmert werden; – oder vielmehr die Einheit würde sich herstellen, entweder, daß die sogenannten Stände, wie wir dies in der neueren Geschichte gesehen, die bisherige Regierung stürzten und an sich rissen, oder, was wir gleichfalls gesehen, daß die Regierungen solche Landstände fortjagten und Staat und Volk dadurch retteten. Die größte Garantie und Sicherheit der Landstände ist gerade dies, daß sie eine der Natur der Sache widersprechende Macht nicht besitzen, -das Törichtste dagegen, in einer solchen Macht für sich und für das Volk einen Schutz zu suchen; denn eine solche Macht macht es zum Recht oder früher oder später zur Notwendigkeit, solche Landstände aufzuheben.

Es ist noch hinzuzufügen, daß mit der qualitativen Verschiedenheit eines Lehens und eines Staates auch die nähere Förmlichkeit ganz verändert ist, die in jenem das Verhältnis zwischen Fürst und Untertanen hatte. Indem Fürst und Land als Eigentümer und Inhaber von besonderen Gerechtsamen in der Weise von Privatberechtigten einander gegenüber und so unter einem Dritten, der Gewalt von Kaiser und Reich, standen, waren sie wie unter einem Prätor im Falle, Verträge miteinander schließen und sich nach der Weise des Privatrechts gegeneinander verhalten zu können. Auch in neuerer Zeit, wo wahrhaftere Begriffe an die Stelle der vormals gedanken- und vernunftlos genommenen Vorstellung, daß die Regierungen und die Fürsten auf göttlicher Autorität[504] beruhen, getreten sind, hat der Ausdruck Staatsvertrag noch immer den falschen Gedanken zu enthalten geschienen, als ob im Staate auf das Verhältnis von Fürst und Untertanen, von Regierung und Volk der Begriff vom Vertrag wahrhaft passen und die gesetzlichen Bestimmungen des Privatrechts, welche aus der Natur eines Vertrags folgen, hier ihre Anwendung finden könnten, ja sollten. Ein geringes Nachdenken läßt erkennen, daß der Zusammenhang von Fürst und Untertan, von Regierung und Volk eine ursprüngliche, substantielle Einheit zur Grundlage ihrer Verhältnisse hat, da im Vertrage hingegen vielmehr vom Gegenteil, nämlich der gleichen Unabhängigkeit und Gleichgültigkeit beider Teile gegeneinander ausgegangen wird; eine Vereinbarung, die sie miteinander über etwas eingehen, ist ein zufälliges Verhältnis, das aus dem subjektiven Bedürfnis und der Willkür beider herkommt. Von einem solchen Vertrage unterscheidet sich der Zusammenhang im Staate wesentlich, der ein objektives, notwendiges, von der Willkür und dem Belieben unabhängiges Verhältnis ist; es ist an und für sich eine Pflicht, von der die Rechte abhängen; im Vertrag dagegen räumt die Willkür gegenseitig Rechte ein, aus denen dann erst Pflichten fließen. – Mit dem Übergange eines Landes aus seiner Reichslehenschaft in einen Staat ist die vorherige, durch eine dritte Zwischen- und Obergewalt vermittelte Selbständigkeit der beiden Seiten und damit auch das ganze Vertragsverhältnis hinweggefallen.


Der Grundirrtum der Stellung, die sich die württembergischen Landstände gaben, liegt hierin, daß sie von einem positiven Rechte ausgehen, sich ganz nur ansahen, als ob sie noch auf diesem Standpunkte ständen, und das Recht nur fordern aus dem Grunde, weil sie es vormals besessen haben. Sie handelten, wie ein Kaufmann handeln würde, der auf ein Schiff hin, das sein Vermögen enthielt, das aber durch Sturm zugrunde gegangen ist, noch dieselbe Lebensart fortsetzen und denselben Kredit von anderen darauf fordern[505] wollte, – oder wie ein Gutsbesitzer, dem eine wohltätige Überschwemmung den Sandboden, den er besaß, mit fruchtbarer Dammerde überzogen hätte und der sein Feld auf dieselbe Weise beackern und bewirtschaften wollte wie vorher.

Man sieht in der Art, wie sich die in Württemberg berufenen Landstände gehalten, gerade das Widerspiel von dem, was vor 25 Jahren in einem benachbarten Reiche begann und was damals in allen Geistern wiedergeklungen hat, daß nämlich in einer Staatsverfassung nichts als gültig anerkannt werden solle, als was nach dem Recht der Vernunft anzuerkennen sei. Man konnte die Besorgnis haben, daß der Sauerteig der revolutionären Grundsätze jener Zeit, der abstrakten Gedanken von Freiheit, in Deutschland noch nicht ausgegoren und verdaut sei und Ständeversammlungen sich die Gelegenheit nehmen würden, ähnliche Versuche zu machen und Verwirrungen und Gefahren herbeizuführen. Württemberg hat das allerdings auch bis auf diesen Grad tröstliche Beispiel gegeben, daß solcher böse Geist nicht mehr spuke, zugleich aber auch, daß die ungeheure Erfahrung, die in Frankreich und außer Frankreich, in Deutschland so gut als dort gemacht worden ist, für diese Landstände verloren war, – die Erfahrung nämlich, daß das Extrem des steifen Beharrens auf dem positiven Staatsrechte eines verschwundenen Zustandes und das entgegengesetzte Extrem einer abstrakten Theorie und eines seichten Geschwätzes gleichmäßig die Verschanzungen der Eigensucht und die Quellen des Unglücks in jenem Lande und außer demselben gewesen sind. – Die württembergischen Landstände haben auf dem Standpunkte wieder anfangen wollen, worauf die vormaligen Landstände sich befanden; sie haben sich auf den Inhalt der königlichen Verfassungsurkunde nicht eingelassen und nicht gefragt und zu beweisen gesucht, was und daß etwas vernünftiges Recht sei, sondern sind schlechthin bei dem Formalismus beharrt, ein altes positives Recht zu fordern auf dem Grund, daß es positiv und vertragsmäßig gewesen sei. Man mußte den Beginn der Französischen Revolution[506] als den Kampf betrachten, den das vernünftige Staatsrecht mit der Masse des positiven Rechts und der Privilegien, wodurch jenes unterdrückt worden war, einging; in den Verhandlungen der württembergischen Landstände sehen wir denselben Kampf dieser Prinzipien, nur daß die Stellen verwechselt sind. Wenn damals die Majorität der französischen Reichsstände und die Volkspartei die Rechte der Vernunft behauptete und zurückforderte und die Regierung auf der Seite der Privilegien war, so stellte in Württemberg vielmehr der König seine Verfassung in das Gebiet des vernünftigen Staatsrechts; die Landstände werfen sich dagegen zu Verteidigern des Positiven und der Privilegien auf; ja, sie geben das verkehrte Schauspiel, daß sie dieses im Namen des Volkes tun, gegen dessen Interesse noch mehr als gegen das des Fürsten jene Privilegien gerichtet sind.

Man konnte von den württembergischen Landständen sagen, was von den französischen Remigranten gesagt worden ist: sie haben nichts vergessen und nichts gelernt; sie scheinen diese letzten 25 Jahre, die reichsten, welche die Weltgeschichte wohl gehabt hat, und die für uns lehrreichsten, weil ihnen unsere Welt und unsere Vorstellungen angehören, verschlafen zu haben. Es konnte kaum einen furchtbareren Mörser geben, um die falschen Rechtsbegriffe und Vorurteile über Staatsverfassungen zu zerstampfen, als das Gericht dieser 25 Jahre; aber diese Landstände sind unversehrt daraus hervorgegangen, wie sie vorher waren. – Altes Recht und alte Verfassung sind ebenso schöne, große Worte, als es frevelhaft klingt, einem Volke seine Rechte zu rauben. Allein ob das, was altes Recht und Verfassung heißt, recht oder schlecht ist, kann nicht aufs Alter ankommen; auch die Abschaffung des Menschenopfers, der Sklaverei, des Feudaldespotismus und unzähliger Infamien war immer ein Aufheben von etwas, das ein altes Recht war. Man hat oft wiederholt, daß Rechte nicht verlorengehen können, daß hundert Jahre Unrecht kein Recht machen können, – man hätte hinzusetzen sollen: wenn auch das hundertjährige [507] Unrecht diese hundert Jahre lang Recht geheißen hätte; ferner, daß hundertjähriges und wirkliches positives Recht mit Recht zugrunde geht, wenn die Basis wegfällt, welche die Bedingung seiner Existenz ist. Wenn man das Belieben hat, leeres Stroh zu dreschen, so mag man behaupten, daß dem einen Ehegatten auch noch nach dem Tode des anderen sein Recht auf den anderen, dem Kaufmann, dessen Schiff von der See verschlungen worden, noch sein Recht auf dasselbe verbleibe. Es ist von Jeher die Krankheit der Deutschen gewesen, sich an solchen Formalismus zu hängen und damit herumzutreiben. So ist denn auch noch bei dieser württembergischen Ständeversammlung beinahe der ganze Inhalt ihrer Tätigkeit auf die unfruchtbare Behauptung eines formellen Rechts mit Advokatenei gensinn beschränkt. Vergebens versuchten einige wenige Stimmen, sie auf die Sache selbst zu führen, unter anderen der Präsident der Versammlung, der Herr Fürst zu Hohenlohe-Öhringen, sie gelegentlich von dem prozessualischen Gange abzubringen, – hatte ja der Mörser, in welchem die Zeit 25 Jahre lang zerstoßen worden, nichts auf sie vermocht.


Aus diesem Verhalten der Landstände, sich in dem Formalismus des positiven Rechts und dem Standpunkt des Privatrechts zu halten, wo es sich vom vernünftigen und vom Staatsrecht handelte, folgt für die Geschichte ihrer anderthalbjährigen Verhandlungen, daß sie höchst leer an Gedanken sind und für einen so großen Gegenstand als der ihnen vorgelegte, die freie Verfassung eines deutschen Staats jetziger Zeit, wenig oder fast nichts Lehrreiches enthalten. Statt einer fruchtbaren Arbeit bietet sich daher fast nur eine äußerliche Geschichte dar, von der jetzt der Hauptgang anzugeben ist.

Es ist schon angeführt worden, daß, nachdem der König am 15. März 1815 die Ständeversammlung feierlich eröffnet und nach Übergabe der Konstitutionsurkunde jene sich selbst überlassen hatte, Herr Graf von Waldek, kein Altwürttemberger,[508] auch nicht für sich ein Virilstimmführer, sondern ein Substitut einer solchen, mit einer Rede auftrat, welche mit dem vor hin erwähnten Lobe des Königs begann, des »erhabenen Monarchen, der seltene Stärke bewiesen, Württemberg beträchtlich ausgedehnt und nun die von seinen Erlauchten Ahnherren, lauter Fürsten von seltenen Eigenschaften, auf ewig gegründete Verfassung herstellt«. – Es konnte nicht wohl anders gemacht werden, als daß die erste Äußerung von selten der Ständeversammlung, wenn nicht eine Anerkennung der soeben vollzogenen königlichen Handlung, seinem Reiche eine Verfassung zu geben, doch eine sich als schicklich zeigende Lobpreisung ins Allgemeine enthielt. Diese Lobpreisung ist nun, wie die ganze Rede, so geschraubt und zweideutig gehalten, jedem Worte so der Stempel der Feinheit aufgedrückt, daß die Ständeversammlung sich darin der Geschicklichkeit ihres Redners, nach außen die schuldige Devotion bewiesen, nach innen aber alles vorbehalten zu haben, erfreuen konnte; – der König dagegen und das Ministerium konnten diese verdrehten und versteckten Ausdrücke als Hohn aufnehmen, um so mehr, als jenem ausdrücklich der Entschluß zugeschrieben wird, das seit Jahrhunderten als wohltätig anerkannte Band zwischen dem Regenten und allen Ständen des Staates und eine alle Teile zufriedenstellende Konstitution herzustellen und die seit neun Jahren geschehene Aufhebung der von den Erlauchten Ahnen für ewige Zeiten gegründeten Verfassung wieder aufzuheben. Man konnte diese Versicherung für eine kecke Voraussetzung nehmen, wenn sogleich und nur in ihrem Sinne gehandelt worden; aber sie mochte, wie gesagt, mehr nur höhnisch und hämisch erscheinen, da die Beschwernis der Ständeversammlung gleich von dieser ersten Sitzung an nur den Inhalt hatte, daß im Gegenteil der König eben jene alte Verfassung nicht habe wiederherstellen wollen, daß mit der von ihm herrührenden Verfassung vielmehr kein einziger der Stände seines Staates, kein Teil desselben (außer dem Könige selbst und seinen Ministern) zufrieden sei.[509]

Der weitere Verfolg dieser Rede ist eine historische Zusammenstellung der Schicksale Württembergs unter seiner Verfassung; als allgemeines Resultat erscheint, daß der Zustand des Landes zu allen Zeiten, während es jene Verfassung hatte, elend, niedergedrückt, unglücklich war. Hieraus wird der mit solcher Prämisse kontrastierende Schluß gemacht, »daß die alte württembergische Verfassung das Land seit Jahrhunderten beglückt, daß sie die entschiedensten Vorzüge vor allen Verfassungen anderer Länder habe, ohne Zweifel von jeher die beste Verfassung eines deutschen Landes, der Gegenstand nicht allein der Bewunderung Deutschlands, sondern sogar wiederholt der Aufmerksamkeit Englands gewesen sei«. Hiermit und weil in ihr alles vertragsmäßig bestimmt und nichts Zweifelhaftes, weil sie garantiert, von allen Regenten beschworen sei, das Volk nicht auf sie Verzicht geleistet habe usf., sei sie ganz allein als Grundgesetz und Grundvertrag anzuerkennen. Einige Modifikationen, welche durch die veränderten Umstände notwendig geworden, die oben erwähnten, seien nur auf sie zu gründen. Die hiernach vom Redner vorgeschlagene und von der Versammlung angenommene Adresse drückt diese Gedanken nicht in direktem Stile aus, sondern bringt sie schieferweise in die Form von indirekten Hypothesen auf folgende Weise: Wenn das Volk Repräsentanten nur gewählt habe in der Voraussetzung, daß die alte vererbte, Württemberg seit Jahrhunderten beglückt habende, bestätigte usf. Verfassung allen Modifikationen zugrunde gelegt werden müsse, wenn ferner die Mehrzahl der Standesherren sich ihre Rechte und den Ausspruch des Kongresses vorbehalten müssen, so erkennen die Stände mit alleruntertänigstem Danke, daß der König in der Eröffnung von diesem Tage ihnen eine Veranlassung zur Beratung über die Anwendung der neueren Verhältnisse auf die alten Verhältnisse des Landes an die Hand gegeben habe. So wie daher die Versammlung sich vorbehalten müsse, den Erfolg ihrer Beratung dem Könige vorzutragen, so zweifeln sie nicht usf.[510]

Ganz anders, als dieser hypothetische versteckende Stil lautet, ganz anders, als daß nur eine Beratung vorbehalten, daß ein Erfolg der Beratung erst künftig und, wenn ein solcher erhalten werde, alsdann dem Könige vorgetragen werden sollte, spricht die Versammlung gleich in ihrer nächsten Sitzung die Meinung ihrer Adresse ausdrücklich dahin aus, daß sie damit erklärt habe, nur auf die Basis der altwürttembergischen Verfassung könne über die neueren, durch besondere Umstände herbeigeführten Modifikationen unterhandelt werden.

Auf die Rede des Herrn Grafen von Waldek und die Ablesung seiner vorbereiteten Adresse erfolgte, nachdem nur noch ein Deputierter einige auffordernde Bemerkungen zur Unterzeichnung der Adresse gemacht, die stumme einmütige Annahme derselben von der Versammlung.

Der abgewogene, einerseits mit Keckheit, die man sogar Hohn nennen konnte, durchwobene und andererseits geschrobene, versteckte, steife Berichtsstil und Inhalt der Rede und Adresse ist schon bemerklich gemacht worden. Die diplomatischen Verhandlungen neuerer Zeit zeigen bei aller Vorsicht, Besonnenheit und Abgewogenheit der Ausdrücke eine offene, direkte, würdige Haltung und bei der größten Klugheit am wenigsten eine selbstgefällige Pfiffigkeit. Wieviel mehr hätte man von einer deutschen Ständeversammlung Freimütigkeit, Lebendigkeit und würdige Offenheit in ihrer ersten Erklärung erwarten sollen, statt der anwidernden Geschrobenheit und Verstecktheit und dann der Stummheit, womit sich die übrige Versammlung hinter jene Geschrobenheit steckte!

Aber worauf sie sich hierbei nachher immer sehr viel zugute tat, ist die Einmütigkeit, womit der Beschluß, die Adresse anzunehmen, gefaßt worden sei. Welche Bewandtnis es hiermit und mit der äußeren Manier, die Adresse in der Sitzung durchzusetzen, gehabt habe, zeigt die folgende Sitzung und der fernere Verlauf der Verhandlungen. In dieser Sitzung (vom 17. März) verwahren sich sechs Herren von Adel[511] gegen die in der Adresse enthaltene Angabe, daß der anwesende Gesamtadel sich seine Rechte vorbehalten habe. Ihre hierüber abgegebene Erklärung führt an, daß die Reden der zwei Mitglieder, wovon die Adresse die Folge gewesen, teils so schnell, teils mit so schwacher Stimme vorgetragen worden, daß sie nicht vernommen werden konnten; ferner ist bemerkt, daß das Aufstehen von den Sitzen die Stelle einer förmlichen Abstimmung habe vertreten sollen, die Veranlassung und der Zweck dieses Aufstehens sei aber nicht allgemein bekannt gewesen. – Die Förmlichkeit des Abstimmens mußte in einer Versammlung vor allem bestimmt und den Mitgliedern bekannt sein; wenn auch für den ersten Augenblick eine Art und Weise zu erfinden war, mußte sie von einer Äußerung und Erklärung begleitet werden, daß ihre Bedeutung keinem Zweifel unterliegen konnte. Das Bild der Stummheit macht sich durch die Erwähnung des schnellen Ablesens der Vorträge und der leisen Stimme dabei vollständig. Ist dies ein Bild, des ersten Auftretens einer Ständeversammlung würdig, eines Auftretens, womit sie den entscheidenden, ja ihren einzigen Beschluß für immer faßte? – Jene sechs Mitglieder gaben die unumwundene Erklärung, daß sie die vom Könige gegebene Konstitution dankbarlich annehmen. Diese Ausdrücklichkeit sticht sehr mit den Wendungen der Adresse ab, auf deren Sinn man sonst vorbereitet und unterrichtet sein mußte, um zu wissen, daß er die Nichtannahme der Konstitution sein sollte. Offener und einer Versammlung von deutschen Männern und Volksrepräsentanten würdiger hätte es gelassen, wenn sie ihre Nichtannahme der königlichen Verfassung ebenso unumwunden erklärt hätte als jene sechs Adeligen ihre Annahme. Es wird im folgenden zuweilen der gegen den König zu beobachtenden Delikatesse erwähnt; die echte Delikatesse liegt aber ohne Zweifel in einer gebildeten Freimütigkeit, und das gegen den König und gegen sich selbst undelikateste Benehmen und Ton ist wohl die oben erwähnte Geschrobenheit und Haltung.[512]

Wichtiger ist jedoch, daß einem Hauptbeschlusse nicht bloß zwei, die Materie beinahe nicht berührende Vorträge hätten vorangehen müssen, daß überhaupt die Einmütigkeit des Beschlusses, statt für einen Vorzug gelten zu können, vielmehr der Versammlung zum größten Vorwurf und Tadel gereichen mußte. Man sieht eine Ständeversammlung wohl der großen Mehrheit nach über ihren Beschluß schon zum voraus einverstanden und die Sache im stillen abgemacht. Ein anderer Teil zeigt späterhin wohl zum Teil eine Opposition, vornehmlich aber zeigt er gänzliche Gleichgültigkeit gegen den Nerv des Beschlusses, nämlich gegen die alte Verfassung; dieser Teil macht für sich weder einen Anspruch auf das formelle Recht noch auf den Inhalt derselben, sondern will nur eine gute und daher vielmehr eine bessere Verfassung als die altwürttembergische. – Man sieht daher eine in ihrem Verhältnisse noch neue Versammlung, welche von der Unkenntnis ihrer Bestandteile, der Ungewißheit dessen, was werden soll, der Ungewohntheit und Ungeübtheit zur Zurückhaltung und Stummheit gebracht ist und welcher die Geschrobenheit und versteckende Entschiedenheit einiger Mitglieder imponiert. Wenn die Versammlung ihre Stellung und Begriff klarer und mutiger erfaßt hätte, so hätte sie vielmehr die größte Offenheit und Ausführlichkeit zu ihrem Gesetze machen und, statt stumm zu sein, es für das Größte halten müssen, da es ihr eingeräumt worden, das Wort zu haben. Wäre die Einmütigkeit auch der wirklichen Intention nach vorhanden gewesen oder aus Einschüchterung und Mangel an Selbstzutrauen hervorgegangen, so mußte sie in allen Fällen es sich selbst zur Pflicht machen, wenn man es so nennen will, einen Advocatum Diaboli zu erwählen – und dieser Name scheint nicht zu unpassend in Betracht der bewiesenen Animosität gegen die königliche Konstitution –, sie mußte von amtswegen alle Gründe, welche sich für die Annahme der königlichen Verfassung ergeben konnten, selbst entwickeln und ins hellste Licht setzen lassen und dann ebenso eine unumwundene Angabe ihrer wirklichen Meinung[513] und eine ausführliche Auseinandersetzung ihrer Beweggründe ihren Beschlüssen vorangehen lassen. Aber eine solche Beratung ist weder dem Beschlüsse vorangegangen noch nachgefolgt; dazu ist aber eine Ständeversammlung vorhanden, nicht nur daß sie nicht unberaten handle, sondern daß sie vor dem Volke und der Welt ihre Beratungen über die Interessen des Staats anstelle.

Als etliche Monate später Herr Gleich, Repräsentant von Aalen, einen Vortrag hielt, der den bisher unberatenen Voraussetzungen der Versammlung ganz entgegengesetzt war, so führte das Komitee, welches einen Bericht darüber abzustatten hatte, demselben zu Gemüt, daß eine solche Erscheinung befremden und allgemeine Mißbilligung erregen müsse in einer Versammlung, wo Eintracht und patriotische Redlichkeit bisher jeden fremden unlauteren Einfluß entfernt gehalten habe. Wie? ein Deputierter, der den Mut faßt, seine dissentierende Meinung gegen diese stumme und tote Unanimität endlich laut werden zu lassen, muß sich damit der Anspielung auf fremden unlauteren Einfluß aussetzen? Ohnehin wäre die direkte Bezichtigung der Unlauterkeit oder die gänzliche Enthaltung von bloßer Insinuation würdiger gewesen. – Dem Vortrag des Herrn Gleich wird übrigens sogleich im Anfang des Berichts vom Komitee der Zweck beigelegt – oder vielmehr gesagt, daß er den Zweck zu haben scheine –, eine Oppositionspartei zu bilden in der durch Eintracht bisher so rühmlichst charakterisierten Versammlung. Wer nur etwas über die Natur einer Ständeversammlung nachgedacht hat und mit ihren Erscheinungen bekannt ist, dem kann es nicht entgehen, daß ohne Opposition eine solche Versammlung ohne äußere und innere Lebendigkeit ist, daß gerade ein solcher Gegensatz in ihr zu ihrem Wesen, zu ihrer Rechtfertigung gehört und daß sie nur erst, wenn eine Opposition sich in ihr hervortut, eigentlich konstituiert ist; ohne eine solche hat sie die Gestalt nur einer Partei oder gar eines Klumpens.

Der Referent hat sich mit der Art und Weise, wie die Ständeversammlung[514] aufgetreten ist, so lange aufgehalten, weil sie nicht nur für sich merkwürdig, sondern auch für die ganze Folge charakteristisch ist. In Ansehung der Förmlichkeit des Ganges, mit der die Versammlung ihr Geschäft betrieb, verdienen noch zwei Umstände bemerklich gemacht zu werden. – Der Gang ihrer Verhandlungen innerhalb ihrer selbst war im allgemeinen dieser, daß von ihr für einen vorkommenden Gegenstand ein Komitee ernannt, von diesem ein Bericht erstattet, dann debattiert und hierauf der Beschluß gefaßt werden sollte. – Bei der Wahl des Komitees war es am häufigsten, besonders anfangs, wo es am meisten darauf ankam, sich in Besitz zu setzen und zu imponieren, durchgängig der Vizepräsident, welcher namentlich die Mitglieder vorschlug. Dieser von der Versammlung gewählte Vorstand schlug in die ersten Komitees, nachdem sich nur erst zwei Mitglieder in der Versammlung öffentlich gezeigt hatten, gleich die Mitglieder vor, welche sich für immer als Häupter der altwürttembergischen Partei auszeichneten. Es erfolgte daraus, daß das Wort vollständig in ihre Hände kam, um so mehr, wenn man die sonstige Delikatesse der Mitglieder der Ständeversammlung gegeneinander sieht. Diese ging so weit, daß in einem Fall, wo die Versammlung beschlossen hatte, ein Komitee von zwölf Mitgliedern zu ernennen, und elf die Majorität erhielten, für die zwölfte Stelle aber vier Mitglieder gleiche Stimmen hatten, sie nun nicht aus diesen vier einen dazuwählte, womit drei davon ausgeschlossen worden wären, sondern vielmehr gegen ihren Beschluß alle fünfzehn in ihr Komitee von zwölf Mitgliedern ernannte. – Gleich bei dem zweiten Komitee, das zu ernennen war, kommt dann eine auffallende Geschrobenheit vor, um es zustande zu bringen, daß die vier in das erste ernannten Häupter auch nicht ermangelten, Mitglieder des zweiten zu werden. Es ist für die Freiheit einer Versammlung sehr wesentlich bei dem großen Einfluß eines Komitees überhaupt, daß nicht dieselben Individuen alle Komitees besetzen, wenn jedes vorkommende Geschäft durch ein solches vorbereitet[515] werden muß, damit nicht diese Vorbereitung für alles in denselben Händen bleibt. Dieser Einfluß ist vollends beinahe unbedingt in einer Versammlung, wo fast der einzige, wenigstens der Hauptvortrag in einer Sache vom Komitee ausgeht und sozusagen eigentlich gar nicht diskutiert wird.

Das andere Bemerkenswerte ist nämlich die Art und Weise der Vortrage. Man findet in den Verhandlungen nicht frei gehaltene Reden, sondern am allermeisten nur abgelesene Vorträge, wenigere und nur kurze mündliche Äußerungen, überhaupt keine lebendige Rede und Gegenrede; nur gegen das Ende der Versammlung einmal, als statt der Sache die Persönlichkeit eines dissentierenden Mitglieds, des Herrn Dr. Cotta, zum Gegenstande gemacht wurde, fielen die Äußerungen, und darunter ziemlich unanständige Persönlichkeiten, nicht wie sonst gewöhnlich als vota scripta, sondern diesmal ohne Vorbereitung Schlag auf Schlag; es zeigte sich die natürliche Beredsamkeit, die sich auf unseren Märkten auch noch für solche Fälle erhalten hat; die Beredsamkeit aber, die auf einem römischen Forum herrschend war, hat man nicht zum Vorschein kommen sehen. – Daß die Berichte der Komitees schriftlich verfaßt und abgelesen wurden, versteht sich auch sonst von selbst. Was aber das etwa hierauf folgende Debattieren hieß, bestand meist darin, daß, und dies zuweilen mehrere Tage und Wochen nachher, ein oder einige Mitglieder ein mitgebrachtes votum scriptum ablasen, und wieder vielleicht Tage und Wochen später ein anderes Mitglied ein ebensolches Votum produzierte. In einer und derselben Sitzung konnte daher ein Ablesen mehrerer Aufsätze aufeinander folgen, deren jeder sich auf einen ganz verschiedenen Gegenstand bezog, auch sehr häufig eben keine weitere Folge hatte, als daß er eben abgelesen war. Gerade das Belebende, welches daraus hervorgeht, daß eine Versammlung von Männern sich gegenübergestellt wird, um von Angesicht zu Angesicht, von Mund zu Mund mit lebendiger Gegenwart des Geistes zu behaupten, zu beweisen, zu widerlegen, zu bewegen, fällt durch jene schriftliche[516] Methode so gut als ganz hinweg. – Diskutieren kann man ein Ablesen von vielerlei Abhandlungen nacheinander nicht nennen. Mit Recht ist es im englischen Parlament Gesetz, daß das Ablesen schriftlicher Vorträge nicht gestattet wird, teils weil ein solcher Aufsatz sehr leicht die Arbeit eines anderen sein kann, teils aber vorzüglich, weil die ganze Natur einer solchen Versammlung dadurch geändert wird. Außer wenigeren, mit lebendigem Sinne verfaßten, jedoch gleichfalls abgelesenen Reden machen die vorliegenden Hefte der Verhandlungen vornehmlich eine Sammlung von rechtlichen Bedenken, mit Zitationen nicht bloß aus der Litanei von Landtagsabschieden, Erbvergleichen, fürstlichen Testamenten usf., sondern auch z.B. aus dem Corpus Iuris, Montesquieu, Zonaras, Cramer in der Abhandlung De tacente dissentiente (in Opuscula T. II, und im Usus philosophiae Wolfianae in iure, spec. XII) und dergleichen stattlichen Gelehrsamkeiten gespickten Deduktionen und totgeborenen Advokatenschriften aus.

Wenn eine Ständeversammlung das Volk vorstellt, ist ein solches Verhandeln die Art, wie ein Volk sich äußert, wie auf eine solche Versammlung und auf ein Volk selbst gewirkt wird? Abhandlungen, in jener Weise auf der Studierstube verfaßt, sind auch nur an Studierstuben adressiert oder zu Akten für Geschäftsmänner bestimmt. Ständeversammlungen aber haben ihr wesentliches Publikum an dem Volke; wie kann dieses an dergleichen Papierverhandlungen und pedantischen Deduktionen Interesse nehmen und damit fortgehen? Vielmehr isolieren sich seine Repräsentanten auf solche Art voneinander und noch mehr vom Volke selbst und treiben die Angelegenheiten des Volkes vielmehr mit Ausschließung desselben, wenn auch die Sitzungen öffentlich wären. Die Physiognomie der Verhandlungen der württembergischen Versammlung ist auf solche Weise nicht viel von der der[517] Tätigkeit einer Gesellschaft junger Leute verschieden, die sich verbindet, zu ihrer Übung und zum Fortschreiten ihrer Bildung Aufsätze zu verfertigen, und sich gegenseitig dazu herleiht, sie ablesen zu hören.

Von dem Materiellen abgesehen war diese schriftliche Manier mit den Folgen, die sie auf den ganzen Gang der Geschäftsbehandlung haben mußte, wohl auch ein Grund zu der Abteilung VIII, S. 20 angeführten, freilich für unziemlich erklärten Äußerung eines Repräsentanten, »daß, wenn die eingekommenen Petitionen nicht Stoff zur Unterhaltung gewährt hätten, man sich der Langeweile nicht zu erwehren gewußt hätte«. – Ohnehin, wenn die Debatten von Landständen vornehmlich in einer Mitteilung von schriftlichen Deduktionen bestehen sollten, so wäre ihr persönlicher Zusammentritt ziemlich überflüssig und viele Kosten erspart; das Ganze ließe sich durch Zirkulation der Aufsätze abtun. Wer das Lesen gewohnt ist, zieht ohnehin vor, solche Aufsätze selbst zu lesen, als sich zum Anhören herzugeben; jeder hätte aber auch die Wahl, sie sich von seiner Frau oder einem guten Freunde ablesen zu lassen, und die Vota ließen sich dann ebenso schriftlich einschicken.

Um nun aber das Geschichtliche weiter zu verfolgen, so erfolgte gleich im Anfange der Sitzungen der Ständeversammlung das große politische Ereignis, die Ankunft Bonapartes in Frankreich aus der Insel Elba. Der König setzte schon zwei Tage nach der Eröffnung der Stände sie von den in Wien getroffenen Maßregeln in Kenntnis. Eine Begebenheit dieser Art war geeignet, die Gesinnung und den ganzen Charakter einer deutschen Ständeversammlung, durch ihr Benehmen und Haltung dabei, ins Licht zu setzen. Wenn es möglich gewesen wäre, daß ein deutsches Volk dieses Ereignis mit Freude und Hoffnung hätte aufnehmen können, so konnte es gefährlich scheinen, daß Landstände, die in den schon angegebenen, dem Willen ihres Königs entgegengesetzten Absichten waren, in diesem Zeitpunkte sich beisammen befinden. Da aber jenes unmöglich war, so mußte eine solche[518] Versammlung um so erwünschter scheinen, um mit vereinter Energie Mittel aufbieten zu können, welche eine so weitaussehende, die Ruhe Europas aufs neue zu bedrohen scheinende Begebenheit besonders in den Frankreich nahe liegenden Ländern erforderte.

Es ist nur allzuhäufig der verderbliche, unpatriotische, ja in höherem Sinne oft verbrecherische Kunstgriff von Landständen gewesen, den Drang politischer Umstände, in den ihre Regierung versetzt war, statt mit ihr offen gemeinschaftliche Sache zur Abwehrung der Not des Staates zu machen, vielmehr dazu benutzen zu wollen, Vorteile für sich der Regierung abzudringen und zugleich mit der äußeren eine Verlegenheit nach innen hervorzubringen, womit die Kraft der Regierung nach außen, statt vermehrt zu werden, geschwächt und dem Wesen und der Tat nach mit dem Feinde gemeinschaftliche Sache gemacht wurde. – Am 28. März trug ein Mitglied im ganzen Gefühle der Wichtigkeit der Umstände darauf an (II. Abt., S. 41), daß die Versammlung ihrerseits dem Könige erklären solle, daß der letzte Tropfen Bluts, die letzte Gabe ihres Guts für Ihn und die gute Sache bereit sei, – wie die Versammlung dies durch allgemeine Bewaffnung, durch ein zu eröffnendes Darlehen bezwecken wolle, wie sie dies aber nur im altkonstitutionellen Wege auszuführen sich imstande sehe. – Ein Teil des Adels erkannte in einer Adresse an die Stände (II. Abt., S. 14), daß die höchste Gefahr die höchste Anstrengung erfordere, und bat, ohne Bedingungen hinzuzufügen, die Versammlung um Einleitung dahin, daß der König eine allgemeine Landesbewaffnung und Waffenübung anordnen möge. Adressen von vielen Oberämtern liefen in ähnlichem Sinne ein. Eine von Eßlingen am 29. März (II. Abt., S. 48, die anderen sind ungedruckt geblieben) drückte bei der vom Könige bereits getroffenen Verfügung der Aufstellung eines Landbataillons in jedem Oberamte von 500 Mann die Besorgnis aus, daß zu viele schonende Rücksichten vorgeschrieben seien und die Verteidigungsanstalten dadurch[519] Schwierigkeiten und Aufschub leiden könnten; sie wünschte ein allgemeines Aufgebot. Ein beigelegter Bericht des Schultheißen Reinhard von Obereßlingen ist als eine »kräftige Erklärung« gleichfalls (II. Abt., S. 50) abgedruckt; er besagt: »Der Versuch, Freiwillige zu Feldwebeln zu erhalten, scheint vergebens zu sein bei den ausgedienten Soldaten. Die Menschen haben, so wie viele oder die meisten vom Volk, ein zu stumpfes Gefühl für Vaterlandsliebe und Verteidigung. Alles soll die Waffen ergreifen, was gesund ist, vom 18. bis 40. Jahr. Wenn die Schwaben in Masse aufgeboten werden, so gehen sie und schlagen mit Kraft, wenn sie aber freien Willen haben, so geschieht nichts!!« – Diesem Schultheißen, indem er so von seinem Volke, unter dem er mitten drinnen steht, spricht, hat die Ständeversammlung wohl nicht den Vorwurf von Volksverleumdung – ein in unseren Tagen beliebt gewordener Ausdruck – machen wollen, als sie seinem Berichte die Auszeichnung, ihn abdrucken zu lassen, und den Titel einer kräftigen Erklärung gab.

Die Ständeversammlung hatte sich nun aber für diese wie für ihre anderen Angelegenheiten bereits dadurch Fesseln angelegt, daß sie annahm, Anträge und Vorschläge, die sie mache, könnten ihr für eine Ausübung des in der königlichen Konstitution ihr zugestandenen Petitionsrechts und, als Konsequenz hiervon, für eine faktische Anerkennung dieser Konstitution ausgelegt werden. Als ob das Beisammensein der Ständeversammlung auf den Grund dieser Verfassung nicht schon ein ganz förmliches Faktum gewesen wäre und als ob die Repräsentanten eines Volks, die unter solchen Umständen, unter welchem Titel, Form und Bevollmächtigung es sei, versammelt sind, nicht alle anderen Rücksichten, insbesondere die Furcht vor Konsequenzenmacherei verbannen und allein kräftig für die Rettung ihres Volkes denken und handeln mußten!

Die Versammlung ließ anfangs jene eingelaufenen Adressen ablesen und legte sie ad acta. Von der allgemeinen Landesbewaffnung wurde wohl ziemlich unzeitig als ein Verdienst[520] der Stadt Tübingen bemerkt, daß diese bereits den Antrag dazu gemacht, wo die Verhältnisse in Frankreich noch nicht bekannt waren. Wenn der bloße Patriotismus bei einer auswärtigen Gefahr so leicht auf den Einfall einer allgemeinen Volksbewaffnung geraten kann, so war einer Ständeversammlung eine reifere, bessere Einsicht auch in die militärische, vornehmlich aber in die politische Ratsamkeit einer solchen Maßregel zuzutrauen, – zu einer Zeit, wo das neue Beisammensein der Stände selbst die mannigfaltigsten Umtriebe und innere Spannung veranlaßte. In welches Licht aber konnte der Vorschlag einer solchen Bewaffnung gestellt werden, wenn er noch früher erschien, ehe das Ereignis in Frankreich eine solche Maßregel äußerlich motivierte! Ohnehin hatte die Erfahrung gelehrt, daß eine solche verfassungsmäßige Bewaffnung in den vielen Fällen seit 25 Jahren, wo Württemberg insbesondere mit Krieg überzogen war, nicht die geringste Wirksamkeit, ja sich überhaupt nicht gezeigt hatte, wie es nach ihrer ganzen Absicht und Zustand nicht wohl anders sein konnte; es kann insofern fast lächerlich scheinen, an eine solche Landesbewaffnung unter der damaligen Gefahr nur zu erinnern. Wenn die Landstände einen Vorschlag vorbrachten, von dem sie die große Wahrscheinlichkeit haben mußten, daß ihm vom König keine Folge gegeben würde, so wurde der Glaube an ihren Ernst und guten Willen noch zweifelhafter, wenn sie dann zu den militärischen Maßregeln, welche der König für zweckmäßig erkannte und anordnete, von ihrer Seite mitzuwirken unterließen.

Zu den Mitteln gehörte insbesondere die Aufbringung des außerordentlichen Kriegsaufwands, worüber der König den Ständen unter dem 17. April die Berechnung vorlegen ließ. Nach derselben überstiegen allein die Kosten der Ausrüstung und der Unterhaltung einer Armee von 20000 Mann, zu deren Stellung sich der König gegen seine Alliierten verbindlich gemacht hatte, den Friedensetat um 3 1/2 Millionen; dazu kamen die Lasten der Durchzüge der alliierten Heere,[521] worüber gleichfalls eine Konvention abgeschlossen worden war. Der König verlangte von den Ständen eine Beratung und in kurzmöglichster Zeit eine Erklärung, wie diese außerordentlichen Hilfsmittel aufzubringen seien. – Die Antwort auf die Frage, was die württembergischen Stände, von ihrem König sowie von ihren Kommittenten ausdrücklich zur Mitwirkung aufgefordert und zur Unterstützung der Sache Europas berechtigt, für die Abwendung jener Gefahr von einziger Art und von ganz außerordentlichem Charakter getan, fällt dahin aus, daß sie gar nichts getan haben. Das ganze Verdienst, wie Württemberg in der Reihe sämtlicher europäischer Mächte damals aufgetreten ist, haben sie vielmehr dem König, dem damaligen Kronprinzen, dem Ministerium und der Armee überlassen. – Die Regierung hat zur Erfüllung ihrer allgemeinen, moralischen und positiven Verbindlichkeiten für sich ihren Gang mit Ehre und Ruhm verfolgt und, wie es scheint, durch die Verweigerung der ständischen Mitwirkung sich im geringsten nicht aufgehalten gefunden. Die Stände da gegen haben nichts erlangt, als nur ihren üblen Willen, das Verkennen ihrer schönen Position und die Entbehrlichkeit ihrer Mitwirkung gezeigt zu haben.

Weiterhin wurden von ihnen noch einige diesen Gegenstand direkt betreffende Adressen an das Ministerium eingegeben, welche nicht mehr von der Bereitwilligkeit zu Aufopferungen sprachen, sondern für die Erleichterung des freilich erschöpften Landes dadurch sorgen sollten, daß sie die Konkurrenz der königlichen Domänenkammer, des Kirchenguts usf. zu den Kriegslasten forderten. Für jenen Zweck hatte der König bereits mit seinen Alliierten und den treffenden Armeekommandos wirksam unterhandeln lassen; die Antwort, welche die Stände auf ihre Forderung erhielten, war einfach diese, daß, soviel aus besonderen Staatseinkünften beigeschossen würde, dem Finanzetat wieder aus anderen Quellen ersetzt werden müßte und hier gerade von außerordentlichen Hilfsmitteln die Rede sei. – Im Sinne des[522] früheren Verhältnisses, wo Fürst und Land jedes gleichsam seine Privatkasse hatte, mußte das Bestreben beider Teile dahin gehen, dem anderen soviel als möglich von den Lasten zuzuwälzen. Da es für die Stände überhaupt von dem bestehenden Verhältnisse eines Staats noch gar nichts Anerkanntes gab und insbesondere die Ausscheidung einer Zivilliste, zu der sich der König schon in der Konstitution willfährig erklärt hatte, noch nicht reguliert, ja noch nicht zur Sprache gekommen war, so konnten die aus vergangenen Verhältnissen genommenen, in der veränderten Zeit um so mehr verworrenen Vorstellungen von Entgegensetzung des Landesinteresses und Staatsinteresses, einer Landeskasse und der Staatskasse keine Bedeutung, viel weniger Anwendung und Wirksamkeit haben.

Die Haupterwiderung aber, welche die Stände auf die Aufforderung des Königs zur Mitwirkung in den außerordentlichen Verhältnissen des Vaterlands gaben, war, daß sie eine solche von der Gewährung ihrer Forderung, der Zurücknahme der königlichen Konstitution und der Wiedereinführung der altwürttembergischen abhängig machten. Derjenige Adel, welcher den 4. April für sich und, da er auch für den Gesamtadel des Reichs in dieser Rücksicht gutstehen zu können glaubte, auch für diesen in einer Adresse an die Stände als seine Pflicht zu erkennen erklärte, in den Reihen der allgemeinen Landesbewaffnung zu streiten und mit den übrigen Ständen Gut und Blut für das Vaterland zu opfern, erläuterte dies den folgenden Tag dahin, daß sich die eingereichte Erklärung bloß für die Ständeversammlung eigne, keineswegs für das königliche Staatsministerium, da Aufsätze, die aus dem Herzen fließen, so mannigfaltiger Erklärungen ausgesetzt seien. – In der Tat war diese Erläuterung das unmittelbarste Beispiel von solcher mannigfaltigen Erklärungsfähigkeit. – Er unterwarf daher seine Bereitwilligkeit, mit Gut und Blut der Verteidigung des Vaterlandes beizutreten, der von der Ständeversammlung zu treffenden Einleitung.[523]

Diese Einleitung aber bestand darin, daß die Versammlung in einer Adresse an den König von demselben Datum beides, die Verfassungsangelegenheit und die Maßregeln, welche die gegenwärtige Lage erforderte, in eins zusammenbrachte, obgleich der König ihr soeben hatte eröffnen lassen, daß er für eine definitive Entschließung über den ersteren Gegenstand die Rückkehr des Kronprinzen erwarte. Dieser für den Augenblick, ausbeugende Grund war an die Stände ein argumentum ad hominem, da diese in weitläufigen staatsrechtlichen Deduktionen bewiesen, den Agnaten komme das Recht zu, daß über Verfassungsangelegenheiten ihre Genehmigung erhalten werde; die Stände konnten aus der Zuziehung des Kronprinzen die Konsequenz einer faktischen Anerkennung dieses Rechtsziehen. – Die Stände erklärten sich in ihrer Adresse näher dahin, daß nichts dringender sei, als das Volk durch vereinte Leitung des Monarchen und der Stände in die Lage zu setzen, das Vaterland zu verteidigen, und daß der Wille des biederen Volkes zu allem seinem Eifer nötig Scheinenden sich erbiete; sie könnten ihre Handlungen aber nur auf die Grundlagen der erbländischen Verfassung bauen, und die Wiederherstellung des Staatskredits sei nur durch ein konstitutionell garantiertes Anlehen möglich, – d.h. indem den Ständen die Einziehung der Steuern und die Disposition über diesen Teil der Staatskasse übergeben würde. Ein Gleiches geschah in einer Adresse vom 18. April, worin sie angeben, »daß für alle Untertanen, für die neuen wie für die alten, der Name alte Verfassung eine magische Kraft habe«. Es hatte sich aber aus den eingegangenen Petitionen und Adressen gezeigt, daß der allgemeine Unwille gegen die Wiedererscheinung Bonapartes, das Gefühl der daraus dem Vaterlande drohenden Gefahr für sich eine magische Kraft bewiesen, wie ein elektrischer Schlag gewirkt hatte. Wenn in der Adresse unmittelbar vorher angeführt wird, daß die Obst- und Weinernte erfroren sei und daher ein großer Teil der Untertanen buchstäblich mit der Verzweiflung ringe, so ist nicht einzusehen, wie die alte Verfassung[524] hier ihre magische Kraft hätte beweisen können, wie die Stände sich enthalten konnten, unter so harten äußeren und inneren Umständen mit der Tat vereinte Hilfe zu bewerkstelligen. – Gleichfalls hat sich ferner zur Genüge gezeigt, daß die altwürttembergische Verfassung auf die neueren Untertanen – mehr als die Hälfte des Landes – ganz und gar keine magische Kraft ausübte, daß sie das, was sie von derselben zu genießen bekommen hatten, vielmehr für eine Art von Pest, für die ärgste Landplage ansahen, – wie weiterhin angeführt werden wird. Sonst aber läßt sich der ganze Verlauf der ständischen Verhandlungen wohl als eine Geschichte der magischen Kraft jenes Namens ansehen, der sich die Versammlung gleich von Anfang an ergeben hatte, ohne in die Sache einzugehen; – oder vielmehr ist oben schon bei Erwähnung der ständischen Kassehaushaltung berührt worden, was ehemals unter jenem Namen für eine Sache steckte, und die noch zu machende Anführung der niederdrückenden Landplage wird noch anderes ergeben. Im vorliegenden Falle ist es die schwarze Magie des Wortes, welches die Worte, für die gute Sache Gut und Blut aufzuopfern bereitwillig zu sein, zu weiter nichts gedeihen ließ, als Worte zu bleiben. – Von dieser magischen Kraft geben die Stände näher an, daß nichts das Vaterland gegen das Gift der gefährlichen Grundsätze, welche Jetzt wieder wie vor 25 Jahren von Frankreich verbreitet werden, so gewiß sicherstelle, – es ist oben schon bemerkt worden, daß jene Kraft die Stände nicht nur vor dem Gifte der verflossenen 25 Jahre, sondern auch, sozusagen, noch viel mehr vor den vernünftigen Begriffen derselben bewahrt hat.


Was nun die näheren Seiten der Stellung betrifft, welche sich die Stände gaben, so waren sie, indem sie die königliche Konstitution verwarfen, auf deren Grund sie sich zusammenbefanden, in Ungewißheit, ob sie überhaupt existierten oder nicht. Konsequenterweise hätten sie sich, nach der vom Könige geschehenen Eröffnung, sogleich auflösen und auseinandergehen[525] oder vielmehr, da schon die Wählart nicht der alten Verfassung angemessen war, sich gar nicht wählen lassen und die Wähler gar nicht wählen müssen. – Da es jetzt eine Grundmaxime ihrer Tätigkeit wurde, nichts zu tun, woraus eine Konsequenz auf ihre faktische Anerkennung der königlichen Konstitution gezogen werden könnte, so gingen sie auch in den äußerlichsten Förmlichkeiten wie auf Eiern. Gleich in der ersten Adresse vom 15. März enthielten sie sich wohlweise der Unterschrift »Ständeversammlung« und unterzeichneten sich »Zur Ständeversammlung Einberufene«. Als ihnen in der königlichen Resolution vom 17. desselben Monats hierauf bemerklich gemacht wurde, daß der König nicht von solchen, sondern nur von der von Ihm konstituierten Landesversammlung in der vorschriftsmäßigen Form Eingaben und Anträge zu erwarten habe, indem nur der Landesversammlung die in der Konstitutionsurkunde bestimmten Rechte zustehen, daß er übrigens sich durch Formalitäten nicht aufhalten lassen und über den Mangel an Form vorerst hinwegsehen wolle – wie sich diese Resolution wirklich auf den Inhalt der ständischen Eingabe einließ –, so fand die Majorität in der Unterschrift »Ständeversammlung« ein Präjudiz und Inkonsequenz, bis der Repräsentant von Marbach, Herr Bolley, dieser Skrupulosität durch das saubere Expediens abhalf, in ihrer nächsten Eingabe (vom 22. März) zwar so zu unterzeichnen, aber darin zugleich eine Verwahrung niederzulegen! In dieser Eingabe heißt es auch, daß eine Bedenklichkeit in Rücksicht auf Formalitäten ein Vergehen gegen den einzigen Zweck, das Wohl des Monarchen und der Untertanen, gewesen wäre, -nämlich in Beziehung auf ihre Wählart und ihre Erscheinung nach der Einberufung. Warum bleiben sie denn aber fürs übrige wegen der Formalitäten so bedenklich? haben sie sich nicht dadurch an jenem einzigen Zwecke, wie sie sagen, vergangen? – Jenes Conclusi und der angebrachten Verwahrung ungeachtet hatte der Sekretär doch in der Sitzung vom 28. anzuzeigen, daß ihm erst nach gemachter Ausfertigung[526] der Eingabe – welche ausgefertigte Eingabe übrigens in der nächsten Sitzung vom 23. März noch einmal in der Versammlung öffentlich verlesen und vom Präsidenten, Vizepräsidenten, einem Virilstimmführer und einem gewählten Deputierten und den beiden Sekretärs unterzeichnet worden war – eingefallen sei, daß darin doch noch das Schlußwort »Ständeversammlung« abgehe. Dieser Mangel wurde denn durch eine nachträgliche Eingabe beseitigt. In der nächsten königlichen Resolution wurde die Versammlung angewiesen, durch einen geordneten Geschäftsgang die Fehler selbst der äußeren Form, die in ihren bisherigen Eingaben aufgefallen, zu beseitigen, zu dem Ende sich an den in der Konstitutionsurkunde vorgezeichneten Geschäftsgang zu halten und insbesondere einen Vizepräsidenten, ingleichen Sekretärs und die landständischen Offizialen zu wählen.

Es würde zu weitläufig und zu langweilig sein, den pedantischen Gang dieser Vorsichtigkeiten weiter zu verfolgen. Obgleich der durchlauchtige Herr Präsident die Versammlung wiederholt zu den Wahlen jener Beamten, denen der König freilich auch die Ablegung von Diensteiden vorgeschrieben hatte, aufforderte und sie (Abt. III, S. 151) von ihren beständigen, »um nichts weiter führenden Wiederholungen einmal geäußerter Sätze«, »von ihrem prozessualischen« Advokatengange abzubringen suchte, sie, da ohnehin eine solche Wahl ohne Präjudiz geschehen könne, erinnerte, »über dem Hängen an Formen und an dem leeren Schall des Worts das Gute selbst nicht aufs Spiel zu setzen«, so waren sie in ihrer Bedenklichkeit und Klugheit viel zu beharrlich, um sich zu solchen für ihre Ansprüche unbedeutenden Handlungen bewegen zu lassen, – wenn nur aber ihre übrigen Handlungen mehr Inhalt und Bedeutung gehabt hätten!

Die bestimmtere Behauptung der Landständeversammlung war, daß dem Rechte nach die alte Verfassung nicht untergegangen und aufgehoben sei, daß sie und das Volk den königlichen Entschluß, nach dem Aufhören der bisherigen Hindernisse eine Verfassung zu geben, nur in dem Sinne[527] habe nehmen können, daß die alte wieder in Wirklichkeit treten sollte. Zugleich verlangte sie, daß der König zu Verordnungen, welche er während des Beisammenseins der Versammlung ergehen ließ, ihre Beratung und Bewilligung einholen lassen sollte; somit verlangte sie, als wirkliche alte Landstände Rechte auszuüben. So ernannte sie sich auch keinen Vizepräsidenten aus dem Grunde, weil diese Stelle kein Institut der altwürttembergischen Landständeversammlung sei, ließ sich aber die Präsidenz des Herrn Fürsten von Hohenlohe-Öhringen, das Mitstimmen der Standesherren, gleichfalls keine Institute der alten Verfassung, gefallen. – Für ihre einzige und simpliziter gemachte Forderung der Wiederherstellung der alten Verfassung stützte sie sich auf den bei den Wahlen und in einer Menge eingereichter Adressen ausdrücklich ausgesprochenen Willen des Volkes. – Dies ist ein großes Wort; am meisten haben sich die Repräsentanten des Volks zu hüten, dies Wort zu entweihen oder leichtsinnig zu gebrauchen. Welche Bewandtnis es mit dem Willen des neuwürttembergischen Volkes hatte, ist schon erwähnt. Auch ist angeführt, was ein Mann des Volks, der Schultheiß Reinhard, sagte, daß so viele, ja die meisten vom Volke ein zu stumpfes Gefühl für Vaterlandsliebe und Verteidigung haben. Aber abgesehen hiervon, so gehört es zum Schwersten und darum zum Größten, was man von einem Menschen sagen kann, daß er weiß, was er will. Zu Volksrepräsentanten werden nur deswegen nicht die ersten besten aus dem Volke aufgegriffen, sondern es sollen die Weisesten genommen werden, weil nicht jenes es weiß, aber sie es wissen sollen, was sein wahrhafter und wirklicher Wille, d.h. was ihm gut ist. Wie sehr verkennen sie ihre Würde und Bestimmung, wenn sie sich darüber an das laute Geschrei, vollends an ein so dürres Geschrei wie »alte Verfassung« halten, ja gar sich auf die diesfallsigen Petitionen und Adressen stützen wollen.

Wenn sie aber in solchen Grund die Natur ihrer ganzen Bevollmächtigung setzten und sich weigerten, die königliche[528] Bevollmächtigung anzuerkennen, so gaben sie sich eine aus dem Staatsorganismus tretende, der Regierung als selbständige Macht gegenüberstehende Stellung, deren Basis, wenn nicht schon das Gift eines revolutionären Prinzips darin ist, wenigstens nahe daran streift. Nach dieser Stellung nannte die Ständeversammlung ihre Verhandlungen mit der Regierung Unterhandlungen, – es waren Noten, welche sie mit derselben wechselte; sie nannte ihr Eingeben von Adressen an das Ministerium einen diplomatischen Weg (Abt. VIII, S. 81) – einen Weg, den nur souveräne Staaten gegeneinander betreten. Die Lage, in welcher sich die Regierung durch die Not des Augenblicks und selbst durch die Spannung befand, die durch das Beisammensein einer solchen Ständeversammlung unter solchen Umständen verursacht wurde, – außerdem der Umstand, daß der König sein selbständig angefangenes Werk wohl nicht sobald wieder abbrechen mochte, mögen das Ihrige beigetragen haben; aber immer ist auch die Mäßigung des Königs anzuerkennen, das Unförmliche und Anmaßende eines solchen Verhältnisses zu übersehen, sich auf diese Weise mit der Versammlung einzulassen und, obgleich sie es verschmähte, die Landstände seines Reichs zu sein, doch sie fortwährend als solche zu behandeln. Soviel über die Förmlichkeit des Verhältnisses, in welches sich die Landstände setzten. Um aber das Wesentliche desselben näher zu betrachten, so läßt sich bemerken, daß sie, nachdem ihnen der König seine Konstitution bekanntgemacht, dreierlei tun konnten: entweder sich weigern, sie ungeprüft als verbindlich gelten zu lassen, daher in eine Untersuchung über sie eingehen und erst nach dem Ergebnis derselben sich erklären; zweitens sie annehmen, aber sich vorbehalten, das noch Vermißte und Unentwickelte zu bearbeiten und demgemäße Gesetzesvorschläge zu veranlassen; oder drittens die königliche Verfassung unbesehen verwerfen, ihrerseits eine hervorbringen und vom Könige die Annahme derselben fordern. – Die Forderung kann nicht bloß billig, sondern absolut gerecht scheinen, daß ein Volk die[529] Verfassung, welche ihm gegeben wird, selbst prüfen müsse und ihr gar nicht anders Gültigkeit gegeben werden könne, als indem das Volk mit seinem Willen und Einsicht sie annehme; wenn dem nicht so wäre, kann man hinzusetzen, so könnte der Despotismus, die Tyrannei, die Infamie das Volk in beliebige Fesseln schlagen. – Und doch, um die Sache von keiner anderen Seite zu betrachten als der Erfahrung, so kann man sich auf diese berufen, teils daß Völker selbst, und zwar von den freisinnigsten, ihre Ungeschicklichkeit anerkannt haben, sich eine Verfassung zu geben, und einen Solon, Lykurg damit beauftragten, welche Männer ferner eine List gebrauchten, um den sogenannten Willen des Volks und die Erklärung dieses Willens über ihre Verfassung zu beseitigen, – teils daß Moses wie Ludwig XVIII. von sich aus die Verfassung gaben und nicht den Volkswillen, sondern die göttliche oder königliche Autorität zum Grunde der Gültigkeit derselben machten. – In Rücksicht auf Württemberg hätte aber der oben angeführte Schultheiß Reinhard von Obereßlingen in seinem Diktum alles erschöpft: Wenn die Schwaben freien Willen haben, so geschieht gar nichts. – Was aber die Besorglichkeit wegen despotischer Verfassungen, die, ohne den Volkswillen zu Rate zu ziehen, herauskommen könnten, betrifft, möchte aus einem begründeten Mißtrauen oder aus seichter Wohlweisheit und mutloser Mißkenntnis der wahrhaften Macht des Volks- und Zeitgeistes herrühren; hier ist nicht von einer Hypothese, sondern von einem bestimmten Falle die Rede. – Wie es die Erfahrung ergibt, so ist ebenso leicht auch nach der Natur der Sache einzusehen, daß niemand weniger Geschick haben kann, eine Verfassung zu machen, als das, was man das Volk nennen mag, oder als eine Versammlung seiner Stände; wenn man auch nicht betrachten will, daß die Existenz eines Volks und einer Ständeversammlung bereits eine Verfassung, einen organischen Zustand, ein geordnetes Volksleben voraussetzt.

Die dritte Partie, welche die württembergischen Landstände ergriffen, geradezu die königliche Verfassung zu verwerfen[530]ohne sie zu prüfen und ohne das auszuscheiden, was sie anerkennen könnten und was nicht, und was sie noch vermißten –, ist wohl die ungeschickteste, unschicklichste, unverzeihlichste gewesen. Sie gaben sich damit zugleich umgekehrt gegen den König die Stellung, ihrerseits von ihm zu verlangen, daß er unbesehen und unbedingt die Verfassung, welche sie und das Volk zu wollen meinten, annehmen solle, sogar daß ihm ein Akt des Annehmens gar nicht mehr zustehe, sondern daß er schon an und für sich zu derselben verbindlich sei. Es tut wenig zur Sache, daß sie von der Anmaßung frei zu sein schienen, die ihrige selbst machen zu wollen oder gemacht zu haben, da es die altwürttembergische Verfassung war, welche sie der königlichen entgegensetzten; sie ergaben sich damit nur unter die Autorität von etwas, das an und für sich nicht mehr stehen noch gehen konnte und von dem sie nachher naiv genug erklärten (XI, S. 282), daß es in seinem vollen Umfang anzugeben ihnen dermalen ganz unmöglich sei, – und warum dies? weil ihnen das alte Landschaftsarchiv noch vorenthalten werde! Daß der Büchergelehrte etwa auf dem Sande ist, wenn er den Schlüssel zu seiner Bibliothek verloren hat, ist in der Ordnung; aber wenn die Landstände ihre Verfassung anzugeben für unmöglich finden, weil sie das Archiv nicht zur Benutzung haben, welchen Moderbegriff von Verfassung setzt dies voraus? Aber es ist ebendaselbst noch näher angegeben, welches die Quellen seien, aus denen »der Inhalt der Grundgesetze der Verfassung aufgezählt und entwickelt werden müsse«; es ist dies charakteristisch genug, um es auszuheben, nämlich nicht bloß »aus den württembergischen Haus- und Regierungsordnungen, den Landtags- und Ausschußrezessen, den Testamenten der Regenten«,

»sondern auch aus den verschiedenen einzelnen Gesetzbüchern, z.B. dem Landrechte, der Landesordnung, den sogenannten Allerhandordnungen, der Kirchen- und Kastenordnung, der Ehe- und Ehegerichtsordnung, der Kanzelordnung, der Forstordnung, der Kommunordnung« usw.[531]

»Aus unzähligen (!!) einzelnen Reskripten und hauptsächlich aus den vielen Resolutionen, welche auf ständische Beschwerden, Bitten und Wünsche erteilt wurden.«

»Manche wichtige Sätze lassen sich nur durch Kombination verschiedener Quellen des württembergischen Staatsrechts, manche nur durch Induktion, manche nur durch die in den Gesetzen bestätigte Kraft des Herkommens erweisen.«

In derselben Adresse ist weiter vorne die Besorgnis geäußert, daß man ohne Voraussetzung der fortdauernden verbindenden Kraft dieser positiven Verfassung in die Labyrinthe des natürlichen Staatsrechts geführt würde. Kann es aber ein ärgeres Labyrinth geben als jene angegebene Quellenmasse? Einem Advokaten mag fröhlich zu Mute sein, eine solche Rüstkammer zu haben, um Konsequenzen, Kombinationen, Induktionen, Analogien für seine Deduktionen in Hülle und Fülle zu schöpfen; aber wie mag eine Ständeversammlung sich vor der Vernunft, der Quelle des sogenannten natürlichen Staatsrechts fürchten und gegen eine solche Furcht Hilfe und Sicherheit in dem Vertiefen in solches Papierlabyrinth suchen! Wenn die Stände einerseits dem Könige zumuteten, ihre in Jahr und Tag ans Licht zu bringenden Konsequenzen, Kombinationen, Induktionen usf. (es heißt ebendaselbst, es würde ein Unternehmen mehrerer Jahre sein) aus solchen Quellen als Rechte der württembergischen Untertanen zum voraus anzuerkennen, wollten sie andererseits behaupten, daß dies der Volkswille sei, der ein solches Gebäude von Verfassung nicht kennen konnte, das die Stände ihnen selbst für unmöglich erklärten anzugeben!

Man hätte übrigens noch die Ansicht fassen können, daß es den Ständen mit ihrer Forderung der vergangenen Verfassung nicht eigentlich so Ernst gewesen wäre, und sie hätten nur die verständige Absicht gehabt, die Abänderung einiger Punkte der königlichen Konstitution, vornehmlich eine umfassendere Entwicklung der Grundsätze zu erlangen, zugleich aber ein wirksames Mittel zur Erreichung dieses Zwecks gesucht. Man kann zugeben, daß sie zu keinem[532] Mittel greifen konnten, das wenigstens von mehr äußerlicher Gewalt gewesen wäre als die Erweckung der Zauberformel, wie der Name der altwürttembergischen Verfassung auch von ihnen genannt wird. Die sogenannte Einmütigkeit der Versammlung hierüber haben wir gesehen. Derjenige hohe und niedere Adel, welcher noch Rechte ansprach, die mit dem Interesse und Rechte des Volks und des Staats im Widerspruche standen, ja, der es überhaupt als problematisch stellte, ob er bereits zu Württemberg gehörte, und von Bedingungen sprach, unter welchen erst er in ein Subjektionsverhältnis zu treten geneigt zu sein belieben würde, – mußte für seine Ansprüche die Zauberformel »gutes altes Rechte« ganz passend finden. Die sogenannten Neuwürttemberger, welche zunächst die Abhilfe des mannigfaltigen Drucks, unter dem sie seufzten, nicht unmittelbar in der königlichen Verfassung erblicken konnten, schlössen in der ersten Unklarheit über die Sache ihre Opposition gegen den gegenwärtigen Zustand an jenen Titel an.

Von allen Seiten liefen Adressen und Petitionen der Städte und Ämter ein, Deputationen erschienen, welche das Verlangen der Wiederherstellung der erbländischen Verfassung ausdrückten, und ein großer Teil der Sitzungen der Versammlung wurde mit dem Verlesen der Adressen verbracht. So verbraucht und außer Kredit gekommen das Mittel der Volksadressen ist, so wurde es hier nicht verschmäht; es war um so leichter anzuwenden, je größer der Einfluß der Schreiberklasse bei dem Volke ist, wovon nachher die Rede sein wird; aber um so weniger Gehalt und Autorität konnte jenes Mittel in den Augen des Einsichtsvolleren haben; es war eher geeignet, einen Schatten auf die Versammlung zu werfen.

– Ohnehin ist es an sich der Platz einer Ständeversammlung, das vermittelnde Organ zwischen Fürst und Volk zu sein; und unter den vorwaltenden äußeren Umständen der neuen Unruhen in Frankreich, bei dem mit allem guten Willen gewöhnlichen Unverstande des sogenannten Volkes, wenn[533] es über allgemeine Angelegenheiten zu sprechen kommt, noch mehr bei der Neuheit der Lage, dem Mangel der Begriffe im Volke über eine Staatsverfassung, da es die Sache noch nie gehabt hatte, bei dem Übergange aus seiner politischen Nullität in einen bisher unbekannten Anteil und Einfluß auf das Ganze eines Staates – war es um so mehr die Stellung der Landständeversammlung, das Volk mit seinen bisherigen Meinungen aus dem Spiele zu lassen. – In der fünften Sitzung fand es Herr Graf von Waldek für nötig, da nach sicheren Nachrichten das Volk durch Publikation der königlichen Konstitutionsurkunde beunruhigt sei, dasselbe zu beruhigen, und trug als das Mittel, dies ohne Aufsehen zu tun, vor, daß die Repräsentanten dem Volke berichten sollten, daß sie sich an die Spitze seiner Vorurteile gestellt haben. Wer möchte das Beruhigung des Volkes nennen, wenn ihm die Ständeversammlung erklärt, daß es in ihr – im Gegensatze gegen den König – die Stütze seiner Unruhe zu sehen habe! Übrigens so viele Petitionen verlesen wurden und soviel die Ständeversammlung sich auf sie zugute tat, so sieht man auch wieder, daß sie sehr vernachlässigt worden sind, und erkennt eben nicht aus den Protokollen, wodurch die Auswahl bestimmt worden, einen Teil zu verlesen, andere, wie es scheint, nicht einmal zu erwähnen und im Protokoll zu bemerken. Nur einige Beispiele: In einer Sitzung vom 20. Dez. 1815 (Abt. XVII, S. 49), kommt ein Antrag vor, eine Anzahl eingekommener Adressen wenigstens im Protokoll zu bemerken, sie für verlesen anzunehmen und zu den Akten zu legen. Am 21. Febr. 1816 kommt eine Petition der Stadt Riedlingen vom 12. April 1815 zum Verlesen. Am 5. April 1816 bittet ein Repräsentant, eine schon am 11. Juni vorigen Jahres übergebene Petition einer Sektion der Versammlung übergeben zu dürfen; aber unter diesem Datum, wo keine Sitzung war, aber auch am 12. Juni, wo eine Sitzung gehalten wurde, geschieht jener Petition gar keine Erwähnung. – Viele andere dergleichen Data zeigen eben nicht, daß die[534] Ständeversammlung für die Petitionen des Volks eine objektive Achtung, d.h. insofern sie nicht bloß zweckdienlich für die Absichten der Versammlung waren, gehabt habe.

Was übrigens den Ernst um die alte Verfassung betrifft, so ergibt sich aus dem Verfolge so viel, daß es der Versammlung nicht bloß um die Stütze zu tun war, welche sie durch jene Zauberformel an der öffentlichen Meinung fand; der Majorität nach behauptete sie bleibend ihren Ernst um jene Verfassung und machte insbesondere die Forderung zur Hauptsache, daß das formelle Rechtsprinzip anerkannt werde. Der Geist des Formalismus und der Partikularität hat bekanntlich von jeher den Charakter und das Unglück Deutschlands in der Geschichte gemacht; dieser Geist hat sich hier in seiner ganzen Stärke gezeigt. Will man ihn Deutschheit nennen, so hätte nichts deutscher sein können als die Gesinnung der altwürttembergischen Deputierten, den Adel mit eingeschlossen. Verstände man aber unter Deutschheit etwas seinem Begriffe nach Allgemeines und Vernünftiges – bei aller Verschiedenheit der Territorialherrschaft –, so wird es schwer sein, etwas Undeutscheres zu finden als jene Gesinnung.


Die nächste Folge der Stellung aber, welche sich die Ständeversammlung gab, indem sie die königliche Verfassung verwarf, beiseite setzte, ignorierte, war, daß sie sich einer organischen Lebenstätigkeit unfähig machte. Sie stellte sich der Regierung gerade gegenüber, formierte nicht eine Opposition innerhalb eines gemeinschaftlichen Bodens und setzte sich selbst aus dem Verhältnisse, wirksame Arbeiten über Staatsinstitutionen vorzunehmen und zustande bringen zu können. Als einem neuwürttembergischen Repräsentanten, Herrn Gleich aus Aalen, nach Verlauf von drei Monaten und vergeblichem Harren, daß etwas Gedeihliches zum Vorschein käme, endlich die Geduld riß und er der Versammlung (Abt. VIII, S. 20 f.) unter anderem den Vorwurf machte, daß sie sich fast immer nur mit Nebensachen beschäftige und die[535] Hauptsache außer Augen lasse, so wurde ihm dies für ganz falsch erklärt, denn die Versammlung habe in einer Sitzung den Beschluß gefaßt, daß Jedes Mitglied aufgefordert werde, sich auf einen Entwurf der Konstitutionsurkunde vorzubereiten! – Als ob nicht jeder Deputierte seine ganze Vorbereitung schon hätte mitbringen sollen und als ob ein solcher Beschluß der Versammlung, daß jedes Mitglied sich vorbereiten solle, eine Arbeit gewesen wäre und eine Antwort, wenn nach der dreimonatigen Arbeit einer Versammlung gefragt wird. – Ohnehin aber hat man vorhin gesehen, daß am darauf folgenden 26. Oktober der Versammlung einfiel, daß ihr die Angabe der Grundgesetze ihrer Konstitution unmöglich sei, weil sie das Landschaftsarchiv noch nicht habe benutzen können.

Untätig sind darum freilich die Landstände nicht gewesen, sondern auf ihrem diplomatischen Wege haben sie ihres formellen Geschäfts genug getrieben. Da dasselbe aber ganz in die bedingten Grenzen eines bloß positiven Standpunkts, und der selbst als positiver keine Wirklichkeit mehr hat, eingeengt ist, so bietet sich, je lebhafter das Interesse in der Behauptung des formellen Rechts wird, desto weniger ein unabhängiger vernünftiger Inhalt dar, und in dieser Darstellung, welche die wichtigsten Gesichtspunkte schon berührt hat, kann der überdies im Publikum bekannte geschichtliche Gang nur nach seinen Hauptmomenten weiter angeführt werden.

Auf die oben erwähnte erste Eingabe der Stände, worin sie auf eine delikate, eigentlich aber auf eine nicht offene und freimütige, sondern versteckt sein sollende und geschrobene Weise die Verwerfung der königlichen Verfassung erklärt hatten, wurden sie vom Könige schon zwei Tage nachher einfach auf die ihnen vermöge dieser Verfassung zustehenden Rechte verwiesen und daran erinnert, daß ihnen darin, wofern sie einzelne Wünsche in dieser Rücksicht vorzutragen haben, der Weg dazu geöffnet sei; es wurde die Versicherung hinzugefügt, daß solche Wünsche und Bitten geneigtes Gehör[536] finden sollen, sobald der König die Überzeugung erlange, daß sie dem Interesse des gesamten Königreichs gemäß sind.

Was konnte der König auf ihre undeutliche Erklärung mehr und anderes erwidern? – Der König verlangte Sachen, die sie ihm vorlegen sollten; sie bleiben in ihrer Erwiderung vom 23. März beim Stofflosen und Formellen stehen. Einen ausführlicheren Entwurf einer Eingabe, von Herrn Bolley verfaßt, in dem zwar gleich anfangs die Erklärung gemacht wird, daß die Stände sich enthalten, in eine vollständige Prüfung der neuen Urkunde einzugehen, der aber doch Bemerkungen gegen viele Punkte derselben vortrug, hielten sie zurück; er sollte aber für die Urkunde ihres politischen Glaubensbekenntnisses und der Rechenschaft der Gründe ihres Benehmens gelten und, wenn es nötig wäre, seinerzeit dem königlichen Staatsministerium vorgelegt werden (I. Abt., S. 67). Wohl wäre nichts nötiger gewesen, als die Gründe, aus denen sie die königliche Urkunde nicht annehmen könnten, dem Ministerium vorzulegen, vor allem aber sich in die vollständige Prüfung einzulassen. – Auch sind es nicht Bemerkungen, deren Vorlegung an das Ministerium die Sache fördern konnte; auf Bemerkungen macht man Gegenbemerkungen. Der sogenannte diplomatische Weg, der auf solche Weise eingeleitet ist und zu Resultaten führen kann, wie er mag, bringt sonst auch dies mit, daß die unterhandelnden Parteien Gründe und Gegengründe vorlegen. Außerdem, daß er nicht für das Verhältnis von Regierung zu Untertanen – ein Verhältnis, in welches freilich die Standesherren erst zu treten zu haben angaben – ist, ist er ganz etwas anderes, als was eine Haupttätigkeit einer Ständeversammlung sein soll: Prüfungen und Diskussionen innerhalb ihrer selbst über ihre Gegenstände. – Man kann den Gedanken haben, daß, wenn die Staatsminister, wie dies in der königlichen Urkunde § 26 enthalten ist, jetzt den Sitzungen beizuwohnen angefangen und das Wort genommen hätten, den Verhandlungen vielleicht schon von vorneherein[537] eine andere Form gegeben worden wäre. Die Gegenbemerkungen, Widerlegungen, Ausführungen von Gründen konnten in den Stil königlicher Reskripte nicht eingehen, nicht Aufsätze gegen Aufsätze werden, aber ein Inhalt mündlicher Vorträge der Minister oder Staatsräte in den Sitzungen der Stände. Diese konnten gleichfalls zur Prüfung, überhaupt zu Entwicklungen und Diskussionen geleitet und womöglich aus der oben bezeichneten Stummheit und Papierverhandlung herausgerissen werden.

Die Eingabe der Stände vom 22. März, von Herrn Grafen von Waldek, wiederholte die gesuchte, weder offene noch verständige Wendung, In Ihrer Schlußbitte die direkte Forderung der alten Verfassung wegzulassen und diese vorauszusetzen. Wenn eine solche Wendung recht würdig und tapfer scheinen konnte, so etwas gar nicht zum Gegenstande einer Bitte machen und allen Schein einer Zweifelhaftigkeit entfernt halten zu wollen, so konnte dies zu nichts führen; die Sache mußte doch, nur später, zur direkten Sprache kommen. – Die Schlußbitte ging daher feinerweise nur dahin, daß der König in die Ausdehnung der Verfassung der Erblande auf das ganze Königreich einwilligen möchte, zu welchem Behuf eine Deduktion der rechtlichen Ansprüche der inkorporierten Landesteile auf die erbländische Verfassung hinzugefügt wurde. – Ferner, nachdem die königliche Resolution von den Ständen die Angabe ihrer weiteren Wünsche verlangt hatte, kehrten sie dies um und wollten es der Regierung zuschieben, mit solcher Angabe anzufangen. In Verwicklungen von Privatangelegenheiten, in der Advokatenpraktik mag es zu den Klugheiten gehören, sich verschlossen zu halten, nicht zuerst zu sprechen, den anderen kommen zu sehen, ihm zuzuschieben, zuerst mit seinen Ansprüchen und Mitteln herauszugehen; man behält den Vorteil, angriffsweise gehen zu können, ohne sich etwas zu vergeben und sich auszusetzen u. dgl. Allein eine Ständeversammlung muß ihre Klugheit am wenigsten aus der Advokatenpraktik hernehmen. – Anstatt ihre Wünsche über[538] Artikel der königlichen Urkunde abzugeben, setzten sie die zweite feine Bitte hinzu – um die Angabe derjenigen Modifikationen, welche die gegenwärtigen Verhältnisse fordern, zur Treffung einiger gemeinschaftlichen Übereinkunft, – als ob es bereits um weiter nichts zu tun gewesen wäre. – Wenn man eine solche Sicherheit und eine solche Bitte nicht für Hohn nehmen wollte, wo muß es nur als unbegreiflicher Unverstand auffallen, in den kein Strahl einer Reflexion auf die Stellung des gegenüberstehenden Teils fällt und der ganz gemütlich seinen Weg fortsetzt ohne allen Gedanken, daß, um eine Übereinkunft zu bewirken, in der Tat auch Rücksicht auf die Ansicht und den Willen dessen, mit welchem sie zustande kommen soll und welcher sogar der Fürst und Regierung ist, nötig ist.

Das Ministerium erklärte hierauf am 4. April, daß der König die ausführliche Beantwortung dieser Eingabe auf die Rückkehr des Kronprinzen und auf die mit demselben zu nehmende Rücksprache auszusetzen beschlossen habe. Jedoch am 17. April ließ der König den Ständen, zu der Zeit, wo er sie zugleich zur Mitwirkung, die außerordentlichen Kriegsbedürfnisse aufzutreiben, auffordern ließ, eine weitere Antwort zugehen. In derselben wird der Gesichtspunkt, von welchem bei der königlichen Verfassung ausgegangen worden, vor Augen gestellt, daß »nämlich bei der Unabhängigkeit des Staats von einem Oberen die Verhältnisse zwischen dem Staatsoberhaupt und den Ständen nach dem Beispiel anderer unabhängiger Staaten bestimmt worden, wie es zur Begründung eines dauerhaften Zustandes, zur Sicherstellung der Rechte des Volks und für die Festigkeit und Energie der Staatsregierung für notwendig erachtet worden, – unangesehen, ob die Rechte der Landstände unter der vormaligen Reichsterritorialverfassung des Herzogtums Württemberg ausgedehnter oder beschränkter waren; wie sie denn wirklich in der neuen Verfassung in mehreren wesentlichen Punkten, namentlich in Absicht auf die Unabhängigkeit in den landständischen Verhandlungen, in dem Anteil an der Gesetzgebung,[539] selbst in der Besteuerung, welche in allem, was die Reichs- und Kreisverhältnisse mit sich brachten, von der landständischen Zustimmung nicht abhängig war, größer sind als in der vormals bestandenen«.

Ferner erklärt der König, zur Erzielung eines gemeinschaftlichen Einverständnisses über die Anwendbarkeit der Anträge mündliche Verhandlungen durch Bevollmächtigte von beiden Seiten eröffnen zu lassen.

Die Stände machten, wie oben angegeben, ihre Mitwirkung zur Aufbringung der außerordentlichen Bedürfnisse von der Zugestehung ihrer Forderungen abhängig. Das unmittelbare Mittel sahen sie in einem Staatsanlehen; ein solches mit vorteilhaften Bedingungen zu erlangen, wäre die Garantie der Landstände ohne Zweifel von Wichtigkeit gewesen. Hier war der Zeitpunkt, bei den Worten, die sie im Munde führten, bereit zu sein, Gut und Blut für das Vaterland aufzuopfern, die Wahrheit ihres guten Willens zu beweisen, – ein Beweis, der nur mit der Tat geführt werden kann. – Dieser werktätige Beweis würde zugleich eine Einleitung für ein Einverständnis überhaupt und näher zur Etablierung einer gemeinschaftlichen Schuldentilgungskasse haben werden können. Sie boten aber diese Garantie nicht an, sondern überschickten am 18. April dem König ein paar ihrer Aufsätze, welche sie im Vorrat hatten, wiederholten ihre eintönigen Vorstellungen, erklärten sich dann bereit, ihrerseits zur Wahl von Bevollmächtigten zu schreiten.

Die Versammlung ernannte am 24. April ein Komitee von 25 Mitgliedern, welche die Unterhandlungen vorbereiten sollten, und vier Kommissarien zur Unterhandlung mit den vier vom Könige dazu ernannten Staatsräten, welche, soviel man sich entsinnen mag, sämtlich Altwürttemberger gewesen zu sein scheinen. Nun schien eine nähere Einleitung eingetreten zu sein, welche zur Sache zu führen Hoffnung geben konnte. Es zeigte sich gleich, daß das Komitee unter der aufgetragenen Vorbereitung die Leitung der Unterhandlungen und die Instruierung der ständischen Unterhandlungskommissarien[540] verstanden, daß es in diesem Sinne seine Tätigkeit begonnen und sich de facto mit Ausschließung der Versammlung selbst der Unterhandlungen ganz bemächtigt hatte. Auf die Bemerkung eines Mitglieds in der Versammlung am 28. April, daß die Verhältnisse des Komitees bestimmter auszusprechen seien, versicherte Herr Amtsschreiber Bolley, eines der tätigsten Mitglieder des Komitees, daß dasselbe keine gefährlichen Schritte tun und da, wo es nötig sei, mit der Ständeversammlung kommunizieren werde; bei Unterhandlungen müßten gewisse Dinge geheim gehalten werden. Auf diese Versicherung übertrug die Versammlung dem Komitee förmlich die Leitung der Unterhandlungen salva ratificatione der Versammlung sowie die Instruierung der Kommissarien. – Die eigentliche Tätigkeit der Versammlung, das Geschäft in Beziehung auf die Verfassungsangelegenheit, war hiermit auf das Komitee übergegangen. Es wird nun erwähnt, daß Zusammentritte der ständischen Kommissarien mit den königlichen stattgehabt haben; vom 28. April an, wo eine, aber nicht im Druck bekannt gemachte Relation über diese Verhandlungen, und vom 2. Mai an, wo eine ebenfalls nicht abgedruckte Note des Komitees an die Kommissarien verlesen wird, erfährt man von diesem Unterhandlungsgeschäfte nichts mehr bis zum 29. Mai, wo Herr Dr. Cotta (VI. Abt., S. 79) im Namen der ständischen Kommissarien eine ihnen an demselben Tage mitgeteilte königliche Entschließung in betreff von sechs Gegenständen der Verfassung der Versammlung vorlegt. Erst aus der in vielen Rücksichten bemerkenswerten Rede des Herrn Gleich von Aalen vom 23. Juni (VII. Abt., S. 81) erfährt man etwas Näheres von dem Geiste und dem Benehmen des Komitees. Man ersieht nämlich daraus, daß dasselbe sich in eine Entwicklung und Arbeit über die Sache gar nicht eingelassen, sondern kurzweg sechs Punkte, welche, wie Herr Gleich richtig bemerkt, teils aus der alten württembergischen Verfassung, teils aus der königlichen Konstitution genommen waren, Verfassungsbruchstücke, als Präliminarartikel aufgestellt hatte. – Als die [541] delikate, eher aber ungereimte Absicht für solche Handlungsweise wird angegeben, dem Hofe einen schicklichen Weg zu öffnen, um mit guter Art in die Wünsche der Versammlung einzugehen. – Ebenso merkwürdig ist aus der angeführten Rede zu ersehen, daß von dem Komitee aus diesen sechs Punkten der Ständeversammlung selbst ein Geheimnis gemacht worden war. Es heißt ebendaselbst, daß, nachdem verlautete, mehrere Mitglieder wollten aus Unzufriedenheit darüber den Landtag verlassen, denselben eine Art von vertraulicher Eröffnung gemacht wurde. – Oben ist der Charakter der Stummheit bemerklich gemacht worden, den die Versammlung gleich von Anfang an zeigte; jetzt aber wurde sie von ihrem Komitee dazu noch in den Zustand, nicht der Taubheit gesetzt – denn taub ist nur der, der nicht hört, wenn in seiner Gegenwart gesprochen wird –, sondern in den Zustand, nicht zu hören, weil nichts vor ihr gesprochen wurde. – Man verliert hier vollends alle Vorstellung, die man von der Bestimmung und den Arbeiten einer Ständeversammlung haben kann. – Es heißt in derselben Rede, was ebenso aus den Protokollen hervorgeht, daß an das Unerläßliche und Einzige, was hätte geschehen müssen, »an die Diskussion dieser sechs Artikel in der Ständeversammlung nun und nimmermehr gedacht wurde«. – So war die Versammlung immer noch nicht zu einer Materie in ihren Verhandlungen und einer gehaltvollen Tätigkeit über die Verfassung gekommen.


Das Geheimnis der sechs Präliminarartikel des Komitees, welche nunmehr den Wendepunkt ausmachen, lernt man erst aus einem Aufsatze der Stände vom 26. Juni kennen (VIII. Abt., S. 89). Da sie wirkliche Materien betreffen, so sollen sie hier kurz angeführt werden, zugleich mit der Angabe desjenigen, was die Resolution des Königs vom 29. Mai darüber zugesteht und was von der größten Wichtigkeit ist.

Das erste, was die Kommissarien verlangten, nannten sie sehr ungeschickt Selbsttaxation, mit der näheren Bestimmung,[542] daß eine vorgängige Vorlegung der Staatsbedürfnisse und einer Berechnung der Kammereinkünfte, Einsicht in die Rechnung dieser, Prüfung der wirklichen Verwendung der verwilligten Gelder, eine ständische Administration der Landesgelder damit verbunden sein solle. – Der König nahm die in seiner Verfassung gemachte Beschränkung der Konkurrenz der Stände zurück und gab zu, daß nicht nur die Erhöhung, sondern überhaupt die direkten und in direkten Steuern von den Ständen bewilligt werden sollten; nur vom Jahre 1815 bis 1818 sollten die gegenwärtigen bestehen bleiben. Einen Anteil an der Erhebung dagegen sowie auch eine unter ihrer Direktion stehende Kasse gestand er den Ständen nicht zu; aber die genaueste Einsicht in alle Staatseinnahmen und -ausgaben und eine vollständige Kontrolle rücksichtlich der Verwendung, mit Ausnahme der Einkünfte aus dem königlichen Patrimonial- und Domanialeigentum, wobei der König sich einer und zwar auf das Domanialeigentum zu fundierenden Zivilliste nicht entgegen zu sein erklärte. Ferner soll eine Schuldenzahlungsbehörde niedergesetzt werden, mit Zuziehung und gleicher Zahl ständischer Deputierten wie königlicher Deputierten. – Es bedarf keiner Bemerkung über die Liberalität dieser königlichen Konzessionen. Daß wohl in einem Reichslehen, aber nicht in einem Staate Stände die Administration der Staatskasse haben können, davon ist oben die Rede gewesen. Daß die Kammern in Frankreich, das Parlament in England eine solche Administration nicht hat, ist bekannt, – ebenso auch, daß im ersteren Lande die Deputiertenkammer Deputierte aus ihren Mitgliedern zur Amortisationskasse ernennt. Der Ausdruck Landesgelder, den die ständischen Kommissarien statt Staatsgelder gebrauchen, diente dazu, das Recht zu bezeichnen, welches das Land habe, da die Gelder die seinigen sind, sie auch selbst zu verwalten. – Die frühere Gewohnheit des Reichslehens, Regierung und Land entgegenzusetzen, konnte ihre Rechnung nicht bei dem Ausdrucke Staat finden, in welchem der alte Sinn jener Entgegensetzung wegfällt und[543] Gelder der Privaten, wie sie zu Steuern, zu öffentlichen Geldern werden, nur dem Staate angehören.

Die zweite Forderung war die Herstellung des Kirchenguts. Der König gestand sie ganz zu, nur die vormalige abgesonderte Administration schlug er ab.

Der dritte Artikel war eine Form der Repräsentation, wobei alle Klassen der Untertanen verhältnismäßig gleich vertreten werden sollten. – Es ist oben schon ausführlicher über die sehr demokratische Repräsentationsform gesprochen. Auf dies ganz unbestimmte, versteckte Verlangen erwiderte der König, daß er weitere Anträge darüber erwarte; nur dies erklärte er, daß er in eine besondere Repräsentation des Adels nicht eingehen werde, worauf es hier etwa abgesehen zu sein schien. – Herr Gleich sagt noch am 23. Juni über diesen Punkt (VII. Abt., S. 130): »Welche Vorstellung und Absicht die Kommissarien mit demselben hatten, ist nicht leicht zu erraten. Darum hätten sie sich billig auch in der Versammlung darüber erklären sollen.« Also noch am 23. Juni war der Sinn dieses Artikels ein Geheimnis geblieben.

Der vierte Artikel war ein solcher, der denjenigen Mitgliedern der Stände, welche das bekannte alte Ausschußwesen vermissen konnten, sehr am Herzen liegen mochte: ununterbrochene Ausübung der ständischen Rechte durch einen bleibenden Ausschuß. – Der König erwiderte, daß die dem Ausschusse in der königlichen Urkunde auf vier Wochen anberaumte Zeit für seine jährliche Sitzung sehr wohl verlängert und die Zusammenberufung wiederholt werden könne, wenn die Geschäfte dies erfordern. Übrigens mache er die Stände auf die Kostenvermehrung aufmerksam. – Dieser letztere Umstand war bei den alten Ausschüssen allerdings sehr von Bedeutung; aber leicht hätte man sagen können, er könnte vielmehr ein stiller Grund für die Verlängerung, ja ununterbrochene Dauer der Sitzungen, wenn es auch die Geschäfte nicht erforderten, als dagegen werden. In Beziehung auf die alten Ausschüsse möchte dieser Gedanke[544] insofern aber überflüssig sein, als sich in der oben S. 495 angeführten Broschüre, Die Verwaltung der württembergischen Landeskasse, Beispiele ergeben, daß der engere Ausschuß, der die Verwaltung der Kasse und das Recht, den größeren Ausschuß einzuberufen, hatte, demselben Geldentschädigungen dekretierte und bezahlen ließ, dafür, daß er denselben nicht einberufen hatte; er wußte also eine Kostenvermehrung hervorzubringen, ohne daß Geschäfte vorhanden waren und ohne daß Sitzungen gehalten wurden. – Erst vor kurzem ist es im Publikum bekannt geworden, daß die Ständeversammlung, deren Verhandlungen hier betrachtet werden, den Staat 260000 Fl. gekostet hat. In den vorliegenden gedruckten Protokollen wird zwar einige Male erwähnt, daß über die Gehälter der ständischen Mitglieder und sonstige Unkosten referiert, auch ein Komitee darüber in Tätigkeit war; es bleibt aber in den gedruckten Protokollen immer nur bei diesen Anzeigen, ohne daß der Inhalt der Berichte oder Beschlüsse angegeben, ohne daß irgendwo Summen namhaft gemacht waren. Gerade diesen Gegenstand mußte eine Ständeversammlung am allerwenigsten mit Geheimtun behandeln, sondern ihm vielmehr mit aller Offenheit Publizität geben, wenn sie einmal für ihre Arbeiten oder wenigstens für ihr Beisammensein Geldbezahlung annahm. Diesen Artikel der königlichen Verfassung, sosehr sie die anderen ignorierte, hatte sie wenigstens utiliter akzeptiert. – Es ist schon für sich in hohem Grade mißliebig, wenn landständische Mitglieder Besoldungen oder Diäten beziehen; es ist dies ein Umstand von der höchsten Wichtigkeit, er ändert etwas Wesentliches in dem Charakter und der Stellung einer Volksrepräsentation; er gehört auch unter diejenigen, wodurch von selbst dem Eigentume bei den Wahlen das Übergewicht gegeben wird, außerdem daß er sonst mit der Ehre einer solchen Versammlung aufs engste zusammenhängt. Landstände können, im Falle sie besoldet sind, nie dem Verdachte oder Vorwurfe entgehen, daß, obzwar nicht allen, doch vielen oder einigen Mitgliedern ein solcher Bezug eine[545] Rücksicht sei. In den Verhandlungen dieser Ständeversammlung wird der Empfindung gegen einen Gehaltsbezug, überhaupt einer Anregung dieses sowie anderer wichtiger Gegenstände gar nicht erwähnt, – gleichsam als ob es sich von selbst verstünde, daß die Deputierten besoldet werden, wenigstens, wie einmal vorkommt, daß sie ihre Kosten ersetzt erhalten. – Jener Vorwurf ist, wenn Referent sich recht entsinnt, auch öffentlich nicht ausgeblieben. – Aber die krauseste Forderung, die eine Ständeversammlung machen konnte, war, daß sie noch einen Ausschuß mit besonderen Besoldungen und mit Pensionen sollte ernennen können und vollends, um ja die Unfähigkeit und Faulheit der Ausschußmitglieder im voraus zu legitimieren, wie vormals Konsulentenstellen sollte hinzufügen und vergeben dürfen.

Es hilft nichts, daß die Führer der Stände für den Ausschuß, zu dessen Mitgliedern sie als die qualifiziertesten erscheinen mochten, nicht auf den ganzen Zustand und das Recht der vormaligen geheimen Truhe Anspruch machten. Mit der Besoldung von Ausschußmitgliedern, vollends mit der Pensionserteilung an solche, die, wie es im Entwurf der zu erneuernden württembergischen Verfassung heißt, »sich ganz dem Dienste des Vaterlandes hingegeben und die Bestimmung erhalten hätten, in Stuttgart zu wohnen (welche Hingebung!), aber bei der alle drei Jahre zu geschehenden Erneuerung des Ausschusses nicht von neuem ernannt würden«, denen »wegen des dem Vaterlande gebrachten ›0pfers‹ bis zu ihrer Wiederanstellung eine jährliche Entschädigung bezahlt werden sollte«, – hiermit würde ein Zustand wieder herbeigeführt, dessen Abschaffung zwar etwa nicht die Ausschußmitglieder selbst oder die, die Aussicht haben konnten, dazu gewählt zu werden, aber wohl Stände und vornehmlich das Volk für den größten Schritt zu einer freien und volksmäßigen Verfassung und für die größte Wohltat ansehen mußten, die die neuere Zeit herbeigebracht hat. – Von gleichem oder selbst größerem Einflusse ist der Umstand, daß durch solchen bleibenden Ausschuß das Allerwichtigste, die[546] Versammlung der Landstände selbst, überflüssiger wird. Gesetzliche Bestimmungen dagegen sind etwas Unzureichendes, wenn die Sache selbst es so mit sich bringt. Auch von dem Geiste zu abstrahieren, der sich in solchem wohlbesoldeten Ausschusse bilden muß, so hat hierüber die Geschichte der alten württembergischen Landstände eine hinreichende Erfahrung geliefert. Es ist bekannt, wie selten Ständeversammlungen gewesen sind. Was die jetzigen Stände für ihr Palladium anzusehen schienen, die ununterbrochene Dauer von Ausschüssen, hätten sie mit mehr Nachdenken oder bloßem Rücksehen auf jene ihnen am nächsten liegende Erfahrung vielmehr als eine Einrichtung, welche ihrer Unabhängigkeit und ihrer wahrhaften Existenz, nämlich als Gesamtversammlung, den gefährlichsten Fallstrick legte, betrachten müssen.

Der fünfte geforderte Präliminarartikel ist der ständische Anteil an der Gesetzgebung seit 1806, nämlich Revision der seit 1806 erlassenen Verordnungen durch eine gemeinsame herr- und landschaftliche Deputation. – Der König erinnerte die Stände an das Mittel, das sie hierfür in dem Petitionsrechte bereits haben. – Außerdem aber kann man darin, daß jener Anteil bloß in bezug auf die seit 1806, wo die alten Landstände aufgehoben wurden, erlassenen Verordnungen gefordert wurde, nur entweder blindes Vorurteil für das frühere und blinde Animosität gegen das spätere vom König Ausgegangene oder wenigstens die Sucht, den Glauben an die Vortrefflichkeit von jenem und die Unzufriedenheit mit diesem zu zeigen, erblicken. Ferner ist die Revision, als bloß durch eine Deputation königlicher Räte und ständischer Mitglieder zu geschehen – wofür der beliebte Name herrschaftlich und landschaftlich wieder zum Vorschein kommt –, sonderbarer- und unförmlicherweise in An trag gebracht, während die Konkurrenz der ganzen Ständeversammlung zum Geschäfte der Gesetzgebung gehört; für die Vorarbeiten dabei, wie für alle anderen Vorarbeiten, hatte dieselbe die Macht, sie Komitees auf[zu]tragen.[547]

Der sechste Artikel ist die Freizügigkeit im alten Sinne des Wortes. – Der König gestand dieselbe, auch vor Ablauf eines Jahres nach der Willenserklärung eines solchen, der auswandern volle, wie früher bestimmt war, zu, auch selbst im Falle der Leibeigenschaft, ohne sich von derselben loskaufen zu müssen. Aber da das Auswandern zugleich ein Verhältnis zu anderen Staaten betrifft, bestand er auf dem Grundsatze der Reziprozität in Ansehung der Nachsteuer.

Die ständischen Unterhandlungskommissarien hatten diese Artikel mit der peremtorischen Erklärung vorgelegt, daß ohne vertragsmäßige Anerkennung derselben kein glückliches Resultat der Unterhandlungen zu hoffen und die Mitwirkung der Stände sogar in der gegenwärtigen Not schlechterdings unmöglich sei; daß sie daher bitten müssen, der König möge jetzt schon, und ehe weiter gehandelt werde, eine befriedigende Erklärung geben, und zwar nicht nur zur Beruhigung der Versammlung, sondern auch des in- und selbst des ausländischen Publikums. – Der König, der selbst das Grelle, daß die Versammlung ihre Mitwirkung zu den damals erforderlichen Anstrengungen des Staats von der gleich jetzt, und ehe weiter gehandelt werde, zu geschehenden Unterwerfung des Königs unter ihren Willen abhängig machte, sowie eine solche Form der Unterhandlung, mit Vorlegung von unzusammenhängenden, unbestimmten, zum Teil dürftigen Präliminarartikeln zu beginnen, übersah und mit großer Nachgiebigkeit in Ansehung des Materiellen den Ständen entgegenging, fügte übrigens hinzu, daß seine Entschließungen auf unabänderlichen Grundsätzen beruhen, daß auf dieselbe die Unterhandlung mit den landständischen Deputierten fortgesetzt und eine Übereinkunft zu bewirken versucht werden solle.

Die Stände setzten aber diese Unterhandlungen nicht fort. Ihre bisherige Art und Weise, bei der Forderung des bloß Formellen stehenzubleiben, konnte durch die wichtigen Konzessionen, welche sie vom Könige auf diesem Wege erlangt hatten, gerechtfertigt erscheinen, wenn sie sich nun in die[548] Sache eingelassen hätten. Wenn auch das Unterhandlungskomitee dabei noch hatte bleiben wollen, die königliche Verfassung zu ignorieren, durch welche ein Teil seiner Artikel teils bereits erledigt, teils auch besser ausgeführt und entwickelt war, so war es jetzt wohl Zeit, daß die Versammlung beratschlagte, das Spezielle sich zum Bewußtsein brachte und aussprach, was sie annehmbar finde und was nicht. Aus jenem hätten sich wenigstens Präliminarartikel, und zwar einer Übereinkunft, nicht einer Unterwerfung des Königs ergeben. – Sowenig aber die sechs Artikel vorher, ehe man sie zur präliminären unbedingten Annahme vorlegte, einer Diskussion der Versammlung unterworfen wurden, ebensowenig geschah dies nach erfolgter königlicher Erklärung über jene Artikel und über den Inhalt dieser Erklärung. Dagegen verlasen drei oder vier Mitglieder wieder Aufsätze, nämlich in der Gestalt von Projekten einer Antwort auf die königliche Resolution. Die fixe Vorstellung des trockenen Wiederherstellungsprinzips der alten Verfassung begründete die Naivität, daß die Versammlung sich immer außerhalb der Sache befand und sich auch jetzt nicht mit dieser, sondern nur mit ihrer eigenen diplomatischen Art und Weise, wie geantwortet werden solle, zu schaffen machte. – Herr Dr. Cotta hatte am 1. Mai im Komitee einen die Sache betreffenden Aufsatz, der besonders die Errichtung einer ständischen Kasse anging, dann vor die Versammlung gezogen wurde und einen Aufsatz des Herrn Dr. Weishaar (Sitzung vom 27. Mai, Abt. VI, S. 38) zur Folge hatte, vorgelesen; späterhin, am 23. Juni, ließ er einen anderen folgen, worin der Gedanke entwickelt wurde, daß eine solche Kasse, wie überhaupt das sonstige Gute der alten Verfassung, nicht auf die in die Regentenrechte eingreifenden Elemente ausgedehnt und jene Kasse vielmehr auf das eingeschränkt werden solle, was der Staatskredit und die Würde der Stände erlaube. Sosehr diese Gedanken, auf die er auch späterhin wieder zurückkam, sich zur gründlichen Beratschlagung vor einem Beschluß über die königliche Erklärung eigneten, so[549] waren die Folgen nur diese, daß drei Wochen nachher und zugleich lange nach bewerkstelligter Antwort auf die königlichen Resolutionen Herr Amtsschreiber Bolley und wieder acht Tage später Herr Dr. Weishaar Aufsätze gegen die Ideen des Herrn Dr. Cotta vorlasen. Zu einer Abstimmung über die Sache selbst kam es gar nicht. – Von dem, was Herr Bolley, wie er es nannte, niedergeschrieben und dessen Vorlesen, wie das Protokoll (Abt. IX, S. 114) angibt, von der Versammlung mit lebhaftem Danke aufgenommen wurde, kann dies ausgehoben werden, daß er darin auf das bekannte Werk des Herrn Staatsministers von Wangenheim, Idee der Staatsverfassung, Rücksicht nahm und (IX. Abt., S. 124) ihm die Gerechtigkeit widerfahren läßt, »daß die Rechte des Volks, namentlich der Württemberger, an dem edlen Verfasser einen so warmen Verteidiger gefunden haben«. – Auch dies mag noch daraus angeführt werden, daß der Herr Verfasser in Beziehung auf eine landständische Disposition über die Steuerkasse versichert (ebenda S. 135), [daß,] »wenn hohe Staatszwecke in außerordentlichen Fällen die schnelle Beischaffung von Geldern fordern, die Stände, das Wichtigste im Auge habend, gewiß nie Anstand nehmen werden, den Landesherrn nach Kräften zu unterstützen«. – Dies Gewiß ist sehr naiv; in solcher Versicherung sollte die Garantie für den Staat liegen, daß es ihm nicht gefährlich sei, zwei unabhängige Regierungsgewalten zu konstituieren. Dies Gewiß ist um so naiver, da sich fragen ließ, welcher Staatszweck wichtiger, welcher Fall außerordentlicher sein konnte als der Moment von Napoleons Wiedererscheinung in Frankreich? Wie soeben, wenige Wochen ehe Herr Bolley seinen Aufsatz und diese seine Versicherung verlas, die württembergische Ständeversammlung ihren Landesherrn nach Kräften unterstützt und sich an die Sache Deutschlands und Europas angeschlossen hatte, haben wir gesehen.

Eine umfassendere Veranlassung, sich in die vorliegenden Artikel einzulassen, ward der Versammlung durch den schon einige Male angeführten, mutvollen, beredten, in Gedanken[550] und Geist vortrefflichen Vortrag des Herrn Gleich aus Aalen vom 23. Juni. Derselbe spricht es aus, daß es den Ständen nicht um die altwürttembergische, sondern um eine gute Verfassung, nicht um ein leeres formelles Recht, sondern um die Sache zu tun sein solle, und greift vernünftigerweise nicht einige unzusammenhängende Bruchstücke, sondern die wesentlichen Grundsätze auf, auf welche es ankomme. Die Versammlung fand sich überrascht über einen ihren fixen Vorstellungen sowie ihrem ewigen Selbstlobe und dem Lobe aller Zeitungen so fremden Ton. Daß Herrn Gleich sein Mut von selten der Versammlung schlecht bekommen, ist oben schon angeführt worden; diese Stimme Ist in der Wüste verhallt und ihm durch ein halb Dutzend Aufsätze erwiesen worden, daß sein Antrag dahin ging, »sich auf die königliche Resolution einzulassen und die zum Teil akzeptablen Anerbietungen des Königs nicht gleichsam wegzuwerfen«. – Herr Gleich verschwindet aber von jetzt an aus der Versammlung, ohne daß über seinen Abgang eine Erläuterung aus den Protokollen hervorginge, und es erscheint späterhin ein anderer Repräsentant von Aalen. Es gehört dies aber überhaupt zu den Unförmlichkeiten der Versammlung, daß Mitglieder ihre Deputiertenstelle niederlegen und andere an ihrem Platze hervortreten, ohne daß erhellt, aus welcher förmlichen Bevollmächtigung das eine und das andere geschieht. – In Ansehung des Herrn Gleich liest man nur nach Jahr und Tag in einer Sitzung die dunkle Äußerung eines Mitgliedes angeführt, welches einen anderen Deputierten, der von der Meinung der Majorität abwich, warnend an das Schicksal erinnerte, welches Herr Gleich gehabt habe.

Mit dem Antrag des Herrn Gleich verwarf die Versammlung die Stellung, zu der ihr die königlichen Resolutionen den Weg geöffnet, die Stellung einer Übereinkunft, die über sehr wesentliche Punkte vorhanden war, auszusprechen und damit eine feste Basis zu weiterer Unterhandlung zu legen. Sie diskutierte nicht die Materiell selbst, noch welche der königlichen Entschließungen ihrem Inhalte nach annehmbar und[551] welche es nicht wären, sondern nur dergleichen, welche Aufsätze sie ihrer Beantwortung beilegen, welchen Titel sie ihnen geben wolle, und solche Formalien, in einigen Sitzungen. Am 26. Juni, vier Wochen nach Empfang der königlichen Entschließung, hatte sie endlich ihre Erwiderung fertig (VIII. Abt., S. 58 ff.). Auch bestand diese nicht in einer Gegeninstruktion ihrer Unterhandlungsbevollmächtigten, sondern in einer Adresse an den König. Die Versammlung fiel somit in den alten Weg ihres Libellierens zurück, der bisher zu nichts geführt hatte und an dessen Stelle deswegen der Weg mündlicher Unterhandlungen mit königlichen Kommissarien hatte treten sollen.

Die Adresse selbst ist, ohne die Nachgiebigkeit des Königs zu berühren, nur mit den Ausdrücken von gänzlicher Täuschung ihrer Hoffnungen, von ihrem namenlosen Schmerz und Bestürzung, von ihrer unmöglich gewissenhaften Überzeugung, mit dem Selbstrühmen von ihrer Wahrheitsliebe, der jede unreine Triebfeder, jede selbstsüchtige Absicht fremd sei, von dem Zeugnisse ihres Gewissens vor Gott, vor dessen Richterstuhl sie einst werden gefordert werden, und dergleichen Pathos angefüllt. In Ansehung der Sache war die Antwort ganz einfach und naiv diese, daß die königliche Resolution sich mit dem Prinzip der Stände nicht vereinigen lasse. Der pathetische Schluß der Adresse ist, daß sie den König bitten, ja beschwören, bei Gott, bei allem was heilig, was ehrwürdig ist, bei dem Glücke seiner eigenen Durchlauchtigsten Familie, daß er die Herstellung des früheren Rechtszustandes nicht länger verweigern möge. Herr Gleich hatte in seinen Vortrag kein dergleichen leeres Pathos eingemischt, aber desto mehr Vernunft darin entwickelt, die aber nicht die erwünschte Wirkung hervorbrachte; vielleicht wäre er mit jener Art von Pathos weitergekommen, doch höchstens hätte er nur etwa die Insinuation von unlauteren Absichten abgewendet. – Sonst werden die gewöhnlichen Gründe aus dem positiven Staatsrecht und aus dem Vertragsverhältnis, insbesondere aber dem Könige dies zu Gemüte geführt, daß[552] er selbst, wie die früheren Regenten, bei seinem Regierungsantritt die Aufrechthaltung der Verfassung feierlich gelobt und beschworen habe. Sie fügen hinzu, daß sie aufs gewissenhafteste untersucht haben, ob eine Veränderung eingetreten sei, welche nach Rechtsgrundsätzen diese Verpflichtungen aufheben konnte; sie konnten keinen solchen Rechtsgrund auffinden. Daß sie noch gründlicher hätten suchen müssen, dazu hätten sie sich müssen eben dadurch auffordern lassen, daß sie sich sonst in der Befugnis sahen, gegen ihren Fürsten die Anklage des Meineids gegen sein ganzes Volk zu erheben, – eine Befugnis und eine Handlung, vor der sie hätten zurückschaudern müssen.


Der Adresse wurde, außer zwei Aufsätzen, vornehmlich eine dritte Beilage angefügt, ein Aufsatz oder vielmehr ein Buch in kleinem Druck von 162 Seiten (VIII. Abt., S. 91-252), – nämlich die sogenannte Darstellung der Beschwerden des Landes. An diesem Buche hatten die Mitglieder viele Wochen lang gearbeitet und von allen Seiten her alle Arten von Beschwerden zusammengeschleppt. Man muß es in den Verhandlungen selbst nachlesen, wie mit dieser Arbeit sich die Stände das wichtigste Werk getan, ihre heiligste Pflicht erfüllt, ihr ganzes Betragen gegen den König am unwidersprechlichsten gerechtfertigt zu haben schienen. Es ist, vollends in dieser Anzeige, unmöglich, sich auf den Inhalt dieses grellen Bildes von Druck und Klagen einzulassen. Außer der Untersuchung der faktischen Behauptungen könnte es nötig scheinen, zu unterscheiden, was reelle und was vermeintliche Beschwerden wären; denn man sieht beim ersten Überblicke, daß eine Menge der Klagen auf dem Urteile der Verfasser über die Nützlichkeit oder Schädlichkeit von Staatseinrichtungen beruht. Alsdann wäre zu unterscheiden, was von dem Drucke der Abgaben, insofern er gegründet ist, der Regierung und was der Notwendigkeit und Ungunst der Zeiten zur Last fiele. Man hat wohl in allen deutschen Ländern, auch die vielfache Unvernunft des Beschwerens[553] und Unzufriedenseins abgerechnet, diese Vermischung gesehen, dem Willen der Regierung zuzuschreiben, was Folge der ungeheuren Verhältnisse und Begebenheiten seit 25 Jahren war. Man sieht bei dieser Beschwerdesammlung in dieser Rücksicht ebenso, daß den Ständen die Kenntnis der Staatsbedürfnisse und der Lage der Staatskasse abging und daß die Klagen über die Auflagen ohne alle Vergleichung mit den Staatsbedürfnissen erhoben sind. In spezieller Rücksicht aber würde zu untersuchen sein, ob die Aufhebung der altwürttembergischen Verfassung der alleinige Grund der gegründeten Beschwerden sei, denn dies war der vornehmste Gedanke, der dadurch bewiesen werden oder vielmehr nicht bewiesen werden sollte, sondern der geradezu vorausgesetzt wurde; noch weniger ist ausgeführt, daß die königliche Verfassung mit den soeben zugegebenen weiteren Bestimmungen den Beschwerden nicht abzuhelfen fähig wäre, ja daß sie vielmehr unter ihr fortbestehen müßten. Dieser letztere Gesichtspunkt, an dessen Entwicklung gar nicht gedacht wird, wäre der alleinige Nerv der Remonstration gewesen, welche durch diese Beschwerdenmasse unterstützt werden sollte.

Solche Untersuchungen, die sich zunächst als gerecht zeigen könnten, werden aber überhaupt überflüssig, da dies so gewichtig geschienene Werk von Hause aus mit einem Grundmangel behaftet war und ohne wichtige Folgen bleiben mußte, ja sogar ohne solche bleiben sollte. – Hier mag darüber nur das Wenige bemerkt werden, daß die Landes-Gravamina, die Cahiers des doléances, ein bekannter Artikel in den Geschäften vormaliger Reichsstände gewesen sind. Ebenso bekannt ist, wie wenig von je damit ausgerichtet worden, wie jeder Landtag oder Reichstag die vorhergehende Beschwerdenmasse meist noch unerledigt vorfand und sie mit neuem Stoffe weiter anzuschwellen suchte, so daß diese Males selbst und die fest gewordene Gewohnheit einerseits der Landstände oder Parlamente, sich in solcher weitläufigen, alles Mögliche herbeiziehenden Ausführung von[554] Klagen und Beschwerden nach Pflicht und Gewissen zu ergehen, und andererseits die Gewohnheit der Regierungen, zu den Verwilligungen ihrer Stände auch noch eine solche Males überschickt zu erhalten, beide Teile so dagegen abgestumpft und abgehärtet hat, daß das Aufsetzen und Empfangen dieser Schriftmassen zur Bedeutung einer Formalität heruntersank. Referent erinnert sich, irgendwo angeführt gelesen zu haben, daß, als den Kommissarien des Herzogs Karl von Württemberg von dem Reichshofrat in Wien, im Lauf der Prozeßverhandlungen daselbst zwischen ihm und seinen Landständen im Jahre 1768, die Beschwerdesammlung der letzteren insinuiert wurde, jene Kommissarien ungefähr erwiderten, daß der Reichshofrat sich über eine solche Masse nicht verwundern solle, indem seit mehreren hundert Jahren die Verfasser der Gravaminum mit ihren Vorgängern darin wetteiferten, sie in der Beschreibung zu übertreffen und zu überbieten, und, wenn man solchem Ausmalen Glauben beimessen wollte, das Land schon seit länger als hundert Jahren gänzlich hätte ruiniert sein müssen.

Die württembergische Ständeversammlung, der ein ganz anderer Weg, der Weg nicht bloß zu gravaminieren, sondern an Wegschaffung der Mängel zu arbeiten, durch die königliche Verfassung eröffnet war, zog es vor, da sie in ihr Rechtsprinzip altkonstitutioneller Verfahrungsweise festgerannt war, bloß den geweisten Weg, die alte Heerstraße zu betreten und die Masse von Querelen zusammenzutragen. Denn sie hätte es ihrem Gewissen entgegengehalten, selbst zur Abhilfe beizutragen, weil sie durch eine werktätige Arbeit faktisch die königliche Verfassung anzuerkennen geglaubt hätte. Es ist auch eine leichtere Arbeit, eine solche Beschwerdenmasse zusammenzuschleppen, als die konstitutionellen und legislatorischen Dispositionen auszudenken und auszuarbeiten, wodurch allein dem gründlich abgeholfen wird, dem abgeholfen werden kann; es ist leichter, sich auf die erstere Weise nur zu einem hohlen Gefühle der Pflichterfüllung und falscher Gewissensbefriedigung aufzuspreizen, als[555] sich auf die zweite Art ein mühsameres, aber zugleich bescheideneres und reelleres Verdienst zu erwerben. Ein Druck wie der, der durch übermäßiges Hegen des Wilds und die Jagden entstanden und der hart genug gewesen zu sein scheint, ist wohl dazu qualifiziert, mit bloßem Beschweren abgetan zu werden; denn zur Abhilfe bedarf es weiter nichts als eines königlichen Befehls, das Wild vor den Kopf zu schießen; – und es erhellt aus den Verhandlungen, daß der König auf die ersten Vorstellungen der Stände darüber noch im März (II. Abt., S. 57) diesem Übel, »als dessen Erledigung zunächst von ihm abhing«, zu steuern Befehle erteilt hatte; als die Stände späterhin Zweifel über die genügsame Wirksamkeit derselben hatten, erneuerten sie mit Recht ihre Vorstellungen. Indem sie aber auch alles andere, was ihnen in der Staatseinrichtung und Staatshaushaltung unrecht und schädlich schien, in einer Linie mit jenen Übeln hererzählten und es gleichfalls beim Klagen und Beschweren bewenden ließen, so sah es aus, als ob sie sich die Abhilfe dieser Übel auch so vorstellten, daß der König nur Befehl zu geben brauche, sie wegzuschießen.

Alles Verdienst kann nun etwa jenem Zusammenbringen von Gebrechen und Übelständen nicht abgesprochen werden; es macht aber nur den Mangel des zweiten Verdienstes, durch überlegte Vorschläge zu abhelfenden Gesetzen wirklich zur Abhilfe beizutragen, um so auffallender. Allein in einer vorberatenden Sitzung über die erwähnten Aufsätze – vom 26. Juni (Abt. VIII, S. 8) – wird gar die saubere Bedenklichkeit vorgetragen, daß sich das Ministerium auf den Beschwerdenaufsatz einlassen möchte, – es möchte nämlich von der Hauptsache, d. i. der Herstellung der altwürttembergischen Verfassung, auf jenen ablenken. Herr Graf von Waldek hatte deswegen mit diesem Zweifel zugleich auf eine Wendung in der Adresse angetragen, wodurch man sich gegen das Einlassen sichern könne. Diese Wendung und Verwahrung gab dann Herr Bolley an, darin folgendermaßen angebracht zu haben, »daß die Stände sich durch Unterhandlungen[556] über einzelne Beschwerden in Erreichung ihres höheren Zwecks, ihrer einzigen Sorge, nicht werden stören lassen, aber doch noch durch Vorlegung der Beschwerden eine heilige Pflicht zu erfüllen haben«. – Sollte es durch Unterhandlungen sein, daß die Beschwerden behandelt werden sollten, so gaben diese freilich Stoff für jahrelange oder vielmehr für endlose Unterhandlungen, da kein Reichshofrat mehr für deren Beendigung vorhanden war. Aber wollten die Stände sich weder auf legislative Arbeiten noch auf sogenannte Unterhandlungen, also überhaupt nicht einlassen, wozu Jener Ballast von Beschwerden? – Sollte es dem Ministerium hiermit überlassen bleiben, ihnen auf seine Weise abzuhelfen? – In der Tat diente dieser Ballast zu weiter nichts, als daß die Stände, wie sie es nennen, eine heilige Pflicht erfüllt hatten; die heiligere, aber freilich saurere Pflicht, durch legislative Arbeiten die Einleitung einer Abhilfe zu machen, kam nicht zur Sprache. Der König erteilte den 21. Juli (X. Abt., S. 14) den einzig möglichen Bescheid, daß er durch die Vorträge seiner Ministerien in den Stand gesetzt werden müsse, über die vorgetragenen Beschwerden seine Entscheidung zu geben.


Unter der Menge von Beschwerden aber betrifft eine im Vorbeigehen das, was der Schreiberei-Unfug genannt wurde. Durch die nicht zu ermüdenden Erinnerungen des Herrn von Forstner ist dieser Gegenstand »aus der melancholischen Litanei der Beschwerden« herausgehoben und zu einer ausführlicheren Beleuchtung gebracht worden, welche das Publikum mit einem Württemberg ganz eigentümlichen Institut, dem Schreiberei-Institut, bekanntmacht und einen Zustand von rechtlicher und moralischer wie von intellektueller Versumpfung auftut, der unter an derem über ein wichtiges Moment, das Interesse für das gute alte Recht, Aufschluß gibt und um seines weitgreifenden Einflusses willen näher zu betrachten ist.

Bereits am 15. Mai trug Herr von Forstner den Einfluß, den[557] die sogenannten Schreiber auf die Staatsverwaltung haben, als eine allgemeine Landplage vor, und zwar sprach er es aus, daß die ehemalige württembergische ständische Verfassung es ist, in deren Innerstem dies Übel festgewurzelt sei, welche den Schreibern »ein weites Feld der Willkür, Bedrückung und Beutelschneiderei einräume« (Abt. V, S. 58). Es wurde nun ein Komitee niedergesetzt zur Verfassung eines Gutachtens mit Vorschlägen zur Verbesserung des Instituts. Als im Verlauf von sechs Wochen dieser Gegenstand nicht zur Sprache kam, wiederholte Herr von Forstner am 28. Juni seine Motion; er bemerkte dabei, daß, wenn auch manchem achtungswerten Prinzipal von Schreibern der Unfug ein Greuel sei, ein solcher ihn nicht verhindern und nur im Stillen eine Reform wünschen könne, weil er es nicht wage, das Heiligtum der alten Verfassung anzutasten, wissend, daß dies Übel tief in ihr gegründet und aufs innigste mit ihr verwebt ist. Er fügt hinzu, daß der Württemberger sich nie (d.h. auch nach Herstellung der alten Verfassung, – im Gegenteil) in seinem Schicksal erleichtert fühlen werde, solange dies Übel nicht beseitigt ist; daß dieses unerträglich und mehr als zureichend ist, den gemeinen Mann zur Verzweiflung zu bringen. Er führt als Tatsache und aus unverwerflichen Zeugnissen an, daß dieses Übel zu allen Zeiten die so häufigen Auswanderungen der Altwürttemberger ins Ausland bewirkt hat – Auswanderungen, die sowohl im größten Flor der ehemaligen ständischen Verfassung als zur Regierungszeit der verschiedensten württembergischen Regenten stattgehabt haben. Was konnte [sie], ruft er ferner aus, anders dazu bewegen als die Verfassung Was sprach sich in derselben so unerträglich aus? Was brachte sie bei dieser Verfassung in Verzweiflung? Nichts anderes als der Druck des Schreiberstandes, und die Verfassung war es, welche diesen Stand berechtigte, den Untertan zu drangsalieren usf. – Er führt bei fernerer Erneuerung seiner Motion (Abt. XVI, S. 84) aus dem Gutachten eines vormaligen württembergischen Regierungspräsidenten von Gemmingen[558] eine Stelle an, worin es heißt, daß »Württemberg den traurigen Vorzug vor anderen Ländern habe, eine eigene Rasse von Menschen zu nähren, die man im übrigen Deutschland seit Dr. Fausts Zeiten nicht mehr kenne, – die Schreiber. Dies Geschlecht ist«, wird fortgefahren, »dem arbeitsamen Teile des Volks um so lästiger, als es gleich unverschämt und niederträchtig ist, bei einer günstigen Gelegenheit auf die ersten Ämter des Staats Ansprüche zu machen oder, bei einer ungünstigen, der letzten Klasse des Volks seine Nahrung zu entziehen, in allen Fällen immer von fremder Arbeit zu leben«. – In einer höchst merkwürdigen, detaillierten Eingabe des Oberamts Horb (XIX. Abt., S. 26 ff.) liest man, daß, was jährlich an Schreibereiverdiensten bezogen werde, im Durchschnitte mehr als eine, ja in weiteren aktenmäßigen Angaben liest man, daß es sechs bis sieben Jahressteuern betrage.

Eine solche Darstellung war nun freilich sehr kontrastierend mit dem Tone der Versammlung, immer von dem dreihundertjährigen Glücke Württembergs unter und durch seine ehemalige ständische Versammlung zu sprechen, und mit der Versicherung, ihre Wiederherstellung sei die ganz simple Abhilfe der soeben zusammengebrachten Beschwerden, deren Gesamtmasse vielmehr von dieser einzigen Landplage überwogen zu werden scheinen muß. Noch mehr kontrastierend kann man jene Darstellung mit dem Eifer der Versammlung für das alte Recht finden, von deren Mitgliedern ein Teil selbst, und darunter von den Koryphäen, wie Herr Bolley, Prinzipale in der Schreibdynastie waren, die meisten anderen Deputierten aber überhaupt nach ihrem Stande Brüder, Söhne oder sonst Verwandte in dieser Klasse oder für ihre Söhne und Verwandte das Recht auf die Teilhaftigkeit an den Vorteilen dieser »Landplage« haben konnten. Die Versammlung war jedoch in diesen Gegenstand eingegangen und hatte dafür ein Komitee, wie angegeben, ernannt. Wundern wird man sich aber oder, wenn man will, wird man sich nicht, wenn man die Saumseligkeit sieht, mit welcher[559] dieser Gegenstand behandelt wurde. Auch auf die zweite Motion des Herrn von Forstner erfolgte nur eine Aufforderung an das Komitee zur Beschleunigung seiner Arbeit. Nach der auf die Vertagung am 27. Juli wieder erfolgten Zusammenkunft der Versammlung am 16. Oktober verlautete nichts weiter von dieser Sache; Herr von Forstner ließ nicht ab, am 5. Dezember den Gegenstand wieder zu erwecken; andere neuwürttembergische Deputierte schlössen ihre Stimmen an.

Wenn eine Eingabe von zwei Amtsschreibern, gegen deren einen gleich nachher sehr dringende Klagen (Abt. XIX, S. 27) einkommen, die Versammlung um eine Verbesserung der Versorgung dieses Standes bittet, als welcher, wie sie versichern, durch seine Einrichtung schon seit Jahrhunderten den wohltätigsten Einfluß auf den Staat und seine Glieder vor anderen Ländern gehabt habe (Abt. XVIII, S. 27), – so besagten dagegen andere immer mehr einkommende Petitionen, von denen viele ungedruckt blieben, und zwar als die allgemeine Stimme von Neuwürttemberg (Abt. XVIII, S. 95 ff.), daß, wenn von Landesbeschwerden und Bedrückungen die Rede sei, dieses Übel zuvörderst genannt werden müsse, – sie fügten dazu die Belege, welche dies sattsam erhärteten, »daß die Versammlung auf Einrichtungen bedacht sein möge, wodurch der Schreiberstand nicht mehr nötig habe, Tag und Nacht darauf zu sinnen, den Bürger zu brandschatzen und sein Aufkommen auf den Untergang des Untertans zu gründen«. In allen diesen Eingaben sind die grellsten Fakta angeführt und die stärksten Ausdrücke gegen diese Unterdrückung gebraucht.

Um die Zeit, als diese Bitten um Hilfe gegen dieses Aussaugen, Prellen und Brandschatzen einliefen, war die Betreibung von Remonstrationen gegen ein königliches Steuerexekutionsreskript von der Mitte Januars 1816 wegen der Jahressteuer von 1815/16 eine Hauptbeschäftigung der Ständeversammlung. Die Klagen über die unerträgliche, zur Verzweiflung treibende Landplage und Brandschatzung durch[560] die Schreiberei und der Eifer der Landstände um eine Milderung der Abgaben an den Staat gehen einander parallel; so daß die Zusammenstellung herauskommt, als ob die Beitreibung der Steuern für den Staatszweck ein Hindernis für die Schreiberei würde, die Jahressteuern, welche sie den Untertanen auflegte, einzutreiben.

Am 24. April 1816, als seit bald einem Jahre noch immer nichts in dieser Sache geschehen war, erneuerte Herr von Forstner bei der Versammlung abermals in einem (nicht abgedruckten) Aufsatze seine Erinnerung daran. Endlich, nach mehr als einem Jahre (in dem die Versammlung zur Zusammenschleppung ihrer auf alle Zweige des Staatsdienstes sich erstrebenden Beschwerden nur etliche Wochen gebraucht hatte) ist denn die eigentliche Relation des für den Schreiberunfug niedergesetzten Komitees und des damit beauftragten Referenten, in welcher die Zusammenstellung dieser Beschwerden verheißen worden war, gar nicht zustande und zum Vorschein gekommen (XXII. Abt., S. 7, XXV. Abt. Anh., S. 54). Was erschienen ist, ist eine Begutachtung des Konsulenten Griesinger, welche als Anhang der 25. Abteilung auf 192 Seiten besonders abgedruckt ist. Diese ist vom 11. Juni an in mehreren Sitzungen stückweise nach Gelegenheit bis zum 15. Juli fort vorgelesen worden. Alsdann außer einer Bemerkung des Herrn Dr. Weishaar am 6. August gegen eine in der vorhergehenden Sitzung gemachte Motion, um eine Reform des Schreiberwesens wirklich vorzunehmen, von welcher Motion man aber im Protokoll von der vorherigen Sitzung nichts findet, und [außer] einigen sonstigen ganz einzelnen Bemerkungen ist von der Versammlung bis nahe vor ihrem Schlüsse in dieser wichtigen Angelegenheit nichts mehr geschehen.

Das weitläufige Gutachten des Herrn Konsulenten Griesinger gibt gleich anfangs an, daß der Herr Verfasser sich enthalte, das traurige Gemälde aller »der schreienden und beinahe unglaublichen Tatsachen zu entwerfen, die sich in den bei den Ständen eingegangenen Petitionen und Aufsätzen[561] über das Schreiberei-Institut aufgehäuft haben, weil ein anderes Mitglied diese Arbeit übernommen habe« – eine Arbeit, die, wie gesagt, nicht an das Tageslicht gebracht worden ist. Aber jenes Gutachten, nebst den wenigen abgedruckten Petitionen, enthält immer noch genug, daß daraus die in der Tat »außerordentliche und fast unglaubliche« Natur dieses so berühmten württembergischen Instituts und sein Verhältnis zur ständischen Verfassung näher hervorgehen kann. Indem der Herr Verfasser zuerst geschichtlich zu Werke geht, kommt er beim Amte der Gerichtsschreiber, weil es sehr alt ist, auf die alten württembergischen Gerichte zu reden und seine Ansicht und Beurteilung derselben zu geben, von der sich Referent nicht enthalten kann, einiges zuvörderst auszuheben, ehe er an die Schreiberei selbst kommt. Der Herr Verfasser führt aus Kanzler Nauclers, der zu Ende des 15. Jahrhunderts lebte, Chronogr. gener. folgendes über die Verfassung dieser Gerichte an:

»In singulis urbibus, oppidis et villis duodecim viri, vitae integritate ac honestate praecipui, eliguntur in iudices, nullo habito respectu, an sciant literas, nec non, qui munus iudicum necessario subeunt, licet remunerationem seu mercedem nullam habeant, propter honorem. Sed pro bono communi, suis posthabitis negotiis, statutis diebus iudiciis intendunt, iurantque singuli, se facturos secundum quod eis visum fuerit iustius ac melius, et praesente magistratu loci causas audiunt, partibusque ad satietatem auditis sententiam dicunt, non ut leges censent (nämlich wie es vorher heißt -leges imperatorum), quorum nullam notitiam habent, sed prouti ratio et consuetudo iudiciorum dictat.« – Enthält[562] aber ratio und consuetudo indiciorum, das Gewohnheitsrecht, die coutumes, keine Gesetze? – Die Einführung der ausländischen Rechte führte auch gelehrte Konsulenten bei den Gerichten ein, und diese Gewohnheit vollends brachte jene aus ebenbürtigen Männern von ausgezeichneter Rechtschaffenheit, die nicht für Geld, sondern für die Ehre Recht sprachen, bestehenden Gerichte zu der Nullität herunter, welche ihr Aufheben zuletzt sogar für notwendig erblicken ließ.

Jene schöne Darstellung Nauclers nennt aber der Herr Verfasser eine mit den lebhaftesten Farben gemachte Schilderung der Unwissenheit der damaligen württembergischen Gerichte und fährt aus sich fort: »In Gerichten, wo Richter saßen, wie soeben beschrieben worden, denen dann auch die vielen (viele gewiß!) vernünftigen Ausdehnungen und Einschränkungen der Gesetze ganz unbekannt waren, deren Menge heutzutage alle Nicht-Juristen« (wie es noch die Mitglieder der Geschwornengerichte in England und Frankreich sind, – einer Institution, die in diesen Ländern als das Palladium der Freiheit betrachtet wird) »außerstand setzt, verworrene Rechtshändel zu entscheiden – in solchen Gerichten konnte das Hauptgeschäft der Gerichtsschreiber nur bestehen im Niederschreiben der törichten und abgeschmackten Urteile unwissender Richter eines barbarischen Zeitalters. « – Man sieht, daß von solchen Ansichten eines juristischen Mitglieds einer deutschen Ständeversammlung die Wiedererweckung herrlicher deutscher Altertümlichkeit, echt nationaler Institute, nicht zu erwarten ist.

Der Triumph des neuen Rechts, »der neuen und mutigen Ulpiane und die Niederlagen der württembergischen Richter«[563] sind S. 31 noch weiter ausgeführt: »Das alte deutsche Recht und die alten deutschen Gewohnheiten lassen sich natürlich«, heißt es, »mit dem römischen Recht in keine Vergleichung setzen; die Albernheit roher und ungebildeter Köpfe eines finsteren Zeitalters muß neben der Weisheit der größten und erhabensten Rechtsgelehrten des alten Roms und der ganzen Welt einen sonderbaren Kontrast bilden, ja ganz und gar lächerlich und verächtlich werden« usf. Ist dies der Geist deutscher Volkstümlichkeit, den wir in solchem Tone geehrt und lebendig sehen? Mit Hohn wird ferner angeführt, daß der Landtag vom Jahre 1515 sowie mehrere folgende bittere Beschwerden geführt über die Gelehrten, die merklich bei allen Gerichten, durch das ganze Land, mit ihren Handlungen einbrechen, so daß jetzt einer, dem Rechtens not tue, mit zehn Gulden nicht davonkomme, der vielleicht vor zwölf Jahren mit zehn Schillingen die Sache gar gerichtet hätte, und wenn hier kein Einsehen geschehe, so müsse man in jegliches Dorf mit der Zeit einen oder zwei Doktoren setzen, welche Recht sprechen. Vergebliche Beschwerden, denn »der Tod sei einmal den alten deutschen Gewohnheiten geschworen gewesen«. Ein oder zwei Doktoren sind zwar nicht in jedes württembergische Dorf gekommen, aber dafür die Schreiber; und es würde unnütz sein, zu untersuchen, ob bei diesen gleichfalls nicht alten deutschen Gewohnheiten die Bürger gewonnen haben.

Diese Schreiber nun, um die es hier eigentlich zu tun ist, definiert Herr Konsulent Griesinger als juristische und kameralistische Praktiker und setzt das Eigentümliche der württembergischen Schreiber darin, daß sie solche bloß unstudierte Praktiker seien. Daß dies aber in anderen Ländern, nämlich bis zu einem gewissen Umfange, derselbe Fall ist, ist eine bekannte und natürliche Sache, da zu einem großen Teile der Schreibereifunktionen eine Universitätsbildung wenigstens etwas Überflüssiges ist. Das Eigentümliche des württembergischen Schreiberei-Instituts zeigt sich aber nach diesem Gutachten und den Petitionen in etwas ganz anderem[564] zu liegen. Es geht daraus nämlich hervor, daß für Jeden Amtsbezirk ein Stadt– oder Amtsschreiber vorhanden ist (für die größeren Städte nämlich auch ein besonderer Stadtschreiber und dann für den übrigen Bezirk, der das Amt heißt, wieder ein besonderer Amtsschreiber), welcher das Monopol hat, alles, was in diesem Bezirk Gerichtliches und Amtliches zu rechnen und zu schreiben ist, schreiben zu lassen. – Daß Oberamteien, nämlich die Justiz- und Polizeiämter, die Kameralverwaltungen, Forstämter, gleichfalls Schreiber als Gehilfen hatten, ist ein für ihre Geschäfte auch in anderen Ländern notwendiger Umstand. In dieser Rücksicht kann nur dies als Württemberg eigentümlich angesehen werden, daß unter solchen Gehilfen keine aus der Klasse studierter Juristen, Kameralisten oder Forstmänner genommene sich befinden, sondern alle Gehilfen sich nur durch die Routine bilden und nicht dazu bestimmt sind, selbst dereinst ein Amt, in dessen Geschäften sie arbeiten, zu bekleiden. In den Besitz der Forstämter ist längst der Adel gesetzt worden; der bürgerliche Gehilfe ist dadurch schon von der Fähigkeit ausgeschlossen, zu einem solchen Amte zu aspirieren. In Ansehung der studierten Juristen ist es nicht der Fall, daß ihnen zur Bedingung, um in einem Amte angestellt werden zu können, gemacht ist, sich nach Vollendung der Universitätsstudien die praktische Geschicklichkeit hierzu durch eine Praxis von einem oder etlichen Jahren bei einem Beamten zu erwerben, welche Vorbereitung in anderen Staaten ein gesetzliches Erfordernis ist. Es ist im Gutachten mehrfach davon die Rede, daß die studierten Juristen sich viel zu vornehm dünken, als Gehilfen bei einem Beamten einzutreten.

Eine bei der Ständeversammlung eingegebene Petition der Stadt Urach enthält die Beschwerde, daß der – übermäßig große – Bezirk des dort ehemals seinen Sitz habenden Oberamts verringert worden; unter anderen ist der saubere Gedanke geäußert, daß die ehemaligen vielen kleineren Oberämter den Nutzen gehabt, den in Geschäften unerfahrenen[565] studierten Juristen zur Vorbereitungsbildung zu dienen, – für was? für die Vorsehung ausgedehnterer Oberamtsbezirke! Als ob der Unterschied nicht bloß die Quantität der Geschäfte beträfe; der Qualität nach sind sie dieselben. Die den kleineren Amtsbezirken angehörigen Bürger wären nach jenem Einfall nur darum die animae viles, an denen der unerfahrene Angestellte sich zum Beamten bilden sollte, weil sie zu einem geographisch kleineren Bezirke gehören. – Weil nun auch diejenige juridische Praxis, welche anderwärts von studierten Juristen zu ihrer Vorbereitungsbildung für ein Amt unter Aufsicht und Anleitung eines wirklichen Beamten versehen wird, ganz den Schreibern anheimfällt, so erhellt die Wichtigkeit der letzteren sowohl im Verhältnisse zu einem unerfahrenen Vorgesetzten als auch für sich, indem der studierte Vorgesetzte eines Amtes von 20 000 und mehr Seelen, der auch die Polizeigewalt und Zweige der administrativen Gewalt mit gerichtlicher in sich vereinigte, nur Schreiber zu Gehilfen hat.

Die Hauptpartie im Gemälde des Institutes oder Unfugs (denn der Schreiberei-Unfug erscheint in den Vorträgen und Petitionen gleichsam als ein technischer und anerkannter Ausdruck für das Schreiberei-Institut) ist aber jenes Monopol, das den Stadt- und Amtsschreibern zugeteilt ist. Ferner, um dasselbe zu exerzieren, halten sie nach Bedarf 10, 20 Schreibsubjekte, welche sie teils bei sich im Mittelpunkt behalten, teils in die Flecken und Dörfer ausschicken, um zu schreiben. Ein Detail der Geschäfte, die sie zu schreiben haben, muß im Gutachten selbst nachgelesen werden. Außer den Geschäften der Steuerrepartition, des Schreibens von Steuerzetteln, Steuerempfangbüchern, der Bestimmung des steuerbaren Vermögens jedes einzelnen Bürgers, der Bemerkung der Veränderungen durch Verkauf der Häuser, Güter, Heiraten usf., dann ebenso der Repartition der Kom munialausgaben des sogenannten Stadt- und Amtsschadens2 sind[566] vornehmlich zweierlei Gegenstände auszuzeichnen, in denen der Druck und Unfug der Schreiberei seinen vornehmsten Sitz zu haben scheint. Erstens haben sie die Akte der nicht streitigen Gerichtsbarkeit, Verträge, Heiratspakte, insbesondere die Testamente, Zubringensinventare, d. i. des Vermögens eines neuen Ehepaars, Verlassenschafts-Gantinventare, Erbschaftsteilungen u. dgl. zu fertigen. Über die letzteren Gegenstände heißt es z.B. am angeführten Orte S. 65 : Bei fast allen Erbschaftsteilungen findet sich nicht so vieles Geld, als die Schreibgebühren betragen; es wird also das beste Stück Gut, um bares Geld zu bekommen, öffentlich verkauft; bei Neuverheirateten geht es nicht besser: entweder zehren die Inventurkosten ihr weniges im ledigen Stande sauer erspartes Geld auf, oder sie müssen schon zum Anfange Schulden machen oder ein Stück Gut verkaufen usf., und als die Folge von solchen Prozeduren wird die allgemeine Verarmung der unteren Volksklasse angegeben. Ein unverheiratetes Ehepaar z.B. kann also das Inventar, das nach den dasigen Gesetzen aufzunehmen ist, nicht selbst aufsetzen oder beliebig, von wem es sei, schreiben und dann gerichtlich bestätigen lassen, sondern der Schreibmonopolist nur kann dies verrichten; und mit welcher Weitläufigkeit und Kosten er überhaupt seine Arbeiten ausfertigt, davon wird sogleich die Rede sein. – Einstimmig sind in den Petitionen und sonstigen Angaben die Klagen sowohl über die Natur der gesetzlichen Dispositionen selbst, welche eine endlose Schreiberei und unsägliche Kosten nach sich ziehen, als über die Prellereien und den Unfug, der das gesetzlich Erlaubte verdoppelt, verzehnfacht. – Die andere weiter bemerkenswerte Beschäftigung der Schreiber ist die Fertigung der Bürgermeister-, d. i. der Kommun- und anderer hierher gehöriger Rechnungen, alsdann der Armenkassen-, Heiligen-, Almosen-, Spital- und Pflegrechnungen, überhaupt der Rechnungen über die Armen- und Kirchenfonds, – außerdem daß sie auch die Probation, Revision der Kommun- und Vormundschaftsrechnungen haben. – Hierbei kommt nun[567] der ganz eigentümliche Umstand zum Vorschein, daß jene Bürgermeister und Administratoren von sonstigem Gemeindevermögen, Armenfonds usf. die Rechnungen über die Verwaltung ihrer Kassen nicht selbst stellen oder privatim für dieses Geschäft zu sorgen haben, sondern dasselbe aus der Schreibfabrik des Amtsschreibers müssen verfertigen lassen. Die Kosten werden der Gemeinde aufgerechnet, und hier ist der Name Amtsschaden, unter den sie gehören, wohl ganz passend.

Was vorerst die Seite dieser Kosten betrifft, die den Gemeinden dadurch erwachsen, so sind grelle Beispiele davon angeführt, z.B. daß die Fertigung der Rechnung einer neuwürttembergischen Gemeinde, wovon die Kosten früher 1 Fl. 30 Kr. machten, nun durch die neueingeführte altwürttembergische Schreibereimethode sich auf 50 Fl. erhöhte; einem Weiler, der wegen Mangels an Revenuen früher keiner Rechnung bedurfte, wußte die Kunst doch jetzt eine zu machen, die sich auf 56 Fl. 20 Kr. belief (Abt. XVIII, S. 99 f.). Diese und eine Menge anderer Beispiele wären lustig zu lesen, wenn sie nicht zugleich zu unerhörte, zu infame Prellereien wären; nur noch ein Fall: Die Kommunrechnungsakten von einem Orte Mögglingen wurden vom Stadtschreiber einer Reihe von Schreibern nacheinander zur Fertigung gegeben; diesen zusammen, deren keiner ein Wort an der Rechnung geschrieben hat, mußte die Kommune für Aktenlesen und Einstudieren den Betrag von 900 Fl., sage neunhundert Gulden, bezahlen; der eine ging dahin, der andere dorthin weiter; soviel kostete die Rechnung, ehe eine Zeile an ihr geschrieben war, und dem, der sie zuletzt wirklich machte, mußte seine Mühe freilich mit Recht wieder fürs Ganze bezahlt werden.

Eine der auffallendsten Klagen unter den von der Ständeversammlung zusammengestellten Landesbeschwerden macht die zum Teil so beträchtliche Vergrößerung der Administrationskosten des Vermögens der Gemeinden, der Armenfonds usf.; sie schreibt alles Übel dem Aufheben der alten[568] Verfassung zu. Aus den Angaben, die sich über das Schreiberei-Institut ergeben, erhellt, daß diese Klagen besonders in den neu hinzugekommenen Landesteilen erhoben worden sind, und auch die abgedruckten detaillierten Gemeinderechnungen zeigen, daß gerade die Einführung dieses altwürttembergischen Unfugs es ist, welche eine enorme Vergrößerung der Administrationskosten herbeiführte. Es könnte noch vieles angeführt werden, von den unerlaubten Anrechnungen, der Weitläufigkeit der Rechnungen (unter anderem werden z.B. in den in duplo oder triplo zu fertigenden Kommunarmenfonds- und anderen dergleichen Rechnungen selbst die Zettel der Handwerksleute wieder in extenso, und zwar auch in duplo und triplo inseriert) u. dgl. – Mit dieser Praktik, sowohl auf rechtmäßige als unrechtmäßige Weise die Bürger auszusaugen, hängt alsdann das grelle Gemälde zusammen, das von den Sitten dieses Standes, der Unwissenheit, Roheit, Plumpheit, Arroganz usf. desselben gemacht wird; a. a. O., S. 9 ff. Es heißt S. 40 ebendaselbst, »daß dieser Stand zu keiner Zeit in Württemberg geachtet worden sei; in der Hochachtung, die man von Zeit zu Zeit mit so vielem Rechte einzelnen Individuen desselben erzeigte, lag stillschweigend die Geringschätzung des Standes im ganzen, weil ausgezeichnete Schreiber stets eine große Seltenheit waren«. Die grellen Farben, die man übrigens gleich in dem ersten Kapitel dieses Gutachtens liest, sind nicht sowohl von dem Verfasser gerieben, sondern nur ein Zusammentrag aus den Schriften, welche über Jenen Stand von anderen, älteren und neueren Schriftstellern erschienen sind und ein einstimmiges Zeugnis geben; – sogar sind darunter einige Verfasser, die diesem Stande selbst angehörten und ihn am besten kennen mußten. Man kann nicht wohl etwas Härteres von einer Menschenklasse sagen, als diese Schilderungen enthalten.

Eingreifender aber noch als alles dieses ist der Umstand, daß an den Prinzipal, den Stadt- und Amtsschreiber, dieselbe Summe, welche seine ausgeschickten Schreiber für ihre[569] Arbeiten nach ihren Aufrechnungen verdienen oder erpressen, bezahlt werden muß. Hiermit tritt also nun eine eigentümliche Art von Verhältnis ein. Nicht nur hat der Prinzipal das Monopol des Schreibens in seinem Bezirk, sondern an ihn, welcher der Aufseher über die Handlungen seiner Untergebenen sein soll, muß nicht für eine seinerseits geleistete Arbeit, sondern gleichsam als an den Dynasten wieder ebendasselbe entrichtet werden, was seine Schreiber für sich erarbeiten und über dessen Übertreibung schon so sehr Klage geführt wird. Diese Abgabe an den Stadt- oder Amtsschreiber ist unabhängig von den herrschaftlichen Taxen, die noch auf solche Schriften gelegt sind, und fällt in seine Privatkasse. Es heißt hierüber mit Recht S. 137 am angeführten Ort: »Daß die Schreiber immer die Geldmacher der Stadt- und Amtsschreiber sind, daß diese bei jeder illegalen und übertriebenen Anrechnung und Weitläufigkeit ihrer Untergebenen immer nur gewinnen, – schlechter als diese Einrichtung läßt sich nichts ersinnen.« – Der Gedanke eines Dynasten- oder Lehensverhältnisses, nach welchem der Stadt- und Amtsschreiber von den Bürgern, gleichsam als von Untertanen oder Schreibholden, wie man sie nennen könnte, Gefälle erhebt, erscheint völlig ausgebildet in dem Fall, der a. a. O. S. 57 angeführt wird. Ein Amtsschreiber rechnete im verflossenen Jahre einem Pächter, der einen verstorbenen Bruder, einen katholischen Pfarrer, zu beerben und Dispensation von der Inventur und Teilung erhalten hatte, die Summe von 200 Fl. an, weil er durch die Dispensation um seine Teilungsgebühren nicht kommen könne. Es ist daselbst weiter angeführt, daß der Erbe auch die Summe wirklich bezahlte und der Amtsschreiber sie einstrich, ohne eine Feder angesetzt zu haben, und es ist ferner nicht bemerkt, daß diese Erpressung Wiederersatz und Zuchthaus- oder andere Strafe zur Folge gehabt habe. Schuldigkeiten, welche aus dem Feudalverhältnis herrühren, enthalten doch noch teils ein Recht des Lehensherrn an Grund und Boden, teils die Pflicht des Schutzes seiner Vasallen. Auch von solchen[570] Bedingungen sind aber jene Gebühren frei, welche der Stadt- und Amtsschreiber bezieht. – Wenn die württembergischen Bürger wirklich mit dieser Schreibhörigkeit oder Schreibleibeigenschaft behaftet sind – wie es de facto der Fall scheint und die Landstände nicht wohl in Abrede sein können –, so wäre es wenigstens zweckmäßiger wie auch gerechter, dem Staate den Vorteil dieser Untertänigkeit zuzuwenden und in dessen Namen dieses Monopol zu verpachten3, statt daß jene Gefälle, ohne Bezahlung für eine Arbeit zu sein, nur in den Beutel von Privatpersonen fallen, von welchen manche sich dadurch, wie es a. a. O. S. 111 heißt, so gut als ein österreichischer und französischer Bischof stehen.

Es ist erwähnt worden, daß die Bürgermeister wie auch andere Gemeindevorsteher, Verwalter der Armenfonds u. dgl. die Rechnungen über ihre Verwaltung nicht selbst stellen, sondern dem privilegierten Schreiber dieses Geschäft zusteht. Es ist schon wichtig, daß jene Kommunalbeamten und Stiftungsverwalter durch solche Einrichtung in legitimer Unfähigkeit gehalten werden. Aber von bedeutenderem Gewicht als dieser Umstand und selbst als der vorhin betrachtete Kostenaufwand, der den Gemeinden und den anderen Fonds hieraus erwächst, ist die Abhängigkeit, in welche damit die sämtlichen Gemeindevorsteher eines Bezirks von dem Stadt- und Amtsschreiber gesetzt sind. Über diese in den Staatsorganismus weiter eingreifende Seite findet sich XVIII. Abt., S. 97 eine Schilderung in einer Petition von Gmünd, welche das Ungeheuer des Schreibereiwesens nach seinen verschiedenen Zweigen mit amtlichen Belegen darstellt4;[571] über den [Zweig], von dem hier die Rede ist, heißt es: »Bei Kommunrechnungen bemeistert sich der Schreiber aller Papiere des Journals, der Beilagen und Quittungen des sogenannten Rechners, ohne speziellen Legschein dafür zu geben. Von diesem Augenblicke an ist der Bürgermeister sein Sklave; er hat den letzten ruhigen Schlaf getan, denn der Gedanke, seinen Kredit, Ehre und guten Namen einem fremden unbekannten Menschen überantwortet zu wissen, quält ihn unablässig. Mancher Schreiber läßt sich nun sogleich Abschlagszahlungen machen, wandert damit in eine andere Gegend des Reichs. Wird endlich das Geschäft von einem der Nachfolger begonnen, so nimmt die Leidensperiode des Rechners ihren Anfang, er hat unpassierliche Ausgaben gemacht, es fehlen Quittungen, es zeigt sich ein bedeutendes Defizit; die Aussicht des Rechners ist die Festung oder das Zuchthaus. Ist nun der sich schuldlos Bewußte auf diesem Punkte der Verzweiflung, so wird, nachdem die zweckdienlichen Mittel eingeschlagen worden, wieder eingelenkt, die Quittungen wieder gefunden oder gemacht usf. Der Rechner nebst den dabei vorkommenden Figuren oder Urkundspersonen unterschreibt seine ihm ganz überall unverständliche Rechnung und begreift ebensowenig wie bei dem früher ihm angeschuldigten Defizit, daß ihm nun am Ende ein Guthaben zukomme.«

In solchen Händen befinden sich also die Gemeindevorstände, in solchen Händen befindet sich das Volk! »Mein Volk, deine Führer betrügen dich!« – wenn sie vom guten alten Rechte sprechen, möchte man mit dem Propheten ausrufen. Aber so fern man sein wird, jene Schilderung, was das Persönliche betrifft, für allgemein anzunehmen, ebenso gewiß geht nicht aus den Persönlichkeiten, sondern aus solchen Einrichtungen die notwendige Abhängigkeit der Gemeindevorstände,[572] der Gemeinden und, mit dem oben erwähnten weiteren Geschäftsressort der Schreiberei zusammengenommen, auch die der einzelnen Bürger von den Stadt- und Amtsschreibern hervor. Jene Gemeindevorstände erwählten ehemals die Landtagsdeputierten allein, und von den Mitgliedern der Ausschüsse war der größere Teil aus der Klasse der Schreiber. In dem Gries[inger-] Gutachten S. 72 heißt es: »Die Verbesserung oder gar die Umschmelzung des Schreiber-Instituts mußte, trotz der oft gefühlten und gerügten Gebrechen desselben, in den ständischen Repräsentanten, die ja meistens selbst Schreiber waren oder auf die wenigstens Schreiber Einfluß hatten, darum immer die größten Widersacher finden, weil jede Hauptverbesserung mit ihrem Interesse im offenbarsten Widerspruche stand.« – Hiermit ist alles gesagt. Was aber als ein waren, hatten, als ein Vergangenes von den früheren Landtagen und landständischen Ausschüssen erscheint, war es nicht auch ein Verhältnis, wie auch die Geschichte dieser Ständeversammlung selbst? hat sie etwas Wirksames dafür getan, um solchen Augiasstall wegzuschwemmen? hätte sie nicht in ihre eigenen Eingeweide gewütet? Haben die immer wiederholten Bemühungen des Herrn von Forstner, der sich durch ihre Zögerungen nicht ermüden ließ, es durchsetzen können, daß nach Jahr und Tag auch nur eine Relation des Komitees zustande gekommen, viel weniger daß eine Deliberation oder gar ein Beschluß in die Sache eingegangen wäre?5

Charakteristisch ist es, daß die Klagen und Beschwerden fast nur aus Neuwürttemberg kamen, als ob Altwürttemberg in solchem Zustand aktiv und passiv so befangen gewesen wäre, daß es kein Bewußtsein und Empfindung oder vielmehr nur die der resignierenden Verzweiflung auf der einen Seite und auf der andern nur ein in den guten, alten, garantierten Rechten völlig gesichertes, privilegiertes Gewissen gehabt hätte! – Es mochte das Seinige dazu beigetragen[573] haben, daß die altwürttembergischen Schreiber, die man als erfahrene Männer im Fache in dem neuen Gebiet vorzugsweise brauchen mußte, daselbst wie in einem eroberten Lande ärger hausten als daheim. Aber schlecht empfahlen sich so die neuen Landsleute, die in der Gewohnheit des altwürttembergischen Rechts und dieser so gepriesenen Verfassung erwachsen und gebildet waren, und ebenso schlecht empfahlen sie dies alte Recht und diese alte Verfassung.

Dem Ministerium aber könnte man einen Vorwurf daraus machen, eine Ständeversammlung, deren Elemente es kennen mußte, zusammengerufen und nicht vielmehr dem Könige geraten zu haben, noch zu den Veränderungen, die er in den oberen Stockwerken des Staats vorgenommen hatte, diese vorher hinzuzusetzen, daß er die Regeneration des unseligen Verfassungszustands der allgemeinen Volksmasse bewerkstelligte. Solange diese Württemberg eigentümliche, bürgerliche Aristokratie existierte, welche durch Schreiben bischöfliche Einkünfte als Gefälle bezog und eine allgemeine Gewalt über die Gemeinden, deren Vorsteher und die Privaten ausübte, solange diese Vorsteher und die Gemeinden nicht aus den Klauen dieser privilegierten Kaste gerissen, solches die Begriffe wie den Beutel der Volksmasse umgarnende Element sittlicher und intellektueller Versumpfung nicht zerstört war, konnte kein wahrer Begriff über Recht, Freiheit und Verfassung Wurzel fassen, konnte das Ministerium nichts anderes erwarten, als daß von den erwählten Deputierten ein großer Teil aus diesem Elemente hervorgehen würde.

Es konnte glänzend scheinen, daß der König zuerst unter den deutschen Fürsten seinem Volke Landstände nach einer Organisation gab, welche sie zu Vertretern der Rechte nicht einer Klasse, sondern des Volks selbst machen sollte, welche damit die landständische Verfassung aus der Gleichgültigkeit und Entfremdung, ja Verachtung des Volkes gegen sie, zu der frühere deutsche Landstände herabgesunken waren, reien[574] konnte.6 Altwürttemberg hat keinen bedeutenden Adel für sich gehabt; dagegen hatte sich jene unscheinbarere, aber drückendere Aristokratie festgesetzt. Solange aber diese Fesseln des Volks nicht zerbrochen waren, konnte für sich keine Repräsentation hervorgehen, die ihm angehörte; und so unerläßlich es für den Begriff eines monarchischen Staates ist, daß Landstände in demselben seien, wäre es selbst vorzüglicher, gar keine zu haben, als die Fortdauer jener Privilegien, jener Bedrückung, Täuschung und Verdumpfung des Volks zu dulden, ohnehin besser, als Landstände zu haben, welche die Vertreter der Privilegien dieser Aristokratie sind. – Das Ministerium konnte gleichfalls die Grundsätze der anderen Aristokratie kennen, welche Württemberg soeben erst einverleibt worden oder, nach dem Sinne eines Teils derselben, erst einverleibt werden sollte. Es mußte[575] voraussehen, daß diese Klasse damit anfangen würde, sich ihre Rechte vorzubehalten – Rechte, die in dieser Unbestimmtheit es unentschieden ließen, welches Verhältnis dieser Stand im Staate hatte, und die in ihrem alten Umfange jedem Staatsorganismus widersprechen. – Es hat sich in den meisten Fällen großer politischer Bewegung gezeigt, daß Fürst und Volk eines Sinnes und Willens gewesen sind, aber daß sich nur zu oft ein Mittelstand, wie in Frankreich der Adel und die Geistlichkeit, so in Württemberg Jener und die bürgerliche Aristokratie der Schreiberei, statt das Band von beiden auszumachen, wie es seine Bestimmung ist, auf Privilegien und Monopole steifte und die Verwirklichung der Grundsätze des vernünftigen Rechts und allgemeinen Wohls hinderte, ja zunichte machte. Durch die Stellung, die dem Mittelstande überhaupt zukommt, die Intelligenz eines Volkes auszumachen und dessen Rechte wie dessen Pflichten unmittelbar zu handhaben, vermag er, wenn er vielmehr eigene Privilegien gegen dasselbe verteidigt, dieses in die Täuschung zu ziehen, daß es sich auf die Seite dieses seines Feindes stellt. Dann entsteht das ebenso ekelhafte als traurige Schauspiel, daß Unrecht, welches hundert Jahre Recht geheißen, als solches gegolten und das Volk zur Verzweiflung gebracht hat, von dem durch diesen Namen betrogenen Volke selbst unterstützt wird.


Nachdem nun aus dem Bisherigen die Grundsätze, der Geist und die Interessen dieser Versammlung sich sattsam zu erkennen gegeben, so hat die fernere Geschichte, die nur eine trockene Folge davon ist, weniger Interesse mehr und läßt sich kürzer zusammenfassen.

Wir sind im Verfolge des Geschichtlichen dabei stehengeblieben, daß die Stände am 26. Juni nicht darauf eingingen, dem, was in den wichtigen königlichen Konzessionen annehmbar für sie war, mit welchem die gleichfalls aus der königlichen Verfassung annehmbaren Punkte in Verbindung gebracht werden konnten, die Form einer Übereinkunft zu[576] geben, sondern sich vielmehr in der Stellung völliger Nichtbefriedigung hielten. Originell ist dabei, aber ganz im Stile des bisherigen Ganges (IX. Abt., S. 3), daß in der folgenden Sitzung nach gefaßtem Beschlüsse nun die Prüfung der königlichen Resolutionen in einem Aufsatze eines einzelnen Mitglieds, des Dr. Weishaar, zur Sprache gebracht und ein Komitee ernannt wurde, um diesen Aufsatz zu prüfen. Dies Komitee referierte am 28. Juni, erwähnte jedoch einer Untersuchung und des Befunds dieses Aufsatzes gar nicht, sondern trug nur darauf an, ihn den königlichen Unterhandlungskommissarien mitzuteilen. Dieser Beschluß vom 28. Juni erscheint auch in der Haupt adresse, obgleich diese vom 26. Juni datiert ist, sowie auch am 28. noch der am 26. gefaßte Entschluß, darin der hohen Garanten der altwürttembergischen Verfassung, nämlich der drei Mächte Preußen, England und Dänemark, zu erwähnen, zurückgenommen wird. – Den 21. Juli erfolgte die vorauszusehende königliche Resolution (XX. Abt., S. 13), die Vertagung der Versammlung vom 26. Juli an, mit dem Motiv, daß dem Könige die vorgelegten Landesbeschwerden von weit größerer Wichtigkeit sein müssen als die vorliegenden Diszeptationen über Verfassungsgegenstände und er jene einer strengen Prüfung und Untersuchung durch die Minister und Behörden zu unterwerfen gesonnen sei, – daß, da die Landstände in ihren eingegebenen Aufsätzen alles erschöpft hätten, was sie denkbarerweise an den König zu bringen im Falle sein könnten, kein Gegenstand vorliege, der sich zu einer Beratung mit der Versammlung eigne. Ferner gibt ihr der König auf, zur Fortsetzung der Unterhandlung Bevollmächtigte zurückzulassen und sie so zu instruieren, daß einer Vereinbarung entgegengesehen werden könne. – Man wird zugeben müssen, daß dieser Beschluß in Ansehung der zwei vorliegenden Gegenstände der Lage der Sache gemäß war.

Die Stände bezeugten dagegen in ihrer Adresse vom 24. Juli (X. Abt., S. 15), daß ihnen an den Beschwerden gar nicht so[577] viel gelegen sei als an der Verfassung, daß sie durch die königliche Resolution in die größte Betrübnis versetzt seien, da sie vertagt werden sollen, ehe sie dem Volke irgendeinen Trost, irgendeine Beruhigung bringen können. Außer dieser Verleugnung, daß der König so vieles, ihnen selbst für wesentlich Geltendes, in der Tat aber so gut als alles Wesentliche zugegeben hatte, fügten siedle Anzeige bei, daß sie ein Komitee von 25 Mitgliedern unter dem Vorsitz des bisherigen Präsidenten der Versammlung bevollmächtigt [hätten], welches die Vergleichshandlungen führen und überhaupt das Interesse des Landes besorgen werde. Übrigens können sie keine andere Instruktion geben, als die sie vom Volke erhalten und in ihrem Herzen tragen; sie behalten sich ferner die Genehmigung der Verhandlungen vor. – Es war hiermit auf dem Wege, nämlich von seilen der Stände, zu einem Ausschuß alten Stils, zu einem zur Besorgung des Interesses des Landes überhaupt bevollmächtigten Komitee. Der König bewahrte sein Volk hiervor und rettete die Landstände wider ihren Willen und gegen sie selbst. Das Lächerliche des ständischen Antrags wies eine Resolution vom 26. Juli (X. Abt., S. 50) damit ab, daß es mit dem Begriffe der Vertagung nicht vereinbar sei, daß ein die ganze Versammlung repräsentierendes Kollegium zurückbleibe. – Aber mit den Vorstellungen dieser Stände vertrug sich, wie man zur Genüge gesehen, vieles, was mit dem Begriffe nicht vereinbarlich ist. – Sie sollen ferner Bevollmächtigte in der bisherigen Zahl ihrer Verhandlungskommissarien zurücklassen. – In derselben Sitzung, den 26. Juli, worin diese königliche Resolution verlesen wurde, wurde von Herrn Bolley in einem Votum scriptum entwickelt, daß die Versammlung in keiner Hinsicht nur vier Bevollmächtigte zurücklassen könne. Dann kam die Abordnung einer Deputation an den König, welche mündlich die bisherigen Bitten wiederholen sollte, in Vorschlag; er ward aber abgewiesen, weil solche Deputation ebensowenig als die bisherigen schriftlichen Vorträge ausrichten, weil sie ferner gegen die alten Normen sein würde,[578] – weil ein Regent so viel Mittel in Händen habe, die [, welche] vor ihn treten, mit scheinbarer Beschämung zurückzuweisen, so daß dieser Akt mit Unannehmlichkeiten für die Versammlung verbunden sein könnte. – Besorgte sie etwa, daß ihre Deputation hinausgeprügelt werden möchte? – Während das Komitee mit Abfassung der Adresse beschäftigt. war, ließ sich in dieser Not die übrige Versammlung Adressen, zum Teil von weit entlegenen Städten und deren Amtsbezirken, verlesen, die vom vorigen Tage datiert, »per Estafette« den 26. präsentiert und im Sinne der Versammlung abgefaßt waren. Von anderen noch nicht zum Vorlesen gekommenen Adressen anderen Inhalts ward nur die lange Konsi gnation, doch ohne das Datum ihrer Abfassung und Präsentation anzugeben, vorgelegt. Auch wurde unter anderen Aufsätzen ein »von mehreren Mitgliedern gewünschter« abgelesen, über die – ihnen von den Amtspflegern verweigerten Diäten. – In einer früheren Sitzung war nämlich angemerkt worden, daß die Mitglieder sich weigerten, ihre Diäten aus der Staatskasse anzunehmen, und sie aus den Gemeindekassen forderten, deren Verwalter, wie es scheint, nicht alle willfährig waren, diese unberechtigte Zahlung zu leisten.

Die nun von der Versammlung beschlossene Adresse bleibt bei ihrem vorigen Verlangen und schließt unter vielem Pathos mit dem gewöhnlichen breiten Selbstlobe und Selbstzeugnisse von ihrem Gewissen, und daß sie nichts als ihre Pflicht getan, daß sie vom Volke die rührendsten Beweise der Dankbarkeit dafür, von ganz Deutschland Beweise der Achtung erhalten usf. – Der König hatte sie zusammenberufen, die Konstitution gegeben, deren Grundzüge oben betrachtet worden, hatte zu den neuerlichen Konzessionen sich verstanden und der schnöden Erwiderungen der Versammlung auf dieselben ungeachtet die Fortsetzung der eingerichteten und begonnenen Unterhandlung zugegeben; das Beisammensein der Versammlung selbst war ohne allen Gegenstand; ihr blieb sowohl die Instruierung ihrer Bevollmächtigten[579] als die Ratifikation des Verhandelten vorbehalten. Alles dessen unerachtet entblödeten sich die Verfasser der Adresse und die mit ihnen einmütige Versammlung nicht, dem Könige zu sagen, daß, wenn er nicht in die Übertragung der Rechte der Landstände an einen Ausschuß willige, sie die Überzeugung haben müssen, daß seine Absicht sei, daß dem Volke gar keine Verfassung zuteil werden soll. – Noch griff die Versammlung zu dem letzten Mittel in dieser Not, wo ihr alles auf der Spitze zu stehen schien, – sich nämlich an die Garanten zu wenden. – Herr Bolley drückte sich (Abt. X, S. 37) darüber so aus, daß, wenn der König den Wünschen der Adresse nicht entspreche, nicht nur Jede Möglichkeit wegfalle, an den Bundestag als Ständeversammlung sich zu wenden, sondern auch für die Sache selbst nicht mehr viel zu verlieren sei. – Man wird es wunderbarlich genug finden können, wie die Versammlung sich selbst in solches Fieber und Schwüle hineinhetzen mochte; ihre Übertreibung, wo es sich um eine ganz einfache Sache handelte, konnte keinen Zweck haben, als die schlimmsten Absichten auf selten des Königs, die Gefahr des Verlusts der Sache glaublich zu machen; und diese Sache war die Reduktion der Stände auf einen alten Ausschuß.

Was aber die Anrufung der Garanten der alten Verfassung betrifft, so fehlte nur dies, daß die Stände noch an einen Reichstag in Regensburg und einen Reichshofrat in Wien Schreiben erlassen hätten. Sie riefen die Garantie von Mächten an, welche nur eben erst in Wien, in Gemeinsamkeit mit den übrigen, die Auflösung des Deutschen Reichs und die Erhebung des Herzogtums Württemberg zu einem Staat aufs neue konsolidiert, welche vernünftigerweise für die neuen deutschen Staaten landständische Verfassungen überhaupt, nicht die alten stipuliert – und in diesen Artikel hiermit die für einen neuen deutschen Staat einzig denkbare Garantie gelegt, wenn eine solche nötig sein sollte –, ja welche nicht einmal der französischen Nation, deren König sie soeben zum zweiten Mal auf seinen Thron zurückgeführt[580] hatten, die Schmach einer Garantie ihrer Charte aufgelegt hatten, viel weniger daß dieses Volk sie zu dieser letzten Erniedrigung seiner selbst aufgefordert hätte. – Auch haben die württembergischen Stände auf ihre Schreiben an jene drei Mächte, wie sich von selbst versteht, nie eine Antwort erhalten.

Der König ließ den Ständen in einem Erlaß vom 27. Juli das Unerklärliche ihres Benehmens bemerklich machen und überließ es ihnen, wenn es zu ihrer Beruhigung diene, eine doppelte oder dreifache Anzahl von Deputierten zu bestellen; er rückte den Termin der Vertagung auf den 28. hinaus, um der Versammlung noch einmal zur Besinnung Zeit zu lassen. Sie verfertigte den 28. noch eine breite Adresse wie die vorhergehenden, in einem Tone von rechthaberischer Gehässigkeit und böser Verbitterung, der mit dem Tone würdiger Haltung, ruhig bleibender Einfachheit und Beschränkung auf das Wesentliche der königlichen Resolutionen sehr kontrastiert; – den Ausdruck am Schlüsse der Adresse, daß durch diese Vertagung eine unheilbare Spaltung zwischen dem Könige und dem Lande herbeigezogen worden, hätte eine Ständeversammlung sich nie gestatten dürfen. – Sie ging nun auseinander.

Diese böse Bitterkeit, sollte sie an den rührenden Beweisen der Dankbarkeit des Volkes (unter anderen in einer der letzten Sitzungen an einer Nachtmusik) Anteil gehabt haben? Man hätte meinen können, daß nur der Pöbel daran Gefallen gefunden und sein Selbstgefühl darin hätte haben können. Über den König vermochte sie nicht, die Stände nicht mehr einzuberufen; sondern er widerlegte ihr Benehmen, sich nicht an die Sache und seinen erklärten Willen, sondern vornehmlich an ihre eigenen Imputationen von Absichten zu halten, dadurch, daß er sie auf den 16. Oktober desselben Jahres wieder zusammenberief. Wenn das Ministerium vor der ersten Zusammenberufung schon es höchst unwahrscheinlich hatte finden können, daß mit solchem Material, als sich für eine ständische Versammlung[581] vorfand, nichts Gedeihliches auszurichten sein würde, so konnte es nach der bisherigen Erfahrung von der Unmöglichkeit sich überzeugt und vor der ganzen Welt sich gerechtfertigt halten, wenn es sie nicht wieder einberief. Ein solches Beisammensitzen ist jedoch immer von unendlicher Wichtigkeit für die politische Erziehung, deren ein Volk und dessen Häupter bedürfen, das bisher in politischer Nullität gelebt [hatte] und dessen Erziehung nicht wie bei einem noch unbefangenen Volke nur ganz von vorne anzufangen war, sondern das auch in den harten Fesseln einer drückenden Aristokratie, einer darauf gebauten innerlichen Verfassung und in dem Mangel und der Verkehrtheit von Begriffen über Staats- und Freiheitsrechte oder vielmehr in Worten befangen war. Gegen solche Begriffe, die, wie man gesehen hat, mit dem fest und sicher gewordenen Interesse der herrschenden Kaste so eng zusammenhingen, läßt sich nicht mit Begriffen ein direkter Kampf eingehen, noch irgendeine direkte Wirkung davon erwarten; desto sicherer, jedoch unscheinbar ist die indirekte Wirkung, daß solchem Sinne Raum gegeben wird, sich mit sich selbst abzuhetzen und sich zutage zu bringen. Die nächste Wirkung aufs Publikum ist, daß es bald, wie sich solcher verschrobene Inhalt weiter entwickelt, von demselben und dessen Verteidigung nichts mehr versteht. Eine Folge, die Aufdeckung der Rechte des Schreiber-Instituts, und damit ein richtigeres und verbreiteteres Bewußtsein, wo ein bleibender Quell der Unterdrückung liegt – Charaktere und Handlungen der Regenten sowie die Umstände sind dagegen nur etwas Vorübergehendes –, ist betrachtet worden, und eine Wirkung wenigstens formeller Bildung wird sich fernerhin zeigen. Da es nach jenen Voraussetzungen nicht hatte gelingen können und nicht gelungen war, die Verfassung a priori einzuführen, so war nur dies übrig, die Stände auf den Weg ihrer Erziehung durch sich selbst zu versetzen – ein Weg, zu dem allerdings die Menschen auch das Recht haben; dem Fürsten und seinem Ministerium macht es Ehre, ihn im Zutrauen, daß derselbe,[582] ob er gleich vom entgegengesetzten Standpunkt ausging, notwendig dem Vernünftigen bewußtlos näherbringe, eröffnet zu haben.


In dem königlichen Erlaß vom 16. Oktober 1815 (XI. Abt., S. 26), womit die neue Sitzung eröffnet wurde, ist der Standpunkt der Verhandlungen nunmehr auf folgende klare Weise bestimmt, daß die Stände dafür halten, das Prinzip der rechtlichen Ansprache von Alt- und Neuwürttemberg auf die alte Verfassung müsse zuerst festgesetzt werden; der König müßte sich dadurch für verbunden erklären, auch das, was er bei Altwürttemberg für fehlerhaft halte, auf Neuwürttemberg zu übertragen; hierzu könne er nach seiner gegründetsten Überzeugung nicht verbunden sein. Wenn er auch überzeugt wäre, daß die Ansprache von Altwürttemberg auf seinen ehemaligen Rechtszustand für ihn noch verbindlich sei, was nicht der Fall sei, so könnte er sich dessen Herstellung, wenn es sich allein vom alten Lande handelte, leicht gefallen lassen; auch sei er nicht gemeint, die ehemaligen Rechtsverhältnisse der neuerworbenen Landesteile nicht zu berücksichtigen. Aber es könne nicht davon die Rede sein, die so verschiedenen Teile des Königreichs Jedes nach seinen eigentümlichen Normen einzurichten, sondern eine den alten und neuen Verhältnissen gleich angemessene Verfassung durch gemeinschaftliche Übereinkunft zustande zu bringen. – Es war ferner in dieser Eröffnung nicht mehr von der königlichen Verfassung die Rede; vielmehr Veränderungen, die sich der König als für das Staatswohl erforderlich vorbehielt, werden nur einzelne Bestimmungen genannt und sollen auf dem Wege der Unterhandlung geltend gemacht werden. Er erklärte ferner, aus der alten Verfassung das beizubehalten, was sich mit der gegenwärtigen Zeit und einer guten Staatsverwaltung nur immer vereinigen lasse. Die Anerkennung des alten Rechtsprinzips in seinem ganzen Umfang war für sich unnütz und der Natur der Sache widersprechend, aber das Wahrhafte durch die Anerkennung, daß alles Brauchbare[583] aus der alten Verfassung beibehalten werden sollte, erschöpft.

Was, ehe wir weitergehen, noch die Zusammensetzung der Stände betrifft, wie sie bei ihrer Wiedereröffnung erscheint, so hatten sich auch die meisten Virilstimmführer teils persönlich – darunter sechs Fürsten –, teils mit Übertragung ihrer Stimmen an Anwesende angeschlossen und eingefunden. Zwölf vom Adel hatten schon in einer Adresse vom 3. Mai (Abt. IV, S. 141 ff.) der Ständeversammlung das vorgetragen, worauf sie ihre Erwartungen und Wünsche in betreff der Vorrechte, die ihnen von ihren vormaligen in dem neuen Staatsorganismus bleiben sollten, beschränken. Diese ihrem Inhalt nach gemäßigten und, was gleichfalls wichtig ist, detailliert und bestimmt angegebenen Forderungen sind auch in offenem, freimütigem, jedoch entsprechendem Tone verfaßt. Konsulent Griesinger verlas zwar den 6. Juni (VI. Abt., S. 113) eine ihm über jene Adresse aufgetragene Relation, aber weil diese Sache ein Inhalt gewesen wäre, kam die Versammlung darüber zu keiner Beratschlagung, noch viel weniger zu einem Beschluß. – An jene Adresse hatte sich am 26. Juni (X. Abt., S. 24) der übrige Adel des Königreichs angeschlossen. Ingleichen hatte an demselben Tage (X. Abt., S. 26) ein anderer Teil der Standesherren, welche (I. Abt., S. 15) die Resultate des Wiener Kongresses über ihre staatsrechtlichen Verhältnisse erwarteten und konsequenterweise an den ständischen Verhandlungen keinen Anteil nehmen wollten, nunmehr nach Beendigung jenes Kongresses, wie auch der Herr Fürst von Öttingen-Wallerstein, sich erklärt, daran Anteil zu nehmen, – mit Bezug auf die ihnen durch die Bundesakte bestimmten Rechte, namentlich die ersten Standesherren in den Staaten, worin ihre Besitzungen gelegen sind, zu sein, oder in der Folge etwa noch ferner zukommenden Rechte und Befugnisse. – Mehrere Standesherren jedoch waren auch diesmal noch nicht erschienen. Auch erscheinen mehrere neugewählter Mitglieder anstatt voriger, die ihre Stellen als[584] Deputierte niedergelegt hatten. Es scheint, dieses Niederlegen von Stellen sowie das Erwählen neuer Deputierter hat keinen Anstand gehabt und das Ministerium es geschehen lassen, ohne daß in der königlichen Verfassungsurkunde etwas darüber bestimmt gewesen wäre. Es fehlte ohnehin auch noch an einem für jede Versammlung wesentlichen Erfordernis, einem Reglement, so sieht man die Versammlung in dieser neuen ersten Sitzung, wo solcher fürstlicher Glanz in sie eintrat, zu ihrer Achtungsbezeugung sich derselben Gebärde bedienen, die, wie oben angeführt, in der allerersten die Abstimmung über ihren Beschluß bedeutet hatte. – Soviel Unbestimmtheit nun noch in dem Verhältnisse der Standesherren zum Staate und zu einer Ständeversammlung lag, so konnte es genügen, daß sie sich jetzt als Standesherren des Königreichs anerkannten, – für eine Versammlung, die sich selbst noch ganz in derselben Unbestimmtheit befand und hielt. Wäre es ihr möglich gewesen, sich in Verfassungsmaterien von einem Inhalt einzulassen, so hätte jenes Ungenügende bald zum Vorschein kommen müssen.

Der König hatte in der Resolution vom 16. Oktober die Stände noch aufgefordert, ihre schon früher existierenden Bevollmächtigten zu Unterhandlungen so zu instruieren, daß ein für das Ganze geltender Vergleich geschlossen werden könne. Die Stände erwiderten mit einer zwölf kleingedruckte Blatt starken Adresse (XI. Abt., S. 263-286), für deren gründliche Ausarbeitung die Versammlung dem Herrn Bolley ihren Dank abstattete. Sie wiederholt in der gewohnten Manier die alten Ansichten; es bedarf es nicht, etwas davon auszuziehen, nur dies, daß es S. 269 heißt: auch eine oberflächliche Bekanntschaft mit der württembergischen Verfassung gebe die Überzeugung, daß sie ein für sich bestehendes geschlossenes Ganzes ausmachte; – man kann diesen Satz in einem Sinne zugeben, aber auch dies kaum, denn zu solcher Überzeugung oder vielmehr Urteil ist auch eine nur oberflächliche Bekanntschaft schon viel zu viel. – Es heißt ferner unter anderem darin, daß die Stände nicht zugeben können,[585] daß dem Volke seine Geschichte entrissen, alle früheren Grundgesetze zur Antiquität gemacht würden; – man könnte vielmehr fragen, ob eigentlich ein Volk eine Geschichte gehabt habe, das nicht ein selbständiger Staat, sondern nur ein Teil eines Volkes war, ob ein Volk in der Tat nicht dann erst eine Geschichte erhält, wenn es ein Staat wird. – Daß in dieser Adresse die Stände die Rechte der württembergischen Untertanen nicht angeben zu können erklären, weil ihnen das alte Landschaftsarchiv noch vorenthalten werde, ist oben angeführt, – als ob es in der Verfassung als solcher um einen Kodex des peinlichen und bürgerlichen Rechts usf. zu tun wäre und als ob die königliche Verfassungsurkunde nichts mehr von diesen Rechten hätte gelten lassen! – Die einfache und eintönige Schlußbitte ist, daß der König die altwürttembergische Verfassung als eine für das ganze Königreich gültige Regel, einzig mit dem Vorbehalt solcher Modifikationen, welche nach beiderseitigem Anerkenntnis notwendig oder zweckmäßig sind, feierlich anerkenne.

Die Stände hatten anfangs nur solche Modifikationen der altwürttembergischen Verfassung zugegeben, welche sich auf die Einverleibung des Adels und die Gemeinsamkeit der Rechte der Protestanten und Katholiken bezogen; nach ihrer Adresse sollte die jetzt zu errichtende »Verabschiedung« zu dem Chaos der alten Landesgesetze, die oben hererzählt worden, nur hinzukommen. Wenn dieselbe nur jene zwei Gegenstände betreffen sollte, so wäre es noch immer dieselbe unhaltbare Vorstellung oder vielmehr die ganz leere Täuschung gewesen, im übrigen die alte Verfassung ohnehin die altwürttembergische mit Hintansetzung und Unterdrückung aller Ansprüche der neuwürttembergischen Gebietsteile auf ihre eigentümlichen Rechte – unter der ganz veränderten Stellung des Königreichs gegen das Herzogtum eintreten lassen zu wollen. Aber so wie jene zu treffende Vereinbarung mehr enthalten sollte – und die Natur der Sache hätte dies von selbst herbeigeführt, auch die Bitte der Adresse spricht in allgemeineren Ausdrücken davon –, so bestimmt sich der[586] Gegensatz der königlichen Willensmeinung und der ständischen Forderung dahin, ob die königliche Verfassung mit der Zugestehung, daß über Modifikationen derselben übereinzukommen wäre, oder die altwürttembergische mit demselben Zugeständnis zugrunde gelegt werden solle. Wenn bei diplomatischen Unterhandlungen es vorkäme, daß der eine Teil die Zugrundelegung seiner Proposition mit dem Zugeständnis weiterer Modifikationen, über die übereinzukommen wäre, und der andere Teil dasselbe gefordert hätte, so würde, da die Sache ganz dieselbe ist, nach dem Sprichworte der Gescheiteste nachgeben.

Im königlichen Reskripte vom 13. November, welches endlich, freilich nicht über die Sache, aber doch über den Gang des bisherigen Libellierens der Stände eine Entscheidung herbeiführte, wurde sich auf die wesentlichen rechtlichen Behauptungen der Stände, besonders der Inkorporation eingelassen und in einer besonderen Beilage deren Seichtigkeit aufgezeigt, der Hauptstandpunkt wiederholt, daß es sich um eine Staatsverfassung handle, wodurch die neuen und alten Lande in ein staatsrechtliches Ganzes vereinigt werden. Der König erklärt, daß er, bei aufgehobener deutscher Reichsverfassung, wo es bei einer Rechtsungewißheit auch keine Richter mehr gebe, sich auf eine bloß allgemeine Anerkennung der alten Landesverträge ohne eine ins Einzelne gehende Angabe ihres Inhalts nicht einlassen könnte. Vorerst wäre eine vollständige und deutliche Entwicklung dieses in vielen Urkunden zerstreuten, oft zweifelhaften Inhalts unerläßlich, damit die verfassungsmäßigen Bestimmungen nicht mehr ausschließliches Eigentum einiger weniger (der alten Komitee-Herren, vielleicht auch unter diesen nicht aller und vornehmlich nur ihrer Konsulenten) [seien], sondern vielmehr Gemeingut des Volkes werden können. – In dem unseligen Falle, daß ein Vergleich über eine gemeinsame Verfassung nicht zustande kommen sollte und die Stände sich noch ferner weigerten, auf Unterhandlungen für eine solche einzugehen, würde der König in[587] seinem Stammlande die herkömmliche Repräsentation, in seinen neuen Ländern hingegen eine auf eine wahrhafte Nationalrepräsentation gegründete Verfassung mit Rücksicht auf ihre früheren Rechtsverhältnisse einzuführen entschlossen sein. Der König ließ den Ständen ferner (in einer zweiten Beilage) Fundamentalpunkte mitteilen, die keinem Unbefangenen (gewiß!) ungeeignet scheinen können, den Unterhandlungen über eine gute Verfassung zur Grundlage zu dienen.

Die Vernunft der Sache schlug doch so weit durch, daß die Versammlung sich, freilich zu etwas bloß Formellem, zu Unterhandlungen entschloß. – Der Herr Fürst von Öttingen-Wallerstein trug (XIII. Abt., S. 138) darauf an, daß nach einer zureichenden Frist die Mitglieder ihre Ansichten über das königliche Reskript vortragen und dann ein Komitee sie begutachten sollte. Dieser Vorschlag störte den gewöhnlichen Weg, den Bericht über eine königliche Proposition sogleich einem Komitee, und wohl von den gewöhnlichen Mitgliedern, zu übertragen und die Einmütigkeit des Beschlusses der Versammlung, worauf solches Komitee eine Art von Monopol erlangt hatte, von selbst folgen zu sehen. Es wurde doch beliebt, nicht ein Komitee, sondern vier Referenten zu wählen. Schon seit einiger Zeit war es überdies vorgekommen, daß auch von einem zum Berichten und Gutachten gewählten Komitee jedes einzelne Mitglied seinen Aufsatz in die Versammlung brachte und verlas; es schien, als ob selbst ein Komitee von wenigen es nicht zu einer Beratschlagung und Beschluß unter sich, sondern nur zu einer Folge von Monopolen brachte. – Es wurden nun in folgenden Sitzungen viele Aufsätze abgelesen, deren mehrere dahin gingen, daß man auch so sich noch nicht in Unterhandlungen einlassen könne; z.B. es handle sich de iuribus singulorum, über welche die Stimmenmehrheit der Versammlung nicht entscheiden könne, – ein heiliger Grundsatz des vormaligen Staatsrechts des Deutschen Reichs, in dem eben das Grundübel und das Grundunrecht darin bestanden[588] hatte, daß aus den Rechten des Staats Iura singulorum geworden waren.

Unter anderen Stimmen des besseren Sinnes entgegnete Herr von Varnbüler (XV. Abt., S. 59) dem Herrn Lang, der die Ermahnung gemacht, das Gewissen in acht zu nehmen und »mit Pathos zugerufen hatte«: »Keine Unterhandlung«, – daß er (Herr v. V.) vielmehr bei solchem Vorschlage das Gewissen für gefährdet halten müsse, daß es dadurch am Ende viel eher dazu kommen könne, gar keine Verfassung zu erhalten. »Damit«, fährt er fort, »daß die alte Verfassung rechtlich fortdauert, ist dem Volke nicht geholfen, und mit gelehrten Abhandlungen können wir ihm nicht antworten, wenn es uns dereinst zurufen sollte: ›Ihr habt ein vermessen Spiel getrieben; ihr habt alles an nichts gesetzt; man hat uns geben wollen:

Mitwirkung an der Gesetzgebung,

das Recht der Steuerbewilligung,

das alte Kirchengut,

Rechenschaft über die Staatsausgaben,

persönliche Freiheit,

Verantwortlichkeit der Staatsdiener,

das Auswanderungsrecht,

die fortdauernde Wirksamkeit der Stände,

aber ihr habt alles verworfen! Wer ist Schuld, daß wir alles verloren haben?‹« – Es ist merkwürdig, daß mehrere Herren von Adel sich hier durch gemäßigtere und unbefangenere Ansichten vor anderen Deputierten auszeichneten. – Herr Bolley glaubte (XV. Abt., S. 6), bei der Mißbilligung, die ihm schon während seines Vertrags nicht entgangen, sich verteidigen zu müssen; er meinte den Vorwurf von Bitterkeit und Spott nicht verdient zu haben, und wohl nur sein starkes Organ, womit er den Vortrag gehalten, habe einigen Anstoß verursacht.7 – Es scheint, die Versammlung sei der[589] Adressen von dem vorigen Stil und Breite überdrüssig gewesen, und ein ohne Bitterkeit, Rechthaberei und Verunglimpfungen der königlichen Absichten verfaßter schlichter Entwurf des Herrn Dr. Weishaar zu einer Adresse wurde von der Versammlung mit 57 gegen 49 Stimmen in der Sitzung vom 23. November angenommen. Darin wird mit Bezeugung der Beruhigung und des Danks anerkannt, daß die Hindernisse zu einer Vereinigung gehoben seien, und die Ernennung der Bevollmächtigten der Stände zu Vergleichsverhandlungen wird angezeigt. – Herr Bolley bemühte sich nach diesem gefaßten Beschluß in der folgenden Sitzung, noch während die Stimmzettel zur Wahl der Unterhandlungskommissarien übergeben wurden, durch Vortrag seiner Bedenklichkeiten noch die Einschaltung einiger Verwahrungen in die Adresse durchzusetzen, durch deren gar zu große diplomatische Feinheit die Stände ihrem bisherigen Charakter nicht treu geblieben seien; – in der Tat stach das Schlichte, Offene und Einfache derselben gegen den entgegengesetzten Charakter der bisherigen sehr ab. – Die Versammlung blieb jedoch bei ihrem Beschlusse.

In der Instruktion der ständischen Kommissarien sollte als der Zweck aufgenommen werden, daß ein bloß akzessorischer Rezeß zustande komme; dies ward verworfen, jedoch dagegen von Herrn Bolley noch der feine Zusatzartikel durchgesetzt (XVI. Abt., S. 47), daß die ständischen Kommissarien eine schickliche Gelegenheit ergreifen sollen, über den Hauptzweck des Vertrags im Sinne der früheren Eingaben bestimmt sich zu erklären; – in diesen war, wie oben angeführt, ein Vergleich auf solchen Rezeß beschränkt. Die[590] Unterhandlungen umfaßten jedoch den ganzen Umfang der Verfassungsgegenstände. – Die beiderseitigen Kommissarien hielten am 4. Dezember 1815 die erste Konferenz. Späterhin (den 17. Januar 1816) wurde den ständischen ein instruierendes Komitee von 12, und weiterhin (den 29. Februar) von 25 Mitgliedern an die Seite gesetzt. Der vornehmste Teil der Arbeiten sowohl dieser Mitglieder als auch anderer, denen es beliebte, bestand darin, Materialien über Kapitel der alten Verfassung nach einem zugrunde gelegten Plane zu sammeln und dann die einzelnen Gegenstände in einen geordneten Zusammenhang von Sätzen zu redigieren, über deren Inhalt und Fassung das Komitee übereinkam und die ständischen Kommissarien in Verhandlungen mit den königlichen traten. Da die Stände einmal ihre Abneigung oder Unfähigkeit an den Tag gelegt hatten, etwas Allgemeines aufzufassen und von solchem auszugehen, so waren auch die dem königlichen Reskript vom 13. November beigegebenen Fundamentalartikel von der Versammlung ganz beiseite gesetzt und ignoriert worden. Indem nun von der Zusammenstellung des Einzelnen ausgegangen wurde, stellte sich aber von selbst das Bedürfnis ein, diese Materialien auf allgemeine Sätze zurückzuführen, wozu der Herr Fürst von Öttingen-Wallerstein (XVII. Abt., S. 58 und ebenda S. 145) den Antrag machte. Dieses Aufsteigen zum Allgemeinen gehört zur formellen Seite der politischen Erziehung einer neuen Ständeversammlung.

Die Früchte dieser Redaktion sind besonders im Druck erschienen als Entwurf des zu erneuernden württembergischen Verfassungsvertrags. Nach Beschlüssen des ständischen Instruktionskomitees 1816. – Diese Arbeit hat ein anderes Aussehen als eine Sammlung von Landtagsabschieden, Allerhandordnungen usf., so wie sie auch von der alten Verfassung dem Inhalt nach in wesentlichem abweicht. Eine solche geordnete Zusammenstellung von bestimmten Sätzen macht durch die Tat die früheren Grundgesetze zu Antiquitäten. Die dem Entwurfe angehängte Generalklausel, welche früher[591] der Ständeversammlung schon am Herzen gelegen hatte, daß alle Landes- und Hausgrundgesetze des vormaligen Herzogtums, insofern sie nicht durch jenen Entwurf verändert worden, ihre fortdauernd verbindende Kraft behalten, muß immer teils als etwas Unschuldiges der Beruhigung des formellen Gewissens nachgegeben werden, teils ist eine Verfassung überhaupt zwar etwas Festes, aber nichts schlechthin Ruhendes, sondern das Beisammensein einer Ständeversammlung ist es vornehmlich, deren Arbeiten ein beständiges, ruhiges Fortbilden derselben ist. – Dies ist die wahrhafte Generalklausel, welche der Weltgeist für sich an Jede Bestehende Verfassung hängt. – Die Tätigkeit einer Ständeversammlung, insofern sie nämlich einen Stoff und Inhalt haben – sonst sind es ohnehin keine Arbeiten - , oder schon die jetzige Bearbeitung eines Verfassungsentwurfs macht das formelle Rechtsprinzip ohne weiteren Inhalt, welches für diese Versammlung monatelang ihr höchstes Ziel war, von selbst aus den Köpfen schwinden. Eine zusammenhängende Arbeit über ein Ganzes von Verfassung in bestimmten Sätzen macht es ferner für sich unmöglich, sich bloß an positive Bestimmungen bei der Verworrenheit, Zerstreutheit und überhaupt Menge Jener angeführten unzähligen Urkunden und Reskripte zu halten, und führt es herbei, seinen eigenen Verstand und Vernunft, wie im sogenannten natürlichen Staatsrecht, zu gebrauchen. – Wirkungen, die sich bewußtlos durch die Natur der Sache in den Köpfen gegen ihre steifsten und aufs entschiedenste ausgesprochenen Vorstellungen von selbst ergeben, sind immer das wichtigste Resultat, wegen dessen Gewißheit hellsehende Ministerien, wie auch das württembergische tat, über die vorangehenden Erscheinungen von Leidenschaftlichkeit, Vorurteilen, verkehrten Begriffen, Gehässigkeit usf. hinwegblicken.


Was aber noch die Geschäfte der Ständeversammlung selbst vom Dezember 1815 bis in denselben Monat 1816 betrifft, so bezogen sie sich teils auf andere als Verfassungsgegenstände,[592] teils auf diese. Zu jenen gehörten unter anderen zum Teil partikuläre Weiterungen in betreff der Standesherren; es ist schon vorhin berührt worden, daß nicht wohl abzusehen ist, wie noch jetzt eine deutsche ständische Versammlung in Wirksamkeit treten soll, wenn diese Verhältnisse nicht vorher bestimmt sind. Wenn eine solche Versammlung selbst, wie es hier anfangs erschien, als Mittel gebraucht werden soll, die Ansprüche dieses Standes erst geltend zu machen, so zeigen sich eben damit die Stände als noch nicht organisiert. – Unter den übrigen, hier auch schon wegen ihres geringen Interesses zu übergehenden Angelegenheiten – das Institut des Schreiberunfugs ist oben betrachtet worden – machte insbesondere die königliche Ausschreibung und Beitreibung der Jahressteuern große Bewegung. Auch hatte der König am 20. Oktober 1815 angefangen, den Ständen manche in den Berichten der Ministerien enthaltenen Erläuterungen und Berichtigungen dessen, was sie in ihrem Beschwerdenaufsatz vorgetragen, auch einige dadurch veranlaßte abändernde Bestimmungen zugehen zu lassen. In den Erläuterungen wurde die Seichtigkeit mancher im genannten Aufsatze vorgetragener Ansichten aufgezeigt. Die Versammlung bestellte nachher ein Komitee über diese Gegenstände, aber löste es später wie ihre meisten Komitees auf, ohne daß die Sachen weiter behandelt wurden. Die sämtlichen nicht im Unterhandlungs komitee begriffenen Mitglieder wurden den 29. Februar in ein großes Komitee von mehreren Sektionen vereinigt, welche die Beschwerden und allgemeinen Materien unter sich verteilen und besonders bearbeiten sollten. – Es ist aber von den Arbeiten dieser Sektionen eben nichts zum Vorschein gekommen. Wäre es durch ihre Arbeiten zu einer wirksamen Verhandlung mit dem Ministerium gekommen, so wäre geschehen, was schon früher verworfen war, nämlich ein Einlassen auf die Beschwerden.

Bei laufenden Gegenständen, wie die Ausschreibung und Beitreibung der Jahressteuern und anderen, kam der Anlauf, den die Versammlung von Zeit zu Zeit zu nehmen sich getrieben[593] fühlte, gegen ihr Verhältnis ins Gedränge. Sie konnte weder als altwürttembergische Ständeversammlung Rechte der Mitwirkung ausüben – denn eine solche war sie nicht –, noch Rechte, die ihr aus der königlichen Charte zugestanden hätten – denn diese wollte sie nicht –, ebensowenig nach dem neuen Vergleich, denn dieser war noch nicht zustande gekommen. Daher kommen noch späterhin über diese Verlegenheit, ob die Versammlung hierzu kompetent, konstituiert oder nicht konstituiert sei, im Juni 1816 (XXV. Abt.) Diskussionen vor. Das königliche Ministerium wies die Versuche der Stände, sich als konstituiert geltend zu machen, mit der Natur ihres damaligen Verhältnisses zurück.

Das Geschäft in betreff des Verfassungsvergleichs aber hatte die Versammlung an ihre Kommissarien und Komitees übertragen. Anfangs (vom 1. Dezember 1815) hielt sie die Sitzungen, worin ihr über solche Gegenstände referiert wurde, geheim und führte abgesonderte Protokolle darüber. Nachdem aber das Detail der Unterhandlungen dem Komitee übertragen war, hob sie (den 25. Januar 1816) dies Geheimhalten wieder auf. – Früher schon, den 15. desselben Monats (XVII. Abt., S. 144), machten die Kommissarien den Antrag, daß nicht die einzelnen Abschnitte der Verfassungsarbeit vor die Versammlung gebracht, sondern das Ganze vorher vollständig bearbeitet werde. Herr Knapp trug im Komitee (13. Februar 1816, XIX. Abt., S. 75) unter anderem vor, daß bei der angeordneten Manier der Unterhandlungen, außerdem daß sie als eine diplomatische sich nicht zum Verhältnisse zwischen dem Könige und [den] Ständen zieme, nur fünf Mitglieder [regelmäßig] und sieben (damals bestand das Komitee aus zwölf) nur zuweilen tätig und wirksam, alle anderen aber fast bloß mit unbedeutenden Gegenständen beschäftigt wären. Über die Frage, wie während der Unterhandlungen die Versammlung überhaupt und in Beziehung auf die Verfassung ihren Beruf ausüben solle, wurde jetzt (den 29. Februar 1816, XX. Abt., S. 28) der Beschluß gefaßt, daß nicht ein Kapitel nach dem anderen,[594] sondern dereinst der ganze Konstitutionsentwurf zur Deliberation der Stände gebracht und diesen indes vom Komitee über den Gang der Verhandlungen im allgemeinen von Zeit zu Zeit referiert werden solle. Nachher geschah auch die vorhin erwähnte Vereinigung der übrigen Versammlung in ein Komitee von mehreren Sektionen.

So befand sich die Versammlung von selbst in dem Verhältnis, das der König durch ihre Vertagung Ende Juli 1815 hatte wollen eintreten lassen, das ihre Leidenschaft so sehr aufgeregt und mit welchem sie in der Sache nicht mehr viel zu verlieren zu haben glaubte. Den Überfluß ihres Beisammenseins während eines ganzen Jahres ohne reelle Wirksamkeit, weder für die Verfassung noch für andere Gegenstände, hatte, wie es scheint, die Betrachtung der Kostenvermehrung nicht zu entfernen vermocht. Herr Knapp sagte in einem Vortrage vom 9. Februar 1816 (XIX. Abt., S. 23), man höre jetzt schon und nicht mit Unrecht die Frage: »Wozu eine Versammlung von mehr als hundert Männern, wozu ein täglicher Aufwand von mehr als hundert Dukaten, wenn nur wenige die Geschäfte zu besorgen oder [die übrigen] nur mit minder wichtigen Gegenständen sich zu beschäftigen haben, die ebenfalls durch wenige besorgt werden konnten?« – Die Versammlung ist die Antwort schuldig geblieben.

Von dem Verfassungsentwurf wurden nun das Jahr über der Versammlung von Zeit zu Zeit, teils aus Auftrag der Komitees einzelne Kapitel, teils auch sonstige Aufsätze und sogenannte Materialien für einen solchen Entwurf verlesen. Alsdann konnten auch die Allgemeine Zeitung und andere »unbekannte« Schriftsteller dafür angesehen werden, an den Geschäften und der Unterhaltung der Versammlung teilzuhaben. Das Recht des freimütigen Urteils und andere Stimmen als die bisherigen Lobpreisungen der Zeitungen und Journale schienen ihr etwas so Fremdes zu sein, daß gegen Zeitungsartikel und Broschüren sogut als gegen königliche Reskripte Deliberationen angestellt, Komitees ernannt und weitläufige Arbeiten und Aufsätze, welche zu Büchern wurden,[595] vor der Versammlung verlesen wurden, die sich durch sie rechtfertigen und die, wie man es nannte, »gegen sie ausgeheckten Schmähungen und Verleumdungen« mitunter auf eine possierliche Weise widerlegen, wie man es gleichfalls nannte, hörte.

In der Sitzung vom 17. September 1816 (XXX. Abt., 1. St., S. 32) wurde angezeigt, daß das Instruktionskomitee seine auf die Verfassung sich beziehenden Arbeiten geendigt habe, welche der Versammlung nun nach und nach vorgelegt werden sollten. Einige derselben wurden noch vorgelesen. Aber auch in diesem letzten Vierteljahre kam die Versammlung nicht zu einer Beratschlagung, noch viel weniger zu Beschlüssen darüber. – Kurz vor dem in der Nacht vom 29. auf 30. Oktober 1816 erfolgten Tode des Königs Friedrich II. war in der Versammlung noch einmal den 24. Oktober (XXXII. Abt., S. 48) der Unwille gegen Schreiberei-Unfug laut geworden. Die Anzeige eines schreienden Falls schien sie aus der bisherigen Lethargie darüber zu reißen. Das dafür ernannte Komitee wurde verstärkt, und da Herr Knapp »wegen seit acht Monaten überhäuften Verfassungsgeschäften« den ihm übertragenen Bericht nicht hatte fertigen können und die Versammlung zu keiner Beratung gekommen war, ward den 21. November eine Adresse (XXXIII. Abt., S. 99 f.) nun an den neuen Regenten eingegeben und derselbe um Niedersetzung einer herr- und landschaftlichen Kommission gebeten, welcher Jetzt die Arbeit aufgetragen werden sollte, die man bisher von den Ständen erwartet hatte. Für die gemeinschaftliche Arbeit mit königlichen Deputierten wird angeführt: weil diese große Erfahrung mitbringen, die nur die obersten Behörden haben können, – ein Eingeständnis, das auch wohl bei Abfassung eines Beschwerdenaufsatzes, der Organisation von Landständen und anderen Fällen hätte vorschweben dürfen. – Weil aber »jeder Monat Verzug das Land empfindlich beschädige« (warum hatte die Versammlung mit einer Arbeit von ihrer Seite so viele Monate gezaudert? ihr erstes Komitee hatte sie den[596] 13. Mai 1815, also vor achtzehn Monaten niedergesetzt), so legte sie nur ein Komiteegutachten über provisorische Mittel vor, das sie übrigens nicht zu dem ihrigen gemacht und auch hierüber Jetzt noch von ihrer Seite keine Vorschläge zur Abhilfe zustande gebracht hatte. Nachdem nun der König am 6. Dezember (XXXIII. Abt., S. 150) den Ständen zu erkennen gegeben, daß er dem Geheimen Rate die Prüfung des Entwurfs einer Verfassungsurkunde und des daraus hervorgegangenen Gegenentwurfs aufgetragen, und sie bis auf den 15. Januar 1817 vertagt hatte, ging die Versammlung auseinander.


Nach dieser so weitläufigen Darstellung – deren Gegenstand man verkennen würde, wenn man ihr den Zweck einer Verteidigung von etwas anderem als von dem mit dem höchsten Interesse verknüpften Begriffe der Landstände gegen die ihm so unangemessene und doch so anmaßliche Wirklichkeit, die sich durch den Druck ihrer Verhandlungen dem Publikum geschildert und zur Beurteilung hingestellt hat, unterlegen wollte – ist nur noch das merkwürdige Endresultat anzuführen, das Schicksal dieser Versammlung nämlich, durch den ganzen Lauf ihres langen und teuren Zusammenseins ohnehin nicht eine Übereinkunft mit dem Könige, aber auch nicht innerhalb ihrer selbst einen Beschluß über irgendeinen Inhalt eines Verfassungsgegenstandes zuwege gebracht zu haben.[597]


Fußnoten

1 Da in der Landesversammlung des vormaligen Herzogtums Württemberg die sämtlichen vierzehn Prälaten Sitz und Stimme hatten, so waren sie somit darin nicht repräsentiert, sondern traten als Virilstimmen, als Pairs auf.


2 Nach dieser Terminologie hieße z.B. auch die Erbauung einer neuen Brücke, eines Rathauses usf. ein Schaden.


3 S. 64 a. a. O. wird angeführt, daß »der Herzog Karl im Jahre 1760 den übermäßigen Schreiberverdienst der Stadt- und Amtsschreiber zum Vorwand gebrauchte, um diese zu einem gezwungenen Anlehen von 50000 Fl. an die Kriegskasse zu nötigen«. – Jener Vorwand ließe sich wenigstens als ein ebenso guter Grund und diese despotische Handlung leicht als geradeso gerecht betrachten als jene Lehensgefälle und Bezüge der Stadt- und Amtsschreiber selbst.


4 Man erstaunt über das daselbst ausführlich angegebene Detail von dem Aussaugen der Gemeinden durch das Schreibereiwesen; es finden sich darunter die Berechnungen von Ortschaften, in welchen die Schreibe reikosten sich auf 6 3/4 und 7 Steuern belaufen.


5 Was im Nov. 1816 noch geschehen, wird unten erwähnt werden.


6 Spittler in der Sammlung einiger Urkunden und Aktenstücke zur neusten württembergischen Geschichte, Göttingen im Jahre 1796, sagt in dem Entwurf einer Geschichte des engeren landschaftlichen Ausschusses, II. Teil, S. 395 f.: »In manchem Lande ist die gut eingerichtete Kollegienverfassung desselben eine weit bessere Schutzwehr des allgemeinen Wohls geworden als selbst die ständische Konstitution. Daher ruht denn auch oft auf diesem und jenem landesherrlichen Kollegium eine allgemeine Ehrerbietung des ganzen Publikums, indessen das ständige Korps zu einer Nichtachtung herabsinkt, die bei der ursprünglichen Bestimmung desselben fast unmöglich sein sollte und doch überall unverkennbar hervorbricht.« – An noch vieles andere aus jenem Aufsatze, das auch auf die neueren Verhältnisse Anwendung fände, konnte erinnert werden; nur dies noch: S. 444 heißt es in Ansehung der Einrichtung der Kontrolle über die Verwaltung der Landeskasse durch den engeren Ausschuß, daß nicht leicht eine schlechtere Kontrolle aufgefunden werden mochte, daß aber, einige Menschlichkeiten abgerechnet, im ganzen trakta tenmäßig gewirtschaftet worden sei. – Damals war die oben angeführte Bewirtschaftung der Landeskasse noch nicht ans Licht gezogen worden. – Ebenso merkwürdig ist, was S. 445 f. darüber vorkommt, wie die Mandanten, die Städtemagistrate von der Kenntnis und dem Verständnis der Rechte immer mehr abkamen, daß ihre Ungeschicklichkeit keine Rechte und die Unwissenheit keine Autorität mehr – gegen die Komitee-Herren – behaupten konnte, – wie es nicht anders gehen konnte, da die allgemeinen Angelegenheiten nicht mehr volksmäßig, sondern advokatenmäßig und überdem geheim betrieben wurden; ferner wie auf Landtagen das Verhältnis zwischen den Ausschüssen und den übrigen Landtagsdeputierten sich machte, die Komitee-Herren referierten und die Vota der übrigen »gleichsam nur für die Langeweile gehört worden seien«.


7 In der XVI. Abt., S. 161, bemerkt der Herr Fürst von Waldburg-Zeil, daß »die meisten Vorträge so schnell und so wenig laut vorgelesen werden« (es hatte In dieser Sitzung nur Herr Bolley Vorträge Im Namen eines Komitees über den Entwurf einer Adresse und in der vorhergehenden diesen Entwurf selbst abgelesen), »daß, wenn man nicht genau instruiert sei« (wie das Komitee), »man den ganzen Inhalt nicht fassen könne«. Jener Umstand, von dem auch oben schon die Rede gewesen, vergesellschaftet sich leicht mit dem Vorlesen von Aufsätzen, ist aber für die eigene Einsicht einer Versammlung in die Sache nicht förderlich, die sich um so leichter dadurch veranlaßt sieht, sich auf ihre Komitees zu verlassen und einmütig in ihre Gutachten einzugehen.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 4, Frankfurt a. M. 1979.
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