[Über Reinholds Ansicht und Philosophie]

[116] Es ist noch übrig, teils etwas von Reinholds Ansicht der Fichteschen und Schellingschen Philosophie, teils von seiner eigenen zu sprechen.

Was jene Ansicht betrifft, so hat Reinhold fürs erste die Differenz beider als Systeme übersehen und sie fürs andere nicht als Philosophien genommen.

Reinhold scheint nicht geahnt zu haben, daß seit Jahr und Tag eine andere Philosophie vor dem Publikum liegt als reiner transzendentaler Idealismus; er erblickt wunderbarerweise in der Philosophie, wie sie Schelling aufgestellt hat, nichts als ein Prinzip des Begreiflichen der Subjektivität, die Ichheit. Reinhold vermag in einer Verbindung zu sagen, Schelling habe die Entdeckung gemacht, daß das Absolute, inwiefern dasselbe nicht bloße Subjektivität ist, nichts weiter sei und sein könne als die bloße Objektivität oder die bloße Natur als solche, und der Weg hierzu sei, das Absolute in die absolute Identität der Intelligenz und der Natur zu setzen, – also in einem Zug das Schellingsche Prinzip so vorzustellen: a) das Absolute, inwiefern es nicht bloße Subjektivität ist, sei es bloße Objektivität, also nicht die Identität beider, und b) das Absolute sei die Identität beider. Umgekehrt mußte das Prinzip der Identität des Subjekts und Objekts der Weg werden, um einzusehen, daß das Absolute als Identität weder bloße Subjektivität noch bloße Objektivität sei. Richtig stellt nachher Reinhold das Verhältnis der beiden Wissenschaften so vor, daß beide nur verschiedene Ansichten von einer und ebenderselben – Sache freilich nicht, von der absoluten Dieselbigkeit, von dem Alleins seien. Und eben deswegen ist weder das Prinzip der einen noch das Prinzip der anderen bloße Subjektivität noch bloße Objektivität, noch weniger das, worin sich beide allein durchdringen, die reine[116] Ichheit, welches wie die Natur im absoluten Indifferenzpunkt verschlungen wird.

Wer, meint Reinhold, durch Liebe und Glauben an Wahrheit und nicht durch System eingenommen ist, werde sich leicht überzeugen, daß der Fehler dieser beschriebenen Auflösung in der Art und Weise der Fassung der Aufgabe liegt, – aber worin der Fehler der Reinholdischen Beschreibungen von dem, was nach Schelling Philosophie ist, liegt und wie diese Art und Weise, sie zu fassen, möglich war, darüber ist nicht so leicht Aufschluß zu finden.

Es kann nichts helfen, auf die Einleitung des transzendentalen Idealismus selbst, in welcher sein Verhältnis zum Ganzen der Philosophie und der Begriff dieses Ganzen der Philosophie aufgestellt ist, zu verweisen; denn in seinen Beurteilungen desselben schränkt Reinhold sich selbst auf diese ein und sieht das Gegenteil darin von dem, was darin ist. Ebensowenig kann auf einzelne Stellen derselben aufmerksam gemacht werden, worin der wahre Gesichtspunkt aufs bestimmteste ausgesprochen wird; denn die bestimmtesten Stellen führt Reinhold in seiner ersten Beurteilung dieses Systems selbst an, – welche enthalten, daß nur in der einen notwendigen Grundwissenschaft der Philosophie, im transzendentalen Idealismus, das Subjektive das Erste sei, nicht, wie in Reinhold die Sache unmittelbar sich verkehrt stellt, das Erste der ganzen Philosophie, noch als rein Subjektives auch nur Prinzip des transzendentalen Idealismus, sondern als subjektives Subjekt-Objekt.

Für diejenigen, die fähig sind, aus bestimmten Ausdrücken nicht das Gegenteil derselben zu vernehmen, ist es vielleicht nicht überflüssig, außer der Einleitung zum System des transzendentalen Idealismus selbst und ohnehin den neueren Stücken der Zeitschrift für spekulative Physik, schon auf das zweite Stück, des ersten Bandes derselben aufmerksam zu[117] machen, worin sich Schelling so ausdrückt: »Die Naturphilosophie ist eine physikalische Erklärung des Idealismus;... die Natur hat von ferne schon die Anlage gemacht zu dieser Höhe, welche sie in der Vernunft erreicht. Der Philosoph übersieht dies nur, weil er sein Objekt mit dem ersten Akt schon in der höchsten Potenz, – als Ich als mit Bewußtsein begabtes aufnimmt, und nur der Physiker kommt hinter diese Täuschung... Der Idealist hat recht, wenn er die Vernunft zum Selbstschöpfer von allem macht,... er hat die eigene Intention der Natur mit dem Menschen für sich; aber eben weil es die Intention der Natur ist,... wird jener Idealismus selbst... etwas Erklärbares, und damit fällt die theoretische Realität des Idealismus zusammen. Wenn die Menschen erst lernen werden, rein theoretisch, bloß objektiv ohne alle Einmischung von Subjektivem zu denken, so werden sie dies verstehen lernen.«

Wenn Reinhold das Hauptgebrechen der bisherigen Philosophie darein setzt, daß man bisher das Denken unter dem Charakter einer bloß subjektiven Tätigkeit vorgestellt hat, und fordert, den Versuch zu machen, von der Subjektivität desselben zu abstrahieren, so ist, wie es nicht nur in dem Angeführten, sondern im Prinzip des ganzen Schellingschen Systems liegt, die Abstraktion vom Subjektiven der transzendentalen Anschauung der formelle Grundcharakter dieser Philosophie, – der noch bestimmter [in der] Zeitschrift für spekulative Physik, II. Bd., I. St. zur Sprache gekommen ist, bei Gelegenheit der Eschenmayerschen Einwürfe gegen die Naturphilosophie, die aus Gründen des transzendentalen Idealismus genommen sind, in welchem die Totalität nur als eine Idee, ein Gedanke, d. i. ein Subjektives gesetzt wird. Was die Reinholdische Ansicht der gemeinschaftlichen Seite beider Systeme betrifft, spekulative Philosophien zu sein, so erscheinen sie dem eigentümlichen Standpunkt Reinholds notwendig als Eigentümlichkeiten und demnach nicht als[118] Philosophien. Wenn es nach Reinhold das wesentlichste Geschäfte, Thema und Prinzip der Philosophie ist, die Realität der Erkenntnis durch Analysis, d.h. durch Trennen zu begründen, so hat die Spekulation, deren höchste Aufgabe ist, die Trennung in der Identität des Subjekts und Objekts aufzuheben, freilich gar keine Bedeutung, und die wesentlichste Seite eines philosophischen Systems, Spekulation zu sein, kann alsdann nicht in Betracht kommen; es bleibt nichts als eine eigentümliche Ansicht und stärkere oder schwächere Geistesverirrung. So erscheint z.B. Reinhold auch der Materialismus nur von der Seite einer Geistesverirrung, die in Deutschland nicht einheimisch sei, und er erkennt darin nichts von dem echten philosophischen Bedürfnis, die Entzweiung in der Form von Geist und Materie aufzuheben. Wenn die westliche Lokalität der Bildung, aus der dies System hervorgegangen ist, es aus einem Lande entfernt hält, so ist die Frage, ob diese Entfernung nicht aus einer entgegengesetzten Einseitigkeit der Bildung herstammt; und wenn sein wissenschaftlicher Wert auch ganz gering wäre, so ist zugleich nicht zu verkennen, daß z.B. im Système de in nature sich ein an seiner Zeit irregewordener und sich in der Wissenschaft reproduzierender Geist ausspricht, und wie der Gram über den allgemeinen Betrug seiner Zeit, über die bodenlose Zerrüttung der Natur, über die unendliche Lüge, die sich Wahrheit und Recht nannte, – wie der Gram hierüber, der durch das Ganze weht, Kraft genug übrigbehält, um das aus der Erscheinung des Lebens entflohene Absolute sich als Wahrheit mit echt philosophischem Bedürfnis und wahrer Spekulation in einer Wissenschaft zu konstruieren, deren Form in dem lokalen Prinzip des Objektiven erscheint, so wie die deutsche Bildung dagegen sich in die Form des Subjektiven – worunter auch Liebe und Glaube gehört – häufig ohne Spekulation einnistet. – Weil die[119] analytische Seite, da sie auf absoluter Entgegensetzung beruht, an einer Philosophie gerade ihre philosophische Seite, die auf absolute Vereinigung geht, übersehen muß, so kommt es ihr am allersonderbarsten vor, daß Schelling, wie sich Reinhold ausdrückt, die Verbindung des Endlichen und Unendlichen in die Philosophie eingeführt habe, – als ob philosophieren etwas anderes wäre als das Endliche in das Unendliche setzen; – mit anderen Worten: es kommt ihr am sonderbarsten vor, daß in die Philosophie das Philosophieren eingeführt werden soll.

Ebenso übersieht Reinhold im Fichteschen und Schellingschen System nicht nur die spekulative, philosophische Seite überhaupt, sondern er hält es für eine wichtige Entdeckung und Offenbarung, wenn ihm die Prinzipien dieser Philosophie sich in das Allerpartikularste verwandeln und das Allgemeinste, die Identität des Subjekts und Objekts sich für ihn in das Besonderste, nämlich die eigene, individuelle Individualität der Herren Fichte und Schelling verwandelt. Wenn Reinhold so vom Berge seines beschränkten Prinzips und seiner eigentümlichen Ansicht in den Abgrund der beschränkten Ansicht dieser Systeme herunterfällt, so ist dies begreiflich und notwendig. Aber zufällig und gehässig ist die Wendung, wenn Reinhold vorläufig im Teutschen Merkur und weitläufiger im nächsten Heft der Beiträge3 die Partikularität dieser Systeme aus der Unsittlichkeit erklären wird, und zwar so, daß die Unsittlichkeit in diesen Systemen die Form eines Prinzips und der Philosophie erhalten hätte. Man kann eine solche Wendung eine Erbärmlichkeit, einen Notbehelf der Erbitterung usw., wie man will, nennen und schimpfen; denn so was ist vogelfrei. Allerdings geht eine Philosophie aus ihrem Zeitalter und, wenn man seine Zerrissenheit als eine Unsittlichkeit begreifen will, aus der Unsittlichkeit[120] hervor, – aber um gegen die Zerrüttung des Zeitalters den Menschen aus sich wiederherzustellen und die Totalität, welche die Zeit zerrissen hat, zu erhalten.

Was die eigene Philosophie Reinholds betrifft, so gibt er eine öffentliche Geschichte davon, daß er im Verlauf seiner philosophischen Metempsychose zuerst in die Kantische gewandert, nach Ablegung derselben in die Fichtesche, von dieser in die Jacobische und, seit er auch sie verlassen habe, in Bardilis Logik eingezogen sei. Nachdem er nach S. 163 der Beiträge ›seine Beschäftigung mit derselben aufs reine Lernen, lautere Empfangen und Nachdenken im eigentlichsten Verstande eingeschränkt, um die verwöhnte Einbildungskraft unterzukriegen und die alten transzendentalen Typen endlich durch die neuen rationalistischen aus dem Kopfe zu verdrängen‹, – so beginnt er nunmehr die Bearbeitung derselben in den Beiträgen zur leichteren Übersicht des Zustandes der Philosophie beim Anfange des 19. Jahrhunderts. Diese Beiträge ergreifen die in dem Fortgang der Bildung des menschlichen Geistes so wichtige Epoche des Anbruchs eines neuen Jahrhunderts, diesem ›Glück zu wünschen, daß die Veranlassung aller philosophischen Revolutionen nicht früher und nicht später als im vorletzten Jahre des 18. Jahrhunderts wirklich entdeckt und damit in der Sache selbst aufgehoben worden ist‹. Wie La révolution est finie zu sehr häufigen Malen in Frankreich dekretiert worden ist, so hat auch Reinhold schon mehrere Enden der philosophischen Revolution angekündigt. Jetzt erkennt er die letzte Beendigung der Beendigungen, ›obschon die schlimmen Folgen der transzendentalen Revolution noch eine geraume Zeit fortdauern werden‹, fügt auch die Frage hinzu, ›ob er sich auch jetzt wieder täusche? ob gleichwohl auch dies wahre und eigentliche Ende etwa wieder nur der Anfang einer neuen krummen Wendung sein dürfte?‹ Vielmehr müßte die Frage[121] gemacht werden, ob dies Ende, sowenig es fähig ist, ein Ende zu sein, fähig sei, der Anfang von irgend etwas zu sein?

Die Begründungs- und Ergründungstendenz, das Philosophieren vor der Philosophie hat nämlich endlich sich vollkommen auszusprechen gewußt. Sie hat genau gefunden, um was es zu tun war; es ist die Verwandlung der Philosophie ins Formale des Erkennens, in Logik.

Wenn die Philosophie als Ganzes sich und die Realität der Erkenntnisse ihrer Form und ihrem Inhalt nach in sich selbst begründet, so kommt dagegen das Begründen und Ergründen in seinem Gedränge des Bewährens und Analysierens und des Weil und Inwiefern und Dann und Insoferne – weder aus sich heraus noch in die Philosophie hinein. Für die haltungslose Ängstlichkeit, die sich in ihrer Geschäftigkeit immer nur vermehrt, kommen alle Untersuchungen zu bald, und jeder Anfang ist ein Vorgreifen sowie jede Philosophie nur eine Vorübung. Die Wissenschaft behauptet, sich in sich dadurch zu begründen, daß sie jeden ihrer Teile absolut setzt und hierdurch in dem Anfang und in jedem einzelnen Punkt eine Identität und ein Wissen konstituiert; als objektive Totalität begründet das Wissen sich zugleich immer mehr, je mehr es sich bildet, und seine Teile sind nur gleichzeitig mit diesem Ganzen der Erkenntnisse begründet. Mittelpunkt und Kreis sind so aufeinander bezogen, daß der erste Anfang des Kreises schon eine Beziehung auf den Mittelpunkt ist, und dieser ist nicht ein vollständiger Mittelpunkt, wenn nicht alle seine Beziehungen, der ganze Kreis, vollendet sind, – ein Ganzes, das sowenig einer besonderen Handhabe des Begründens bedarf als die Erde einer besonderen Handhabe, um von der Kraft, die sie um die Sonne führt und zugleich in der ganzen lebendigen Mannigfaltigkeit ihrer Gestalten hält, gefaßt zu werden.

Aber das Begründen gibt sich damit ab, immer die Handhabe zu suchen und einen Anlauf an die lebendige Philosophie hin zu nehmen; es macht dies Anlaufen zum wahren[122] Werk, und durch sein Prinzip macht es sich unmöglich, zum Wissen und zur Philosophie zu gelangen. Die logische Erkenntnis, wenn sie wirklich bis zur Vernunft fortgeht, muß auf das Resultat geführt werden, daß sie in der Vernunft sich vernichtet; sie muß als ihr oberstes Gesetz die Antinomie erkennen. Im Reinholdischen Thema, der Anwendung des Denkens, wird das Denken als die unendliche Wiederholbarkeit des A als A in A und durch A zwar auch antinomisch, indem A in der Anwendung der Tat nach als B gesetzt wird. Aber diese Antinomie ist ganz bewußtlos und unanerkannt vorhanden, denn das Denken, seine Anwendung und sein Stoff stehen friedlich nebeneinander. Darum ist das Denken als Vermögen der abstrakten Einheit sowie die Erkenntnis bloß formal, und die ganze Begründung soll nur problematisch und hypothetisch sein, bis man mit der Zeit im Fortgang des Problematischen und Hypothetischen auf das Urwahre am Wahren und auf das Wahre durchs Urwahre stößt. Aber teils ist dies unmöglich, denn aus einer absoluten Formalität ist zu keiner Materialität zu kommen (beide sind absolut entgegengesetzt), noch weniger zu einer absoluten Synthese, die mehr sein muß als ein bloßes Fügen, – teils ist mit einem Hypothetischen und Problematischen überhaupt gar nichts begründet. Oder aber die Erkenntnis wird aufs Absolute bezogen, sie wird eine Identität des Subjekts und Objekts, des Denkens und des Stoffs; so ist sie nicht mehr formal, es ist ein leidiges Wissen entstanden und das Begründen vor dem Wissen wieder verfehlt worden. Der Angst, ins Wissen hineinzugeraten, bleibt nichts übrig, als an ihrer Liebe und ihrem Glauben und ihrer zielenden fixen Tendenz mit Analysieren, Methodisieren und Erzählen sich zu erwärmen.

Wenn das Anlaufen nicht über den Graben hinüberkommt, so wird der Fehler nicht auf das Perennieren dieses Anlaufens,[123] sondern auf die Methode desselben geschoben. Die wahre Methode aber wäre die, wodurch das Wissen schon diesseits des Grabens in den Spielraum des Anlaufens selber herübergezogen und die Philosophie auf die Logik reduziert wird.

Wir können nicht sogleich zur Betrachtung dieser Methode, wodurch die Philosophie in den Bezirk des Anlaufens versetzt werden soll, übergehen, sondern müssen zuerst von denjenigen Voraussetzungen, welche Reinhold der Philosophie für notwendig erachtet, also von dem Anlaufen zu dem Anlaufen sprechen.

Als vorhergehende Bedingung des Philosophierens, wovon das Bestreben, die Erkenntnis zu ergründen, ausgehen muß, nennt Reinhold die Liebe zur Wahrheit und zur Gewißheit; und weil dies bald und leicht genug anerkannt werde, so hält sich Reinhold auch nicht weiter damit auf. Und in der Tat kann das Objekt der philosophischen Reflexion nichts anderes als das Wahre und Gewisse sein. Wenn nun das Bewußtsein mit diesem Objekt erfüllt ist, so hat eine Reflexion auf das Subjektive, in Form einer Liebe, keinen Platz darin; diese Reflexion macht erst die Liebe, indem sie das Subjektive fixiert, und zwar macht sie sie, die einen so erhabenen Gegenstand hat, als die Wahrheit ist, – wie nicht weniger das Individuum, das, von solcher Liebe beseelt, sie postuliert – zu etwas höchst Erhabenem.

Die zweite wesentliche Bedingung des Philosophierens, der Glaube an Wahrheit als Wahrheit, denkt Reinhold, werde nicht so leicht anerkannt als die Liebe. Glaube hätte wohl hinreichend ausgedrückt, was ausgedrückt werden soll; in bezug auf Philosophie könnte etwa von dem Glauben an Vernunft als der echten Gesundheit gesprochen werden; die Überflüssigkeit des Ausdrucks »Glauben an Wahrheit als Wahrheit« bringt, statt ihn erbaulicher zu machen, etwas Schiefes hinein. Die Hauptsache ist, daß Reinhold mit Ernst[124] erklärt, man solle ihn nicht fragen, was der Glaube an Wahrheit sei; wem er nicht durch sich selbst klar ist, hat und kennt das Bedürfnis nicht, denselben im Wissen bewährt zu finden, das nur von diesem Glauben aussehen kann. Er versteht sich in jener Frage selbst nicht; und Reinhold hat ihm denn nichts weiter zu sagen.

Wenn Reinhold sich berechtigt glaubt, zu postulieren, – so findet sich ebenso die Voraussetzung eines über allen Beweis Erhabenen und das daraus folgende Recht und Notwendigkeit des Postulierens in dem Postulate der transzendentalen Anschauung. Fichte und Schelling haben denn doch, wie Reinhold selbst sagt, das eigentümliche Tun der reinen Vernunft, die transzendentale Anschauung als ein in sich zurückgehendes Handeln beschrieben; aber Reinhold hat dem, den die Frage nach einer Beschreibung des Reinholdischen Glaubens ankommen könnte, gar nichts zu sagen. Doch tut er mehr, als er verbunden zu sein glaubt; er bestimmt den Glauben wenigstens durch den Gegensatz gegen das Wissen, als ein durch kein Wissen feststehendes Fürwahrhalten, und die Bestimmung dessen, was Wissen ist, wird sich im Verfolg der problematischen und hypothetischen Begründung so wie die gemeinschaftliche Sphäre des Wissens und des Glaubens auch ausweisen und also die Beschreibung sich vollständig machen.

Wenn Reinhold sich durch ein Postulat alles Weiter-Sagens überhoben zu sein glaubt, so scheint es ihm dagegen sonderbar vorzukommen, daß die Herren Fichte und Schelling postulieren; ihr Postulat gilt ihm als eine Idiosynkrasie in dem Bewußtsein gewisser außerordentlicher, mit dem besonderen Sinne dazu ausgestatteter Individuen, in deren Schriften die reine Vernunft selber ihr handelndes Wissen und wissendes Handeln publizierte. Auch Reinhold glaubt (S. 143) in diesem Zauberkreise sich befunden zu haben, aus[125] demselben herausgekommen zu sein und sich nun imstande zu befinden, das Geheimnis zu offenbaren. Was er denn aus der Schule schwatzt, ist, daß das Allgemeinste, das Tun der Vernunft, für ihn sich in das Besonderste, in eine Idiosynkrasie der Herren Fichte und Schelling verwandelt. – Nicht weniger muß derjenige, dem die Reinholdsche Liebe und Glaube nicht für sich klar ist und dem Reinhold nichts darüber zu sagen hat, ihn in dem Zauberkreise eines Arkanums erblicken, dessen Besitzer, als Repräsentant der Liebe und des Glaubens, eben mit besonderem Sinne ausgestattet zu sein vorgebe, – eines Arkanums, das sich in dem Bewußtsein dieses außerordentlichen Individuums auf- und darstellte und durch den Grundriß der Logik und die ihn bearbeitenden Beiträge sich in der Sinnenwelt habe publizieren wollen usw.

Das Postulat der Liebe und des Glaubens klingt etwas angenehmer und sanfter als so eine wunderliche Forderung einer transzendentalen Anschauung. Ein Publikum kann durch ein sanftes Postulat mehr erbaut, durch das rauhe Postulat der transzendentalen Anschauung aber zurückgestoßen werden; allein dies tut zur Hauptsache nichts.

Wir kommen nunmehr zur Hauptvoraussetzung, welche endlich das Philosophieren unmittelbarer angeht. Dasjenige, was der Philosophie vorläufig, um auch nur als Versuch denkbar zu sein, vorauszusetzen ist, nennt Reinhold das Urwahre4, das für sich selbst Wahre und Gewisse, den Erklärungsgrund alles begreiflichen Wahren; dasjenige aber, womit die Philosophie anhebt, muß das erste begreifliche Wahre, und zwar das wahre erste Begreifliche sein, welches vorderhand im Philosophieren als Streben nur problematisch[126] und hypothetisch angenommen wird; im Philosophieren als Wissen bewährt es sich aber erst, als einzig mögliches Erstes erst dann und insofern, wann und inwiefern mit völliger Gewißheit hervorgeht, daß und warum es selbst und die Möglichkeit und Wirklichkeit des Erkennbaren sowohl als der Erkenntnis durch das Urwahre als den Urgrund von allem, welches sich an dem Möglichen und Wirklichen ankündigt, möglich, und wie und warum es durch das Urwahre wahr sei, das außer seinem Verhältnisse zum Möglichen und Wirklichen, woran es sich offenbart, das schlechthin Unbegreifliche, Unerklärbare und Unnennbare ist.

Man sieht aus dieser Form des Absoluten als eines Urwahren, daß es hiernach in der Philosophie nicht darum zu tun ist, Wissen und Wahrheit durch die Vernunft zu produzieren, daß das Absolute in der Form der Wahrheit nicht ein Werk der Vernunft ist, sondern es ist schon an und für sich ein Wahres und Gewisses, also ein Erkanntes und Gewußtes. Die Vernunft kann sich kein tätiges Verhältnis zu ihm geben; im Gegenteil würde jede Tätigkeit der Vernunft, jede Form, die das Absolute durch sie erhielte, als eine Veränderung desselben anzusehen sein, und eine Veränderung des Urwahren wäre die Produktion des Irrtums. Philosophieren heißt demnach, das schon ganz fertige Gewußte mit schlechthin passiver Rezeptivität in sich aufnehmen – und die Bequemlichkeit dieser Manier ist nicht zu leugnen. Es braucht nicht erinnert zu werden, daß Wahrheit und Gewißheit außer der Erkenntnis, diese sei nun ein Glauben oder ein Wissen, ein Unding ist und daß durch die Selbsttätigkeit der Vernunft allein das Absolute zu einem Wahren und Gewissen wird. Aber es wird begreiflich, wie sonderbar dieser Bequemlichkeit, die ein fertiges Urwahres schon voraussetzt, es vorkommen müsse, wenn gefordert wird, daß das Denken sich durch Selbsttätigkeit der Vernunft zum Wissen potenziere, daß durch die Wissenschaft die Natur fürs Bewußtsein geschaffen[127] werde und das Subjekt-Objekt nichts ist, zu was es sich nicht durch Selbsttätigkeit schafft. Die Vereinigung der Reflexion und des Absoluten im Wissen geschieht vermöge jener bequemen Manier völlig nach dem Ideale eines philosophischen Utopiens, in welchem das Absolute schon sich für sich selbst zu einem Wahren und Gewußten zubereitet und sich der Passivität des Denkens, das nur den Mund aufzusperren braucht, ganz und gar zu genießen gibt. Aus diesem Utopien ist das mühsame, assertorische und kategorische Schaffen und Konstruieren verbannt; durch ein problematisches und hypothetisches Schütteln fallen von dem Baum der Erkenntnis, der auf dem Sand des Begründens steht, die Früchte durch sich selbst gekaut und verdaut herab. Für das ganze Geschäft der reduzierten Philosophie, die nur ein problematischer und hypothetischer Versuch und Vorläufigkeit sein will, muß das Absolute notwendig schon als urwahr und gewußt gesetzt werden, – wie sollte sich sonst aus dem Problematischen und Hypothetischen Wahrheit und Wissen ergeben können?

Weil nun und inwiefern die Voraussetzung der Philosophie das an sich Unbegreifliche und Urwahre ist, darum und insofern soll es sich nur an einem begreiflichen Wahren ankündigen können, und das Philosophieren kann nicht von einem unbegreiflichen Urwahren, sondern [muß] von einem begreiflichen Wahren ausgehen. – Diese Folgerung ist nicht nur durch nichts erwiesen, sondern es ist vielmehr der entgegengesetzte Schluß zu machen: Wenn die Voraussetzung der Philosophie, das Urwahre, ein Unbegreifliches ist, so würde das Urwahre an einem Begreiflichen sich durch sein Entgegengesetztes, also falsch ankündigen. Man müßte vielmehr sagen, die Philosophie müsse zwar mit Begriffen, aber mit unbegreiflichen Begriffen anfangen, fortgehen und endigen; denn in der Beschränkung eines Begriffs ist das Unbegreifliche, statt angekündigt zu sein, aufgehoben, – und die Vereinigung entgegengesetzter Begriffe in der Antinomie, für das, Begreifungsvermögen der Widerspruch, ist die nicht[128] bloß problematische und hypothetische, sondern, wegen des unmittelbaren Zusammenhangs mit demselben, seine assertorische und kategorische Erscheinung und die wahre, durch Reflexion mögliche Offenbarung des Unbegreiflichen in Begriffen. Wenn nach Reinhold das Absolute nur außer seinem Verhältnisse zum Wirklichen und Möglichen, woran es sich offenbart, ein Unbegreifliches, also im Möglichen und Wirklichen zu erkennen ist, so würde dies nur eine Erkenntnis durch den Verstand und keine Erkenntnis des Absoluten sein. Denn die Vernunft, die das Verhältnis des Wirklichen und Möglichen zum Absoluten anschaut, hebt eben damit das Mögliche und Wirkliche als Mögliches und Wirkliches auf; vor ihr verschwinden diese Bestimmtheiten sowie ihre Entgegensetzung, und sie erkennt hierdurch nicht die äußere Erscheinung als Offenbarung, sondern das Wesen, das sich offenbart, – muß hingegen einen Begriff für sich wie die abstrakte Einheit des Denkens nicht als ein Ankündigen desselben, sondern als ein Verschwinden desselben aus dem Bewußtsein erkennen; an sich ist es freilich nicht verschwunden, aber aus einer solchen Spekulation.

Wir gehen zur Betrachtung desjenigen über, was das wahre Geschäft der auf Logik reduzierten Philosophie ist. Es soll nämlich durch die Analysis der Anwendung des Denkens als Denkens das Urwahre mit dem Wahren und das Wahre durch das Urwahre entdecken und aufstellen, und wir sehen die mancherlei Absoluta, die hierzu erforderlich sind:

a. Das Denken wird nicht erst in der Anwendung und durch die Anwendung und als ein Angewendetes zu einem Denken, sondern es muß sein innerer Charakter hier verstanden werden, und dieser ist die unendliche Wiederholbarkeit von einem und ebendemselben, in einem und ebendemselben und durch ein und ebendasselbe, – die reine Identität, die absolute, alles Außereinander, Nacheinander und Nebeneinander aus sich ausschließende Unendlichkeit.[129]

b. Ein ganz Anderes als das Denken selbst ist die Anwendung des Denkens, so gewiß das Denken selbst keineswegs die Anwendung des Denkens ist, so gewiß muß in der Anwendung und durch dieselbe zum Denken

c. noch ein Drittes hinzukommen = C, die Materie der Anwendung des Denkens; diese im Denken teils vernichtete, teils mit ihm sich fügende Materiatur wird postuliert, und die Befugnis und die Notwendigkeit, die Materie anzunehmen und vorauszusetzen, liegt darin, daß das Denken unmöglich angewendet werden könnte, wenn nicht eine Materie wäre. Weil nun die Materie nicht sein kann, was das Denken ist – denn, wenn sie dasselbe wäre, wäre sie nicht ein Anderes und es fände keine Anwendung statt, weil der innere Charakter des Denkens die Einheit ist –, so ist der innere Charakter der Materie der jenem entgegengesetzte, Mannigfaltigkeit. – Was ehemals geradezu als empirisch gegeben angenommen wurde, wird seit den Kantischen Zeiten postuliert, und so was heißt dann immanent bleiben; nur im Subjektiven – das Objektive muß postuliert sein – werden empirisch gegebene Gesetze, Formen, oder wie man sonst will, unter dem Namen von Tatsachen des Bewußtseins noch verstattet.

Was zuerst das Denken betrifft, so setzt, wie schon oben erinnert, Reinhold den Grundfehler aller neueren Philosophie in das Grundvorurteil und böse Angewöhnung, daß man das Denken für eine bloß subjektive Tätigkeit nehme, und ersucht, nur zum Versuch, vorderhand einmal von aller Subjektivität und Objektivität desselben zu abstrahieren. Es ist aber nicht schwer zu sehen, daß – sowie das Denken in die reine, d.h. von der Materiatur abstrahierende, also entgegengesetzte Einheit gesetzt wird und dann, wie notwendig ist, auf diese Abstraktion das Postulat einer vom Denken wesentlich verschiedenen und unabhängigen Materie[130] folgt – jener Grundfehler und Grundvorurteil selbst in seiner ganzen Stärke hervortritt. Das Denken ist hier wesentlich nicht die Identität des Subjekts und Objekts, wodurch es als die Tätigkeit der Vernunft charakterisiert und damit zugleich von aller Subjektivität und Objektivität nur dadurch abstrahiert wird, daß es beides zugleich ist, sondern das Objekt ist eine fürs Denken postulierte Materie und dadurch das Denken nichts anderes als ein subjektives. Wenn man dem Ersuchen also auch den Gefallen tun wollte, von der Subjektivität des Denkens zu abstrahieren und es als subjektiv und objektiv zugleich und also zugleich mit keinem dieser Prädikate zu setzen, so wird dies nicht verstattet, sondern durch die Entgegensetzung eines Objektiven wird es als ein Subjektives bestimmt und die absolute Entgegensetzung zum Thema und Prinzip der durch die Logik in Reduktion gefallenen Philosophie gemacht.

Nach diesem Prinzip fällt denn auch die Synthese aus. Sie ist mit einem populären Worte als eine Anwendung ausgedrückt, und auch in dieser dürftigen Gestalt, für welche von zwei absolut Entgegengesetzten zum Synthesieren nicht viel abfallen kann, stimmt sie damit nicht überein, daß das erste Thema der Philosophie ein Begreifliches sein soll; denn auch die geringe Synthese des Anwendens enthält einen Übergang der Einheit in das Mannigfaltige, eine Vereinigung des Denkens und der Materie, schließt also ein sogenanntes Unbegreifliches in sich. Um sie synthesieren zu können, müßte Denken und Materie nicht absolut entgegengesetzt, sondern ursprünglich eins gesetzt werden, und damit wären wir bei der leidigen Identität des Subjekts und Objekts, der transzendentalen Anschauung, dem intellektuellen Denken.

Doch hat Reinhold in dieser vorhergehenden und einleitenden Exposition nicht alles angebracht, was aus dem Grundriß der Logik zur Milderung jener Art von Schwierigkeit, die in der absoluten Entgegensetzung liegt, dienen kann. Nämlich der Grundriß postuliert außer der postulierten Materie und ihrer deduzierten Mannigfaltigkeit auch eine innere[131] Fähigkeit und Geschicklichkeit der Materie, gedacht zu werden, neben der Materiatur, die im Denken zernichtet werden muß, noch etwas, das sich durchs Denken nicht zernichten läßt, das auch den Gewahrnehmungen der Pferde nicht fehle, – eine vom Denken unabhängige Form, mit welcher, weil sich nach dem Gesetze der Natur die Form nicht durch die Form zerstören läßt, sich die Form des Denkens zu fügen hat, außer der nicht denkbaren Materiatur, dem Ding-an-sich, einen absoluten vorstellbaren Stoff, der vom Vorstellenden unabhängig ist, aber in der Vorstellung auf die Form bezogen wird. Dies Beziehen der Form auf den Stoff nennt Reinhold immer Anwendung des Denkens und vermeidet den Ausdruck »Vorstellen«, den Bardili dafür gebraucht. Es ist nämlich behauptet worden, daß der Grundriß der Logik nichts als die aufgewärmte Elementarphilosophie sei. Es scheint nicht, daß man Reinhold die Absicht zugeschrieben habe, als ob er etwa die im philosophischen Publikum nicht mehr gesuchte Elementarphilosophie in dieser kaum veränderten Form in die philosophische Welt hätte wieder einführen wollen, sondern daß das lautere Empfangen und reine Lernen der Logik unwissenderweise eigentlich bei sich selbst in die Schule gegangen sei. Reinhold setzt dieser Ansicht der Sache folgende Beweisgründe in den Beiträgen entgegen: daß er erstens, statt seine Elementar-Philosophie im Grundriß der Logik zu suchen, – »Verwandtschaft mit dem Idealismus« in ihm gesehen, und zwar wegen des bitteren Spottes, womit Bardili der Reinholdischen Theorie bei jeder Gelegenheit erwähne, eher jede andere Philosophie darin geahnt habe;

– daß die Worte Vorstellung, Vorgestelltes und bloße Vorstellung usw. im Grundriß durchaus in einem Sinne vorkommen, der demjenigen, in welchem sie von dem Verfasser der Elementarphilosophie gebraucht wurden, was er wohl am besten wissen müsse, durchaus entgegengesetzt sei;[132]

– durch die Behauptung, daß jener Grundriß auch nur in irgendeinem denkbaren Sinne Umarbeitung der Reinholdischen Elementarphilosophie [sei], tue der, der dies behauptete, augenscheinlich dar, daß er nicht verstanden habe, was er beurteilt.

Auf den ersten Grund, den bitteren Spott, ist sich weiter nicht einzulassen. Die übrigen sind Behauptungen, deren Triftigkeit aus einer kurzen Vergleichung der Hauptmomente der Theorie mit dem Grundriß sich ergeben wird.

Nach der Theorie gehört zum Vorstellen als innere Bedingung, wesentlicher Bestandteil der Vorstellung

a. ein Stoff der Vorstellung, das der Rezeptivität Gegebene, dessen Form die Mannigfaltigkeit ist;

b. eine Form der Vorstellung, das durch die Spontaneität Hervorgebrachte, dessen Form die Einheit ist.

In der Logik:

a. ein Denken, eine Tätigkeit, deren Grundcharakter Einheit,

b. eine Materie, deren Charakter Mannigfaltigkeit ist;

c. das Beziehen beider aufeinander heißt in der Theorie und in der Logik Vorstellen, nur daß Reinhold immer Anwendung des Denkens sagt. Form und Stoff, Denken und Materie sind in beiden gleicherweise für sich selbst bestehend.

Was noch die Materie betrifft, so ist

a. ein Teil derselben, in der Theorie und in der Logik, das Ding-an-sich, dort der Gegenstand selbst, insofern er nicht vorstellbar ist, – aber sowenig geleugnet werden kann als die vorstellbaren Gegenstände selbst, hier die Materiatur, die im Denken zernichtet werden muß, das nicht Denkbare der Materie.

b. Der andere Teil des Objekts ist in der Theorie der bekannte[133] Stoff der Vorstellung, in der Logik die vom Denken unabhängige unvertilgbare Form des Objekts, mit welcher die Form des Denkens, weil die Form die Form nicht zernichten kann, sich fügen muß.

Und über diese Zweiteiligkeit des Objekts – einmal einer fürs Denken absoluten Materiatur, mit welcher das Denken sich nicht zu fügen, sondern nichts anzufangen weiß, als sie zu zernichten, d.h. von ihr zu abstrahieren, das andere Mal einer Beschaffenheit, die dem Objekt wieder unabhängig von allem Denken zukommt, aber einer Form, die es geschickt macht, gedacht zu werden, mit der sich das Denken fügen muß, so gut es kann – soll sich das Denken in das Leben hineinstürzen. In der Philosophie kommt das Denken aus dem Sturze in eine solche absolute Dualität mit gebrochenem Halse an, – eine Dualität, die ihre Formen unendlich wechseln kann, aber immer eine und ebendieselbe Unphilosophie gebiert. In dieser neu aufgelegten Theorie seiner eigenen Lehre findet Reinhold – nicht unähnlich jenem Manne, der zu seiner größten Zufriedenheit aus dem eigenen Keller unwissenderweise bewirtet wurde – alle Hoffnungen und Wünsche in Erfüllung gegangen, die philosophischen Revolutionen im neuen Jahrhundert geendigt, so daß nunmehr der philosophische ewige Frieden in der allgemeingültigen Reduktion der Philosophie durch Logik unmittelbar eintreten kann.

Die neue Arbeit in diesem philosophischen Weinberg fängt Reinhold, wie sonst das politische Journal jedes seiner Stücke, mit der Erzählung an, daß es anders und abermal anders ausgefallen sei, als er vorausgesagt habe: ›Anders, als er es im Anfange der Revolution ankündigte; anders, als er in der Mitte derselben ihren Fortgang zu befördern suchte, – anders, als er gegen das Ende derselben ihr Ziel erreicht[134] glaubte; er fragt, ob er sich nicht zum vierten Mal täusche.‹

– Sonst, wenn die Menge der Täuschungen die Berechnung der Wahrscheinlichkeit erleichtern kann und in Rücksicht auf dasjenige, was man eine Autorität nennt, in Betracht kommen kann, so kann man aus den Beiträgen vor dieser, die keine wirkliche sein sollte, zu jenen drei erkannten noch mehrere aufzählen:

– nämlich nach S. 126 hat Reinhold den Zwischenstandpunkt zwischen der Fichteschen und Jacobischen Philosophie, den er gefunden zu haben glaubte, auf immer verlassen müssen;

– er glaubte, wünschte usw. (S, 129), daß sich das Wesentliche der Bardilischen Philosophie auf das Wesentliche der Fichteschen und umgekehrt zurück führen lasse, und legte es allen Ernstes bei Bardili darauf an, ihn zu überzeugen, daß er ein Idealist sei. Aber nicht nur war Bardili nicht zu überzeugen, im Gegenteil wurde Reinhold durch Bardilis Briefe (S. 130) gezwungen, den Idealismus überhaupt aufzugeben;

– da der Versuch mit Bardili mißlungen war, legte er Fichte den Grundriß dringend ans Herz (S. 163), wobei er ausruft: »Welch ein Triumph für die gute Sache, wenn Fichte durch das Bollwerk seines und ihres (Bardilis) Buchstabens hindurch bis zur Einheit mit ihnen durchdränge!« – Wie es ausgefallen ist, ist bekannt.

Endlich darf auch in Rücksicht auf die geschichtlichen Ansichten nicht vergessen werden, daß es anders ist, als Reinhold dachte, wenn er in einem Teile der Schellingschen Philosophie das ganze System zu sehen glaubte und diese Philosophie für das hielt, was man gewöhnlich Idealismus nennt.

Wie es endlich mit der logischen Reduktion der Philosophie ausfallen werde, darüber ist nicht leicht etwas vorauszusagen, Die Erfindung ist, um sich außerhalb der Philosophie zu halten und doch zu philosophieren, zu dienlich, als daß[135] sie nicht erwünscht sein sollte; nur führt sie ihr eigenes Gericht mit sich. Weil sie nämlich unter vielen möglichen Formen des Standpunkts der Reflexion irgendeine wählen muß, so steht es in eines jeden Belieben, eine andere sich zu schaffen. So etwas heißt alsdann, durch ein neues System ein altes verdrängen, und muß so heißen, weil die Reflexionsform für das Wesen des Systems genommen werden muß; so hat auch Reinhold selbst in Bardilis Logik ein anderes System als in seiner Theorie sehen können.

Die Begründungstendenz, die darauf ausgeht, die Philosophie auf Logik zurückzuführen, muß als eine sich fixierende Erscheinung einer Seite des allgemeinen Bedürfnisses der Philosophie ihre notwendige und bestimmte objektive Stelle in der Mannigfaltigkeit der Bestrebungen der Bildung einnehmen, die sich auf Philosophie beziehen, aber eine feste Gestalt sich geben, ehe sie zur Philosophie selbst gelangen. Das Absolute in der Linie seiner Entwicklung, die es bis zur Vollendung seiner selbst produziert, muß zugleich auf jedem Punkte sich hemmen und sich in eine Gestalt organisieren, und in dieser Mannigfaltigkeit erscheint es als sich bildend.

Wenn das Bedürfnis der Philosophie ihren Mittelpunkt nicht erreicht, zeigt es die zwei Seiten des Absoluten, welches Inneres und Äußeres, Wesen und Erscheinung zugleich ist, getrennt, – das innere Wesen und die äußere Erscheinung besonders. Die äußere Erscheinung für sich wird zur absolut objektiven Totalität, zu der ins Unendliche zerstreuten Mannigfaltigkeit, welche in dem Streben nach der unendlichen Menge ihren bewußtlosen Zusammenhang mit dem Absoluten kundgibt, und man muß dem unwissenschaftlichen Bemühen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß es vom Bedürfnis einer Totalität insofern [etwas] verspürt, als es das Empirische ins Unendliche hinaus auszubreiten strebt, obzwar eben dadurch notwendig am Ende der Stoff sehr dünne wird. Dieses Bemühen mit dem unendlichen objektiven Stoff bildet den entgegengesetzten Pol zu dem Pol[136] der Dichtigkeit, die im inneren Wesen zu bleiben strebt und aus der Kontraktion ihres gediegenen Stoffs nicht zur wissenschaftlichen Expansion herausgelangen kann. Jenes bringt in den Tod des Wesens, das es behandelt, durch unendliche Geschäftigkeit zwar nicht ein Leben, aber doch ein Regen, und wenn die Danaiden wegen des ewigen Auslaufens des Wassers nie zur Fülle gelangen, so jene Bemühungen dagegen nicht, indem sie durch das beständige Zugießen ihrem Meer eine unendliche Breite geben; wenn sie die Befriedigung nicht erreichen, nichts mehr zu finden, das unbegossen wäre, so erhält die Geschäftigkeit eben darin ewige Nahrung auf der unermeßlichen Oberfläche; feststehend auf dem Gemeinspruch, daß ins Innere der Natur kein erschaffener Geist dringt, gibt sie auf, Geist und ein Inneres zu erschaffen und das Tote zur Natur zu beleben. – Die innere Schwerkraft des Schwärmers hingegen verschmäht das Wasser, durch dessen Zutritt zu der Dichtigkeit sie sich zur Gestalt kristallisieren konnte; der gärende Drang, der aus der Naturnotwendigkeit, eine Gestalt zu produzieren, stammt, stößt ihre Möglichkeit zurück und löst die Natur in Geister auf, bildet sie zu gestaltlosen Gestalten, oder wenn die Reflexion überwiegend ist über die Phantasie, entsteht echter Skeptizismus.

Einen falschen Mittelpunkt zwischen beiden bildet eine Populär- und Formularphilosophie, welche beide nicht gefaßt hat und darum es ihnen so zu Dank machen zu können glaubt, daß das Prinzip einer jeden in seinem Wesen bliebe und durch eine Modifikation beide sich ineinanderschmiegten. Sie ergreift nicht beide Pole in sich, sondern in einer oberflächlichen Modifikation und nachbarlichen Vereinigung entschwindet ihr das Wesen beider, und sie ist beiden sowie der Philosophie fremd. Sie hat vom Pole der Zerstreuung das Prinzip der Entgegensetzung, aber die Entgegengesetzten[137] sollen nicht bloße Erscheinungen und Begriffe ins Unendliche, sondern eins derselben auch ein Unendliches und Unbegreifliches sein; somit sollte das Bedürfnis des Schwärmers nach einem Übersinnlichen befriedigt werden. Aber das Prinzip der Zerstreuung verschmäht das Übersinnliche, wie das Prinzip der Schwärmerei die Entgegensetzung des Übersinnlichen und irgendein Bestehen eines Beschränkten neben demselben verschmäht. Ebenso wird jeder Schein eines Mittelpunkts, den die Popularphilosophie ihrem Prinzip der absoluten Nichtidentität eines Endlichen und Unendlichen gibt, von der Philosophie verworfen, welche den Tod der Entzweiten durch die absolute Identität zum Leben erhebt und durch die sie beide in sich verschlingende und beide gleich mütterlich setzende Vernunft nach dem Bewußtsein dieser Identität des Endlichen und Unendlichen, d.h. nach Wissen und Wahrheit strebt.[138]


3

Was, seit dies geschrieben, geschehen ist.

4

Reinhold behält hier die Sprache Jacobis, aber nicht die Sache bei; er hat, wie er sagt, diesen verlassen müssen. Wenn Jacobi von der Vernunft als dem Vermögen der Voraussetzung des Wahren spricht, so setzt er das Wahre, als das wahre Wesen, der formellen Wahrheit entgegenleugnet aber als Skeptiker, daß es menschlich gewußt werden könne; Reinhold hingegen sagt, er habe es denken gelernt – durch ein formelles Begründen, in welchem sich für Jacobi das Wahre nicht findet.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 2, Frankfurt a. M. 1979, S. 116-139.
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