c. Die wirkliche Seele
§ 411

[192] Die Seele ist in ihrer durchgebildeten und sich zu eigen gemachten Leiblichkeit als einzelnes Subjekt für sich, und die Leiblichkeit ist so die Äußerlichkeit als Prädikat, in welchem das Subjekt sich nur auf sich bezieht. Diese Äußerlichkeit stellt nicht sich vor, sondern die Seele, und ist deren Zeichen. Die Seele ist als diese Identität des Inneren mit dem Äußeren, das jenem unterworfen ist, wirklich, sie hat an ihrer Leiblichkeit ihre freie Gestalt, in der sie sich fühlt und sich zu fühlen gibt, die als das Kunstwerk der Seele menschlichen, pathognomischen und physiognomischen Ausdruck hat.

Zum menschlichen Ausdruck gehört z.B. die aufrechte Gestalt überhaupt, die Bildung insbesondere der Hand, als des absoluten Werkzeugs, des Mundes, Lachen, Weinen usw. und der über das Ganze ausgegossene geistige Ton, welcher den Körper unmittelbar als Äußerlichkeit einer höheren Natur kundgibt. Dieser Ton ist eine so leichte, unbestimmte und unsagbare Modifikation, weil die Gestalt nach ihrer Äußerlichkeit ein Unmittelbares und Natürliches ist und darum nur ein unbestimmtes und ganz unvollkommenes Zeichen für den Geist sein kann und ihn nicht, wie er für sich selbst als Allgemeines ist, vorzustellen vermag. Für das Tier ist die menschliche Gestalt das Höchste, wie der Geist demselben erscheint. Aber für den Geist ist sie nur die erste Erscheinung desselben und die Sprache sogleich sein vollkommener[er] Ausdruck. Die Gestalt ist zwar seine nächste Existenz, aber zugleich in ihrer physiognomischen und pathognomischen Bestimmtheit ein Zufälliges für ihn; die Physiognomik, vollends aber die Kranioskopie zu Wissenschaften erheben zu wollen, war daher einer der leersten Einfälle, noch leerer als eine signatura rerum, wenn aus der Gestalt der Pflanzen ihre Heilkraft erkannt werden sollte.
[192]

§ 412

An sich hat die Materie keine Wahrheit in der Seele; als für sich seiende scheidet diese sich von ihrem unmittelbaren Sein und stellt sich dasselbe als Leiblichkeit gegenüber, die ihrem Einbilden in sie keinen Widerstand leisten kann. Die Seele, die ihr Sein sich entgegengesetzt, es aufgehoben und als das ihrige bestimmt hat, hat die Bedeutung der Seele, der Unmittelbarkeit des Geistes, verloren. Die wirkliche Seele in der Gewohnheit des Empfindens und ihres konkreten Selbstgefühls ist an sich die für sich seiende Idealität ihrer Bestimmtheiten, in ihrer Äußerlichkeit erinnert in sich und unendliche Beziehung auf sich. Dies Fürsichsein der freien Allgemeinheit ist das höhere Erwachen der Seele zum Ich, der abstrakten Allgemeinheit, insofern sie für die abstrakte Allgemeinheit ist, welche so Denken und Subjekt für sich, und zwar bestimmt Subjekt seines Urteils ist, in welchem das ich die natürliche Totalität seiner Bestimmungen als ein Objekt, eine ihm äußere Welt, von sich ausschließt und sich darauf bezieht, so daß es in derselben unmittelbar in sich reflektiert ist, – das Bewußtsein.[197]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 10, Frankfurt a. M. 1979, S. 192-193,197-199.
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