C. Psychologie. Der Geist
§ 440

[229] Der Geist hat sich zur Wahrheit der Seele und des Bewußtseins bestimmt, jener einfachen unmittelbaren Totalität und dieses Wissens, welches nun als unendliche Form von jenem Inhalte nicht beschränkt, nicht im Verhältnisse zu ihm als Gegenstand steht, sondern Wissen der substantiellen, weder subjektiven noch objektiven Totalität ist. Der Geist fängt daher nur von seinem eigenen Sein an und verhält sich nur zu seinen eigenen Bestimmungen.

Die Psychologie betrachtet deshalb die Vermögen oder allgemeinen Tätigkeitsweisen des Geistes als solchen. Anschauen, Vorstellen, Erinnern usf., Begierden usf., teils ohne den Inhalt, der nach der Erscheinung sich im empirischen Vorstellen, auch im Denken wie in der Begierde und im Willen findet, teils ohne die Formen, in der Seele als[229] Naturbestimmung, in dem Bewußtsein selbst als ein für sich vorhandener Gegenstand desselben zu sein. Dies ist jedoch nicht eine willkürliche Abstraktion; der Geist ist selbst dies, über die Natur und natürliche Bestimmtheit, wie über die Verwicklung mit einem äußerlichen Gegenstande, d.i. über das Materielle überhaupt erhoben zu sein; wie sein Begriff sich ergeben hat. Er hat jetzt nur dies zu tun, diesen Begriff seiner Freiheit zu realisieren, d.i. nur die Form der Unmittelbarkeit, mit der er wieder anfängt, aufzuheben. Der Inhalt, der zu Anschauungen erhoben wird, sind seine Empfindungen, wie seine Anschauungen [es sind], welche in Vorstellungen, und so fort Vorstellungen, die in Gedanken verändert werden usw.


§ 441

[230] Die Seele ist endlich, insofern sie unmittelbar oder von Natur bestimmt ist; das Bewußtsein, insofern es einen Gegenstand[231] hat; der Geist, insofern er zwar nicht mehr einen Gegenstand, aber eine Bestimmtheit in seinem Wissen hat, nämlich durch seine Unmittelbarkeit und, was dasselbe ist, dadurch, daß er subjektiv oder als der Begriff ist. Und es ist gleichgültig, was als sein Begriff und was als dessen Realität bestimmt wird. Die schlechthin unendliche, objektive Vernunft als sein Begriff gesetzt, so ist die Realität das Wissen oder die Intelligenz; oder das Wissen als der Begriff genommen, so ist dessen Realität diese Vernunft und die Realisierung des Wissens, sich dieselbe anzueignen. Die Endlichkeit des Geistes besteht daher darin, daß das Wissen das Anundfürsichsein seiner Vernunft nicht erfaßt, oder ebensosehr, daß diese sich nicht zur vollen Manifestation im Wissen gebracht hat. Die Vernunft ist zugleich nur insofern die unendliche, als sie die absolute Freiheit ist, daher sich ihrem Wissen voraussetzt und sich dadurch verendlicht und die ewige Bewegung ist, diese Unmittelbarkeit aufzuheben, sich selbst zu begreifen und Wissen der Vernunft zu sein.
[232]

§ 442

Das Fortschreiten des Geistes ist Entwicklung, insofern seine Existenz, das Wissen, in sich selbst das an und für sich Bestimmtsein, d.i. das Vernünftige zum Gehalte und Zweck hat, also die Tätigkeit des Übersetzens rein nur der formelle Übergang in die Manifestation und darin Rückkehr in sich ist. Insofern das Wissen mit seiner ersten Bestimmtheit behaftet, nur erst abstrakt oder formell ist, ist das Ziel des Geistes, die objektive Erfüllung und damit zugleich die Freiheit seines Wissens hervorzubringen.

Es ist hierbei nicht an die mit der anthropologischen zusammenhängende Entwicklung des Individuums zu denken, nach welcher die Vermögen und Kräfte als nacheinander hervortretend und in der Existenz sich äußernd betrachtet werden, – ein Fortgang, auf dessen Erkenntnis eine Zeitlang (von der Condillacschen Philosophie) ein großer Wert gelegt worden ist, als ob solches vermeintliche natürliche Hervorgehen das Entstehen dieser Vermögen aufstellen und dieselben erklären sollte. Es ist hierin die Richtung nicht zu verkennen, die mannigfaltigen Tätigkeitsweisen[234] des Geistes bei der Einheit desselben begreiflich zu machen und einen Zusammenhang der Notwendigkeit aufzuzeigen. Allein die dabei gebrauchten Kategorien sind überhaupt dürftiger Art. Vornehmlich ist die herrschende Bestimmung, daß das Sinnliche zwar mit Recht als das Erste, als anfangende Grundlage genommen wird, aber daß von diesem Ausgangspunkte die weiteren Bestimmungen nur auf affirmative Weise hervorgehend erscheinen und das Negative der Tätigkeit des Geistes, wodurch jener Stoff vergeistigt und als Sinnliches aufgehoben wird, verkannt und übersehen ist. Das Sinnliche ist in jener Stellung nicht bloß das empirische Erste, sondern bleibt so, daß es die wahrhaft substantielle Grundlage sein solle.

Ebenso wenn die Tätigkeiten des Geistes nur als Äußerungen, Kräfte überhaupt, etwa mit der Bestimmung von Nützlichkeit, d.h. als zweckmäßig für irgendein anderes Interesse der Intelligenz oder des Gemüts betrachtet werden, so ist kein Endzweck vorhanden. Dieser kann nur der Begriff selbst sein und die Tätigkeit des Begriffs nur ihn selbst zum Zwecke haben, die Form der Unmittelbarkeit oder der Subjektivität aufzuheben, sich zu erreichen und zu fassen, sich zu sich selbst zu befreien. Auf diese Weise sind die sogenannten Vermögen des Geistes in ihrer Unterschiedenheit nur als Stufen dieser Befreiung zu betrachten. Und dies ist allein für die vernünftige Betrachtungsweise des Geistes und seiner verschiedenen Tätigkeiten zu halten.


§ 443

[235] Wie das Bewußtsein zu seinem Gegenstände die vorhergehende Stufe, die natürliche Seele hat (§ 413), so hat oder macht vielmehr der Geist das Bewußtsein zu seinem Gegenstande; d.i. indem dieses nur an sich die Identität des Ich mit seinem Anderen ist (§ 415) so setzt sie der Geist für sich, daß nun er sie wisse, diese konkrete Einheit. Seine Produktionen sind nach der Vernunftbestimmung, daß der Inhalt sowohl der an sich seiende, als nach der Freiheit der seinige sei. Somit, indem er in seinem Anfange bestimmt ist, ist diese Bestimmtheit die gedoppelte, die des Seienden und die des Seinigen, nach jener etwas als seiend in sich zu finden, nach dieser es nur als das Seinige zu setzen. Der Weg des Geistes ist daher:

a) theoretisch zu sein, es mit dem Vernünftigen als seiner unmittelbaren Bestimmtheit zu tun zu haben und es nun als das Seinige zu setzen; oder das Wissen von der Voraussetzung und damit von seiner Abstraktion zu befreien und die Bestimmtheit subjektiv zu machen. Indem das Wissen so als in sich an und für sich bestimmt, die Bestimmtheit als die seinige gesetzt, hiermit als freie Intelligenz ist, ist es

b) Wille, praktischer Geist, welcher zunächst gleichfalls formell ist, einen Inhalt als nur den seinigen hat, unmittelbar will und nun seine Willensbestimmung von ihrer Subjektivität als der einseitigen Form seines Inhalts befreit, so daß er

c) sich als freier Geist gegenständlich wird, in welchem jene gedoppelte Einseitigkeit aufgehoben ist.
[236]


§ 444

Der theoretische sowohl als praktische Geist sind noch in der Sphäre des subjektiven Geistes überhaupt. Sie sind nicht als passiv und aktiv zu unterscheiden. Der subjektive Geist ist hervorbringend; aber seine Produktionen sind formell. Nach innen ist die Produktion des theoretischen nur seine ideelle Welt und das Gewinnen der abstrakten Selbstbestimmung in sich. Der praktische hat es zwar nur mit Selbstbestimmungen, seinem eigenen, aber ebenfalls noch formellen Stoffe und damit beschränkten Inhalte zu tun, für den er die Form der Allgemeinheit gewinnt. Nach außen, indem der subjektive Geist Einheit der Seele und des Bewußtseins, hiermit auch seiende, in einem anthropologische und dem Bewußtsein gemäße Realität ist, sind seine Produkte im theoretischen das Wort und im praktischen (noch nicht Tat und Handlung) Genuß.

Die Psychologie gehört wie die Logik zu denjenigen Wissenschaften, die in neueren Zeiten von der allgemeineren Bildung des Geistes und dem tieferen Begriffe der Vernunft noch am wenigsten Nutzen gezogen haben, und befindet sich noch immer in einem höchst schlechten Zustande. Es ist ihr zwar durch die Wendung der Kantischen Philosophie eine größere Wichtigkeit beigelegt worden, sogar daß sie, und zwar in ihrem empirischen Zustande, die Grundlage der Metaphysik ausmachen solle, als welche Wissenschaft in nichts anderem bestehe, als die Tatsachen des menschlichen Bewußtseins, und zwar als Tatsachen, wie sie gegeben sind, empirisch aufzufassen und sie zu zergliedern. Mit dieser Stellung der Psychologie, wobei sie mit Formen aus dem Standpunkte des Bewußtseins und mit Anthropologie vermischt wird, hat sich für ihren Zustand selbst nichts verändert, sondern nur dies hinzugefügt, daß auch für die Metaphysik und die Philosophie überhaupt, wie für den Geist als solchen, auf die Erkenntnis[238] der Notwendigkeit dessen, was an und für sich ist, auf den Begriff und die Wahrheit, Verzicht geleistet worden ist.[239]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 10, Frankfurt a. M. 1979, S. 229-240.
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