a. Der theoretische Geist
§ 445

[240] Die Intelligenz findet sich bestimmt, dies ist ihr Schein, von dem sie in ihrer Unmittelbarkeit ausgeht; als Wissen aber ist sie dies, das Gefundene als ihr eigenes zu setzen. Ihre Tätigkeit hat es mit der leeren Form zu tun, die Vernunft zu finden, und ihr Zweck ist, daß ihr Begriff für sie sei, d.i. für sich Vernunft zu sein, womit in einem der Inhalt für sie vernünftig wird. Diese Tätigkeit ist Erkennen. Das formelle Wissen der Gewißheit erhebt sich, da die Vernunft konkret ist, zum bestimmten und begriffgemäßen Wissen. Der Gang dieser Erhebung ist selbst vernünftig und ein durch den Begriff bestimmter, notwendiger Übergang einer Bestimmung der intelligenten Tätigkeit (eines sogenannten Vermögens des Geistes) in die andere. Die Widerlegung des Scheines, das Vernünftige zu finden, die das Erkennen ist, geht [aus] von der Gewißheit, d.i. dem Glauben der Intelligenz an ihre Fähigkeit, vernünftig zu wissen, an die Möglichkeit, sich[240] die Vernunft aneignen zu können, die sie und der Inhalt an sich ist.

Die Unterscheidung der Intelligenz von dem Willen hat oft den unrichtigen Sinn, daß beide als eine fixe, voneinander getrennte Existenz genommen werden, so daß das Wollen ohne Intelligenz oder die Tätigkeit der Intelligenz willenlos sein könne. Die Möglichkeit, daß, wie es genannt wird, der Verstand ohne das Herz und das Herz ohne den Verstand gebildet werden könne, daß es auch einseitigerweise verstandlose Herzen und herzlose Verstande gibt, zeigt auf allen Fall nur dies an, daß schlechte, in sich unwahre Existenzen statthaben; aber die Philosophie ist es nicht, welche solche Unwahrheiten des Daseins und der Vorstellung für die Wahrheit, das Schlechte für die Natur der Sache nehmen soll. – Eine Menge sonstiger Formen, die von der Intelligenz gebraucht werden, daß sie Eindrücke von außen empfange, sie aufnehme, daß die Vorstellungen durch Einwirkungen äußerlicher Dinge als der Ursachen entstehen usf., gehören einem Standpunkte von Kategorien an, der nicht der Standpunkt des Geistes und der philosophischen Betrachtung ist.

Eine beliebte Reflexionsform ist die der Kräfte und Vermögen der Seele, der Intelligenz oder des Geistes. – Das Vermögen ist wie die Kraft die fixierte Bestimmtheit eines Inhalts, als Reflexion-in-sich vorgestellt. Die Kraft (§ 136) ist zwar die Unendlichkeit der Form, des Inneren und Äußeren, aber ihre wesentliche Endlichkeit enthält die Gleichgültigkeit des Inhalts gegen die Form (ebenda, Anm.). Hierin liegt das Vernunftlose, was durch diese Reflexionsform und die Betrachtung des Geistes als einer Menge von Kräften in denselben sowie auch in die Natur gebracht wird. Was an seiner Tätigkeit unterschieden werden kann, wird als eine selbständige Bestimmtheit festgehalten und der Geist auf diese Weise zu einer verknöcherten, mechanischen Sammlung gemacht. Es macht dabei ganz und gar keinen Unterschied, ob statt der Vermögen[241] und Kräfte der Ausdruck Tätigkeiten gebraucht wird. Das Isolieren der Tätigkeiten macht den Geist ebenso nur zu einem Aggregatwesen und betrachtet das Verhältnis derselben als eine äußerliche, zufällige Beziehung. Das Tun der Intelligenz als theoretischen Geistes ist Erkennen genannt worden, nicht in dem Sinne, daß sie unter anderem auch erkenne, außerdem aber auch anschaue, vorstelle, sich erinnere, einbilde usf; eine solche Stellung hängt zunächst mit dem soeben gerügten Isolieren der Geistestätigkeiten, aber ferner hängt damit auch die große Frage neuerer Zeit zusammen, ob wahrhaftes Erkennen, d.i. die Erkenntnis der Wahrheit möglich sei; so daß, wenn wir einsehen, sie sei nicht möglich, wir dies Bestreben aufzugeben haben. Die vielen Seiten, Gründe und Kategorien, womit eine äußerliche Reflexion den Umfang dieser Frage anschwellt, finden ihre Erledigung an ihrem Orte; je äußerlicher der Verstand sich dabei verhält, desto diffuser wird ihm ein einfacher Gegenstand. Hier ist die Stelle des einfachen Begriffs des Erkennens, welcher dem ganz allgemeinen Gesichtspunkt jener Frage entgegentritt, nämlich dem, die Möglichkeit des wahrhaften Erkennens überhaupt in Frage zu stellen und es für eine Möglichkeit und Willkür auszugeben, das Erkennen zu treiben oder aber es zu unterlassen. Der Begriff des Erkennens hat sich als die Intelligenz selbst, als die Gewißheit der Vernunft ergeben; die Wirklichkeit der Intelligenz ist nun das Erkennen selbst. Es folgt daraus, daß es ungereimt ist, von der Intelligenz und doch zugleich von der Möglichkeit oder Willkür des Erkennens zu sprechen. Wahrhaft aber ist das Erkennen, eben insofern sie es verwirklicht, d.i. den Begriff desselben für sich setzt. Diese formelle Bestimmung hat ihren konkreten Sinn in demselben, worin das Erkennen ihn hat. Die Momente seiner realisierenden Tätigkeit sind Anschauen, Vorstellen, Erinnern usf.; die[se] Tätigkeiten haben keinen anderen immanenten Sinn; ihr Zweck ist allein der Begriff des[242] Erkennens (s. Anm. § 445). Nur wenn sie isoliert werden, so wird teils vorgestellt, daß sie für etwas anderes als für das Erkennen nützlich seien, teils [daß sie] die Befriedigung desselben für sich selbst gewähren, und es wird das Genußreiche des Anschauens, der Erinnerung, des Phantasierens usf. gerühmt. Auch isoliertes, d.i. geistloses Anschauen, Phantasieren usf. kann freilich Befriedigung gewähren; was in der physischen Natur die Grundbestimmtheit ist, das Außersichsein, die Momente der immanenten Vernunft außereinander darzustellen, das vermag in der Intelligenz teils die Willkür, teils geschieht es ihr, insofern sie selbst nur natürlich, ungebildet ist. Die wahre Befriedigung aber, gibt man zu, gewähre nur ein von Verstand und Geist durchdrungenes Anschauen, vernünftiges Vorstellen, von Vernunft durchdrungene, Ideen darstellende Produktionen der Phantasie usf., d.i. erkennendes Anschauen, Vorstellen usf. Das Wahre, das solcher Befriedigung zugeschrieben wird, liegt darin, daß das Anschauen, Vorstellen usf. nicht isoliert, sondern nur als Moment der Totalität, des Erkennens selbst, vorhanden ist.[243]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 10, Frankfurt a. M. 1979, S. 240-244,246.
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