Zweite Abteilung der Philosophie des Geistes

Der objektive Geist

§ 483

[303] Der objektive Geist ist die absolute Idee, aber nur an sich seiend; indem er damit auf dem Boden der Endlichkeit ist, behält seine wirkliche Vernünftigkeit die Seite äußerlichen Erscheinens an ihr. Der freie Wille hat unmittelbar zunächst die Unterschiede an ihm, daß die Freiheit seine innere Bestimmung und Zweck ist und sich auf eine äußerliche vorgefundene Objektivität bezieht, welche sich spaltet in das Anthropologische der partikulären Bedürfnisse, in die äußeren Naturdinge, die für das Bewußtsein sind, und in das Verhältnis von einzelnen zu einzelnen Willen, welche ein Selbstbewußtsein ihrer als verschiedener und partikulärer sind; diese Seite macht das äußerliche Material für das Dasein des Willens aus.


§ 484

Die Zwecktätigkeit aber dieses Willens ist, seinen Begriff, die Freiheit, in der äußerlich objektiven Seite zu realisieren, daß sie als eine durch jenen bestimmte Welt sei, so daß er in ihr bei sich selbst, mit sich selbst zusammengeschlossen, der Begriff hiermit zur Idee vollendet sei. Die Freiheit, zur Wirklichkeit einer Welt gestaltet, erhält die Form von Notwendigkeit, deren substantieller Zusammenhang das System der Freiheitsbestimmungen und der erscheinende Zusammenhang als die Macht, das Anerkanntsein, d.i. ihr Gelten im Bewußtsein ist.


§ 485

Diese Einheit des vernünftigen Willens mit dem einzelnen Willen, welcher das unmittelbare und eigentümliche Element der Betätigung des ersteren ist, macht die einfache Wirklichkeit der Freiheit aus. Da sie und ihr Inhalt dem Denken angehört und das an sich Allgemeine ist, so hat der Inhalt[303] seine wahrhafte Bestimmtheit nur in der Form der Allgemeinheit. In dieser für das Bewußtsein der Intelligenz gesetzt mit der Bestimmung als geltende Macht, ist er das Gesetz – befreit von der Unreinheit und Zufälligkeit, die er im praktischen Gefühle und in dem Triebe hat, und gleichfalls nicht mehr in deren Form, sondern in seiner Allgemeinheit dem subjektiven Willen eingebildet, als dessen Gewohnheit, Sinnesart und Charakter, ist er als Sitte.


§ 486

Diese Realität überhaupt als Dasein des freien Willens ist das Recht, welches nicht nur als das beschränkte juristische Recht, sondern als das Dasein aller Bestimmungen der Freiheit umfassend zu nehmen ist. Diese Bestimmungen sind in Beziehung auf den subjektiven Willen, in welchem sie als allgemeine ihr Dasein haben sollen und allein haben können, seine Pflichten, wie sie als Gewohnheit und Sinnesart in demselben Sitte sind. Dasselbe, was ein Recht ist, ist auch eine Pflicht, und was eine Pflicht ist, ist auch ein Recht. Denn ein Dasein ist ein Recht nur auf dem Grund des freien substantiellen Willens; derselbe Inhalt ist es, der in Beziehung auf den als subjektiv und einzeln sich unterscheidenden Willen Pflicht ist. Es ist derselbe Inhalt, den das subjektive Bewußtsein anerkennt als Pflicht und den es an ihnen zum Dasein bringt. Die Endlichkeit des objektiven Willens ist insofern der Schein des Unterschieds der Rechte und der Pflichten.

Im Felde der Erscheinung sind Recht und Pflicht zunächst so Correlata, daß einem Rechte von meiner Seite eine Pflicht in einem anderen entspricht. Aber dem Begriffe nach ist mein Recht an eine Sache nicht bloß Besitz, sondern als Besitz einer Person ist es Eigentum, rechtlicher Besitz, und es ist Pflicht, Sachen als Eigentum zu besitzen,[304] d.i. als Person zu sein, was in das Verhältnis der Erscheinung, der Beziehung auf eine andere Person gesetzt, sich zur Pflicht des anderen, mein Recht zu respektieren, entwickelt. Die moralische Pflicht überhaupt ist in mir als freiem Subjekt zugleich ein Recht meines subjektiven Willens, meiner Gesinnung. Aber im Moralischen tritt die Differenz von nur innerer Willensbestimmung (Gesinnung, Absicht), die ihr Dasein nur in mir hat und nur subjektive Pflicht ist, gegen deren Wirklichkeit ein, hiermit auch eine Zufälligkeit und Unvollkommenheit, welche die Einseitigkeit des bloß moralischen Standpunktes ausmacht. Im Sittlichen ist beides zu seiner Wahrheit, zu seiner absoluten Einheit gelangt, obgleich auch, als in der Weise der Notwendigkeit, Pflicht und Recht durch Vermittlung ineinander zurückkehren und sich zusammenschließen. Die Rechte des Familienvaters über die Mitglieder sind ebensosehr Pflichten gegen sie, wie die Pflicht des Gehorsams der Kinder ihr Recht, zu freien Menschen erzogen zu werden, ist. Die Strafgerechtigkeit der Regierung, ihre Rechte der Verwaltung usf. sind zugleich Pflichten derselben, zu strafen, zu verwalten usf., wie die Leistungen der Staatsangehörigen an Abgaben, Kriegsdiensten usf. Pflichten und ebenso ihr Recht an den Schutz ihres Privateigentums und des allgemeinen substantiellen Lebens sind, in dem sie ihre Wurzel haben; alle Zwecke der Gesellschaft und des Staats sind die eigenen der Privaten; aber der Weg der Vermittlung, durch welche ihre Pflichten als Ausübung und Genuß von Rechten an sie zurückkommen, bringt den Anschein der Verschiedenheit hervor, wozu die Weise kommt, in welcher der Wert bei dem Austausche mannigfaltige Gestalten erhält, ob er gleich an sich derselbe ist. Aber wesentlich gilt es, daß, wer keine Rechte hat, keine Pflichten hat, und umgekehrt.
[305]


§ 487

Der freie Wille ist:

A. selbst zunächst unmittelbar und daher als einzelner, – die Person; das Dasein, welches diese ihrer Freiheit gibt, ist das Eigentum. Das Recht als solches ist das formelle, abstrakte Recht;

B. in sich reflektiert, so daß er sein Dasein innerhalb seiner hat und hierdurch zugleich als partikulärer bestimmt ist, das Recht des subjektiven Willens, – die Moralität;

C. der substantielle Wille als die seinem Begriffe gemäße Wirklichkeit im Subjekte und Totalität der Notwendigkeit, – die Sittlichkeit, in Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat.

Da ich diesen Teil der Philosophie in meinen Grundlinien des Rechts (Berlin 1821) ausgeführt habe, so kann ich mich hier kürzer als über die anderen Teile fassen.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 10, Frankfurt a. M. 1979, S. 303-306.
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