B. Die vegetabilische Natur
§ 343

[371] Die Subjektivität, nach welcher das Organische als Einzelnes ist, entwickelt sich in einen objektiven Organismus, die Gestalt, als einen sich in Teile, die voneinander unterschieden sind, gliedernden Leib. In der Pflanze, der nur erst unmittelbaren subjektiven Lebendigkeit, ist der objektive Organismus und die Subjektivität desselben noch unmittelbar identisch, wodurch der Prozeß der Gliederung und der Selbsterhaltung des vegetabilischen Subjekts ein Außersichkommen und Zerfallen in mehrere Individuen ist, für welche das eine ganze Individuum mehr nur der Boden als subjektive Einheit von Gliedern ist; der Teil – die Knospe, Zweig usf. – Ist auch die ganze Pflanze. Ferner ist deswegen die Differenz der organischen Teile nur eine oberflächliche Metamorphose, und der eine kann leicht in die Funktion des anderen übergehen.
[371]


§ 344

Der Prozeß der Gestaltung und der Reproduktion des einzelnen Individuums fällt auf diese Weise mit dem Gattungsprozesse zusammen und ist ein perennierendes Produzieren neuer Individuen. Die selbstische Allgemeinheit, das subjektive Eins der Individualität trennt sich nicht von der reellen Besonderung, sondern ist in sie nur versenkt. Die Pflanze, als gegen ihren an sich seienden Organismus (§ 342) noch nicht für sich seiende Subjektivität, determiniert weder aus sich sich ihren Ort, hat keine Bewegung vom Platze, noch ist sie für sich gegen die physikalische Besonderung und Individualisierung desselben, hat daher keine sich unterbrechende Intussuszeption, sondern eine kontinuierlich strömende Ernährung und verhält sich nicht zu individualisiertem Unorganischen, sondern zu den allgemeinen Elementen.[373] Animalischer Wärme und des Gefühls ist sie noch weniger fähig, da sie nicht der Prozeß ist, ihre Glieder, die mehr nur Teile und selbst Individuen sind, zur negativen, einfachen Einheit zurückzuführen.
[374]


§ 345

Als Organisches gliedert sich aber die Pflanze wesentlich auch in eine Unterschiedenheit von abstrakten (Zellen, Fasern und dergleichen) und von konkreteren Gebilden, die jedoch in ihrer ursprünglichen Homogeneität bleiben. Die Gestalt der Pflanze, als aus der Individualität noch nicht zur Subjektivität befreit, bleibt auch den geometrischen Formen und kristallinischer Regelmäßigkeit nahe, wie die Produkte ihres Prozesses den chemischen noch näherstehen.

Goethes Metamorphose der Pflanzen hat den Anfang eines vernünftigen Gedankens über die Natur der Pflanze gemacht, indem sie die Vorstellung aus der Bemühung um bloße Einzelheiten zum Erkennen der Einheit des Lebens gerissen hat. Die Identität der Organe ist in der Kategorie[380] der Metamorphose überwiegend; die bestimmte Differenz und die eigentümliche Funktion der Glieder, wodurch der Lebensprozeß gesetzt ist, ist aber die andere notwendige Seite zu jener substantiellen Einheit. Die Physiologie der Pflanze erscheint notwendig als dunkler als die des tierischen Körpers, weil sie einfacher ist, die Assimilation wenige Vermittlungen durchgeht und die Veränderung als unmittelbare Infektion geschieht. – Wie in allem natürlichen und geistigen Lebensprozeß ist die Hauptsache in der Assimilation, wie in der Sekretion, die substantielle Veränderung, d.i. die unmittelbare Verwandlung eines äußeren oder besonderen Stoffs überhaupt in einen anderen; es tritt ein Punkt ein, wo die Verfolgung der Vermittlung, es sei in chemischer oder in Weise mechanischer Allmählichkeit, abgebrochen und unmöglich wird. Dieser Punkt ist allenthalben und durchdringend, und die Nicht-Kenntnis oder vielmehr das Nichtanerkennen dieser einfachen Identifizierung sowie der einfachen Diremtion ist es, was eine Physiologie des Lebendigen unmöglich macht. – Interessante Aufschlüsse über die Physiologie der Pflanze gewährt das Werk meines Kollegen, des Herrn Prof. C. H. Schultz (Die Natur der lebendigen Pflanze, oder die Pflanzen und das Pflanzenreich, 2 Bde.), das ich um so mehr hier anzuführen habe, als einige der in den folgenden Paragraphen angegebenen speziellen Grundzüge über den Lebensprozeß der Pflanze daraus geschöpft sind.
[381]


§ 346

Der Prozeß, welcher die Lebendigkeit ist, muß ebensosehr, als er einer ist, in die Dreiheit der Prozesse sich auseinandertun (§ 217-220).

a) Der Gestaltungsprozeß, der innere Prozeß der Beziehung der Pflanze auf sich selbst ist nach der einfachen Natur des Vegetativen selbst sogleich Beziehung auf Äußeres und Entäußerung. Einerseits ist er der substantielle, die unmittelbare Verwandlung teils der Ernährungszuflüsse in die spezifische Natur der Pflanzenart, teils der innerlich umgebildeten Flüssigkeit (des Lebenssaftes) in Gebilde. Andererseits als Vermittlung mit sich selbst α) beginnt der Prozeß mit der zugleich nach außen gerichteten Diremtion in Wurzel und Blatt und der inneren abstrakten des allgemeinen Zellgewebes in die Holzfaser und in die Lebensgefäße, deren jene gleichfalls nach außen sich beziehen, diese den inneren Kreislauf enthalten. Die hierin sich mit sich selbst vermittelnde Erhaltung ist β) Wachstum als Produktion neuer Bildungen, Diremtion in die abstrakte Beziehung auf sich selbst, in die Verhärtung des Holzes (bis zur Versteinerung im Tabascher u. dgl.) und der andern Teile, und in die Rinde (das dauernde Blatt), γ) Das Zusammennehmen der Selbsterhaltung in die Einheit ist nicht ein Zusammenschließen des Individuums mit sich selbst, sondern die Produktion eines neuen Pflanzenindividuums, der Knospe.
[394]

§ 347

b) Der Gestaltungsprozeß ist unmittelbar mit dem zweiten, dem nach außen sich spezifizierenden Prozesse verknüpft. Der Same keimt nur von außen erregt, und die Diremtion des Gestaltens in Wurzel und Blatt ist selbst Diremtion in die Richtung nach Erde und Wasser und in die nach Licht und Luft, in die Einsaugung des Wassers und in die durch Blatt und Rinde wie durch Licht und Luft vermittelte Assimilation[411] desselben. Die Rückkehr-in-sich, in welcher die Assimilation sich beschließt, hat das Selbst nicht in innerer subjektiver Allgemeinheit gegen die Äußerlichkeit, nicht ein Selbstgefühl zum Resultate. Die Pflanze wird vielmehr von dem Licht, als ihrem ihr äußerlichen Selbst, hinausgerissen, rankt demselben entgegen, sich zur Vielheit von Individuen verzweigend. In sich nimmt sie sich aus ihm die spezifische Befeuerung und Bekräftigung, die Gewürzhaftigkeit, Geistigkeit des Geruchs, des Geschmacks, Glanz und Tiefe der Farbe, Gedrungenheit und Kräftigkeit der Gestalt.
[412]

§ 348

c) Die Pflanze gebiert aber auch ihr Licht aus sich als ihr eigenes Selbst, in der Blüte, in welcher zunächst die neutrale, grüne Farbe zu einer spezifischen bestimmt wird. Der Gattungsprozeß, als das Verhältnis des individuellen Selbsts zum Selbst, hemmt als Rückkehr-in-sich das Wachstum als das für sich ungemessene Hinaussprossen von Knospe zu Knospe. Die Pflanze bringt es aber nicht zum Verhältnis der Individuen als solcher, sondern nur zu einem Unterschiede, dessen Seiten nicht zugleich an ihnen die ganzen Individuen sind, nicht die ganze Individualität determinieren, der hiermit auch zu mehr nicht als zu einem Beginn und Andeutung des Gattungsprozesses kommt. Der Keim ist hier für das eine und dasselbe Individuum anzusehen, dessen Lebendigkeit[419] diesen Prozeß durchläuft und durch Rückkehr-in-sich ebenso sich erhalten hat, als zur Reife eines Samens gediehen ist; dieser Verlauf ist aber im ganzen ein Überfluß, da der Gestaltungs- und der Assimilationsprozeß schon selbst Reproduktion, Produktion neuer Individuen ist.
[420]


§ 349

Was aber im Begriffe gesetzt worden, ist, daß der Prozeß die mit sich selbst zusammengegangene Individualität darstellt und die Teile, die zunächst als Individuen sind, auch als der Vermittlung angehörige und in ihr vorübergehende Momente, somit die unmittelbare Einzelheit und das Außereinander des vegetabilischen Lebens als aufgehoben zeigt. Dies Moment der negativen Bestimmung begründet den Übergang in den wahrhaften Organismus, worin die äußere Gestaltung mit dem Begriffe übereinstimmt, daß die Teile wesentlich Glieder und die Subjektivität als die durchdringende eine des Ganzen existiert.[429]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 9, Frankfurt a. M. 1979, S. 371-375,380-382,394-395,411-413,419-421,429-430.
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