A. Besitznahme
§ 54

[119] Die Besitznahme ist teils die unmittelbare körperliche Ergreifung, teils die Formierung, teils die bloße Bezeichnung.


§ 55

α) Die körperliche Ergreifung ist nach der sinnlichen Seite, indem Ich in diesem Besitzen unmittelbar gegenwärtig bin und damit mein Wille ebenso erkennbar ist, die vollständigste Weise, aber überhaupt nur subjektiv, temporär und dem Umfange nach, sowie auch durch die qualitative Natur der Gegenstände höchst eingeschränkt. – Durch den Zusammenhang, in den ich etwas mit anderwärts mir schon eigentümlichen Sachen bringen kann, oder etwas sonst zufälligerweise[119] kommt, – durch andere Vermittlungen wird der Umfang dieser Besitznahme etwas ausgedehnt.

Mechanische Kräfte, Waffen, Instrumente erweitern den Bereich meiner Gewalt. – Zusammenhänge, wie des meinen Boden bespülenden Meeres, Stromes, eines zur Jagd, Weide und anderer Benutzung tauglichen Bodens, der an mein festes Eigentum angrenzt, der Steine und anderer Mineralienlager unter meinem Acker, Schätze in oder unter meinem Grundeigentum usf., oder Zusammenhänge, die erst in der Zeit und zufällig erfolgen wie ein Teil der sogenannten natürlichen Akzessionen, Alluvion und dergleichen, auch Strandung – die Foetura ist wohl eine Akzession zu meinem Vermögen, aber, als ein organisches Verhältnis, kein äußerliches Hinzukommen zu einer anderen von mir besessenen Sache und daher von ganz anderer Art als die sonstigen Akzessionen –, sind teils leichtere, zum Teil ausschließende Möglichkeiten, etwas in Besitz zu nehmen oder zu benutzen für einen Besitzer gegen einen anderen, teils kann das Hinzugekommene als ein unselbständiges Akzidens der Sache, zu der es hinzugekommen, angesehen werden. Es sind dies überhaupt äußerliche Verknüpfungen, die nicht den Begriff und die Lebendigkeit zu ihrem Bande haben. Sie fallen daher dem Verstande für Herbeibringung und Abwägung der Gründe und Gegengründe und der positiven Gesetzgebung zur Entscheidung, nach einem Mehr oder Weniger von Wesentlichkeit oder Unwesentlichkeit der Beziehungen, anheim.
[120]

§ 56

β) Durch die Formierung erhält die Bestimmung, daß etwas das Meinige ist, eine für sich bestehende Äußerlichkeit und hört auf, auf meine Gegenwart in diesem Raum und in dieser Zeit und auf die Gegenwart meines Wissens und Wollens beschränkt zu sein.

Das Formieren ist insofern die der Idee angemessenste Besitznahme, weil sie das Subjektive und Objektive in sich vereinigt, übrigens nach der qualitativen Natur der Gegenstände und nach der Verschiedenheit der subjektiven Zwecke unendlich verschieden. – Es gehört hierher auch das Formieren des Organischen, an welchem das, was ich an ihm tue, nicht als ein Äußerliches bleibt, sondern assimiliert wird: Bearbeitung der Erde, Kultur der Pflanzen, Bezähmen, Füttern und Hegen der Tiere; weiter vermittelnde Veranstaltungen zur Benutzung elementarischer[121] Stoffe oder Kräfte, veranstaltete Einwirkung eines Stoffes auf einen anderen usf.


§ 57

Der Mensch ist nach der unmittelbaren Existenz an ihm selbst ein Natürliches, seinem Begriffe Äußeres; erst durch die Ausbildung seines eigenen Körpers und Geistes, wesentlich dadurch, daß sein Selbstbewußtsein sich als freies erfaßt, nimmt er sich in Besitz und wird das Eigentum seiner selbst und gegen andere. Dieses Besitznehmen ist umgekehrt ebenso dies, das, was er seinem Begriffe nach (als eine Möglichkeit,[122] Vermögen, Anlage) ist, in die Wirklichkeit zu setzen, wodurch es ebensowohl erst als das Seinige gesetzt, als auch als Gegenstand und vom einfachen Selbstbewußtsein unterschieden und dadurch fähig wird, die Form der Sache zu erhalten (vgl. Anm. zu § 43).

Die behauptete Berechtigung der Sklaverei (in allen ihren näheren Begründungen durch die physische Gewalt, Kriegsgefangenschaft, Rettung und Erhaltung des Lebens, Ernährung, Erziehung, Wohltaten, eigene Einwilligung usf.) sowie die Berechtigung einer Herrschaft als bloßer Herrenschaft überhaupt und alle historische Ansicht über das Recht der Sklaverei und der Herrenschaft beruht auf dem Standpunkt, den Menschen als Naturwesen überhaupt nach einer Existenz (wozu auch die Willkür gehört) zu nehmen, die seinem Begriffe nicht angemessen ist. Die Behauptung des absoluten Unrechts der Sklaverei hingegen hält am Begriffe des Menschen als Geistes, als des an sich freien, fest und ist einseitig darin, daß sie den Menschen als von Natur frei oder, was dasselbe ist, den Begriff als solchen in seiner Unmittelbarkeit, nicht die Idee, als das Wahre nimmt. Diese Antinomie beruht, wie alle Antinomie, auf dem formellen Denken, das die beiden Momente einer Idee getrennt, Jedes für sich, damit der Idee nicht angemessen und in seiner Unwahrheit, festhält und behauptet. Der freie Geist ist eben dieses (§ 21), nicht als der bloße Begriff oder an sich zu sein, sondern diesen Formalismus seiner selbst und damit die unmittelbare natürliche Existenz aufzuheben und sich die Existenz nur als die seinige, als freie Existenz zu geben. Die Seite der Antinomie, die den Begriff der Freiheit behauptet, hat daher den Vorzug, den absoluten Ausgangspunkt, aber auch nur den Augsgangspunkt für die Wahrheit zu enthalten, während die andere Seite, welche bei der begrifflosen Existenz stehenbleibt, den Gesichtspunkt von Vernünftigkeit und Recht gar nicht enthält. Der Standpunkt des freien Willens, womit das[123] Recht und die Rechtswissenschaft anfängt, ist über den unwahren Standpunkt, auf welchem der Mensch als Naturwesen und nur als an sich seiender Begriff, der Sklaverei daher fähig ist, schon hinaus. Diese frühere unwahre Erscheinung betrifft den Geist, welcher nur erst auf dem Standpunkte seines Bewußtseins ist; die Dialektik des Begriffs und des nur erst unmittelbaren Bewußtseins der Freiheit bewirkt daselbst den Kampf des Anerkennen; und das Verhältnis der Herrenschaft und der Knechtschaft (s. Phänomenologie des Geistes, S. 115 ff. und Enzyklop. der philos. Wissensch. § 325 ff.). Daß aber der objektive Geist, der Inhalt des Rechts, nicht selbst wieder nur in seinem subjektiven Begriffe und damit, daß dies, daß der Mensch an und für sich nicht zur Sklaverei bestimmt sei, nicht wieder als ein bloßes Sollen aufgefaßt werde, dies findet allein in der Erkenntnis statt, daß die Idee der Freiheit wahrhaft nur als der Staat ist.
[124]

§ 58

γ) Die für sich nicht wirkliche, sondern meinen Willen nur vorstellende Besitznahme ist ein Zeichen an der Sache, dessen Bedeutung sein soll, daß Ich meinen Willen in sie gelegt habe. Diese Besitznahme ist nach dem gegenständlichen Umfang und der Bedeutung sehr unbestimmt.[126]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 7, Frankfurt a. M. 1979, S. 119-128.
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