c. Beginn der Philosophie in Griechenland

[121] Die eigentliche Philosophie beginnt im Okzident. Erst im Abendlande geht diese Freiheit des Selbstbewußtseins auf, das natürliche Bewußtsein in sich unter und damit der Geist in sich nieder. Im Glanze des Morgenlandes verschwindet das Individuum nur; das Licht wird im Abendlande erst zum Blitze des Gedankens, der in sich selbst einschlägt und von da aus sich seine Welt erschafft. Die Seligkeit des Okzidents ist daher so bestimmt, daß darin das Subjekt als solches ausdaure und im Substantiellen beharre. Der einzelne Geist erfaßt sein Sein als Allgemeines; die Allgemeinheit ist diese Beziehung auf sich. Dies Beisichsein, diese Persönlichkeit und Unendlichkeit des Ich macht das Sein des Geistes aus; so ist er, und er kann nun nicht anders sein. Es ist das Sein eines Volkes, daß es sich als frei weiß und nur als Allgemeines ist, – dies das Prinzip seines ganzen sittlichen und übrigen Lebens. Das haben wir an einem einzelnen Beispiele leicht. Wir wissen unser wesentliches Sein nur so daß die persönliche Freiheit Grundbedingung ist. Wäre die bloße Willkür des Fürsten Gesetz und er wollte Sklaverei einführen, so hätten wir das Bewußtsein, daß dies nicht ginge. Jeder weiß, er kann kein Sklave sein. Schläfrig sein, leben, Beamte sein – das ist nicht unser wesentliches Sein,[121] wohl aber: kein Sklave zu sein. Das hat die Bedeutung eines Naturseins erhalten. So sind wir im Okzident auf dem Boden der eigentlichen Philosophie.

Indem ich im Triebe abhängig von einem Anderen bin, mein Sein in eine Besonderheit lege, so bin ich, wie ich existiere, mir ungleich; denn ich bin Ich, das ganz Allgemeine, aber in einer Leidenschaft befangen. Dies ist Willkür, formelle Freiheit, die den Trieb zum Inhalt hat. Den Zweck des wahrhaften Willens, das Gute, Rechte, wo ich frei, Allgemeines bin und die anderen auch frei, auch Ich, mir gleich sind, also Verhältnis von Freien zu Freien, und damit wesentliche Gesetze, Bestimmungen des allgemeinen Willens, rechtliche Verfassung gesetzt ist, – diese Freiheit finden wir erst im griechischen Volke. Daher fängt hier die Philosophie an.

In Griechenland sehen wir die reale Freiheit aufblühen, aber zugleich noch in einer bestimmten Form, mit einer Einschränkung behaftet, da es noch Sklaven gab und die Staaten durch die Sklaverei bedingt waren. Die Freiheit im Orient, Griechenland und der germanischen Welt können wir in folgenden Abstraktionen zunächst oberflächlich bestimmen: Im Orient ist nur ein Einziger frei (der Despot), in Griechenland sind Einige frei, im germanischen Leben gilt der Satz, es sind Alle frei, d.h. der Mensch als Mensch ist frei. Da aber der Einzige im Orient nicht frei sein kann, weil dazu gehört, daß ihm die anderen auch frei wären, so findet dort nur Begierde, Willkür, formelle Freiheit, abstrakte Gleichheit des Selbstbewußtseins, Ich = Ich statt. Indem in Griechenland der partikuläre Satz vorhanden ist, so sind die Athener, die Spartaner frei, aber nicht die Messenier und Heloten. Es ist zu sehen, worin der Grund dieses »Einige« liegt. Dieses enthält besondere Modifikationen der griechischen Anschauung, welche wir zu betrachten haben in Beziehung auf die Geschichte der Philosophie. Indem wir diese Unterschiede betrachten, so heißt dies nichts anderes, als daß wir zur Einteilung der Geschichte der Philosophie übergehen.[122]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 18, Frankfurt am Main 1979, S. 121-123.
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