3. Abhandlungsweise

[136] Von der äußerlichen Geschichte werde ich, was die allgemeine Geschichte betrifft, nur den Geist, das Prinzip der Zeiten berühren, ebenso die Lebensumstände der merkwürdigen Philosophen anführen. In Ansehung der Philosophien sind überhaupt aber nur diejenigen namhaft zu machen, deren Prinzipien einen Ruck getan und durch welche die Wissenschaft eine Erweiterung erlangt hat. So werde ich viele Namen auf der Seite liegen lassen, die im gelehrten Verfahren aufgenommen werden, die aber wenig Ausbeute geben in Rücksicht auf die Philosophie. Die Geschichte der Verbreitung einer Lehre, ihre Schicksale, diejenigen, welche eine Lehre bloß doziert haben, übergehe ich, wie die Ausführung der ganzen Weltanschauung in einem bestimmten Prinzip.[136]

Die Forderung scheint plausibel, daß ein Geschichtsschreiber der Philosophie kein System haben, nichts von dem Seinigen hinzutun noch mit seinem Urteile darüber herfallen soll. Die Geschichte der Philosophie soll eben diese Unparteilichkeit herbeiführen, und es scheint insofern geraten, nur Auszüge aus den Philosophen zu geben. Wer von der Sache nichts versteht, kein System, bloß historische Kenntnisse hat, wird sich freilich unparteiisch verhalten. Es ist aber zu unterscheiden zwischen politischer Geschichte und Geschichte der Philosophie. Wenn man sich nämlich bei jener auch nicht darauf beschränken darf, nur chronikenmäßig die Begebenheiten darzustellen, so kann man sie doch ganz objektiv halten wie die Homerische Epopöe; so Herodot und Thukydides. Sie lassen als freie Menschen die objektive Welt frei für sich gewähren, haben vom Ihrigen nichts hinzugetan, noch die Handlungen, die sie darstellten, vor ihren Richterstuhl gezogen und beurteilt.

Doch auch in die politische Geschichte legt sich sogleich ein Zweck hinein. So ist bei Livius die römische Herrschaft die Hauptsache. Wir sehen in seiner Geschichte Rom steigen, sich verteidigen, seine Herrschaft ausüben; der allgemeine Zweck ist Rom, die Erweiterung seiner Herrschaft, die Ausbildung seiner Verfassung usw. So macht sich von selbst in der Geschichte der Philosophie die sich entwickelnde Vernunft zum Zweck, es ist kein fremder Zweck, den wir hineintragen; es ist die Sache selbst, die hier als das Allgemeine zugrunde liegt, so als Zweck erscheint, und womit sich von selbst die einzelnen Ausbildungen und Gestalten vergleichen. Wenn daher auch die Geschichte der Philosophie Taten der Geschichte zu erzählen hat, so ist doch die erste Frage, was denn eine Tat der Philosophie, ob etwas philosophisch ist oder nicht. In der äußeren Geschichte ist alles Tat – freilich gibt es Wichtiges und Unwichtiges; die Tat ist aber der Vorstellung unmittelbar hingestellt; nicht so in der Philosophie. Deswegen kann die Geschichte der Philosophie durchaus nicht ohne Urteil des Geschichtsschreibers abgehandelt werden.[137]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 18, Frankfurt am Main 1979, S. 136-138.
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