Zweites Kapitel.

Von den Sophisten bis zu den Sokratikern

[404] In dieser zweiten Periode haben wir zuerst zu betrachten die Sophisten, zweitens Sokrates und drittens die Sokratiker im näheren Sinn. Platon wird von ihnen getrennt und mit Aristoteles zusammen betrachtet. Der nous, Zweck ist zunächst auf sehr subjektive Weise gefaßt: was dem Menschen Zweck ist (das Gute). Bei Platon und Aristoteles ist dies in allgemein objektiver Weise gefaßt worden, als Gattung, Idee. Der Gedanke ist als das Prinzip aufgefaßt; so hat es zunächst subjektive Erscheinung. Das Denken ist subjektive Tätigkeit; so tritt Zeitalter der subjektiven Reflexion ein, Setzen des Absoluten als Subjekts. Das Prinzip der modernen Zeit beginnt in dieser Periode, – mit der Auflösung Griechenlands im Peloponnesischen Kriege.

Da im nous des Anaxagoras, als der noch ganz formellen sich selbst bestimmenden Tätigkeit, die Bestimmtheit noch ganz unbestimmt ist – die Bestimmung ist selbst ganz allgemein, abstrakt, damit haben wir noch durchaus keinen Inhalt –, so ist das unmittelbare Bedürfnis, der allgemeine Standpunkt das Fortgehen zu einem Inhalt. Was ist der absolut allgemeine Inhalt, den sich das abstrakte Denken als sich bestimmende Tätigkeit gibt? Und dies ist das wirkliche Bestimmen, was hier beginnt. Dem unbefangenen Denken[404] der älteren Philosophen, deren allgemeine Gedanken wir gesehen haben, steht jetzt das Bewußtsein gegenüber. Das Subjekt, wenn es über Gott, über das Absolute reflektiert, produziert Gedanken, hat diesen Inhalt vor sich; aber das Weitere ist, daß dies nicht das Ganze ist, was hier vorhanden ist, – das Zweite ist das denkende Subjekt, daß zur Totalität des Objektiven wesentlich auch die Subjektivität des Denkens gehört. Diese Subjektivität hat näher die Bestimmung, daß sie die unendliche, sich auf sich beziehende Form ist; diese reine Tätigkeit, das Bestimmen überhaupt, das Allgemeine mit dieser Form erhält so Bestimmungen, einen Inhalt, und die wesentliche Frage ist hier nach den Inhaltsbestimmungen. Die andere Seite der Subjektivität ist, daß das Subjekt dies Denken, dies Setzende ist, und das Bewußtsein hat darauf zu reflektieren; es ist darin eine Rückkehr des Geistes aus der Objektivität in sich selbst. Das Denken vertieft sich zuerst in den Gegenstand; aber es hat, so wie der nous des Anaxagoras, noch keinen Inhalt, indem dieser auf der andern Seite steht. Mit der Rückkehr des Denkens als dem Bewußtsein, daß das Subjekt das Denkende ist, ist verbunden die andere Seite, daß es ihm darum zu tun ist, sich einen wesentlichen absoluten Inhalt zu gewinnen. Dieser Inhalt kann, abstrakt genommen, ein doppelter sein. Das Ich, als das Bestimmende, ist in Ansehung der Form der Bestimmung das Wesentliche: so ist erstens der Inhalt Ich selbst, das Meinige, ich habe diese Interessen und mache sie zum Inhalte; und zweitens der Inhalt wird bestimmt als das ganz Allgemeine. Um diese zwei Gesichtspunkte handelt es sich: wie die Bestimmung des Anundfürsichseienden zu fassen ist, und wie es dabei in unmittelbarer Beziehung auf das Ich als Denkendes ist. Beim Philosophieren kommt es überhaupt darauf an, was der Gegenstand, Inhalt des Gedachten ist, und daß das Ich das Setzende ist; und obgleich ich so setze, so ist doch das Gesetzte objektiv, an und für sich seiend. Bleibt man dabei stehen, daß Ich das Setzende ist, so ist es der schlechte Idealismus der modernen Zeit. In früherer[405] Zeit hat man gedacht und ist nicht dabei stehengeblieben, daß das Gedachte darum schlecht ist, weil ich es setze, weil es ein Subjektives ist.

Hierher gehören nun die Sophisten, Sokrates und die Sokratiker, insofern diese den Inhalt, wie er sich in Sokrates bestimmt hat, näher aufgefaßt haben, aber in unmittelbarem Zusammenhange mit ihm.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 18, Frankfurt am Main 1979, S. 404-406.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie
Universal-Bibliothek, Nr. 4881: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte
Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft Nr. 612: Georg Wilhelm Friedrich Hegel Werke Band 12: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte
Werke in 20 Bänden mit Registerband: 18: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I (suhrkamp taschenbuch wissenschaft)
Werke in 20 Bänden mit Registerband: 19: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II (suhrkamp taschenbuch wissenschaft)
Werke in 20 Bänden mit Registerband: 20: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III (suhrkamp taschenbuch wissenschaft)