B. Eigentümliche Bestrebungen der Philosophie

[17] Eine zweite Reihe von Erscheinungen betrifft dann aber mehr die eigentümlichen Bestrebungen in der Philosophie die nur Bestrebungen blieben, nur der ungeheuren Zeit dieser Gärung angehören. Viele Individuen in der ungeheuren Gärung der damaligen Zeit sahen sich von dem bisherigen Inhalt, dem Objekt, das bisher die Stütze und Halt des Bewußtseins ausgemacht, dem Glauben verlassen. Neben[17] diesem ruhigen Hervortreten der alten Philosophie sind auf der andern Seite eine Menge gärender Gestalten auffallend, in denen der Trieb der Erkenntnis, des Wissens, der Wissenschaft auf eine gärende, gewaltsame Weise sich aufgetan hat. Sie fühlten sich und wurden nun von dem Triebe regiert, aus sich heraus sich das Wesen zu schaffen, die Wahrheit zu schöpfen, – Menschen gärender, brausender Natur, von unstetem und wildem Charakter, enthusiastischem Wesen, das nicht die Ruhe der Wissenschaft gewinnen konnte. Man findet so bei ihnen große Originalität; der Inhalt ist aber höchst vermischt und ungleich. In dieser Zeit finden sich eine Menge Individuen, groß durch die Energie ihres Geistes, ihres Charakters, bei denen sich aber eine große Verworrenheit des Geistes und Charakters zugleich findet, – deren Schicksale, wie ihre Schriften, nur diese Unsicherheit ihres Wesens und die Empörung des Innern gegen das vorhandene Dasein wie Intelligenz und die Sucht, heraus zur Festigkeit zu gebären, bezeichnen und in denen ein heißer Trieb zum Tiefsten und Konkreten in denkender Weise durch unendliche Phantastereien, Wildheit der Einbildung, Sucht nach geheimen astrologischen, geomantischen und anderen Kenntnissen verunreinigt war. Diese merkwürdigen Erscheinungen gleichen wesentlich der Auflösung, dem Erdbeben und den Eruptionen eines Vulkans, der sich im Innern gebildet hatte und der eine neue Schöpfung hervorbrachte; seine Schöpfungen sind noch wild und unregelmäßig. Das gibt Gestaltungen, in denen allerdings die subjektive Energie des Geistes zu schätzen ist und ein wunderbares Eingehen in Echtes und Großes nicht verkannt werden darf. Die Zeit war reich an solchen Individuen, die sich auf die gewaltsamste und korrupteste Weise herumgetrieben haben im Gedanken, im Gemüt wie in den äußerlichen Verhältnissen. Die merkwürdigsten Naturen dieser Art sind Cardanus, Bruno, Vanini und Campanella, dann Ramus; sie sind Repräsentanten des Charakters der Zeit in diesem Zwischenzustande des Übergangs.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 20, Frankfurt am Main 1979, S. 17-18.
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