Anmerkung 1
Die Begriffsbestimmtheit des mathematischen Unendlichen

[279] Das mathematische Unendliche ist einesteils interessant durch die Erweiterung der Mathematik und die großen Resultate, welche seine Einführung in dieselbe hervorgebracht hat; andernteils aber ist es dadurch merkwürdig, daß es dieser Wissenschaft noch nicht gelungen ist, sich über den Gebrauch desselben durch den Begriff (Begriff im eigentlichen Sinne genommen) zu rechtfertigen. Die Rechtfertigungen beruhen am Ende auf der Richtigkeit der mit Hilfe jener Bestimmung sich ergebenden Resultate, welche aus sonstigen Gründen erwiesen ist, nicht aber auf der Klarheit des Gegenstandes[279] und der Operation, durch welche die Resultate herausgebracht werden, sogar daß die Operation vielmehr selbst als unrichtig zugegeben wird.

Dies ist schon ein Mißstand an und für sich; ein solches Verfahren ist unwissenschaftlich. Es führt aber auch den Nachteil mit sich, daß die Mathematik, indem sie die Natur dieses ihres Instruments nicht kennt, weil sie mit der Metaphysik und Kritik desselben nicht fertig ist, den Umfang seiner Anwendung nicht bestimmen und vor Mißbräuchen desselben sich nicht sichern konnte.

In philosophischer Rücksicht aber ist das mathematische Unendliche darum wichtig, weil ihm in der Tat der Begriff des wahrhaften Unendlichen zugrunde liegt und es viel höher steht als das gewöhnlich so genannte metaphysische Unendliche, von dem aus die Einwürfe gegen ersteres gemacht werden. Gegen diese Einwürfe weiß sich die Wissenschaft der Mathematik häufig nur dadurch zu retten, daß sie die Kompetenz der Metaphysik verwirft, indem sie behauptet, mit dieser Wissenschaft nichts zu schaffen und sich um deren Begriffe nicht zu bekümmern zu haben, wenn sie nur auf ihrem eigenen Boden konsequent verfahre. Sie habe nicht zu betrachten, was an sich, sondern was auf ihrem Felde das Wahre sei. Die Metaphysik weiß die glänzenden Resultate des Gebrauchs des mathematischen Unendlichen bei ihrem Widerspruche gegen dasselbe nicht zu leugnen oder umzustoßen, und die Mathematik weiß mit der Metaphysik ihres eigenen Begriffs und daher auch mit der Ableitung der Verfahrungsweisen, die der Gebrauch des Unendlichen nötig macht, nicht ins Reine zu kommen.

Wenn es die einzige Schwierigkeit des Begriffs überhaupt wäre, von der die Mathematik gedrückt würde, so könnte sie diesen ohne Umstände auf der Seite liegenlassen, insofern nämlich der Begriff mehr ist als nur die Angabe der wesentlichen Bestimmtheiten, d. i. der Verstandesbestimmungen einer Sache, und an der Schärfe dieser Bestimmtheiten hat sie es nicht fehlen lassen; denn sie ist nicht eine Wissenschaft,[280] die es mit den Begriffen ihrer Gegenstände zu tun und durch die Entwicklung des Begriffs, wenn auch nur durch Räsonnement, ihren Inhalt zu erzeugen hätte. Allein bei der Methode ihres Unendlichen findet sie den Hauptwiderspruch an der eigentümlichen Methode selbst, auf welcher sie überhaupt als Wissenschaft beruht. Denn die Rechnung des Unendlichen erlaubt und erfordert Verfahrungsweisen, welche die Mathematik bei Operationen mit endlichen Größen durchaus verwerfen muß, und zugleich behandelt sie ihre unendlichen Größen wie endliche Quanta und will auf jene dieselben Verfahrungsweisen anwenden, welche bei diesen gelten; es ist eine Hauptseite der Ausbildung dieser Wissenschaft, für die transzendenten Bestimmungen und deren Behandlung die Form des gewöhnlichen Kalküls gewonnen zu haben.

Die Mathematik zeigt bei diesem Widerstreite ihrer Operationen, daß Resultate, die sie dadurch findet, ganz mit denen übereinstimmen, welche durch die eigentlich mathematische, die geometrische und analytische Methode gefunden werden. Aber teils betrifft dies nicht alle Resultate, und der Zweck der Einführung des Unendlichen ist nicht allein, den gewöhnlichen Weg abzukürzen, sondern zu Resultaten zu gelangen, die durch diesen nicht geleistet werden können, Teils rechtfertigt der Erfolg die Manier des Wegs nicht für sich. Diese Manier aber der Rechnung des Unendlichen zeigt sich durch den Schein der Ungenauigkeit gedrückt, den sie sich gibt, indem sie endliche Größen um eine unendlich kleine Größe das eine Mal vermehrt, diese in der ferneren Operation zum Teil beibehält, aber einen Teil derselben auch vernachlässigt. Dies Verfahren enthält die Sonderbarkeit, daß, der eingestandenen Ungenauigkeit unerachtet, ein Resultat herauskommt, das nicht nur ziemlich und so nahe, daß der Unterschied außer acht gelassen werden könnte, sondern vollkommen genau ist. In der Operation selbst aber, die dem Resultate vorhergeht, kann die Vorstellung nicht entbehrt werden, daß einiges nicht gleich Null, aber so unbeträchtlich sei, um außer acht gelassen werden zu können. Allein bei[281] dem, was unter mathematischer Bestimmtheit zu verstehen ist, fällt aller Unterschied einer größeren oder geringeren Genauigkeit gänzlich hinweg, wie in der Philosophie nicht von größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit, sondern von der Wahrheit allein die Rede sein kann. Wenn die Methode und der Gebrauch des Unendlichen durch den Erfolg gerechtfertigt wird, so ist es nicht so überflüssig, dessenungeachtet die Rechtfertigung derselben zu fordern, als es bei der Nase überflüssig scheint, nach dem Erweise des Rechts, sich ihrer zu bedienen, zu fragen. Denn es ist bei der mathematischen als einer wissenschaftlichen Erkenntnis wesentlich um den Beweis zu tun, und auch in Ansehung der Resultate ist es der Fall, daß die streng mathematische Methode nicht zu allen den Beleg des Erfolgs liefert, der aber ohnehin nur ein äußerlicher Beleg ist.

Es ist der Mühe wert, den mathematischen Begriff des Unendlichen und die merkwürdigsten Versuche näher zu betrachten, welche die Absicht haben, den Gebrauch desselben zu rechtfertigen und die Schwierigkeit, von der sich die Methode gedrückt fühlt, zu beseitigen. Die Betrachtung dieser Rechtfertigungen und Bestimmungen des mathematischen Unendlichen, welche ich in dieser Anmerkung weitläufiger anstellen will, wird zugleich das beste Licht auf die Natur des wahren Begriffes selbst werfen und zeigen, wie er ihnen vorgeschwebt und zugrunde gelegen hat.

Die gewöhnliche Bestimmung des mathematischen Unendlichen ist, daß es eine Größe sei, über welche es – wenn sie als das Unendlichgroße – keine größere oder – wenn sie als das Unendlichkleine bestimmt ist – kleinere mehr gebe oder die in jenem Falle größer oder in diesem Falle kleiner sei als jede beliebige Größe. – In dieser Definition ist freilich der wahre Begriff nicht ausgedrückt, vielmehr nur, wie schon bemerkt, derselbe Widerspruch, der im unendlichen Progresse ist; aber sehen wir, was an sich darin enthalten ist. Eine Größe wird in der Mathematik definiert, daß sie etwas sei, das vermehrt und vermindert werden könne, – überhaupt[282] also eine gleichgültige Grenze. Indem nun das Unendlichgroße oder -kleine ein solches ist, das nicht mehr vermehrt oder vermindert werden könne, so ist es in der Tat kein Quantum als solches mehr.

Diese Konsequenz ist notwendig und unmittelbar. Aber die Reflexion, daß das Quantum – und ich nenne in dieser Anmerkung Quantum überhaupt, wie es ist, das endliche Quantum – aufgehoben ist, ist es, welche nicht gemacht zu werden pflegt und die für das gewöhnliche Begreifen die Schwierigkeit ausmacht, indem das Quantum, indem es unendlich ist, als ein aufgehobenes, als ein solches zu denken gefordert wird, das nicht ein Quantum ist und dessen quantitative Bestimmtheit doch bleibt.

Um das anzuführen, wie Kant jene Bestimmung beurteilt10, so findet er sie nicht übereinstimmend mit dem, was man unter einem unendlichen Ganzen verstehe. ›Nach dem gewöhnlichen Begriffe sei eine Größe unendlich, über die keine größere (d. i. über die darin enthaltene Menge einer gegebenen Einheit) möglich ist; es sei aber keine Menge die größte, weil noch immer eine oder mehrere Einheiten hinzugefügt werden können. – Durch ein unendliches Ganzes dagegen werde nicht vorgestellt, wie groß es sei, mithin sei sein Begriff nicht der Begriff eines Maximums (oder Minimums), sondern es werde dadurch nur sein Verhältnis zu einer beliebig anzunehmenden Einheit gedacht, in Ansehung derer dasselbe größer ist als alle Zahl. Je nachdem diese Einheit größer oder kleiner angenommen würde, würde das Unendliche größer oder kleiner sein; allein die Unendlichkeit, da sie bloß in dem Verhältnisse zu dieser gegebenen Einheit bestehe, würde immer dieselbe bleiben, obgleich freilich die absolute Größe des Ganzen dadurch gar nicht erkannt würde.‹

Kant tadelt es, wenn unendliche Ganze als ein Maximum, als eine vollendete Menge einer gegebenen Einheit angesehen[283] werden. Das Maximum oder Minimum als solches erscheint noch immer als ein Quantum, eine Menge. Solche Vorstellung kann die von Kant angeführte Konsequenz nicht ablehnen, die auf ein größeres oder kleineres Unendliches führt. Überhaupt indem das Unendliche als Quantum vorgestellt wird, gilt noch für dasselbe der Unterschied eines Größeren oder Kleineren. Allein diese Kritik trifft nicht den Begriff des wahrhaften mathematischen Unendlichen, der unendlichen Differenz, denn diese ist kein endliches Quantum mehr.

Kants Begriff der Unendlichkeit dagegen, den er den wahren transzendentalen nennt, ist, »daß die sukzessive Synthesis der Einheit in Durchmessung eines Quantums niemals vollendet sein kann«. Es ist ein Quantum überhaupt als gegeben vorausgesetzt; dies solle durch das Synthesieren der Einheit zu einer Anzahl, einem bestimmt anzugebenden Quantum gemacht werden, aber dies Synthesieren niemals vollendet werden können. Hiermit ist, wie erhellt, nichts als der Progreß ins Unendliche ausgesprochen, nur transzendental, d. i. eigentlich subjektiv und psychologisch vorgestellt. An sich soll zwar das Quantum vollendet sein, aber transzendentalerweise, nämlich im Subjekte, welches ihm ein Verhältnis zu einer Einheit gibt, entstehe nur eine solche Bestimmung des Quantums, die unvollendet und schlechthin mit einem Jenseits behaftet sei. Es wird also hier überhaupt beim Widerspruche, den die Größe enthält, stehengeblieben, aber verteilt an das Objekt und das Subjekt, so daß jenem die Begrenztheit, diesem aber das Hinausgehen über jede von ihm aufgefaßte Bestimmtheit in das schlechte Unendliche zukommt.

Es ist dagegen vorhin gesagt worden, daß die Bestimmung des mathematischen Unendlichen, und zwar wie es in der höheren Analysis gebraucht wird, dem Begriffe des wahrhaften Unendlichen entspricht; die Zusammenstellung beider Bestimmungen soll nun in ausführlicher Entwicklung vorgenommen werden. – Was zuerst das wahrhafte unendliche[284] Quantum betrifft, so bestimmte es sich als an ihm selbst unendlich; es ist dies, indem, wie sich ergeben hat, das endliche Quantum oder das Quantum überhaupt und sein Jenseits, das schlechte Unendliche, auf gleiche Weise aufgehoben sind. Das aufgehobene Quantum ist damit in die Einfachheit und in die Beziehung auf sich selbst zurückgegangen, aber nicht nur wie das extensive, indem es in intensives Quantum überging, das seine Bestimmtheit nur an sich an einer äußeren Vielfachheit hat, gegen die es jedoch gleichgültig und wovon es verschieden sein soll. Das unendliche Quantum enthält vielmehr erstens die Äußerlichkeit und zweitens die Negation derselben an ihm selbst; so ist es nicht mehr irgendein endliches Quantum, nicht eine Größenbestimmtheit, die ein Dasein als Quantum hätte, sondern es ist einfach und daher nur als Moment; es ist eine Größenbestimmtheit in qualitativer Form; seine Unendlichkeit ist, als eine qualitative Bestimmtheit zu sein. – So als Moment ist es in wesentlicher Einheit mit seinem Anderen, nur als bestimmt durch dieses sein Anderes, d. i. es hat nur Bedeutung in Beziehung auf ein im Verhältnis mit ihm Stehendes. Außer diesem Verhältnisse ist es Null, – da gerade das Quantum als solches gegen das Verhältnis gleichgültig, in ihm doch eine unmittelbare ruhende Bestimmung sein soll. In dem Verhältnisse als nur Moment ist es nicht ein für sich Gleichgültiges; es ist, in der Unendlichkeit als Fürsichsein, indem es zugleich eine quantitative Bestimmtheit ist, nur als ein Für-Eines.

Der Begriff des Unendlichen, wie er sich hier abstrakt exponiert hat, wird sich zeigen, dem mathematischen Unendlichen zugrunde [zu] liegen, und er selbst wird deutlicher werden, indem wir die verschiedenen Stufen des Ausdrucks des Quantums als eines Verhältnismoments betrachten, von der untersten an, wo es noch zugleich Quantum als solches ist, bis zu der höheren, wo es die Bedeutung und den Ausdruck eigentlicher unendlicher Größe erhält.

Nehmen wir also zuerst das Quantum in dem Verhältnisse, wie es eine gebrochene Zahl ist. Solcher Bruch, 2/7 z.B., ist[285] nicht ein Quantum wie 1, 2, 3 usf., zwar eine gewöhnliche endliche Zahl, jedoch nicht eine unmittelbare, wie die ganzen Zahlen, sondern als Bruch mittelbar bestimmt durch zwei andere Zahlen, die Anzahl und Einheit gegeneinander sind, wobei auch die Einheit eine bestimmte Anzahl ist. Aber von dieser näheren Bestimmung derselben gegeneinander abstrahiert und sie bloß nach dem, was ihnen in der qualitativen Beziehung, in der sie hier sind, als Quantis widerfährt, betrachtet, so sind 2 und -7 sonst gleichgültige Quanta; indem sie aber hier nur als Momente, eines des anderen, und damit eines Dritten (des Quantums, das der Exponent heißt) auftreten, so gelten sie sogleich nicht als 2 und 7, sondern nur nach ihrer Bestimmtheit gegeneinander. Statt ihrer kann darum ebensogut 4 und 14 oder 6 und 21 usf. ins Unendliche gesetzt werden. Hiermit fangen sie also an, einen qualitativen Charakter zu haben. Gälten sie als bloße Quanta, so ist [bei] 2 und 7 schlechthin das eine nur 2, das andere nur 7; 4 und 14, 6 und 21 usf. sind schlechthin etwas anderes als jene Zahlen und können, insofern sie nur unmittelbare Quanta wären, die einen nicht an die Stelle der anderen gesetzt werden. Insofern aber 2 und 7 nicht nach der Bestimmtheit, solche Quanta zu sein, gelten, so ist ihre gleichgültige Grenze aufgehoben; sie haben somit, nach dieser Seite, das Moment der Unendlichkeit an ihnen, indem sie nicht bloß eben nicht mehr sie sind, sondern ihre quantitative Bestimmtheit, aber als eine an sich seiende qualitative – nämlich nach dem, was sie im Verhältnisse gelten –, bleibt. Es können unendlich viele andere an ihre Stelle gesetzt werden, so daß der Wert des Bruches durch die Bestimmtheit, welche das Verhältnis hat, sich nicht ändert.

Die Darstellung, welche die Unendlichkeit an einem Zahlenbruche hat, ist aber darum noch unvollkommen, weil die beiden Seiten des Bruchs, 2 und 7, aus dem Verhältnisse genommen werden können und gewöhnliche gleichgültige Quanta sind; die Beziehung derselben, im Verhältnisse und Momente zu sein, ist ihnen etwas Äußerliches und Gleichgültiges.[286] Ebenso ist ihre Beziehung selbst ein gewöhnliches Quantum, der Exponent des Verhältnisses.

Die Buchstaben, mit denen in der allgemeinen Arithmetik operiert wird, die nächste Allgemeinheit, in welche die Zahlen erhoben werden, haben die Eigenschaft nicht, daß sie von einem bestimmten Zahlenwert sind; sie sind nur allgemeine Zeichen und unbestimmte Möglichkeiten jedes bestimmten Wertes. Der Bruch a/b scheint daher ein passenderer Ausdruck des Unendlichen zu sein, weil a und b, aus ihrer Beziehung aufeinander genommen, unbestimmt bleiben und auch getrennt keinen besonderen eigentümlichen Wert haben. Allein diese Buchstaben sind zwar als unbestimmte Größen gesetzt; ihr Sinn aber ist, daß sie irgendein endliches Quantum seien. Da sie also zwar die allgemeine Vorstellung, aber nur von der bestimmten Zahl sind, so ist es ihnen ebenfalls gleichgültig, im Verhältnisse zu sein, und außer demselben behalten sie diesen Wert.

Betrachten wir noch näher, was im Verhältnisse vorhanden ist, so hat es die beiden Bestimmungen an ihm, erstlich ein Quantum zu sein; dieses aber ist zweitens nicht als ein unmittelbares, sondern das den qualitativen Gegensatz an ihm hat; es bleibt in dem selben zugleich jenes bestimmte, gleichgültige Quantum dadurch, daß es aus seinem Anderssein, dem Gegensatze, in sich zurückgekehrt, somit auch ein Unendliches ist. Diese beiden Bestimmungen stellen sich in der folgenden bekannten Form in ihrem Unterschiede voneinander entwickelt dar.

Der Bruch 2/7 kann ausgedrückt werden als 0,285714..., 1/(1-a) als 1 + a + a2 + a3 usf. So ist er als eine unendliche Reihe; der Bruch selbst heißt die Summe oder der endliche Ausdruck derselben. Vergleichen wir die beiden Ausdrücke, so stellt der eine, die unendliche Reihe, ihn nicht mehr als Verhältnis, sondern nach der Seite dar, daß er ein Quantum ist als eine Menge von solchen, die zueinander hinzukommen, als eine Anzahl. – Daß die Größen, die ihn als Anzahl ausmachen sollen, wieder aus Dezimalbrüchen, also selbst[287] aus Verhältnissen bestehen, darauf kommt es hier nicht an; denn dieser Umstand betrifft die besondere Art der Einheit dieser Größen, nicht sie, insofern sie die Anzahl konstituieren; wie auch eine aus mehreren Ziffern bestehende ganze Zahl des Dezimalsystems wesentlich als eine Anzahl gilt und nicht darauf gesehen wird, daß sie aus Produkten einer Zahl und der Zahl Zehn und deren Potenzen besteht. So wie es hier auch nicht darauf ankommt, daß es andere Brüche gibt als der z.B. genommene 2/7, die, zu Dezimalbrüchen gemacht, nicht eine unendliche Reihe geben; jeder aber kann für ein Zahlensystem von anderer Einheit als eine solche ausgedrückt werden.

Indem nun in der unendlichen Reihe, die den Bruch als Anzahl darstellen soll, die Seite, daß er Verhältnis ist, verschwindet, so verschwindet auch die Seite, nach welcher er, wie vorhin gezeigt, die Unendlichkeit an ihm hatte. Diese aber ist auf eine andere Weise hereingekommen; die Reihe ist nämlich selbst unendlich.

Von welcher Art nun die Unendlichkeit der Reihe sei, erhellt von selbst; es ist die schlechte Unendlichkeit des Progresses. Die Reihe enthält und stellt den Widerspruch dar, etwas, das ein Verhältnis ist und qualitative Natur in ihm hat, als ein Verhältnisloses, als ein bloßes Quantum, als Anzahl darzustellen. Die Folge davon ist, daß an der Anzahl, die in der Reihe ausgedrückt ist, immer etwas fehlt, so daß über das, was gesetzt ist, immer hinausgegangen werden muß, um die geforderte Bestimmtheit zu erreichen. Das Gesetz des Fortgangs ist bekannt; es liegt in der Bestimmung des Quantums, die im Bruche enthalten ist, und in der Natur der Form, in der sie ausgedrückt werden soll. Die Anzahl kann wohl durch Fortsetzung der Reihe so genau gemacht werden, als man nötig hat; aber immer bleibt die Darstellung durch sie nur ein Sollen, sie ist mit einem Jenseits behaftet, das nicht aufgehoben werden kann, weil ein auf qualitativer Bestimmtheit Beruhendes als Anzahl auszudrückender bleibende Widerspruch ist.[288]

In dieser unendlichen Reihe ist jene Ungenauigkeit wirklich vorhanden, von der am wahrhaften mathematischen Unendlichen nur der Schein vorkommt. Diese beiden Arten des mathematischen Unendlichen sind sowenig zu verwechseln als die beiden Arten des philosophischen Unendlichen. Bei der Darstellung des wahrhaften mathematischen Unendlichen ist anfangs die Form der Reihe gebraucht oder auch neuerlich wieder hervorgerufen worden. Aber sie ist für dasselbe nicht notwendig; im Gegenteil ist das Unendliche der unendlichen Reihe wesentlich von jenem unterschieden, wie die Folge zeigen soll. Diese vielmehr steht sogar dem Ausdrucke des Bruches nach.

Die unendliche Reihe enthält nämlich die schlechte Unendlichkeit, weil das, was die Reihe ausdrücken soll, ein Sollen bleibt, und was sie ausdrückt, mit einem Jenseits, das nicht verschwindet, behaftet und verschieden von dem ist, was ausgedrückt werden soll. Sie ist unendlich nicht um der Glieder willen, die gesetzt sind, sondern darum, weil sie unvollständig sind, weil das Andere, das zu ihnen wesentlich gehört, jenseits ihrer ist; was in ihr da ist, der gesetzten Glieder mögen so viele sein als wollen, ist nur ein Endliches im eigentlichen Sinne, gesetzt als Endliches, d. i. als solches, das nicht ist, was es sein soll. Dagegen ist aber das, was der endliche Ausdruck oder die Summe solcher Reihe genannt wird, ohne Mangel; er enthält den Wert, den die Reihe nur sucht, vollständig; das Jenseits ist aus der Flucht zurückgerufen; was er ist und was er sein soll, ist nicht getrennt, sondern ist dasselbe.

Das beide Unterscheidende liegt näher sogleich darin, daß in der unendlichen Reihe das Negative außerhalb ihrer Glieder ist, welche Gegenwart haben, indem sie nur als Teile der Anzahl gelten. In dem endlichen Ausdrucke dagegen, der ein Verhältnis ist, ist das Negative immanent als das Bestimmtsein der Seiten des Verhältnisses durch einander, welches ein in sich Zurückgekehrtsein, sich auf sich beziehende Einheit, als Negation der Negation (beide Seiten des Verhältnisses[289] sind nur als Momente) ist, hiermit die Bestimmung der Unendlichkeit in sich hat. – In der Tat ist also die gewöhnlich so genannte Summe, das 2/7 oder 1/(1-a), ein Verhältnis, und dieser sogenannte endliche Ausdruck ist der wahrhaft unendliche Ausdruck. Die unendliche Reihe dagegen ist in Wahrheit Summe, ihr Zweck ist, das, was an sich Verhältnis ist, in der Form einer Summe darzustellen, und die vorhandenen Glieder der Reihe sind nicht als Glieder eines Verhältnisses, sondern eines Aggregats. Sie ist ferner vielmehr der endliche Ausdruck; denn sie ist das unvollkommene Aggregat und bleibt wesentlich ein Mangelhaftes. Sie ist nach dem, was in ihr da ist, ein bestimmtes Quantum, zugleich aber ein geringeres, als sie sein soll; alsdann auch das, was ihr fehlt, ist ein bestimmtes Quantum; dieser fehlende Teil ist in der Tat das, was das Unendliche an der Reihe heißt, nach der nur formellen Seite, daß er ein Fehlendes, ein Nichtsein ist; nach seinem Inhalte ist er ein endliches Quantum. Das, was in der Reihe da ist, zusammen mit dem, was ihr fehlt, macht erst das aus, was der Bruch ist, das bestimmte Quantum, das sie gleichfalls sein soll, aber zu sein nicht vermag. – Das Wort »unendlich« pflegt, auch in der unendlichen Reihe, in der Meinung etwas Hohes und Hehres zu sein; es ist dies eine Art von Aberglauben, der Aberglaube des Verstandes; man hat gesehen, wie es sich vielmehr auf die Bestimmung der Mangelhaftigkeit reduziert.

Daß es, kann noch bemerkt werden, unendliche Reihen gibt, die nicht summierbar sind, ist in bezug auf die Form von Reihe überhaupt ein äußerlicher und zufälliger Umstand. Sie enthalten eine höhere Art der Unendlichkeit als die summierbaren, nämlich eine Inkommensurabilität oder die Unmöglichkeit, das darin enthaltene quantitative Verhältnis als ein Quantum, sei es auch als Bruch, darzustellen; die Form der Reihe aber als solche, die sie haben, enthält dieselbe Bestimmung der schlechten Unendlichkeit, welche in der summierbaren Reihe ist.

Die soeben am Bruche und an seiner Reihe bemerkte Verkehrung[290] in Ansehung des Ausdrucks findet auch statt, insofern das mathematische Unendliche – nämlich nicht das soeben genannte, sondern das wahrhafte – das relative Unendliche, das gewöhnliche metaphysische dagegen, worunter das abstrakte, schlechte Unendliche verstanden wird, das absolute genannt worden ist. In der Tat ist vielmehr dieses metaphysische nur das relative, weil die Negation, die es ausdrückt, nur so im Gegensatze einer Grenze ist, daß diese außer ihm bestehen bleibt und von ihm nicht aufgehoben wird; das mathematische Unendliche hingegen hat die endliche Grenze wahrhaft in sich aufgehoben, weil das Jenseits derselben mit ihr vereinigt ist.

In dem Sinne, in welchem aufgezeigt worden, daß die sogenannte Summe oder der endliche Ausdruck einer unendlichen Reihe vielmehr als der unendliche anzusehen ist, ist es vornehmlich, daß Spinoza den Begriff der wahren Unendlichkeit gegen den der schlechten aufstellt und durch Beispiele erläutert. Sein Begriff gewinnt am meisten Licht, indem ich das, was er darüber sagt, an diese Entwicklung anschließe.

Er definiert zunächst das Unendliche als die absolute Affirmation der Existenz irgendeiner Natur, das Endliche im Gegenteil als Bestimmtheit, als Verneinung. Die absolute Affirmation einer Existenz ist nämlich als ihre Beziehung auf sich selbst zu nehmen, nicht dadurch zu sein, daß ein Anderes ist; das Endliche hingegen ist die Verneinung, ein Aufhören als Beziehung auf ein Anderes, das außer ihm anfängt. Die absolute Affirmation einer Existenz erschöpft nun zwar den Begriff der Unendlichkeit nicht; dieser enthält, daß die Unendlichkeit Affirmation ist, nicht als unmittelbare, sondern nur als wiederhergestellte durch die Reflexion des Anderen in sich selbst oder als Negation des Negativen. Aber bei Spinoza hat die Substanz und deren absolute Einheit die Form von unbewegter, d. i. nicht sich mit sich selbst vermittelnder Einheit, von einer Starrheit, worin der Begriff der negativen Einheit des Selbst, die Subjektivität, sich noch nicht findet.[291]

Das mathematische Beispiel, womit er das wahre Unendliche (Epist. XII) erläutert, ist ein Raum zwischen zwei ungleichen Kreisen, deren einer innerhalb des anderen, ohne ihn zu berühren, fällt und die nicht konzentrisch sind. Er machte, wie es scheint, sich viel aus dieser Figur und dem Begriff, als deren Beispiel er sie gebrauchte, daß er sie zum Motto seiner Ethik machte. – »Die Mathematiker«, sagt er, »schließen, daß die Ungleichheiten, die in einem solchen Räume möglich sind, unendlich sind, nicht aus der unendlichen Menge der Teile, denn seine Größe ist bestimmt und begrenzt, und ich kann größere und kleinere solche Räume setzen, sondern weil die Natur der Sache jede Bestimmtheit übertrifft.« Man sieht, Spinoza verwirft jene Vorstellung vom Unendlichen, nach welcher es als Menge oder als Reihe vorgestellt wird, die nicht vollendet ist, und erinnert, daß hier an dem Räume des Beispiels das Unendliche nicht jenseits, sondern gegenwärtig und vollständig ist; dieser Raum ist ein Begrenztes, aber darum ein Unendliches, »weil die Natur der Sache jede Bestimmtheit übersteigt«, weil die darin enthaltene Größenbestimmung zugleich nicht als ein Quantum darstellbar ist oder nach obigem Kantischen Ausdruck das Synthesieren nicht zu einem – diskreten – Quantum vollendet werden kann. – Wie überhaupt der Gegensatz von kontinuierlichem und diskretem Quantum auf das Unendliche führt, soll in einer späteren Anmerkung auseinandergesetzt werden. – Jenes Unendliche einer Reihe nennt Spinoza das Unendliche der Imagination, das Unendliche hingegen als Beziehung auf sich selbst das Unendliche des Denkens oder infinitum actu. Es ist nämlich actu, es ist wirklich unendlich, weil es in sich vollendet und gegenwärtig ist. So ist die Reihe 0,285714... oder 1 + a + a2 + a3 ... das Unendliche bloß der Einbildung oder des Meinens; denn es hat keine Wirklichkeit, es fehlt ihm schlechthin etwas; hingegen 2/7 oder 1/(1-a) ist das wirklich, nicht nur was die Reihe in ihren vorhandenen Gliedern ist, sondern noch das dazu, was ihr mangelt, was sie nur sein soll. Das 2/7 oder[292] 1/(1-a) ist gleichfalls eine endliche Größe, wie der zwischen den zwei Kreisen eingeschlossene Raum Spinozas und dessen Ungleichheiten, und kann wie dieser Raum großer oder kleiner gemacht werden. Aber es kommt damit nicht die Ungereimtheit eines größeren oder kleineren Unendlichen heraus; denn dies Quantum des Ganzen geht das Verhältnis seiner Momente, die Natur der Sache, d.h. die qualitative Größenbestimmung nichts an; das, was in der unendlichen Reihe da ist, ist ebenso ein endliches Quantum, aber außerdem noch ein Mangelhaftes. – Die Einbildung dagegen bleibt beim Quantum als solchem stehen und reflektiert nicht auf die qualitative Beziehung, welche den Grund der vorhandenen Inkommensurabilität ausmacht.

Die Inkommensurabilität, welche in dem Beispiel Spinozas liegt, schließt überhaupt die Funktionen krummer Linien in sich und führt näher auf das Unendliche, das die Mathematik bei solchen Funktionen, überhaupt bei den Funktionen veränderlicher Größen eingeführt hat und welches das wahrhafte mathematische, quantitative Unendliche ist, das auch Spinoza sich dachte. Diese Bestimmung soll nun hier näher erörtert werden.

Was fürs erste die so wichtig geltende Kategorie der Veränderlichkeit betrifft, unter welche die in jenen Funktionen bezogenen Größen gefaßt werden, so sollen sie zunächst veränderlich nicht in dem Sinne sein, wie im Bruche 2/7 die beiden Zahlen 2 und 7, indem ebensosehr 4 und 14, 6 und 21 und so fort ins Unendliche andere Zahlen an ihre Stelle gesetzt werden können, ohne den im Bruche gesetzten Wert zu ändern. So kann noch mehr in a/b an die Stelle von a und b jede beliebige Zahl gesetzt werden, ohne das zu ändern, was a/b ausdrücken soll. In dem Sinne nun, daß auch an die Stelle von x und y einer Funktion eine unendliche, d.h. unerschöpfliche Menge von Zahlen gesetzt werden könne, sind a und b so sehr veränderliche Größe als jene, x und y.[293] Der Ausdruck veränderliche Größen ist darum sehr vage und unglücklich gewählt für Größenbestimmungen, die ihr Interesse und Behandlungsart in etwas ganz anderem liegen haben als in ihrer bloßen Veränderlichkeit.

Um es deutlich zu machen, worin die wahrhafte Bestimmung der Momente einer Funktion liegt, mit denen sich das Interesse der höheren Analysis beschäftigt, müssen wir die bemerklich gemachten Stufen noch einmal durchlaufen. In 2/7 oder a/b sind 2 und 7 jedes für sich bestimmte Quanta, und die Beziehung ist ihnen nicht wesentlich; a und b sollen gleichfalls solche Quanta vorstellen, die auch außer dem Verhältnisse bleiben, was sie sind. Ferner ist auch 2/7 und a/b ein fixes Quantum, ein Quotient; das Verhältnis macht eine Anzahl aus, deren Einheit der Nenner, und die Anzahl dieser Einheiten der Zähler – oder umgekehrt ausgedrückt, wenn auch 4 und 14 usf. an die Stelle von 2 und 7 treten, bleibt das Verhältnis auch als Quantum dasselbe. Dies verändert sich nun aber wesentlich in der Funktion y2/x = p z.B.; hier haben x und y zwar den Sinn, bestimmte Quanta sein zu können; aber nicht x und y, sondern nur x und y2 haben einen bestimmten Quotienten. Dadurch sind diese Seiten des Verhältnisses, x und y, erstens nicht nur keine bestimmten Quanta, sondern zweitens ihr Verhältnis ist nicht ein fixes Quantum (noch ist dabei ein solches wie bei a und b gemeint), nicht ein fester Quotient, sondern er ist als Quantum schlechthin veränderlich. Dies aber ist allein darin enthalten, daß x nicht zu y ein Verhältnis hat, sondern zum Quadrate von y. Das Verhältnis einer Größe zur Potenz ist nicht ein Quantum, sondern wesentlich qualitatives Verhältnis; das Potenzenverhältnis ist der Umstand, der als Grundbestimmung anzusehen ist. – In der Funktion der geraden Linie y = ax aber ist x/y ein gewöhnlicher Bruch und Quotient; diese Funktion ist daher nur formell eine Funktion von veränderlichen Größen, oder x und y sind hier, was a und b in a/b sie sind nicht in derjenigen Bestimmung, in welcher die Differential- und Integralrechnung sie betrachtet,[294] – Wegen der besonderen Natur der veränderlichen Größen in dieser Betrachtungsweise wäre es zweckmäßig gewesen, für sie sowohl einen besonderen Namen als andere Bezeichnungen einzuführen als die gewöhnlichen der unbekannten Größen in jeder endlichen bestimmten oder unbestimmten Gleichung; um ihrer wesentlichen Verschiedenheit willen von solchen bloß unbekannten Größen, die an sich vollkommen bestimmte Quanta oder ein bestimmter Umfang von bestimmten Quantis sind. – Es ist auch nur der Mangel des Bewußtseins über die Eigentümlichkeit dessen, was das Interesse der höheren Analysis ausmacht und das Bedürfnis und die Erfindung des Differentialkalküls herbeigeführt hat, daß Funktionen des ersten Grades wie die Gleichung der geraden Linie in die Behandlung dieses Kalküls für sich mit hereingenommen werden; seinen Anteil an solchem Formalismus hat ferner der Mißverstand, der die an sich richtige Forderung der Verallgemeinerung einer Methode dadurch zu erfüllen meint, daß die spezifische Bestimmtheit, auf die sich das Bedürfnis gründet, weggelassen wird, so daß es dafür gilt, als ob es sich in diesem Felde nur um veränderliche Größen überhaupt handle. Es wäre wohl viel Formalismus in den Betrachtungen dieser Gegenstände wie in der Behandlung erspart worden, wenn man eingesehen hätte, daß derselbe nicht veränderliche Größen als solche, sondern Potenzenbestimmungen betreffe.

Aber es ist noch eine weitere Stufe, auf der das mathematische Unendliche in seiner Eigentümlichkeit hervortritt. In einer Gleichung, worin x und y zunächst als durch ein Potenzenverhältnis bestimmt, gesetzt sind, sollen x und y als solche noch Quanta bedeuten; diese Bedeutung nun geht vollends in den sogenannten unendlich kleinen Differenzen gänzlich verloren, dx, dy sind keine Quanta mehr, noch sollen sie solche bedeuten, sondern haben allein in ihrer Beziehung eine Bedeutung, einen Sinn bloß als Momente. Sie sind nicht mehr Etwas, das Etwas als Quantum genommen, nicht endliche Differenzen; aber auch nicht Nichts,[295] nicht die bestimmungslose Null. Außer ihrem Verhältnisse sind sie reine Nullen, aber sie sollen nur als Momente des Verhältnisses, als Bestimmungen des Differentialkoeffizienten dx/dy genommen werden.

In diesem Begriff des Unendlichen ist das Quantum wahrhaft zu einem qualitativen Dasein vollendet; es ist als wirklich unendlich gesetzt; es ist nicht nur als dieses oder jenes Quantum aufgehoben, sondern als Quantum überhaupt. Es bleibt aber die Quantitätsbestimmtheit als Element von Quantis Prinzip oder sie, wie man auch gesagt hat, in ihrem ersten Begriffe.

Gegen diesen Begriff ist aller Angriff gerichtet, der auf die Grundbestimmung der Mathematik dieses Unendlichen, der Differential- und Integralrechnung, gemacht worden ist. Unrichtige Vorstellungen der Mathematiker selbst veranlaßten es, wenn er nicht anerkannt worden ist; vornehmlich aber ist die Unvermögendheit, den Gegenstand als Begriff zu rechtfertigen, schuld an diesen Anfechtungen. Den Begriff kann aber die Mathematik, wie oben erinnert worden, hier nicht umgehen; denn als Mathematik des Unendlichen schränkt sie sich nicht auf die endliche Bestimmtheit ihrer Gegenstände ein – wie in der reinen Mathematik der Raum und die Zahl und deren Bestimmungen nur nach ihrer Endlichkeit betrachtet und aufeinander bezogen werden –, sondern sie versetzt eine von daher aufgenommene und von ihr behandelte Bestimmung in Identität mit ihrer entgegengesetzten, wie sie z.B. eine krumme Linie zu einer geraden, den Kreis zu einem Polygon usf. macht. Die Operationen, die sie sich als Differential- und Integralrechnung erlaubt, sind daher der Natur bloß endlicher Bestimmungen und deren Beziehungen gänzlich widersprechend und hätten darum ihre Rechtfertigung allein in dem Begriff.

Wenn die Mathematik des Unendlichen daran festhielt, daß jene Quantitätsbestimmungen verschwindende Größen, d.h. solche [seien], die nicht mehr irgendein Quantum, aber auch nicht nichts, sondern noch eine Bestimmtheit gegen[296] Anderes sind, so schien nichts klarer, als daß es keinen solchen Mittelzustand, wie man es nannte, zwischen Sein und Nichts gebe. – Was es mit diesem Einwurfe und sogenannten Mittelzustande auf sich habe, ist oben bereits bei der Kategorie des Werdens, Anm. 4 gezeigt. Allerdings ist die Einheit des Seins und Nichts kein Zustand, ein Zustand wäre eine Bestimmung des Seins und Nichts, worein diese Momente nur etwa zufälligerweise gleichsam als in eine Krankheit oder äußerliche Affektion durch ein irrtümliches Denken geraten sollten; sondern diese Mitte und Einheit, das Verschwinden oder ebenso das Werden ist vielmehr allein ihre Wahrheit.

Was unendlich sei, ist ferner gesagt worden, sei nicht vergleichbar als ein Größeres oder Kleineres; es könne daher nicht ein Verhältnis von Unendlichen zu Unendlichen, noch Ordnungen oder Dignitäten des Unendlichen geben, als welche Unterschiede der unendlichen Differenzen in der Wissenschaft derselben vorkommen. – Es liegt bei diesem schon erwähnten Einwurfe immer die Vorstellung zugrunde, daß hier von Quantis die Rede sein solle, die als Quanta verglichen werden; daß Bestimmungen, die keine Quanta mehr sind, kein Verhältnis mehr zueinander haben. Vielmehr ist aber das, was nur im Verhältnis ist, kein Quantum; das Quantum ist eine solche Bestimmung, die außer ihrem Verhältnis ein vollkommen gleichgültiges Dasein haben, der ihr Unterschied von einem Anderen gleichgültig sein soll, dahingegen das qualitative nur das ist, was es in seinem Unterschiede von einem Anderen ist. Jene unendlichen Größen sind daher nicht nur vergleichbar, sondern sind nur als Momente der Vergleichung, des Verhältnisses.

Ich führe die wichtigsten Bestimmungen an, welche in der Mathematik über dies Unendliche gegeben worden sind; es wird daraus erhellen, daß denselben der Gedanke der Sache, übereinstimmend mit dem hier entwickelten Begriffe, zugrunde liegt, daß ihre Urheber ihn aber als Begriff nicht ergründeten und bei der Anwendung wieder Auskunftsmittel[297] nötig hatten, welche ihrer besseren Sache widersprechen.

Der Gedanke kann nicht richtiger bestimmt werden, als Newton ihn gegeben hat. Ich trenne dabei die Bestimmungen ab, die der Vorstellung der Bewegung und der Geschwindigkeit angehören (von welcher er vornehmlich den Namen Fluxionen nahm), weil der Gedanke hierin nicht in der gehörigen Abstraktion, sondern konkret, vermischt mit außerwesentlichen Formen erscheint. Diese Fluxionen erklärt Newton (Philosophiae naturalis principia mathematica, L. 1, Lemma XI, Schol.) dahin, daß er nicht Unteilbare – eine Form, deren sich frühere Mathematiker, Cavalieri und andere, bedienten und welche den Begriff eines an sich bestimmten Quantums enthält – verstehe, sondern verschwindende Teilbare. Ferner nicht Summen und Verhältnisse bestimmter Teile, sondern die Grenzen (limites) der Summen und Verhältnisse. Es werde die Einwendung gemacht, daß verschwindende Größen kein letztes Verhältnis haben, weil es, ehe sie verschwunden, nicht das letzte, und wenn sie verschwunden, keines mehr ist. Aber unter dem Verhältnisse verschwindender Größen sei das Verhältnis zu verstehen, nicht ehe sie verschwinden und nicht nachher, sondern mit dem sie verschwinden (quacum evanescunt). Ebenso ist das erste Verhältnis werdender Größen das, mit dem sie werden.

Nach dem damaligen Stande der wissenschaftlichen Methode wurde nur erklärt, was unter einem Ausdrucke zu verstehen sei; daß aber dies oder jenes darunter zu verstehen sei, ist eigentlich eine subjektive Zumutung oder auch eine historische Forderung, wobei nicht gezeigt wird, daß ein solcher Begriff an und für sich notwendig ist und innere Wahrheit hat. Allein das Angeführte zeigt, daß der von Newton aufgestellte Begriff dem entspricht, wie die unendliche Größe sich in der obigen Darstellung aus der Reflexion des Quantums[298] in sich ergab. Es sind Größen verstanden in ihrem Verschwinden, d.h. die nicht mehr Quanta sind; ferner nicht Verhältnisse bestimmter Teile, sondern die Grenzen des Verhältnisses. Es sollen also sowohl die Quanta für sich, die Seiten des Verhältnisses, als damit auch das Verhältnis, insofern es ein Quantum wäre, verschwinden; die Grenze des Größenverhältnisses ist, worin es ist und nicht ist; dies heißt genauer, worin das Quantum verschwunden und damit das Verhältnis nur als qualitatives Quantitätsverhältnis und die Seiten desselben ebenso als qualitative Quantitätsmomente erhalten sind. – Newton fügt hinzu, daß daraus, daß es letzte Verhältnisse der verschwindenden Größen gebe, nicht zu schließen sei, daß es letzte Größen, Unteilbare, gebe. Dies wäre nämlich wieder ein Absprung von dem abstrakten Verhältnisse auf solche Seiten desselben, welche für sich außer ihrer Beziehung einen Wert haben sollten als Unteilbare, als etwas, das ein Eins, ein Verhältnisloses sein würde.

Gegen jenen Mißverstand erinnert er noch, daß die letzten Verhältnisse nicht Verhältnisse letzter Größen seien, sondern Grenzen, denen die Verhältnisse der ohne Grenze abnehmenden Größen näher sind als jeder gegebene, d.h. endliche Unterschied, welche Grenze sie aber nicht überschreiten, so daß sie Nichts würden. – Unter letzten Größen hätten nämlich, wie gesagt, Unteilbare oder Eins verstanden werden können. In der Bestimmung des letzten Verhältnisses aber ist sowohl die Vorstellung des gleichgültigen Eins, des verhältnislosen, als auch des endlichen Quantums entfernt. Es bedürfte aber weder des Abnehmens ohne Grenze, in das Newton das Quantum versetzt und das nur den Progreß ins Unendliche ausdrückt, noch der Bestimmung der Teilbarkeit, welche hier keine unmittelbare Bedeutung mehr hat, wenn die geforderte Bestimmung sich zum Begriffe einer Größenbestimmung, die rein nur Moment des Verhältnisses ist, fortgebildet hätte.

In Rücksicht der Erhaltung des Verhältnisses im Verschwinden der Quantorum findet sich (anderwärts, wie bei Carnot, [299] Réflexions sur la Métaphysique du Calcul Infinitésimal) der Ausdruck, daß vermöge des Gesetzes der Stetigkeit die verschwindenden Größen noch das Verhältnis, aus dem sie herkommen, ehe sie verschwinden, behalten. – Diese Vorstellung drückt die wahre Natur der Sache aus, insofern nicht die Stetigkeit des Quantums verstanden wird, die es im unendlichen Progreß hat, sich in sein Verschwinden so zu kontinuieren, daß im Jenseits seiner wieder nur ein endliches Quantum, ein neues Glied der Reihe entsteht; ein stetiger Fortgang wird aber immer so vorgestellt, daß die Werte durchlaufen werden, welche noch endliche Quanta sind. In demjenigen Übergange dagegen, welcher in das wahrhafte Unendliche gemacht wird, ist das Verhältnis das stetige, es ist so sehr stetig und sich erhaltend, daß er viel mehr allein darin besteht, das Verhältnis rein herauszuheben und die verhältnislose Bestimmung, d. i. daß ein Quantum, welches Seite des Verhältnisses ist, auch außer dieser Beziehung gesetzt noch Quantum ist, verschwinden zu machen. – Diese Reinigung des quantitativen Verhältnisses ist insofern nichts anderes, als wenn ein empirisches Dasein begriffen wird. Dies wird hierdurch so über sich selbst erhoben, daß sein Begriff dieselben Bestimmungen enthält als es selbst, aber in ihrer Wesentlichkeit und in die Einheit des Begriffes gefaßt, worin sie ihr gleichgültiges, begriffloses Bestehen verloren haben.

Gleich interessant ist die andere Form der Newtonschen Darstellung der in Rede stehenden Größen, nämlich als erzeugender Größen oder Prinzipien. Eine erzeugte Größe (genita) ist ein Produkt oder Quotient, Wurzeln, Rechtecke, Quadrate, auch Seiten von Rechtecken, Quadraten, – überhaupt eine endliche Größe. – ›Sie als veränderlich betrachtet, wie sie in fortdauernder Bewegung und Fließen zu- oder abnehmend ist, so verstehe er ihre momentanen Inkremente[300] oder Dekremente unter dem Namen von Momenten. Diese sollen aber nicht für Teilchen von bestimmter Größe genommen werden (particulae finitae). Solche seien nicht selbst Momente, sondern aus Momenten erzeugte Größen; es seien vielmehr die werdenden Prinzipien oder Anfänge endlicher Größen zu verstehen.‹ – Das Quantum wird hier von sich selbst unterschieden, wie es als ein Produkt oder Daseiendes, und wie es in seinem Werden, in seinem Anfange und Prinzip, d.h. wie es in seinem Begriffe oder, was hier dasselbe ist, in seiner qualitativen Bestimmung ist; in der letzteren sind die quantitativen Unterschiede, die unendlichen Inkremente oder Dekremente, nur Momente; erst das Gewordene ist das in die Gleichgültigkeit des Daseins und in die Äußerlichkeit Übergegangene, das Quantum. – Wenn aber diese in Ansehung der Inkremente oder Dekremente angeführten Bestimmungen des Unendlichen von der Philosophie des wahrhaften Begriffs anerkannt werden müssen, so ist auch sogleich zu bemerken, daß die Formen selbst von Inkrementen usf. innerhalb der Kategorie des unmittelbaren Quantums und des erwähnten stetigen Fortgangs fallen; und vielmehr sind die Vorstellungen von Inkrement, Zuwachs, Zunahme des x um dx oder i usf. als das in den Methoden vorhandene Grundübel anzusehen, – als das bleibende Hindernis, aus der Vorstellung des gewöhnlichen Quantums die Bestimmung des qualitativen Quantitätsmoments rein herauszuheben.

Gegen die angegebenen Bestimmungen steht die Vorstellung von unendlich kleinen Größen, die auch im Inkrement oder Dekrement selbst steckt, weit zurück. Nach derselben sollen sie von der Beschaffenheit sein, daß nicht nur sie gegen endliche Größen, sondern auch deren höhere Ordnungen gegen die niedrigere oder auch die Produkte aus mehreren gegen eine einzelne zu vernachlässigen seien. – Bei Leibniz hebt sich die Forderung dieser Vernachlässigung, welche die vorhergehenden Erfinder von Methoden, die sich auf diese Größe bezogen, gleichfalls eintreten lassen, auffallender[301] hervor. Sie ist es vornehmlich, die diesem Kalkül beim Gewinne der Bequemlichkeit den Schein von Ungenauigkeit und ausdrücklicher Unrichtigkeit in dem Wege seiner Operation gibt. – Wolff hat sie in seiner Weise, die Sachen populär zu machen, d.h. den Begriff zu verunreinigen und unrichtige sinnliche Vorstellungen an dessen Stelle zu setzen, verständlich zu machen gesucht. Er vergleicht nämlich die Vernachlässigung der unendlichen Differenzen höherer Ordnungen gegen niedrigere mit dem Verfahren eines Geometers, der bei der Messung der Höhe eines Berges um nicht weniger genau gewesen sei, wenn der Wind indes ein Sandkörnchen von der Spitze weggeweht habe, oder mit der Vernachlässigung der Höhen der Häuser, Türme bei der Berechnung der Mondfinsternisse (Elementa matheseos universae Tom I.: Elementa analyseos mathematicae, P. II, C. I, s. Schol.).

Wenn die Billigkeit des gemeinen Menschenverstandes eine solche Ungenauigkeit erlaubt, so haben dagegen alle Geometer diese Vorstellung verworfen. Es drängt sich von selbst auf, daß in der Wissenschaft der Mathematik von einer solchen empirischen Genauigkeit ganz und gar nicht die Rede ist, daß das mathematische Messen durch Operationen des Kalküls oder durch Konstruktionen und Beweise der Geometrie gänzlich vom Feldmessen, vom Messen empirischer Linien, Figuren usf. unterschieden ist. Ohnehin zeigen, wie oben angeführt, die Analytiker durch die Vergleichung des Resultats, wie es auf streng geometrischem Wege und wie es nach der Methode der unendlichen Differenzen erhalten wird, daß das eine dasselbe ist als das andere und daß ein Mehr oder Weniger von Genauigkeit ganz und gar nicht stattfindet. Und es versteht sich von selbst, daß ein absolut genaues Resultat nicht aus einem Verfahren herkommen könne, das ungenau wäre. Jedoch kann wieder auf der andern Seite das Verfahren selbst jener Vernachlässigung aus dem Grunde der Unbedeutendheit, des Protestierens gegen die angeführte Rechtfertigungsweise unerachtet, nicht entbehren. Und dies ist die Schwierigkeit, um welche die Bemühungen[302] der Analytiker gehen, das hierin liegende Widersinnige begreiflich zu machen und es zu entfernen.

Es ist in dieser Rücksicht vornehmlich Eulers Vorstellung anzuführen. Indem er die allgemeine Newtonsche Definition zugrunde legt, dringt er darauf, daß die Differentialrechnung die Verhältnisse der Inkremente einer Größe betrachte, daß aber die unendliche Differenz als solche ganz als Null zu betrachten sei (Institutiones calculi differentialis, P. I C. III). – Wie dies zu verstehen ist, liegt im Vorhergehenden; die unendliche Differenz ist Null nur des Quantums, nicht eine qualitative Null, sondern als Null des Quantums vielmehr reines Moment nur des Verhältnisses. Sie ist nicht ein Unterschied um eine Größe-, aber darum ist es einerseits überhaupt schief, jene Momente, welche unendlich kleine Größen heißen, auch als Inkremente oder Dekremente und als Differenzen auszusprechen. Dieser Bestimmung liegt zugrunde, daß zu der zuerst vorhandenen endlichen Größe etwas hinzukomme oder davon abgezogen werde, eine Subtraktion oder Addition, eine arithmetische, äußerliche Operation vorgehe. Der Übergang von der Funktion der veränderlichen Größe in ihr Differential ist aber anzusehen, daß er von ganz anderer Natur ist, nämlich, wie erörtert worden, daß er als Zurückführung der endlichen Funktion auf das qualitative Verhältnis ihrer Quantitätsbestimmungen zu betrachten ist. – Andererseits fällt die schiefe Seite für sich auf, wenn gesagt wird, daß die Inkremente für sich Nullen seien, daß nur ihre Verhältnisse betrachtet werden; denn eine Null hat überhaupt keine Bestimmtheit mehr. Diese Vorstellung kommt also zwar bis zum Negativen des Quantums und spricht es bestimmt aus, aber faßt dies Negative nicht zugleich in seiner positiven Bedeutung von qualitativen Quantitätsbestimmungen, die, wenn sie aus dem Verhältnisse gerissen und als Quanta genommen werden wollten, nur Nullen wären. – Lagrange[303] (Théorie des fonctions analytiques, Introd.) urteilt über die Vorstellung der Grenzen oder letzten Verhältnisse, daß, wenn man gleich sehr gut das Verhältnis zweier Größen sich vorstellen könne, solange sie endlich bleiben, so gebe dies Verhältnis dem Verstande keinen deutlichen und bestimmten Begriff, sobald seine Glieder zugleich Null werden. – In der Tat muß der Verstand über diese bloß negative Seite, daß die Verhältnisglieder Nullen als Quanta sind, hinausgehen und sie positiv, als qualitative Momente auffassen. – Was aber Euler (am angeführten Ort § 84 ff.) weiter in betreff der gegebenen Bestimmung hinzufügt, um zu zeigen, daß zwei sogenannte unendlich kleine Größen, welche nichts anderes als Nullen sein sollen, doch ein Verhältnis zueinander haben und deswegen auch nicht das Zeichen der Null, sondern andere Zeichen für sie im Gebrauch seien, kann nicht für genügend angesehen werden. Er will dies durch den Unterschied des arithmetischen und geometrischen Verhältnisses begründen; bei jenem sehen wir auf die Differenz, bei diesem auf den Quotienten; obgleich das erstere zwischen zwei Nullen gleich sei, so sei es deswegen doch das geometrische nicht; wenn 2 : 1 = 0 : 0, so müsse wegen der Natur der Proportion, da das erste Glied doppelt so groß sei als das zweite, auch das dritte Glied doppelt so groß als das vierte sein; 0 : 0 soll also nach der Proportion als das Verhältnis von 2 : 1 genommen werden. – Auch nach der gemeinen Arithmetik sei n : 0 = 0; es sei also n : 1 = 0 : 0. – Allein eben dadurch, daß 2 : 1 oder n : 1 ein Verhältnis von Quantis ist, entspricht ihm nicht ein Verhältnis noch eine Bezeichnung von 0 : 0.

Ich enthalte mich, die Anführungen zu vermehren, indem die betrachteten zur Genüge gezeigt haben, daß in ihnen wohl der wahrhafte Begriff des Unendlichen liegt, daß er aber nicht in seiner Bestimmtheit herausgehoben und gefaßt worden ist. Indem daher zur Operation selbst fortgegangen wird, so kann es nicht geschehen, daß in ihr die wahrhafte Begriffsbestimmung sich geltend mache; die endliche Quantitätsbestimmtheit[304] kehrt vielmehr zurück, und die Operation kann der Vorstellung eines bloß relativ Kleinen nicht entbehren. Der Kalkül macht es notwendig, die sogenannten unendlichen Größen den gewöhnlichen arithmetischen Operationen des Addierens usf., welche sich auf die Natur endlicher Größen gründen, zu unterwerfen und sie somit als endliche Größen für einen Augenblick gelten zu lassen und als solche zu behandeln. Der Kalkül hätte sich darüber zu rechtfertigen, daß er sie das eine Mal in diese Sphäre herabzieht und sie als Inkremente oder Differenzen behandelt, und daß er auf der andern Seite sie als Quanta vernachlässigt, nachdem er soeben Formen und Gesetze der endlichen Größen auf sie angewendet hatte.

Über die Versuche der Geometer, diese Schwierigkeiten zu beseitigen, führe ich noch das Hauptsächlichste an.

Die älteren Analytiker machten sich hierüber weniger Skrupel; aber die Bemühungen der Neueren gingen vornehmlich dahin, den Kalkül des Unendlichen zur Evidenz der eigentlich geometrischen Methode zurückzubringen und in ihr die Strenge der Beweise der Alten (Ausdrücke von Lagrange) in der Mathematik zu erreichen. Allein da das Prinzip der Analysis des Unendlichen höherer Natur als das Prinzip der Mathematik endlicher Größen ist, so mußte jene von selbst sogleich auf jene Art von Evidenz Verzicht tun, wie die Philosophie auch auf diejenige Deutlichkeit keinen Anspruch machen kann, die die Wissenschaften des Sinnlichen, z.B. Naturgeschichte hat, – und wie Essen und Trinken für ein verständlicheres Geschäft gilt als Denken und Begreifen. Es wird sich demnach nur um die Bemühung handeln, die Strenge der Beweise der Alten zu erreichen. Mehrere haben versucht, den Begriff des Unendlichen ganz zu entbehren und ohne ihn das zu leisten, was an den Gebrauch desselben gebunden schien. – Lagrange spricht z.B. von der Methode, die Landen erfunden hat, und sagt von[305] ihr, daß sie rein analytisch sei und die unendlich kleinen Differenzen nicht gebrauche, sondern zuerst verschiedene Werte der veränderlichen Größen einführe und sie in der Folge gleichsetze. Er urteilt übrigens, daß darin die der Differentialrechnung eigenen Vorzüge, Einfachheit der Methode und Leichtigkeit der Operationen verlorengehe. – Es ist dies wohl ein Verfahren, das mit demjenigen etwas Entsprechendes hat, von welchem Descartes' Tangentenmethode ausgeht, die weiterhin noch näher zu erwähnen ist. Soviel, kann hier bemerkt werden, erhellt sogleich im allgemeinen, daß das Verfahren überhaupt, verschiedene Werte der veränderlichen Größen anzunehmen und sie nachher gleichzusetzen, einem anderen Kreise mathematischer Behandlung angehört als die Methode des Differentialkalküls selbst und die späterhin näher zu erörternde Eigentümlichkeit des einfachen Verhältnisses, auf welches sich die wirkliche konkrete Bestimmung desselben zurückführt, nämlich der abgeleiteten Funktion zu der ursprünglichen, nicht herausgehoben wird.

Die Älteren unter den Neueren, wie z.B. Fermat, Barrow und andere, die sich zuerst des Unendlichkleinen in derjenigen Anwendung bedienten, welche später zur Differential- und Integralrechnung ausgebildet wurde, und dann auch Leibniz und die folgenden, auch Euler, haben immer unverhohlen die Produkte von unendlichen Differenzen sowie ihre höheren Potenzen nur aus dem Grunde weglassen zu dürfen geglaubt, weil sie relativ gegen die niedrige Ordnung verschwinden. Hierauf beruht bei ihnen allein der Fundamentalsatz, nämlich die Bestimmung dessen, was das Differential eines Produkts oder einer Potenz sei, denn hierauf reduziert sich die ganze theoretische Lehre. Das übrige ist teils Mechanismus der Entwicklung, teils aber Anwendung, in welche jedoch, was weiterhin zu betrachten ist, in der Tat auch das höhere oder vielmehr einzige Interesse[306] fällt. – In Rücksicht auf das Gegenwärtige ist hier nur das Elementarische anzuführen, daß aus dem gleichen Grunde der Unbedeutendheit als der Hauptsatz, die Kurven betreffend, angenommen wird, daß die Elemente der Kurven, nämlich die Inkremente der Abszisse und der Ordinate, das Verhältnis der Subtangente und der Ordinate zueinander haben; für die Absicht, ähnliche Dreiecke zu erhalten, wird der Bogen, der die dritte Seite eines Dreiecks zu den beiden Inkrementen des mit Recht vormals sogenannten charakteristischen Dreiecks ausmacht, als eine gerade Linie, als Teil der Tangente und damit das eine der Inkremente bis an die Tangente reichend angesehen. Diese Annahmen erheben jene Bestimmungen einerseits über die Natur endlicher Größen; andererseits aber wird ein Verfahren auf die nun unendlich genannten Momente angewendet, das nur von endlichen Großen gilt und bei dem nichts aus Rücksicht der Unbedeutendheit vernachlässigt werden darf. Die Schwierigkeit, von der die Methode gedrückt wird, bleibt bei solcher Verfahrensweise in ihrer ganzen Stärke.

Es ist hier eine merkwürdige Prozedur Newtons anzuführen (Philosophiae naturalis principia mathematica, Lib. II, Lemma II, nach Propos. VII), – die Erfindung eines sinnreichen Kunststücks, um das arithmetisch unrichtige Weglassen der Produkte unendlicher Differenzen oder höherer Ordnungen derselben bei dem Finden der Differentialien zu beseitigen. Er findet das Differential des Produkts – woraus sich dann die Differentialien der Quotienten, Potenzen usf. leicht herleiten – auf folgende Art. Das Produkt, wenn x, y, jedes um die Hälfte seiner unendlichen Differenz kleiner genommen wird, geht über in xy – (xdy)/2 – (xdx)/2 + (dxdy)/4; aber wenn man x und y um ebensoviel zunehmen läßt, in xy + (xdy)/2 + (xdx)/2 + (dxdy)/4. Von diesem zweiten Produkt nun das erste abgezogen, bleibt ydx + xdy als Überschuß, und dies sei der Überschuß des Wachstums um ein ganzes dx und dy, denn um dieses Wachstum sind beide Produkte unterschieden; es ist also das Differential von xy. – Man[307] sieht, in diesem Verfahren fällt das Glied, welches die Hauptschwierigkeit ausmacht, das Produkt der beiden unendlichen Differenzen, dxdy, durch sich selbst hinweg. Aber des Newtonschen Namens unerachtet muß es gesagt werden dürfen, daß solche, obgleich sehr elementarische Operation, unrichtig ist; es ist unrichtig, daß (x + (dx)/2) (y + (dy)/2) – (x – (dx)/2) ( y – (dy)/2) = (x + dx) (y+ dy) -xy.

Es kann nur das Bedürfnis sein, den Fluxionenkalkül bei seiner Wichtigkeit zu begründen, was einen Newton dahin bringen konnte, die Täuschung solchen Beweisens sich zu machen.

Andere Formen, die Newton bei der Ableitung des Differentials gebraucht, sind an konkrete, auf Bewegung sich beziehende Bedeutungen der Elemente und deren Potenzen gebunden. – Beim Gebrauche der Reihenform, der sonst seine Methode auszeichnet, liegt es zu nahe zu sagen, daß man es immer in seiner Macht habe, durch das Hinzufügen weiterer Glieder die Größe so genau zu nehmen, als man nötig habe, und daß die weggelassenen relativ unbedeutend, überhaupt das Resultat nur eine Näherung sei, als daß er nicht auch hier mit diesem Grunde sich begnügt hätte, wie er bei seiner Methode der Auflösung der Gleichungen höherer Grade durch Näherung die höheren Potenzen, die bei der Substitution jedes gefundenen, noch ungenauen Wertes in die gegebene Gleichung entstehen, aus dem rohen Grunde ihrer Kleinigkeit wegläßt; s. Lagrange, Équations numériques, p. 125.

Der Fehler, in welchen Newton bei der Auflösung eines Problems durch das Weglassen wesentlicher höherer Potenzen verfiel, der seinen Gegnern die Gelegenheit eines Triumphs ihrer Methode über die seinige gab und von welchem Lagrange in seiner neuerlichen Untersuchung desselben (Théorie des fonctions analytiques, 3me P., Ch, IV) den wahren Ursprung aufgezeigt hat, beweist das Formelle und die Unsicherheit, die im Gebrauche jenes Instruments noch[308] vorhanden war. Lagrange zeigt, daß Newton dadurch in den Fehler fiel, weil er das Glied der Reihe vernachlässigte, das die Potenz enthielt, auf welche es in der bestimmten Aufgabe ankam. Newton hatte sich an jenes formelle oberflächliche Prinzip, Glieder wegen ihrer relativen Kleinheit wegzulassen, gehalten. – Es ist nämlich bekannt, daß in der Mechanik den Gliedern der Reihe, in der die Funktion einer Bewegung entwickelt wird, eine bestimmte Bedeutung gegeben wird, so daß sich das erste Glied oder die erste Funktion auf das Moment der Geschwindigkeit, die zweite auf die beschleunigende Kraft und die dritte auf den Widerstand von Kräften beziehe. Die Glieder der Reihe sind hiermit hier nicht nur als Teile einer Summe anzusehen, sondern als qualitative Momente eines Ganzen des Begriffs. Hierdurch erhält das Weglassen der übrigen Glieder, die der schlecht unendlichen Reihe angehören, eine gänzlich verschiedene Bedeutung von dem Weglassen aus dem Grunde der relativen Kleinheit derselben.11 Die Newtonsche Auflösung enthielt[309] jenen Fehler, nicht weil in ihr Glieder der Reihe nur als Teile einer Summe, sondern weil das Glied, das die qualitative Bestimmung, auf die es ankam, enthält, nicht berücksichtigt wurde.

In diesem Beispiele ist der qualitative Sinn dasjenige, wovon das Verfahren abhängig gemacht ist. Im Zusammenhange hiermit kann sogleich die allgemeine Behauptung aufgestellt werden, daß die ganze Schwierigkeit des Prinzips beseitigt sein würde, wenn – statt des Formalismus, die Bestimmung des Differentials nur in die ihm den Namen gebende Aufgabe, den Unterschied überhaupt einer Funktion von ihrer Veränderung, nachdem ihre veränderliche Größe einen Zuwachs erhalten, zu stellen – die qualitative Bedeutung des Prinzips angegeben und die Operation hiervon abhängig gemacht wäre. In diesem Sinne zeigt sich das Differential von xn durch das erste Glied der Reihe, die durch die Entwicklung von (x + dx)n sich ergibt, gänzlich erschöpft. Daß die übrigen Glieder nicht berücksichtigt werden, kommt so nicht von ihrer relativen Kleinheit her; – es wird dabei nicht eine Ungenauigkeit, ein Fehler oder Irrtum vorausgesetzt, der durch einen anderen Irrtum ausgeglichen und verbessert würde; eine Ansicht, von welcher aus Carnot vornehmlich die gewöhnliche Methode der Infinitesimalrechnung rechtfertigt. Indem es sich nicht um eine Summe, sondern um ein Verhältnis handelt, so ist das Differential vollkommen [310] durch das erste Glied gefunden; und wo es fernerer Glieder, der Differentiale höherer Ordnungen bedarf, so liegt in ihrer Bestimmung nicht die Fortsetzung einer Reihe als Summe, sondern die Wiederholung eines und desselben Verhältnisses, das man allein will und das somit im ersten Glied bereits vollkommen ist. Das Bedürfnis der Form einer Reihe des Summierens derselben und was damit zusammenhängt muß dann ganz von jenem Interesse des Verhältnisses getrennt werden.

Die Erläuterungen, welche Carnot über die Methode der unendlichen Größen gibt, enthalten das Geläutertste und aufs klarste exponiert, was in den oben angeführten Vorstellungen vorkam. Aber bei dem Übergange zur Operation selbst treten mehr oder weniger die gewöhnlichen Vorstellungen von der unendlichen Kleinheit der weggelassenen Glieder gegen die anderen ein. Er rechtfertigt die Methode viel mehr durch die Tatsache, daß die Resultate richtig werden, und durch den Nutzen, den die Einführung unvollkommener Gleichungen, wie er sie nennt, d.h. solcher, in denen eine solche arithmetisch unrichtige Weglassung geschehen ist, für die Vereinfachung und Abkürzung des Kalküls habe, als durch die Natur der Sache selbst.

Lagrange hat bekanntlich die ursprüngliche Methode Newtons, die Methode der Reihen, wieder aufgenommen, um der Schwierigkeiten, welche die Vorstellung des Unendlichkleinen, sowie derjenigen, welche die Methode der ersten und letzten Verhältnisse und Grenzen mit sich führt, überhoben zu sein. Es ist von seinem Funktionenkalkül, dessen sonstige Vorzüge in Rücksicht auf Präzision, Abstraktion und Allgemeinheit anerkannt genug sind, als hierher gehörig nur dies anzuführen, daß er auf dem Fundamentalsatze beruht, daß die Differenz, ohne daß sie Null werde, so klein angenommen werden könne, daß jedes Glied der Reihe die Summe aller folgenden an Größe übertreffe. – Es wird auch in dieser Methode von den Kategorien vom Zuwachs und von der Differenz der Funktion angefangen, deren veränderliche[311] Größe den Zuwachs erhalte, womit die lästige Reihe hereinkommt, von der ursprünglichen Funktion; so wie im Verfolg die wegzulassenden Glieder der Reihe nur in der Rücksicht, daß sie eine Summe konstituieren, in Betracht kommen und der Grund, sie wegzulassen, in das Relative ihres Quantums gesetzt wird. Die Weglassung ist also hier auch nicht für das Allgemeine auf den Gesichtspunkt zurückgeführt, der teils in einigen Anwendungen vorkommt, worin, wie vorhin erinnert, die Glieder der Reihe eine bestimmte qualitative Bedeutung haben sollen und Glieder außer acht gelassen werden, nicht darum, weil sie unbedeutend an Größe sind, sondern weil sie unbedeutend der Qualität nach sind; teils aber fällt dann die Weglassung selbst in dem wesentlichen Gesichtspunkte hinweg, der sich für den sogenannten Differentialkoeffizienten erst in der sogenannten Anwendung des Kalküls bei Lagrange bestimmt heraushebt, was in der folgenden Anmerkung ausführlicher auseinandergesetzt werden wird.

Der qualitative Charakter überhaupt, der hier an der in Rede stehenden Größenform in demjenigen, was dabei das Unendlichkleine genannt wird, nachgewiesen worden ist, findet sich am unmittelbarsten in der Kategorie der Grenze des Verhältnisses, die oben angeführt worden und deren Durchführung im Kalkül zu einer eigentümlichen Methode gestempelt worden ist. Was Lagrange von dieser Methode urteilt, daß sie der Leichtigkeit in der Anwendung entbehre und der Ausdruck Grenze keine bestimmte Idee darbiete, davon wollen wir das Zweite hier aufnehmen und näher sehen, was über ihre analytische Bedeutung aufgestellt wird. In der Vorstellung der Grenze liegt nämlich wohl die angegebene wahrhafte Kategorie der qualitativen Verhältnisbestimmung der veränderlichen Größen; denn die Formen, die von ihnen eintreten, dx und dy, sollen schlechthin nur als Momente von dy/dx genommen und dy/dx selbst als ein einziges unteilbares Zeichen angesehen werden. Daß hiermit für den Mechanismus des Kalküls besonders in seiner Anwendung[312] der Vorteil verlorengeht, den er davon zieht, daß die Seiten des Differentialkoeffizienten voneinander abgesondert werden, ist hier beiseite zu setzen. Jene Grenze soll nun Grenze von einer gegebenen Funktion sein; – sie soll einen gewissen Wert in Beziehung auf dieselbe angeben, der sich durch die Weise der Ableitung bestimmt. Mit der bloßen Kategorie der Grenze aber wären wir nicht weiter als mit dem, um das es in dieser Anm. zu tun gewesen ist, nämlich aufzuzeigen, daß das Unendlichkleine, das in der Differentialrechnung als dx und dy vorkommt, nicht bloß den negativen, leeren Sinn einer nicht endlichen, nicht gegebenen Größe habe – wie wenn man sagt: eine unendliche Menge, ins Unendliche fort und dergleichen –, sondern den bestimmten Sinn der qualitativen Bestimmtheit des Quantitativen, eines Verhältnismoments als eines solchen. Diese Kategorie hat jedoch so noch kein Verhältnis zu dem, was eine gegebene Funktion ist, und greift für sich nicht in die Behandlung einer solchen und in einen Gebrauch, der an ihr von jener Bestimmung zu machen wäre, ein; so würde auch die Vorstellung der Grenze, zurückgehalten in dieser von ihr nachgewiesenen Bestimmtheit, zu nichts führen. Aber der Ausdruck Grenze enthält es schon selbst, daß sie Grenze von etwas sei, d.h. einen gewissen Wert ausdrücke, der in der Funktion veränderlicher Größe liegt; und es ist zu sehen, wie dies konkrete Benehmen mit ihr beschaffen ist. – Sie soll die Grenze des Verhältnisses sein, welches die zwei Inkremente zueinander haben, um welche die zwei veränderlichen Größen, die in einer Gleichung verbunden sind, deren die eine als eine Funktion der anderen angesehen wird, als zunehmend angenommen worden; der Zuwachs wird hier unbestimmt überhaupt genommen und insofern von dem Unendlichkleinen kein Gebrauch gemacht. Aber zunächst führt der Weg, diese Grenze zu finden, dieselben Inkonsequenzen herbei, die in den übrigen Methoden liegen. Dieser Weg ist nämlich folgender. Wenn y = fx soll fx, wenn y in y + k übergeht, sich in fx + ph + qh2 + rh3 usf. verändern, hiermit ist k = ph + qh2 usf.[313] und k/h = p + qh + rh2 usf. Wenn nun k und h verschwinden, so verschwindet das zweite Glied außer p, welches p nun die Grenze des Verhältnisses der beiden Zuwächse sei. Man sieht, daß h als Quantum = 0 gesetzt wird, aber daß darum k/h nicht zugleich = 0/0 sein, sondern noch ein Verhältnis bleiben soll. Den Vorteil, die Inkonsequenz, die hierin liegt, abzulehnen, soll nun die Vorstellung der Grenze gewähren; p soll zugleich nicht das wirkliche Verhältnis, das = 0/0 wäre, sondern nur der bestimmte Wert sein, dem sich das Verhältnis unendlich, d. i. so nähern könne, daß der Unterschied kleiner als jeder gegebene werden könne. Der bestimmtere Sinn der Näherung in Rücksicht dessen, was sich eigentlich einander nähern soll, wird unten betrachtet werden. – Daß aber ein quantitativer Unterschied, der die Bestimmung hat, kleiner als jeder gegebene sein zu können nicht nur, sondern sein zu sollen, kein quantitativer Unterschied mehr ist, dies ist für sich klar, so evident, als irgend etwas in der Mathematik evident sein kann; damit aber ist über dx/dy = 0/0 nicht hinausgekommen worden. Wenn dagegen dx/dy = p d. i. als ein bestimmtes quantitatives Verhältnis angenommen wird, wie dies in der Tat der Fall ist, so kommt umgekehrt die Voraussetzung, welche h=0 gesetzt hat, in Verlegenheit, eine Voraussetzung, durch welche allein k/h = p gefunden wird. Gibt man aber zu, daß k/h = 0 ist – und mit h=0 wird in der Tat von selbst auch k = 0, denn der Zuwachs k zu y findet nur unter der Bedingung statt, daß der Zuwachs h ist –, so wäre zu fragen, was denn p sein solle, welches ein ganz bestimmter quantitativer Wert ist. Hierauf gibt sich sogleich die einfache, trockene Antwort von selbst, daß es ein Koeffizient ist und aus welcher Ableitung er entsteht, – die auf gewisse bestimmte Weise abgeleitete erste Funktion einer ursprünglichen Funktion. Begnügte man sich damit, wie denn in der Tat Lagrange sich der[314] Sache nach damit begnügt hat, so wäre der allgemeine Teil der Wissenschaft des Differentialkalküls und unmittelbar diese seine Form selbst, welche die Theorie der Grenzen heißt, von den Zuwächsen, dann deren unendlicher oder beliebiger Kleinheit, von der Schwierigkeit, außer dem ersten Gliede oder vielmehr nur dem Koeffizienten des ersten Gliedes die weiteren Glieder einer Reihe, als welche durch die Einführung jener Zuwächse unabwendbar sich einfinden, wieder wegzubringen, befreit; außerdem aber auch von dem Weiteren, was damit zusammenhängt, von den formellen Kategorien vor allem des Unendlichen, der unendlichen Annäherung und der weiteren hier ebenso leeren Kategorien von kontinuierlicher Größe12 und welche man sonst, wie Bestreben, Werden, Gelegenheit einer Veränderung, für nötig erachtet, gereinigt. Aber dann würde gefordert zu zeigen, was denn p außer der für die Theorie ganz genügenden trockenen Bestimmung, daß es weiter nichts als eine aus der Entwicklung eines Binomiums abgeleitete Funktion[315] ist, noch für eine Bedeutung und Wert, d. i. welchen Zusammenhang und Gebrauch für weiteres mathematisches Bedürfnis habe; hiervon soll die zweite Anmerkung handeln. – Es folgt aber zunächst hier noch die Auseinandersetzung der Verwirrung, welche durch den angeführten, in den Darstellungen so geläufigen Gebrauch der Vorstellung von Annäherung in das Auffassen der eigentlichen, qualitativen Bestimmtheit des Verhältnisses, um das es zunächst zu tun war, gebracht worden ist.

Es ist gezeigt worden, daß die sogenannten unendlichen Differenzen das Verschwinden der Seiten des Verhältnisses als Quantorum ausdrücken und daß das, was übrigbleibt, ihr Quantitätsverhältnis ist, rein insofern es auf qualitative Weise bestimmt ist; das qualitative Verhältnis geht hierin so wenig verloren, daß es vielmehr dasjenige ist, was eben durch die Verwandlung endlicher Größen in unendliche resultiert. Hierin besteht, wie wir gesehen, die ganze Natur der Sache. – So verschwinden im letzten Verhältnisse z.B. die Quanta der Abszisse und der Ordinate; aber die Seiten dieses Verhältnisses bleiben wesentlich die eine Element der Ordinate, die andere Element der Abszisse. Indem die Vorstellungsweise gebraucht wird, daß man die eine Ordinate sich der anderen unendlich nähern läßt, so geht die vorher unterschiedene Ordinate in die andere Ordinate und die vorher unterschiedene Abszisse in die andere Abszisse über; aber wesentlich geht nicht die Ordinate in die Abszisse oder die Abszisse in die Ordinate über. Das Element der Ordinate, um bei diesem Beispiele von veränderlichen Größen stehenzubleiben, ist nicht als der Unterschied einer Ordinate von einer anderen Ordinate zu nehmen, sondern ist vielmehr als der Unterschied oder die qualitative Größenbestimmung gegen das Element der Abszisse; das Prinzip der einen veränderlichen Größe gegen das der anderen steht im Verhältnisse miteinander. Der Unterschied, indem er nicht mehr Unterschied endlicher Größen ist, hat aufgehört, ein Vielfaches innerhalb seiner selbst zu sein; er ist in die einfache[316] Intensität zusammengesunken, in die Bestimmtheit eines qualitativen Verhältnismoments gegen das andere. Diese Beschaffenheit der Sache wird aber dadurch verdunkelt, daß das, was soeben Element z.B. der Ordinate genannt worden, so als Differenz oder Inkrement gefaßt wird, daß es nur der Unterschied des Quantums einer Ordinate zwischen dem Quantum einer anderen Ordinate sei. Die Grenze hat hiermit hier nicht den Sinn des Verhältnisses; sie gilt nur als der letzte Wert, dem sich eine andere Größe von gleicher Art beständig so nähere, daß sie von ihm, sowenig als man will, unterschieden sein könne und daß das letzte Verhältnis ein Verhältnis der Gleichheit sei. So ist die unendliche Differenz das Schweben eines Unterschieds eines Quantums von einem Quantum, und die qualitative Natur, nach welcher dx wesentlich nicht eine Verhältnisbestimmung gegen x, sondern gegen dy ist, tritt in der Vorstellung zurück. Man läßt dx2 gegen dx verschwinden, aber noch vielmehr verschwindet dx gegen x, dies heißt aber wahrhaftig: es hat nur ein Verhältnis zu dy. – Es ist den Geometern in solchen Darstellungen immer vorzüglich darum zu tun, die Annäherung einer Größe an ihre Grenze begreiflich zu machen und sich an diese Seite des Unterschiedes des Quantums vom Quantum, wie er kein Unterschied und doch noch ein Unterschied ist, zu halten. Aber die Annäherung ist ohnehin für sich eine nichtssagende und nichts begreiflich machende Kategorie; dx hat die Annäherung bereits im Rücken, es ist nicht nahe noch ein Näheres; und unendlich nahe heißt selbst die Negation des Naheseins und des Annäherns.

Indem es nun damit geschehen ist, daß die Inkremente oder unendlichen Differenzen nur nach der Seite des Quantums, das in ihnen verschwindet, und nur als Grenze desselben betrachtet worden sind, so sind sie so als verhältnislose Momente gefaßt. Es würde die unstatthafte Vorstellung daraus folgen, daß es erlaubt sei, in dem letzten Verhältnisse etwa Abszisse und Ordinate – oder auch Sinus, Kosinus, Tangente, Sinus versus und was alles noch – einander gleichzusetzen. –[317] Diese Vorstellung scheint zunächst darin obzuwalten, wenn ein Bogen als eine Tangente behandelt wird; denn auch der Bogen ist wohl inkommensurabel mit der geraden Linie und sein Element zunächst von anderer Qualität als das Element der geraden Linie. Es scheint noch widersinniger und unerlaubter als die Verwechslung der Abszisse, Ordinate, des Sinus versus, Kosinus usf., wenn quadrata rotundis, wenn ein obzwar unendlich kleiner Teil des Bogens für ein Stück der Tangente genommen und somit als gerade Linie behandelt wird. – Allein diese Behandlung ist von der gerügten Verwechslung wesentlich zu unterscheiden; sie hat ihre Rechtfertigung darin, daß in dem Dreieck, welches das Element eines Bogens und die Elemente seiner Abszisse und der Ordinate zu seinen Seiten hat, das Verhältnis dasselbe ist, als wenn jenes Element des Bogens das Element einer geraden Linie, der Tangente wäre; die Winkel, welche das wesentliche Verhältnis konstituieren, d. i. dasjenige, das diesen Elementen bleibt, indem von den ihnen zugehörigen endlichen Größen abstrahiert wird, sind die nämlichen. Man kann sich hierüber auch ausdrücken, gerade Linien, als unendlich klein, seien in krumme Linien übergegangen, und das Verhältnis ihrer in ihrer Unendlichkeit sei ein Kurvenverhältnis. Da nach ihrer Definition die gerade Linie der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist, so gründet sich ihr Unterschied von krummer Linie auf die Bestimmung von Menge, auf die geringere Menge des Unterscheidbaren auf diesem Wege, was also eine Bestimmung von Quantum ist. Aber diese Bestimmung verschwindet in ihr – sie als intensive Größe, als unendliches Moment, als Element genommen –, somit auch ihr Unterschied von der krummen Linie, der bloß auf dem Quantumsunterschiede beruhte. – Also als unendlich behält gerade Linie und Bogen kein quantitatives Verhältnis und damit, aufgrund der angenommenen Definition, auch keine qualitative Verschiedenheit mehr gegeneinander, sondern geht jene vielmehr in diese über.

Verwandt, jedoch zugleich verschieden von der Gleichsetzung[318] heterogener Bestimmungen ist die für sich unbestimmte und völlig gleichgültige Annahme, daß unendlich kleine Teile desselben Ganzen einander gleich seien; jedoch angewandt auf einen in sich heterogenen, d. i. mit wesentlicher Ungleichförmigkeit der Größenbestimmung behafteten Gegenstand, bringt sie die eigentümliche Verkehrung hervor, die in dem Satze der höheren Mechanik enthalten ist, daß in gleichen und zwar unendlich kleinen Zeiten unendlich kleine Teile einer Kurve in gleichförmiger Bewegung durchlaufen werden, indem dies von einer Bewegung behauptet wird, in der in gleichen endlichen, d. i. existierenden Zeitteilen endliche, d. i. existierende ungleiche Teile der Kurve durchlaufen werden, d. i. also von einer Bewegung, die als existierend ungleichförmig ist und so angenommen wird. Dieser Satz ist der Ausdruck desjenigen in Worten, was ein analytisches Glied, das sich in der oben auch angeführten Entwicklung der Formel von ungleichförmiger, übrigens einem Gesetze gemäßer Bewegung ergibt, bedeuten soll. Ältere Mathematiker suchten Ergebnisse der neu erfundenen Infinitesimalrechnung, die ohnehin immer mit konkreten Gegenständen zu tun hatte, in Worten und Sätzen auszudrücken und sie in geometrischen Verzeichnungen darzustellen, wesentlich um sie für die Lehrsätze nach gewöhnlicher Beweisart zu gebrauchen. Die Glieder einer mathematischen Formel, in welche die analytische Behandlung die Größe des Gegenstands, z.B. der Bewegung, zerlegte, erhielten dort eine gegenständliche Bedeutung, z.B. der Geschwindigkeit, beschleunigenden Kraft usf.; sie sollten nach solcher Bedeutung richtige Sätze, physikalische Gesetze geben und nach der analytischen Verbindung auch ihre objektiven Verknüpfungen und Verhältnisse bestimmt sein, wie z.B. eben daß in einer gleichförmig beschleunigten Bewegung eine besondere, den Zeiten proportionale Geschwindigkeit existiere, außerdem aber ein Zuwachs von der Kraft der Schwere her immer hinzukomme. Solche Sätze werden in der modernen, analytischen Gestalt der Mechanik durchaus als Ergebnisse des[319] Kalküls aufgeführt, unbekümmert darum, ob sie einen reellen Sinn, d, i. dem eine Existenz entspräche, für sich an ihnen selbst hätten, und um einen Beweis eines solchen; die Schwierigkeit, den Zusammenhang solcher Bestimmungen, wenn sie im ausgesprochenen reellen Sinn genommen werden, z.B. den Übergang von jener schlecht gleichförmigen Geschwindigkeit zu einer gleichförmigen beschleunigten begreiflich zu machen, gilt dafür, durch die analytische Behandlung ganz beseitigt zu sein, als in welcher solcher Zusammenhang einfache Folge der nunmehrigen festen Autorität der Operationen des Kalküls ist. Es wird für einen Triumph der Wissenschaft ausgegeben, durch den bloßen Kalkül über die Erfahrung hinaus Gesetze, d. i. Sätze der Existenz, die keine Existenz haben, zu finden. Aber in der ersteren noch naiven Zeit des Infinitesimalkalküls sollte von jenen Bestimmungen und Sätzen, in geometrischen Verzeichnungen vorgestellt, ein reeller Sinn für sich angegeben und plausibel gemacht und sie in solchem Sinne zum Beweise von den Hauptsätzen, um die es zu tun war, angewendet werden (man sehe den Newtonschen Beweis von seinem Fundamentalsatze der Theorie der Gravitation in den Philosophiae naturalis principia mathematica, lib, I, Sect. II, Prop. I. verglichen mit Schuberts Astronomie, erste Ausg., Bd. III, § 20, wo zugestanden wird, daß es sich nicht genau so, d. i. in dem Punkte, welcher der Nerv des Beweises ist, sich nicht so verhalte, wie Newton annimmt).

Es wird nicht geleugnet werden können, daß man sich in diesem Felde vieles als Beweis, vornehmlich unter der Beihilfe des Nebels des Unendlichkleinen hat gefallen lassen, aus keinem anderen Grunde als dem, daß das, was herauskam, immer schon vorher bekannt war und der Beweis, der so eingerichtet wurde, daß es herauskam, wenigstens den Schein eines Gerüstes von Beweis zustande brachte – einen Schein, den man dem bloßen Glauben oder dem Wissen aus Erfahrung immer noch vorzog. Ich aber trage kein Bedenken,[320] diese Manier für nicht mehr als eine bloße Taschenspielerei und Charlatanerie des Beweisens anzusehen und hierunter selbst Newtonsche Beweise zu rechnen, insbesondere die zu dem soeben Angeführten gehörigen, wegen welcher man Newton bis an den Himmel und über Kepler erhoben hat, das, was dieser bloß durch Erfahrung gefunden, mathematisch dargetan zu haben.

Das leere Gerüst solcher Beweise wurde errichtet, um physische Gesetze zu beweisen. Aber die Mathematik vermag überhaupt nicht Größenbestimmungen der Physik zu beweisen, insofern sie Gesetze sind, welche die qualitative Natur der Momente zum Grunde haben; aus dem einfachen Grunde, weil diese Wissenschaft nicht Philosophie ist, nicht vom Begriffe ausgeht und das Qualitative daher, insofern es nicht lemmatischerweise aus der Erfahrung aufgenommen wird, außer ihrer Sphäre liegt. Die Behauptung der Ehre der Mathematik, daß alle in ihr vorkommenden Sätze streng bewiesen sein sollen, ließ sie ihre Grenze oft vergessen; so schien es gegen ihre Ehre, für Erfahrungssätze einfach die Erfahrung als Quelle und als einzigen Beweis anzuerkennen; später ist das Bewußtsein hierüber gebildeter geworden; ehe dieses aber über den Unterschied sich nicht klar wird, was mathematisch beweisbar ist und was nur anderwärts genommen werden kann, wie darüber, was nur Glieder analytischer Entwicklung und was physikalische Existenzen sind, kann die Wissenschaftlichkeit sich nicht zu strenger und reiner Haltung herausbilden. – Jenem Gerüste Newtonschen Beweisens aber wird ohne Zweifel noch dasselbe Recht widerfahren, das einem anderen grundlosen Newtonschen Kunstgebäude aus optischen Experimenten und damit verbundenem Schließen angetan worden ist. Die angewandte Mathematik ist noch voll von einem gleichen Gebräue aus Erfahrung und Reflexion; aber wie von jener Optik seit geraumer Zeit bereits ein Teil nach dem anderen anfing, in der Wissenschaft faktisch ignoriert zu werden, mit der Inkonsequenz jedoch, das übrige, obgleich damit Widersprechende noch gewähren[321] zu lassen, – so ist es auch Faktum, daß bereits ein Teil jener trügerischen Beweise von selbst in Vergessenheit geraten oder durch andere ersetzt worden ist.

10

In der Anmerkung zur Thesis der ersten kosmologischen Antinomie, in der Kritik der reinen Vernunft.

11

In einfacher Weise finden sich bei Lagrange in der Anwendung der Theorie der Funktionen auf die Mechanik, in dem Kapitel von der geradlinigen Bewegung, beide Rücksichten nebeneinander gestellt (Théorie des fonctions, 3me P., Ch. I, art. 4). Der durchlaufene Raum als Funktion der verflossenen Zeit betrachtet, gibt die Gleichung x = ft diese als f (t + ϑ) entwickelt, gibt ft + ϑf't + ϑ2/2·f''t + usw.

Also der während der Zeit durchlaufene Raum stellt sich in der Formel dar:

= ϑf't + ϑ2/2·f''t + ϑ3/(2·3)f'''t + usw. Die Bewegung, vermittels derer dieser Raum durchlaufen wird, ist also, wird gesagt – d, h. weil die analytische Entwicklung mehrere, und zwar unendlich viele Glieder gibt –, zusammengesetzt aus verschiedenen partiellen Bewegungen, deren der Zeit entsprechende Räume sein werden ϑf't, ϑ2/2·f''t, ϑ3/(2·3)f'''t, usw. Die erste partielle Bewegung ist, in bekannter Bewegung, die formell-gleichförmige mit einer durch f't bestimmten Geschwindigkeit, die zweite die gleichförmig beschleunigte, die von einer dem f"t proportionierten beschleunigenden Kraft herkommt. »Da nun die übrigen Glieder sich auf keine einfache bekannte Bewegung beziehen, so ist nicht nötig, sie besonders in Rücksicht zu nehmen, und wir werden zeigen, daß man von ihnen in der Bestimmung der Bewegung zu Anfang des Zeitpunkts abstrahieren kann.« Dies wird nun gezeigt, aber freilich nur durch die Vergleichung jener Reihe, deren Glieder alle zur Bestimmung der Größe des in der Zeit durchlaufenen Raumes gehörten, mit der art. 3 für die Bewegung des Falls angegebenen Gleichung x = at + bt2 als in welcher nur diese zwei Glieder vorkommen. Aber diese Gleichung hat selbst nur diese Gestalt durch die Voraussetzung der Erklärung, die den durch analytische Entwicklung entstehenden Gliedern gegeben wird, erhalten; diese Voraussetzung ist, daß die gleichförmig beschleunigte Bewegung zusammengesetzt sei aus einer formell-gleichförmigen, mit der im vorhergehenden Zeitteile erlangten Geschwindigkeit fortgesetzten Bewegung und einem Zuwachse (dem a in s = at2 d.i. dem empirischen Koeffizienten), welcher der Kraft der Schwere zugeschrieben wird, – einem Unterschiede, der keineswegs in der Natur der Sache irgendeine Existenz oder Grund hat, sondern nur der fälschlich physikalisch gemachte Ausdruck dessen ist, was bei einer angenommenen analytischen Behandlung herauskommt.

12

Die Kategorie von der kontinuierlichen oder fließenden Größe stellt sich mit der Betrachtung der äußerlichen und empirischen Veränderung der Größen, die durch eine Gleichung in die Beziehung, daß die eine eine Funktion der anderen ist, gebracht sind, ein; da aber der wissenschaftliche Gegenstand der Differentialrechnung ein gewisses (durch den Differentialkoeffizienten gewöhnlich ausgedrücktes) Verhältnis, welche Bestimmtheit ebensowohl Gesetz genannt werden kann, ist, so ist für diese spezifische Bestimmtheit die bloße Kontinuität teils schon eine fremdartige Seite, teils aber auf allen Fall die abstrakte und hier leere Kategorie, da über das Gesetz der Kontinuität gar nichts damit ausgedrückt ist. – Auf welche formelle Definitionen dabei vollends verfallen wird, ist aus meines verehrten Herrn Kollegen, Prof. Dirksen, scharfsinniger allgemeiner Darstellung der Grundbestimmungen, die für die Deduktion des Differentialkalküls gebraucht werden, welche sich an die Kritik einiger neuerer Werke über diese Wissenschaft anschließt und sich in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik, 1827, Nr. 153 ff., befindet, zu ersehen; es wird daselbst S. 1251 sogar die Definition angeführt: »Eine stetige oder kontinuierliche Größe, Kontinuum, ist jede Große, welche man sich im Zustande des Werdens gedenkt, so daß dieses Werden nicht sprungweise, sondern durch ununterbrohenen Forlgang geschieht,« Das ist doch wohl tautologisch dasselbe, was das definitum ist.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 5, Frankfurt a. M. 1979, S. 279-322.
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