15. Kapitel
Von dem natürlichen Reich Gottes

[243] 1. In den vorhergehenden Kapiteln habe ich aus der Vernunft und dem Zeugnis der Heiligen Schrift dargelegt, daß der Naturzustand, d.h. der Zustand unbeschränkter Freiheit bei denen, die weder regieren noch regiert werden, Anarchie oder Kriegszustand ist; daß die Vorschriften, durch die ein solcher Zustand vermieden wird, die natürlichen Gesetze sind; daß kein Staat ohne eine oberste Gewalt bestehen kann; und daß den Inhabern dieser Gewalt unbedingt, d.h. in allem, was den Geboten Gottes nicht zuwiderläuft, Gehorsam zu leisten ist. Es bleibt mir nun zum vollen Verständnis der bürgerlichen Pflichten nur noch die Darlegung der Gesetze und Gebote Gottes übrig. Denn sonst kann man nicht wissen, ob die Gebote der höchsten Staatsgewalt mit den Gesetzen Gottes übereinstimmen oder nicht, woraus folgen würde, daß man entweder aus übertriebenem Gehorsam gegen den Staat widerspenstig gegen die göttliche Majestät wird, oder aus Furcht, gegen Gott zu sündigen, in Ungehorsam gegen den Staat gerät. Um diesen beiden Klippen zu entgehen, ist die Kenntnis der göttlichen Gesetze nötig. Da die Kenntnis der Gesetze von der Kenntnis des Reiches Gottes abhängt, so soll in dem Folgenden hierüber gehandelt werden.

2. Der Psalmist sagt im 97. Psalm, V. 1: »Der Herr hat regiert, des freut sich die Erde«, und derselbe Psalmist sagt im 99. Psalm, V. 1: »Der Herr hat regiert, darum toben die Völker, er sitzet auf Cherubim, darum erzittert[243] die Erde«, d.h. mögen die Menschen wollen oder nicht, Gott bleibt der König der ganzen Erde, und selbst wenn Gottesleugner sein Dasein oder seine Vorsehung bestreiten, wird er deshalb nicht seines Thrones verlustig. Wenn nun auch Gott alle Menschen durch seine Macht so regiert, daß niemand etwas gegen seinen Willen zu tun vermag, so ist das doch in der eigentlichen und genauen Bedeutung des Wortes kein Regieren. Denn man sagt nur von dem, daß er regiert, der nicht durch seine Handlungen, sondern durch seine Worte, d.h. durch seine Gebote und Drohungen regiert. Unbeseelte oder unvernünftige Körper sind also im Reiche Gottes keine Untertanen – obgleich auch sie der Macht Gottes unterliegen – denn sie verstehen nicht die Gebote und Drohungen Gottes; auch die Gottesleugner sind keine Untertanen dieses Reiches, weil sie an keinen Gott glauben; ebensowenig sind die Untertanen, die zwar an das Dasein Gottes glauben, aber nicht annehmen, daß er sich um die Dinge hier unten bekümmere. Auch sie werden zwar durch die Macht Gottes regiert, aber sie erkennen die Gebote Gottes nicht an und fürchten seine Drohungen nicht. Deshalb gehören nur die zum Reiche Gottes, die anerkennen, daß Gott der Herrscher aller Dinge ist, daß er den Menschen Gebote gegeben und bestimmte Strafen für die Übertretenden festgesetzt hat. Alle andern kann man nicht Untertanen, sondern nur Feinde Gottes nennen.

3. Man kann von niemand sagen, daß er durch seine Gebote regiere, wenn er sie den Regierten nicht deutlich bekannt gibt. Denn die Gebote der Herrscher sind die Gesetze der Regierten; als Gesetz gilt aber nur das deutlich Verkündete, damit ist jede Entschuldigung der Unkenntnis aufgehoben. Die Menschen verkünden ihre Gesetze nur durch das Wort oder die Stimme und können auch ihren Willen auf andere Weise gar nicht allgemein bekannt machen. Aber Gott kann seine Gesetze auf dreifache Weise verkündigen: erstens durch die stillschweigenden Gebote der rechten Vernunft; zweitens durch unmittelbare Offenbarung, welche entweder durch eine übernatürliche Stimme oder durch ein Gesicht oder einen Traum oder eine göttliche Eingebung geschieht; drittens durch die Stimme eines Menschen, welchen Gott durch wahrhafte Wunder[244] den übrigen als glaubwürdig empfohlen hat. Ein solcher Mensch, dessen Stimme Gott zur Erklärung seines Willens an andere benutzt, heißt ein Prophet. Diese drei Arten können das dreifache Wort Gottes genannt werden, nämlich das Wort der Vernunft, das unmittelbar vernommene Wort und das prophetische Wort; ihnen entsprechen die drei Arten, durch die man Gott hören kann: die rechte Vernunft, die Sinne und der Glaube. Nur wenige haben Gottes Wort unmittelbar vernommen, Gott hat auch nur zu einzelnen durch Offenbarung gesprochen, und zwar zu Verschiedenen verschieden; Gesetze seines Reiches sind keinem Volke auf diese Weise verkündet worden.

4. Gemäß dem Unterschiede zwischen dem Worte der Vernunft und dem prophetischen Worte wird Gott ein zweifaches Reich zugeteilt: ein natürliches, wo er durch die Gebote der rechten Vernunft regiert; dieses Reich umfaßt allgemein alle die, die wegen der allen Menschen gemeinsamen vernünftigen Natur die Macht Gottes anerkennen; und ein prophetisches Reich, in dem Gott auch durch das prophetische Wort regiert; dies ist ein besonderes Reich, da Gott nicht allen Menschen positive Gesetze gegeben hat, sondern nur einem besonderen Volke und bestimmten, von ihm auserwählten Menschen.

5. In seinem natürlichen Reiche kommt Gottes Recht, zu herrschen und die Verletzer seiner Gesetze zu bestrafen, allein von seiner unwiderstehlichen Macht. Denn alles Recht gegen andere beruht entweder auf der Natur oder auf Vertrag. Wie die Entstehung des Rechtes zur Herrschaft aus dem Vertrage entspringt, ist in Kap. 6 bereits dargelegt worden; aus der Natur folgt dasselbe Recht dadurch, daß die Natur es nicht aufgehoben hat. Denn da nach der Natur jeder das Recht auf alles hat, so war für jeden das Recht, über alle zu herrschen, so alt wie die Natur selbst. Unter den Menschen ist dieses Recht nur aus gegenseitiger Furcht beseitigt worden, wie oben in Kap. 2, Abschn. 3 gezeigt worden ist; denn die Vernunft gebot, zur Erhaltung des menschlichen Geschlechtes von diesem Rechte abzulassen, weil aus der Gleichheit der Menschen nach ihren natürlichen Kräften und Vermögen notwendig der Krieg folgte und mit dem Krieg das Verderben[245] des menschlichen Geschlechtes verbunden ist. Hätte dagegen einer die übrigen an Macht so übertroffen, daß alle mit vereinten Kräften ihm nicht hätten widerstehen können, so wäre kein Grund für ihn vorhanden gewesen, das von der Natur ihm gewährte Recht aufzugeben. Er hätte daher das Recht zur Herrschaft über alle andern vermöge seiner überwiegenden Macht behalten, durch die er sich und die andern zu erhalten vermocht hätte. Deshalb leitet sich das Recht derer, deren Macht unwiderstehlich ist, und folglich auch das Recht des allmächtigen Gottes, zur Herrschaft unmittelbar aus eben dieser Macht ab. Und so oft auch Gott einen Sünder straft oder selbst tötet, und zwar ihn straft, weil dieser sündigte, so müssen wir dennoch zugeben, daß Gott ihn mit Recht hätte strafen oder töten können, auch wenn er nicht gesündigt hätte; wenn auch Gott nach seinem Willen bei der Strafe die vorgehende Sünde berücksichtigen kann, so folgt daraus doch nicht, daß das Recht heimzusuchen und zu töten nicht von göttlicher Macht, sondern von der Sünde der Menschen bedingt ist.

6. Die berühmte Streitfrage früherer Jahrhunderte, weshalb die Guten Übles und die Bösen Gutes erfahren, stimmt mit der hier aufgeworfenen überein, mit welchem Recht Gott Gutes und Übles über die Menschen verhängt. Ihre Schwierigkeit hat nicht bloß die Menge, sondern selbst Philosophen und, was noch mehr ist, sogar Heilige in ihrem Glauben an die göttliche Vorsehung schwankend gemacht. In Psalm 73, 1-3 sagt David: »Wie wohl will Gott den Kindern Israels, die redlichen Herzens sind; aber meine Füße sind beinahe bewegt und meine Schritte beinahe ausgegossen, weil ich über die Ungerechten mich ereifert habe und gesehen, wie die Sünder in Frieden lebten.« Und wie heftig eifert Hiob mit Gott, daß er ihn, der doch ein Gerechter ist, mit solchen Leiden heimsuche! Gott selbst löst bei Hiob diese Schwierigkeit mit seinen eigenen Worten und stützt sein Recht nicht auf die Sünden Hiobs, sondern auf seine eigene Macht. Denn Hiob und seine Freunde stritten untereinander und wollten, weil er Strafe erlitt, daraus notwendigerweise seine Schuld ableiten, während jener ihre Anschuldigung mit Gründen seiner Unschuld widerlegen wollte. Gott aber, welcher ihn und jene angehört[246] hatte, widerlegt die Vorhaltungen Hiobs, nicht indem er ihn einer Ungerechtigkeit oder Sünde beschuldigt, sondern indem er sich auf seine eigene Macht beruft, Hiob 38, 4 f.: »Wo warst du (sagt Gott), als ich die Grundlagen der Erde legte? usw.«, und über die Freunde Hiobs sagt Gott, Hiob 42, 7: »er sei erzürnet über sie, da sie nicht wahrhaft von ihm geredet hätten wie sein Knecht Hiob.« Damit stimmt der Ausspruch unsers Erlösers über den Blindgeborenen überein: als ihn seine Jünger fragten, ob dieser selbst oder seine Eltern gesündigt, weil er blind geboren sei, antwortet Jesus, Johannes 9, 3: »Weder dieser noch seine Eltern haben gesündigt, sondern es ist geschehen, um die Werke Gottes an ihm zu offenbaren.« Allerdings heißt es Römer 5, 12: daß »der Tod durch die Sünde in die Welt gekommen«; allein daraus folgt nur, daß Gott vermöge seines Rechtes die Menschen den Krankheiten und dem Tode hätte unterwerfen können, auch wenn sie niemals gesündigt hätten, ebenso wie er auch die übrigen Geschöpfe sterblich gemacht und den Krankheiten unterworfen hat, obgleich sie nicht sündigen können.

7. Wenn Gott sein Recht zur Herrschaft vermöge seiner Macht besitzt, so erhellt, daß die Pflicht der Menschen zum Gehorsam gegen ihn diesen wegen ihrer Schwachheit obliegt18. Denn eine Verbindlichkeit aus einem Vertrage, wie sie in Kap. 2 behandelt worden ist, kann hier, wo das Recht zur Herrschaft aus der Natur ohne Vermittelung eines Vertrages entsteht, nicht statthaben. Nun gibt es zwei Arten der natürlichen Verbindlichkeit. Bei der einen wird die Freiheit durch körperliche Hindernisse aufgehoben; in diesem Sinne sagt man, daß Himmel und Erde und alle Geschöpfe den gemeinsamen Gesetzen ihrer[247] Schöpfung gehorchen. Bei der andern wird die Freiheit durch die Hoffnung und die Furcht aufgehoben, nach der der Schwächere, der an seiner eigenen Widerstandskraft verzweifelt, gar nicht anders kann, als dem Stärkeren zu gehorchen. Aus dieser zweiten Art der Verbindlichkeit, d.h. aus der Furcht oder dem Bewußtsein der eigenen Schwäche gegenüber der Macht Gottes, geht die Verbindlichkeit zum Gehorsam gegen Gott in seinem natürlichen Reiche hervor; denn die Vernunft sagt jedem, der die Macht und die Vorsehung Gottes anerkennt, daß man wider den Stachel nicht löcken könne.

8. Da das Wort Gottes, insoweit er nur durch die Natur allein herrscht, lediglich in der rechten Vernunft enthalten ist, und die Gesetze der Könige nur aus ihren Worten erkannt werden können, so erhellt, daß die Gesetze Gottes, soweit er nur durch die Natur herrscht, lediglich die natürlichen Gesetze sind, wie sie Kap. 2 und 3 aufgeführt und aus den Geboten der Vernunft abgeleitet worden sind: Demut, Billigkeit, Gerechtigkeit, Mitleid und die übrigen den Frieden fördernden moralischen Tugenden, die sich auf die Erfüllung der gegenseitigen Pflichten der Menschen untereinander beziehen, und daneben die, welche die rechte Vernunft in bezug auf die Verehrung und den Dienst der Majestät Gottes gebietet. Ich brauche deshalb diese natürlichen Gesetze oder moralischen Tugenden nicht einzeln nochmals aufzuzählen; dagegen ist zu untersuchen, welche Verehrung und welchen Gottesdienst, d.h. welche heiligen Gesetze diese natürliche Vernunft gebietet.

9. Verehrung im eigentlichen Sinne ist die Achtung vor der mit Güte gepaarten Macht eines andern, und man ehrt jemand, wenn man ihn hochschätzt. Deshalb liegt die Verehrung nicht in dem Verehrten, sondern in dem Verehrenden. Diese auf der Achtung beruhende Verehrung führt notwendigerweise zu drei Gemütszuständen: zur Liebe, die sich auf die Güte, und zur Hoffnung und Furcht, die sich auf die Macht beziehen. Aus diesen gehen alle äußeren Handlungen hervor, wodurch der Mächtige versöhnt und günstig gestimmt wird, und die die Wirkungen wie auch die natürlichen Zeichen der Verehrung selbst sind. Das Wort Verehrung ist indes auch auf die äußerlichen Wirkungen[248] der Ehrfurcht übertragen worden; in diesem Sinne sagt man, man ehrt den, von dessen Macht in Wort oder Tat man eine sehr hohe Meinung hat; Verehrung ist dann dasselbe wie Ehre erweisen; dies ist aber eine äußere Handlung, die die innere Ehrfurcht kundgibt; und man sagt, daß man die verehrt, welche man, wenn sie erzürnt sind, durch Ehrerbietung zu besänftigen oder auf andere Weise sich geneigt zu machen sucht.

10. Alle Zeichen der Seele bestehen in Worten oder in Handlungen, und deshalb besteht auch jeglicher Kult entweder in Worten oder Handlungen. Dabei lassen sich aber drei Arten unterscheiden: die erste enthält das Lob oder die öffentliche Anerkennung der Güte; die zweite ist die öffentliche Anerkennung der gegenwärtigen Macht, die zu verherrlichen ist, das megalynein; die dritte ist die öffentliche Anerkennung des Glückes oder der Macht, die auch in der Zukunft sicher fortbestehen wird, welche makarismos heißt. Jede dieser drei Arten von Verehrung kann sich in Worten und in Taten äußern. Lob und Preis wird in Worten erteilt, wenn es in Sätzen oder dogmatisch geschieht, d.h. durch Eigenschaften und Namen. Man kann dies ein kategorisches und klares Loben und Preisen nennen, z.B. wenn man von dem Geehrten sagt, er sei freigebig, tapfer, weise. Durch Handlungen geschieht es, wenn es als eine Folge oder Voraussetzung oder Vermutung geschieht, z.B. durch Dankbarkeit, welche Güte, durch Gehorsam, welcher Macht, und durch Glückwünsche, welche Glück voraussetzen.

11. Mag man nun jemand mit Worten oder mit Taten preisen wollen, so gibt es solche, welche für jedermann ehrenvoll sind: so unter den Eigenschaften die allgemeinen Namen der Tugenden und Machtvollkommenheiten, die in keinem falschen Sinne verstanden werden können, wie gut, schön, tapfer, gerecht und dergleichen mehr. Von Handlungen gehört hierher Gehorsam, Dankbarkeit, Bittgesuche und ähnliches der Art, in denen immer eine Anerkennung von Tugend und Macht enthalten ist. Andere Zeichen sind für manche ehrenvoll, für andere verletzend oder gleichgültig; dahin gehören von den Eigenschaften die, welche je nach der Verschiedenheit der Ansichten bald als Tugenden, bald als Laster, bald als anständig, bald als[249] unanständig aufgefaßt werden, z.B. jemand habe seinen Feind getötet, er sei geflohen, er sei ein Philosoph, ein Redner und ähnliches, was bei manchen als eine Ehre, bei andern als eine Schmach gilt. Die hierher gehörenden Handlungen hängen von den Gebräuchen und Sitten der einzelnen Gegenden und von den Bestimmungen der Staatsgesetze ab; so die Entblößung des Hauptes als Begrüßung, die Ablegung der Schuhe, die Verneigung mit dem Körper, das Vorbringen von Bittgesuchen, während man steht, im Staube liegt, kriecht; ebenso Zeremonienformeln und ähnliches. Jene Verehrung, welche überall und immer als ehrend gilt, ist die natürliche; die andere, die nach den Orten und Sitten wechselt, kann die willkürliche genannt werden.

12. Die Verehrung kann ferner eine anbefohlene sein, nämlich durch den Befehl dessen, der verehrt wird, oder eine freiwillige, wenn sie von dem Willen des Verehrenden abhängt. Bei der befohlenen Verehrung sind die die Verehrung ausdrückenden Handlungen nicht als solche ein Zeichen der Ehrfurcht, sondern weil sie befohlen sind; sie bedeuten unmittelbar Gehorsam, und zwar Gehorsam gegenüber der Macht; deshalb beruht die befohlene Verehrung auf dem Gehorsam. Bei der freiwilligen Handlung macht nur die Natur der Handlungen selbst sie ehrenvoll; gelten sie als solche bei den Zuschauern, so bilden sie die Verehrung; sonst sind sie beleidigend. Die Verehrung kann ferner eine öffentliche oder eine private sein. Die öffentliche Verehrung kann in bezug auf die einzelnen Verehrenden keine freiwillige sein, wohl aber in bezug auf den Staat. Denn das, was freiwillig geschieht, erfolgt nach dem Ermessen dessen, der es tut, und es würde dann nicht eine Verehrung sein, sondern so viele, als verehrende Personen daran teilnehmen, wenn nicht durch das Gebot eines die Willen aller geeinigt werden. Dagegen kann die private Verehrung eine freiwillige sein, wenn sie im geheimen geschieht; denn im Fall sie öffentlich erfolgt, ist sie durch die Gefahr oder durch die guten Sitten beschränkt, womit die Freiwilligkeit sich nicht verträgt.

13. Um den Zweck oder das Ziel, weshalb andere verehrt werden, zu erkennen, muß man auf die Ursache zurückgehen,[250] weshalb die Menschen sich über Verehrung freuen. Man muß, wie ich schon gezeigt habe, annehmen, daß diese Freude darin besteht, daß der Gelehrte Tapferkeit, Kraft, Wissenschaft, Schönheit, Freude oder irgendeine andere Macht als die seine oder gleichsam als die seine ansieht. Sie besteht also nur in dem Ruhm oder Triumph der Seele, indem man sich für geehrt hält, d.h. für geliebt oder gefürchtet, d.h. man meint, den Dienst und die Hilfe seiner Nebenmenschen in seiner Gewalt zu haben. Da man den, welchen andere verehren, d.h. für einen Mächtigen halten, auch für einen solchen hält, so wird die Ehre durch die Verehrung vergrößert; und indem der Geehrte für mächtig gehalten wird, erlangt er eine wirkliche Macht. Der Zweck dessen, der sich verehren läßt oder seine Verehrung gebietet, geht also dahin, sich möglichst viele durch Liebe oder Furcht gehorsam zu machen.

14. Um zu erkennen, welche Gottesverehrung die natürliche Vernunft verlangt, muß man bei Gottes Eigenschaften beginnen. Es ist zunächst klar, daß ihm das Dasein beizulegen ist; denn man kann den nicht verehren wollen, von dem man nicht annimmt, daß er bestehe. Es sprechen aber die Philosophen, die lehren, daß Gott nichts anderes sei als die Welt selber oder ihre Seele (das würde gar nur ein Teil der Welt sein), unwürdig von Gott; denn damit teilen sie ihm nichts zu, sondern leugnen überhaupt sein Dasein. Denn unter dem Namen Gott versteht man die Ursache der Welt; wenn jene also sagen, daß die Welt Gott sei, so sagen sie, daß sie keine Ursache habe, d.h. daß Gott nicht sei. Dies gilt auch von denen, welche behaupten, daß die Welt nicht erschaffen worden sei, sondern ewig bestanden habe; denn das Ewige hat keine Ursache, und deshalb liegt darin die Leugnung der Ursache der Welt, die gleichbedeutend ist mit der Leugnung des Daseins Gottes. Auch die haben eine armselige Auffassung von Gott, die ihm völlige Muße zuerteilen und ihm damit die Regierung der Welt und des menschlichen Geschlechts entziehen. Man erkennt ihn dabei wohl als allmächtig an, allein wenn er sich um das Untere nicht kümmert, so gilt dann jene fadenscheinige Redensart: Was über uns ist, das kümmert uns nicht. Wenn so nichts vorliegt, weshalb man Gott lieben oder fürchten sollte,[251] so ist es für sie dasselbe, als wenn er überhaupt nicht da wäre. Ferner sind bei Eigenschaften, die Größe und Macht bezeichnen, diejenigen, die etwas Endliches oder Beschränktes angeben, keineswegs Zeichen einer Verehrung Gottes. Denn man verehrt Gott nicht in würdiger Weise, wenn man ihm nicht die möglichste Macht und Größe zuteilt; und das Endliche ist nicht dieses Möglichste, denn jedem Endlichen kann man leicht immer noch etwas mehr zuschreiben und hinzufügen. Deshalb darf man Gott auch keine Gestalt beilegen, weil jede Gestalt endlich ist; ebensowenig darf man sagen, daß man Gott mit seiner Einbildungskraft oder durch eine andere Geisteskraft erfasse oder begreife; denn man kann nur das Endliche begreifen. Wenn auch das Wort unendlich eine Vorstellung der Seele bezeichnet, so folgt doch daraus noch nicht, daß wir irgendeine Vorstellung eines unendlichen Gegenstandes besitzen. Denn wenn man sagt, etwas sei unendlich, so bezeichnet man keine Bestimmung in der Sache, sondern nur die Ohnmacht in unserm Geiste; ebenso wenn man sagt, daß man nicht wisse, ob und wo das Ende sei. Auch sprechen die von Gott nicht würdig genug, die da sagen, daß ein Begriff von ihm unserer Seele einwohne; denn Begriffe sind Vorstellungen in uns und Vorstellungen haben wir nur von endlichen Dingen. Auch darf man von Gott nicht sagen, daß er Teile habe, oder daß er ein Ganzes sei, denn auch dies sind nur Bestimmungen der endlichen Dinge; auch nicht, daß er an einem Orte sei, da nur das an einem Orte sein kann, was seiner Größe nach von allen Seiten begrenzt und endlich ist; ebensowenig, daß Gott sich bewege oder ruhe, da beides voraussetzt, daß Gott sich an einem Orte befindet; ebensowenig, daß es mehrere Götter gebe, denn es gibt nicht mehrere Unendliche. Ferner sind in bezug auf die Eigenschaften der Glückseligkeit die Gottes unwürdig, welche einen Schmerz bedeuten (man müßte denn mit diesen Worten nicht den Gemütszustand, sondern durch Umwechselung der Bedeutung die Wirkung bezeichnen): dahin gehören Reue, Zorn, Mitleid; ebenso Eigenschaften, die einen Mangel bezeichnen, wie Begehren, Hoffnung, sinnliche Begierde und jene Liebe, die man auch Wollust nennt; denn sie bezeichnen, einen Mangel, da man sich nicht vorstellen[252] kann, daß jemand etwas begehre, hoffe und wünsche, wenn es ihm nicht fehlt oder mangelt. Ebenso sind die leidenden Zustände Gottes unwürdig; denn alles Leiden bezeichnet eine beschränkte Macht, die von andern abhängt. Wenn man daher Gott einen Willen zuschreibt, so darf darin kein dem unsern ähnlicher verstanden werden, der nur ein vernünftiges Begehren ist (denn wenn Gottbegehrte, so fehlte ihm etwas, und das zu sagen, ist eine Beschimpfung); eine gewisse Ähnlichkeit muß allerdings gleichwohl bestehen, die wir aber nicht begreifen. Dasselbe gilt, wenn man Gott Sehkraft und andere Sinneswahrnehmungen zuschreibt, oder Wissen, oder Einsicht; dies sind bei uns nur Erregungen der Seele, welche von den auf die Sinnesorgane drückenden äußern Gegenständen erweckt werden; man kann nicht annehmen, daß derartiges bei Gott vorkomme, da es das Zeichen der Abhängigkeit von einer fremden Macht wäre und der höchsten Seligkeit widerspräche. Wenn man Gott also nur Eigenschaften, die der Vernunft entsprechen, beilegen will, so muß man entweder verneinende wählen, wie »unendlich«, »ewig«, »unbegreiflich« usw., oder höchste Steigerungen, wie »der beste«, »der größte«, »der mächtigste« usw., oder unbestimmte, wie »gut«, »gerecht«, »stark«, »Schöpfer«, »König« und ähnliche; und zwar in dem Sinne, daß man damit die Eigenschaften selbst nicht bezeichnen will (denn dann würde man sie in die Schranken unserer Einbildungskraft einzwängen), sondern daß man damit nur die eigene Bewunderung und den Gehorsam ausdrücken will, wie er der Demut und der Gesinnung eines Gott verehrenden Menschengeistes zukommt. Denn die Vernunft gestattet nur ein Wort, das die Natur Gottes bezeichnet, d.i. sein Dasein, oder einfach, daß er ist, und in Beziehung auf uns auch nur eins, nämlich Gott, worin enthalten ist, daß er sowohl König wie Herr und Vater ist.

15. In bezug auf die äußeren Handlungen, durch welche Gott verehrt werden soll, wie auch in bezug auf seine Namen, sagt die Vernunft im allgemeinen, daß sie Zeichen einer verehrenden Gesinnung sein müssen. Darunter fallen also zuerst die Gebete. Wer in Gold und Marmor heilige Gesichter bildet, achtet die Götter nicht; aber wer betet,[253] tut es. Denn Gebete sind Zeichen der Hoffnung; und Hoffnung ist eine Anerkennung der göttlichen Macht oder Güte.

Zweitens gehört dahin die Danksagung, die dasselbe Gefühl bekundet; die Bitte geht der Wohltat nur voraus, während der Dank ihr folgt.

Drittens gehören hierher die Gaben, d.h. die Weihgeschenke und Opfer; es sind die tätigen Äußerungen des Dankes.

Viertens gehört hierher, daß man bei keinem andern schwöre. Denn durch den Schwur ruft der Mensch gegen sich selbst für den Fall, daß er falsch schwört, den Zorn dessen auf, der sowohl weiß, ob falsch geschworen ist oder nicht, und der den Menschen, wie stark er auch sei, strafen kann; und das vermag nur Gott. Wenn es aber einen Menschen gäbe, dem die Bosheit seiner Untertanen nicht verborgen bleiben und dem keine menschliche Macht Widerstand leisten könnte, so genügte das gegebene Wort ohne Eid, da dieser Mensch die Verletzung strafen könnte. Man würde also keines Schwures bedürfen.

Fünftens soll man von Gott mit Überlegung sprechen; denn dies zeugt von Furcht, und Furcht ist eine Anerkennung seiner Macht. Hieraus folgt, daß man den Namen Gottes nicht nutzlos oder leichtsinnig gebrauchen soll; denn beides zeugt von keiner Überlegung. Ferner soll man nicht unnützerweise schwören, denn es hilft nichts. Es bedarf aber der Eide nur unter den Staaten, wenn man den gewaltsamen Streit verhindern oder beseitigen will, der unvermeidlich ist, wenn man den Zusagen nicht vertrauen kann; oder im Staate zur besseren Gewißheit für den Richter. Ferner soll man nicht über Gottes Wesen streiten; denn dabei setzt man voraus, daß im natürlichen Reiche Gottes alles durch die Vernunft allein ermittelt werden könne, d.h. nach den Grundsätzen der natürlichen Wissenschaften. Mit diesen Mitteln Gottes Natur zu erkennen, ist aber unmöglich, da wir mit ihnen nicht einmal alle Eigenschaften unseres Körpers oder sonst eines Geschöpfes genügend zu erfassen vermögen. Mit solchem Streit kommt man also höchstens dahin, daß man nach dem kleinen Maßstabe unserer Begriffe der Majestät Gottes unüberlegte[254] Namen beilegt. Ferner erhellt (in bezug auf das Recht der göttlichen Herrschaft), daß es eine voreilige und unüberlegte Äußerung ist, wenn man sagt, daß dies oder jenes sich mit der Gerechtigkeit Gottes nicht vertrage. Selbst die Menschen betrachten es als eine Schmach, wenn ihre Kinder über ihre Rechte streiten oder ihre Gerechtigkeit nach einem andern Maße als dem ihrer Gebote messen.

Sechstens muß alles, was an Gebeten, Dankeshandlungen und Opfern geschieht, in seiner Art das Beste und ein Zeichen der Ehrerbietung sein; d.h. Gebete dürfen nicht unbedachtsam oder oberflächlich oder gemein sein, sondern schön und gut gefaßt. Es war zwar verkehrt, wenn die Heiden Gott unter einem Bilde verehrten; allein es war nicht unvernünftig, wenn sie bei den heiligen Handlungen sich der Gedichte und der Musikbedienten. Auch die Opfergaben müssen schön und die Geschenke prächtig sein; sie sollen entweder ein Zeichen der Unterwürfigkeit oder Dankbarkeit oder ein Erinnerungszeichen empfangener Wohltaten sein. Denn sie alle entspringen aus dem Bestreben, Gott die Ehre zu erweisen.

Siebentens soll Gott nicht bloß im geheimen, sondern auch öffentlich und angesichts aller Menschen verehrt werden; denn der Gottesdienst ist um so wertvoller, je mehr er Verehrung und Achtung erweckt, wie in Abschn. 13 gezeigt worden. Er verliert daher seinen Wert, wenn die andern nicht darin das erblicken, was das Verdienstliche daran ist.

Endlich ist im höchsten Maße auf die Beobachtung der natürlichen Gesetze zu achten; denn jede Geringschätzung der Herrschaft Gottes enthält die höchste Beleidigung Gottes, wie umgekehrt der Gehorsam ihm angenehmer ist als alle andern Opfer. Von den natürlichen Gesetzen über den Gottesdienst sind die die hauptsächlichsten, welche die Vernunft den Menschen gebietet. Die natürliche Vernunft gebietet aber allen Staaten, von denen jeder eine Person darstellt, die Gleichheit und Übereinstimmung des öffentlichen Gottesdienstes. Denn die von den einzelnen nach ihrer Vernunft ausgehenden Handlungen sind keine Handlungen des Staates und deshalb auch nicht Gottesdienst des Staates; als von dem Staat[255] geschehen gilt nur das, was infolge des Befehls des oder der Inhaber der höchsten Staatsgewalt getan wird, und was deshalb mit dem Willen aller Bürger, d.h. gleichmäßig geschieht.

16. Die natürlichen Gesetze über den Gottesdienst, die in dem vorhergehenden Abschnitt aufgezählt worden sind, verlangen nur die Erweisung der natürlichen Zeichen der Ehrerbietung. Es gibt jedoch zwei Arten der Ehrerbietungsbezeugungen: die einen sind natürliche, die andern vertragsmäßige, über die man entweder ausdrücklich oder stillschweigend übereingekommen ist. Da nun in jeder Sprache der Gebrauch der Worte oder Namen auf dem Übereinkommen beruht, so kann er auch durch Übereinkommen geändert werden; denn was von dem Willen der Menschen abhängt und von ihm seine Kraft empfängt, kann durch den übereinstimmenden Willen derselben Menschen wieder geändert oder aufgehoben werden. Die Worte mithin, welche nach dem Übereinkommen der Menschen zu Eigenschaften Gottes erhoben worden sind, können nach gleichem Übereinkommen wieder beseitigt werden. Nun kann das, was durch das Übereinkommen der Menschen geschieht, auch der Staat tun. Der Staat (d.h. der Inhaber der höchsten Gewalt) kann deshalb mit vollem Recht verordnen, welche Worte oder Namen für Gott als ehrenvoll gelten sollen und welche nicht; d.h. welche Lehren über die Natur und Wirksamkeit Gottes festzuhalten und öffentlich zu bekennen sind. Handlungen dagegen erhalten ihre Bedeutung nicht durch das Übereinkommen der Menschen, sondern aus ihrer Natur heraus; so wie die Wirkungen die Zeichen ihrer Ursachen sind. Manche Handlungen sind daher immer Zeichen der Verachtung für die, in deren Gegenwart sie geschehen; so alle die, durch welche die Unreinheit des Körpers gezeigt wird, oder solche, die man sich in Gegenwart derer, die man verehrt, vorzunehmen schämt. Andere Handlungen gelten immer als Zeichen der Ehrerbietung; so ein bescheidenes und demütiges Herantreten und Anreden, ein Aus-dem-Wege-gehen oder Nachgeben in bezug auf gewöhnliche Vorteile. Hieran kann der Staat nichts andern. Dagegen gibt es unzählige Dinge, die in bezug auf Ehre oder Schande indifferent sind; diese[256] kann der Staat zu Zeichen der Ehre machen, und sie werden damit wirklich ehrenvoll. Hieraus erhellt, daß man dem Staate in dem zu gehorchen hat, was er als Zeichen der Verehrung Gottes, d.h. für den Gottesdienst, vorschreibt; nur muß es überhaupt als ein Zeichen der Ehrerbietung gelten können; es gilt aber als ein Ehrenzeichen, wenn es auf Befehl des Staates als solches gebraucht wird.

17. Ich habe dargelegt, welches die heiligen und die weltlichen Gesetze Gottes sind, wo er nur durch die Natur herrscht. Indes ist jedermann in seinen Erwägungen dem Irrtume ausgesetzt, und die Menschen sind hinsichtlich der meisten Handlungen verschiedener Ansicht; deshalb entsteht die Frage, wer nach Gottes Willen als der Ausleger der rechten Vernunft, d.h. seiner Gesetze anzusehen ist. Wie ich einleuchtend gesagt habe, entspricht es in betreff der weltlichen Gesetze (d.h. derer, die sich auf die Pflege der Gerechtigkeit und das Verhalten der Menschen zueinander beziehen) nach dem, was über die Begründung des Staates gesagt worden ist, der Vernunft, daß jede Rechtsprechung dem Staate allein zusteht, und daß Rechtsprechung nichts anderes ist als Auslegungen der Gesetze. Deshalb ist überall der Staat, d.h. der Inhaber der höchsten Staatsgewalt, der Ausleger dieser Gesetze. In bezug auf die heiligen Gesetze muß man das in Kap. 5, Abschn. 13 Dargelegte berücksichtigen, wonach die einzelnen Bürger nur so viel Recht auf den Inhaber der Staatsgewalt übertragen haben, als sie übertragen konnten. Nun konnten sie das Recht zur Regelung der Art des Gottesdienstes übertragen, folglich ist dies auch von ihnen geschehen. Daß sie es konnten, erhellt daraus, daß vor der Errichtung des Staates ein jeder die Art der Gottesverehrung aus seinem eigenen Urteil entnehmen mußte; nun kann aber jeder seine besondere Vernunft der des ganzen Staates unterwerfen. Auch würde, wenn jeder nur nach seinem Ermessen den Gottesdienst bestimmen wollte, bei der großen Verschiedenheit der Verehrer einer den Gottesdienst des andern für unpassend oder gottlos halten, und keiner würde von den andern als ein Gottesverehrer angesehen werden. Es gäbe also dann gar keinen Gottesdienst, selbst wenn[257] er auch noch so sehr der Vernunft entspräche; denn das Wesen des Gottesdienstes liegt darin, daß er ein Zeichen der inneren Ehrfurcht ist. Als Zeichen kann aber nur das gelten, wodurch irgend etwas andern bekannt gemacht wird; deshalb kann das nicht als Zeichen der Ehrfurcht gelten, was nicht auch von andern für ein solches gehalten wird. Wiederum ist jedes Zeichen ein wahres, das auf der Übereinstimmung aller beruht; deshalb ist all das ehrenvoll, was durch das Übereinkommen der Menschen, d.h. durch das Gebot des Staates ein Ehrenzeichen wird. Es ist also nicht gegen den allein durch die Vernunft erkennbaren Willen Gottes, wenn man ihm die Zeichen der Ehre erweist, welche der Staat anordnet. Deshalb können die Bürger die Bestimmung über den Gottesdienst dem Inhaber der höchsten Staatsgewalt übertragen; ja sie sind dazu verpflichtet, da sonst alle möglichen absurden Ansichten über die Natur Gottes und alle lächerlichen Gebräuche, welche je bei den Völkern bestanden haben, gleichzeitig in demselben Staate zum Vorschein kommen könnten. Man würde dann dahin gelangen, daß jeder glaubt, alle übrigen beschimpften Gott; von niemand könnte man dann wirklich sagen, daß er Gott verehre; denn die äußere Gottesverehrung wird nur dann zu einer solchen, wenn die andern sie auch dafür halten. Hiernach ergibt sich der Schluß, daß die Auslegung aller Gesetze, der heiligen wie der weltlichen, in dem natürlichen Reiche Gottes von der Staatsgewalt abhängt, also von dem Menschen oder der Versammlung, welchen die höchste Staatsgewalt übertragen ist, und daß Gott alles, was er befiehlt, durch ihren Mund befiehlt; und umgekehrt, daß alles, was von ihnen über die Gottesverehrung und über weltliche Dinge befohlen wird, von Gott selbst befohlen wird.

18. Hiergegen könnte man erstens fragen, ob man also auch dann dem Staate gehorchen müsse, wenn er geradezu befiehlt, Gott zu beschimpfen, oder wenn er verhindert, ihn zu verehren. Ich antworte, daß dies nicht aus Obigem folgt und man also nicht zu gehorchen braucht. Denn die Beschimpfungen und die Unterlassung des Gottesdienstes kann niemand als eine Art des Gottesdienstes ansehen; auch hatte vor Errichtung des Staates niemand von[258] denen, die Gottes Regierung anerkannten, das Recht, Gott die gebührende Ehre zu verweigern, und er konnte daher ein solches Recht auch nicht auf den Staat übertragen. Fragt man zweitens, ob man dem Staate gehorchen müsse, wenn er gewisse Ausdrücke oder Handlungen gebietet, die zwar Gott nicht geradezu beleidigen, aber aus denen doch beleidigende Folgerungen gezogen werden können, z.B. wenn man Gott unter einem Bilde verehren soll in Gegenwart derer, die dies für eine Verehrung halten: so muß dies allerdings geschehen.19 Denn der Gottesdienst soll ein Zeichen der Verehrung sein; wenn ein bestimmter Gottesdienst als ein Zeichen der Ehre gilt, so verbreitet er auch die Ehre Gottes bei denen, welche diese Zeichen so auffassen. Oder wenn befohlen wird, Gott einen Namen beizulegen, dessen Sinn man nicht versteht oder von dem man nicht einsieht, wie er mit dem Namen Gottes übereinstimmen kann, so muß auch dies geschehen. Denn alles, was wir zu Gottes Ehre tun (und wir wissen nichts besseres zu tun), ist, wenn es nur von andern dafür gehalten wird, wirklich ein Zeichen der Ehrerbietung; verweigert man deshalb dergleichen, so weigert man sich auch, die Ehre Gottes zu verbreiten. Dasselbe gilt von allen Eigenschaften und Handlungen Gottes in betreff des rein vernünftigen Gottesdienstes, die in Zweifel und Streit gezogen werden[259] können. Wenn auch die Anordnungen des Staates hier mitunter gegen die rechte Vernunft verstoßen können und deshalb sich bei den Befehlenden als ein Unrecht darstellen, so sind sie doch nicht gegen die rechte Vernunft und enthalten keine Sünde für die Untertanen; denn für diese besteht in zweifelhaften Fällen die rechte Vernunft darin, daß man sich der Vernunft des Staates unterwerfe. Man kann endlich fragen, ob auch dann gehorcht werden soll, wenn der Mensch oder die Versammlung, welche die Staatsgewalt innehat, befiehlt, daß sie mit denselben Beiworten und Handlungen verehrt werden solle, mit denen Gott zu verehren ist. Hier gibt es vieles, was man Gott und den Menschen gemeinsam zuteilen kann; denn auch Menschen können gelobt und gepriesen werden. Und durch vielerlei Handlungen können sowohl Gott wie Menschen verehrt werden. Es kommt also allein auf den Sinn der Beiworte und Handlungen an. Wenn die Ausdrücke bedeuten, daß ein Mensch die Staatsgewalt unabhängig von Gott innehaben kann, oder daß er unsterblich sei, oder daß seine Macht grenzenlos sei, oder ähnliches, so muß man sich derselben enthalten, wenn auch der König sie gebietet. Dasselbe gilt von Handlungen, die denselben Sinn haben: wenn z.B. ein Abwesender angefleht werden soll; wenn man von jemand das erbitten soll, was nur Gott gewähren kann, wie Regen und Sonnenschein; wenn man ihm das darbringen soll, was nur Gott empfangen kann, wie Opfergaben, oder wenn man ihm die höchste Verehrung beweisen soll, z.B. sich ihm aufopfern soll. Denn all das scheint darauf hinzuzielen, daß der Glaube an Gottes Regierung erschüttert werde, und läuft gegen die obigen Voraussetzungen. Im übrigen kann Kniebeugung, Fußfall oder jedwede andere körperliche Handlung auch bei der Verehrung des Staatsoberhauptes gestattet sein, da sie als eine Anerkennung der bürgerlichen Gewalt gelten kann. Der Dienst Gottes unterscheidet sich von dem weltlichen nicht durch körperliche Bewegungen, Stellungen, Haltungen oder Mienen, sondern durch die Gedanken, die damit über den Verehrten ausgedrückt werden. Wirft man sich daher vor jemand nieder, um damit auszudrücken, daß man ihn für Gott halte, so ist es ein Gottesdienst; geschieht es als[260] Anerkennung der Staatsgewalt, so ist es ein weltlicher Dienst. Auch unterscheidet sich der Gottesdienst von dem weltlichen nicht durch die Handlungen, die man gewöhnlich mit den Worten latreia und douleia bezeichnet (von denen ersteres den Dienst, das andere den Stand der Sklaven bezeichnet), da diese Worte für dieselben Handlungen gelten.

19. Aus dem Gesagten erhellt, daß in dem natürlichen Reiche Gottes die Untertanen sündigen: 1. wenn sie die Moralgesetze verletzen, die in Kap. 2 und 3 erklärt worden sind; 2. wenn sie in Dingen, die zur Gerechtigkeit gehören, die Gesetze und Befehle des Staates verletzen; 3. wenn sie Gott nicht kata ta nomina verehren; 4. wenn sie vor den Menschen durch Wort und Tat nicht bekennen, daß nur ein Gott ist, allgütig, allmächtig, allselig, der höchste König der ganzen Welt und aller Könige der Welt, d.h. wenn sie Gott nicht verehren. Diese vierte Sünde ist in dem natürlichen Reiche Gottes nach dem in Kap. 14, Abschn. 2 Gesagten Hochverrat gegen die göttliche Majestät. Denn sie enthält die Leugnung von Gottes Macht, d.h. den Atheismus. Mit dieser Sünde verhält es sich ebenso, wie wenn ein Mensch, welcher der höchste König ist, in seiner Abwesenheit durch einen Vizekönig regiert. Die, welche diesem Vizekönig nicht in allem gehorchten, ausgenommen, wenn er sich selbst die Herrschaft anmaßte oder einem andern übergeben wollte, würden sich gegen ihn vergehen; dagegen würden die des Hochverrats schuldig sein, welche dem Vizekönig unbedingt und selbst in jenen ausgenommenen Fällen gehorchen würden.[261]

18

Wenn dies jemand hart erscheinen sollte, so bitte ich ihn, bei sich zu überlegen, ob, wenn es zwei Allmächtige gäbe, einer dem andern zu gehorchen verbunden wäre. Ich glaube, er wird einräumen, daß keiner von beiden dazu verpflichtet sei. Ist dies richtig, dann ist auch mein Ausspruch richtig, daß die Menschen Gott Untertan sind, weil sie nicht allmächtig sind. Wenn unser Erlöser den Paulus ermahnte, der damals ein Feind der Kirche war, er solle nicht wider den Stachel locken, so scheint er deshalb Gehorsam von ihm gefordert zu haben, weil er zum Widerstande nicht die genügende Macht hatte.

19

Ich habe in Abschn. 14 dieses Kapitels gesagt, daß, wenn man Gott Grenzen setzt, man gegen das natürliche Gesetz über den Gottesdienst verstoße. Nun setzt man Gott Grenzen, wenn man ihn unter einem. Bilde verehrt. Man tut also damit etwas, was nicht geschehen soll, und deshalb scheint diese Stelle der frühern zu widersprechen. Allein man erwäge zunächst, daß, wenn jemand zu solchem. Gottesdienst gezwungen wird, nicht er, sondern die, welche es befehlen, Gott Grenzen setzen. Denn wer gezwungen Gott verehrt, verehrt ihn wirklich; aber er steht oder wirft sich an der Stelle nieder, wo es der rechtmäßige Herrscher befiehlt Sodann sage ich nicht, daß dies immer und überall geschehen müsse, sondern nur für den Fall, daß außer den Geboten der menschlichen Vernunft keine andere Regel für den Gottesdienst besteht; denn nur dann gilt der Wille des Staates als Vernunft. In dem Reiche Gottes ist aber sowohl durch den Alten wie durch den Neuen Bund die Bilderanbetung ausdrücklich verboten, und deshalb darf sie da nicht geschehen, auch wenn der Staat sie gebietet. Wenn man dies erwägt, so wird man finden, daß zwischen diesem Abschnitt und Abschn. 14. kein Widerspruch besteht.

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil: Lehre vom Menschen und Bürger. Leipzig 1918, S. 243-262.
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