10. Kapitel
Eine Vergleichung der drei Staatsformen nach ihren Übelständen

[180] 1. Ich habe angegeben, was Demokratie, Aristokratie und Monarchie sind; jetzt soll nun durch ihre Vergleichung ermittelt werden, welche von ihnen am meisten zur Erhaltung des Friedens unter den Bürgern und zur Förderung ihres Wohles geeignet ist. Ich will zunächst die Vorteile und Nachteile des Staates im allgemeinen betrachten, damit nicht etwa jemand denke, es sei besser, einen jeden nach seinem Belieben leben zu lassen, anstatt überhaupt einen Staat zu begründen. Allerdings hat außerhalb des Staates jeder die größte, aber auch die nutzloseste Freiheit; denn wer um seiner Freiheit willen in allem nur so handelt, wie es ihm beliebt, der muß auch wegen der gleichen Freiheit der andern alles, was diesen beliebt, sich gefallen lassen. In einem konstituierten Staat behält dagegen der einzelne Bürger nur so viel Freiheit für sich, als zum guten und ruhigen Leben genügt; und die andern müssen so viel von ihrer Freiheit abgeben, damit man sie nicht zu fürchten braucht. Außerhalb des Staates hat zwar jeder das Recht auf alles, aber kann sich doch keines Besitzes erfreuen; im Staate kann ein jeder sein beschränktes Recht sicher gebrauchen. Außerhalb des Staates kann jeder einen jeden mit Recht berauben oder töten; im Staate kann das nur einer. Außerhalb des Staates schützt man sich durch eigene Kraft; im Staate durch die Kraft aller. Außerhalb des Staates ist niemand der Früchte seiner Arbeit sicher; im Staate haben alle diese Sicherheit. Endlich herrschen außerhalb des Staates die Gewalt der Leidenschaften, Krieg,[180] Furcht, Armut, Häßlichkeit, Einsamkeit, Barbarei, Unwissenheit, Roheit; dagegen besteht im Staate die Herrschaft der Vernunft, Frieden, Sicherheit, Reichtum, Geschmack, Gemeinschaft, Glanz, Wissenschaft und Wohlwollen.

2. Aristoteles sagt in Buch 7, Kap. 14 seiner »Politik«, daß es zwei Arten von Regierungen gäbe: die eine ziele auf den Nutzen des Herrschers, die andere auf den der Untertanen ab. Als ob die Staatsform eine andere dort sei, wo die Bürger strenger, und eine andere dort, wo sie milder behandelt würden. Allein dies kann auf keinen Fall zugestanden werden; vielmehr sind die aus der Regierung entspringenden Vorteile und Nachteile für den Herrscher und die Untertanen dieselben und gleichen. Die Nachteile, welche einzelne Bürger durch Unglück, Torheit, Nachlässigkeit, Trägheit oder eigene Verschwendung treffen können, lassen sich zwar von den Nachteilen, die den Regenten treffen, absondern; allein es sind dies auch keine Nachteile aus der Regierung, da sie in jedem Staate vorkommen können. Wenn solche Nachteile seit der ersten Errichtung des Staats eintreten, so werden sie zwar Nachteile aus der Regierung genannt; aber sie werden den Herrscher ebenso wie die Bürgertreffen; und das Gleiche gilt für die Vorteile. So genießen beide erstens den größten Vorteil, Frieden und Schutz; sowohl der Herrscher wie der Beherrschte benutzen zum Schutz ihres Lebens die Kräfte aller Bürger. Ebenso trifft das größte Unglück, das sich im Staate ereignen kann, nämlich die Tötung der Bürger infolge der Anarchie sowohl den Inhaber der Staatsgewalt wie jeden einzelnen Bürger gleich. Zweitens, wenn der Inhaber der Staatsgewalt so ungeheuere Steuern von den Bürgern eintreibt, daß diese mit ihren Familien sich nicht erhalten und ihre körperlichen Kräfte sich nicht bewahren können, so trifft dieser Nachteil ebenso diese wie auch den Herrscher, welcher trotz seines noch so großen Schatzes an Reichtümern ohne die Kraft der Bürger die Herrschaft und seinen Reichtum nicht zu schützen vermag. Wenn er aber nur so viel Steuern erhebt, als zur richtigen Staatsverwaltung gerade zureicht, so gereicht dies ebenso dem Herrscher wie den Bürgern für den gemeinsamen Frieden[181] und Schutz zum Vorteil. Auch kann man sich nicht vorstellen, wie das öffentliche Vermögen den einzelnen Bürgern Beschwerde verursachen kann, solange sie nicht so ausgesogen werden, daß sie aller Möglichkeiten beraubt sind, sich – selbst nicht durch ihre Arbeit – ihre Geistes- und Körperkräfte zu erhalten. Ein solcher Schaden würde aber den Herrscher mit treffen; er käme auch nicht von der Schlechtigkeit der Staatseinrichtung und Staatsordnung, denn in allen Staatsformen können die Bürger unterdrückt werden, sondern von der schlechten Verwaltung eines an sich gut eingerichteten Staates.

3. Um nun zu zeigen, daß von den genannten Arten des Staates, der Demokratie, Aristokratie und Monarchie, letztere den Vorrang besitzt, muß auf die Vergleichung ihrer Vorzüge und Nachteile eingegangen werden. Ich will nicht geltend machen, daß schon das Weltall von einem Gott regiert wird; daß die Alten den monarchischen Staat allen andern vorgezogen haben, indem sie die Herrschaft über die Götter dem einen Jupiter zuteilten; daß im Beginn der Dinge und Völker der Wille der Fürsten als Gesetz gegolten hat; daß die väterliche Herrschaft, die von Gott bei der Schöpfung eingesetzt worden ist, eine monarchische ist; daß die andern Staatsformen aus den Überresten der durch Aufstände aufgelösten Monarchie künstlich von den Menschen15 später geformt und verbunden worden sind; und daß das Volk Gottes unter Königen gestanden hat: denn[182] wenn diese Umstände auch die Monarchie empfehlen, so geschieht es doch nur durch Beispiele und Zeugnisse, aber nicht durch Vernunftgründe.

4. Manchen mißfällt die Herrschaft eines einzigen allein deshalb, weil es eben nur einer ist; gleichsam als wenn es unrecht wäre, daß ein einziger aus so vielen mit solcher Gewalt hervorragen solle, daß er beliebig über alle übrigen schalten kann. Diese würden sich sicherlich auch der Herrschaft des einen Gottes entziehen, wenn sie es vermöchten. Indes gibt nur der Neid diesen Einwand gegen den Einen an die Hand, weil er das hat, was jeder haben möchte. Aus demselben Grunde würden sie es auch für unrecht halten, wenn einige wenige herrschten; es sei denn, daß sie selbst dazu gehörten oder bald dahin zu kommen hofften. Denn wenn es unrecht ist, daß nicht alle gleiches Recht haben, so ist auch die Herrschaft der Vornehmen unrecht. Indes habe ich schon gezeigt, daß der Zustand der Gleichheit der Kriegszustand ist, und daß die Ungleichheit deshalb mit Einwilligung aller eingeführt worden ist. Deshalb kann diese Ungleichheit, durch welche der, dem wir freiwillig mehr zugestanden haben, auch mehr besitzt, nicht mehr für unrecht gelten. Die Nachteile, die die Herrschaft des einen begleiten, stammen daher, daß er ein Mensch, nicht aber daher, daß er ein Einzelner ist. Ich habe also zu prüfen, ob die Herrschaft eines Menschen oder die mehrerer den Bürgern nachteiliger ist.

5. Ich habe zunächst mich gegen die zu wenden, welche überhaupt bestreiten, daß die Zusammenstellung von einer Anzahl Sklaven unter einen gemeinsamen Herrn einen Staat bilden könne. In Kap. 5, Abschn. 9, ist der Staat als eine Person definiert, die aus mehreren Menschen gebildet worden ist; der Wille dieser Person soll nach ihrem Übereinkommen als der Wille aller gelten, so daß der Staat die Kräfte und Fähigkeiten der einzelnen zum gemeinsamen Frieden und Schutz verwenden darf. Nach demselben Paragraphen ist eine Person, wenn der Wille mehrerer Menschen in einem Willen befaßt ist. Nun ist der Wille jedes Sklaven in dem Willen des Herrn nach Kap. 8, Abschn. 5 enthalten, und er kann sich ihrer Kräfte und Fähigkeiten nach seinem Willen und Belieben bedienen.[183] Daraus folgt, daß ein Staat möglich ist, der aus einem Herrn und einer Anzahl Sklaven besteht. Man kann keinen Grund hiergegen geltend machen, der nicht ebenso auch den aus dem Vater und seinen Kindern gebildeten Staat träfe; denn bei dem Herrn, der keine Kinder hat, treten die Sklaven in das Verhältnis der Kinder; sie bilden seine Ehre und seinen Schutz; sie sind dem Herrn nicht mehr untertan als die Kinder dem Vater, wie in Kap. 8, Abschn. 5, gezeigt worden ist.

6. Es gehört zu den Nachteilen der Herrschaft eines einzigen, daß dieser neben den Geldern für die öffentliche Verwaltung, d.h. für die Unterhaltung der öffentlichen Beamten, für Erbauung und Verteidigung der Festungen, zur Führung der Kriege und zur anständigen Erhaltung seines Haushaltes auch nach Belieben noch Gelder durch seine Habgier eintreiben kann, um seine Söhne, Verwandte, Günstlinge und auch Schmeichler zu bereichern. Man muß einräumen, daß dies ein Nachteil ist; allein er gehört zu denen, die sich in allen Arten des Staates finden, aber in der Monarchie noch erträglicher als in der Demokratie sind. Denn die Zahl derer, welche der Monarch bereichern will, ist nur eine geringe, da sie nur auf den einen sich beziehen. Allein in der Demokratie gibt es so viele Kinder, Verwandte, Freunde und Schmeichler zu bereichern, als es Demagogen, d.h. machtvolle Redner unter dem Volke gibt (und deren gibt es immer eine Menge, und täglich treten neue auf). Hier bestreben sich die einzelnen nicht bloß, ihre Familien durch Reichtum möglichst mächtig und vornehm zu machen, sondern zu ihrem Schutze auch andere durch Wohltaten sich zu verpflichten. Ein Monarch kann zum großen Teil seine Diener und Freunde, da sie nicht zahlreich sind, ohne Unkosten der Bürger befriedigen, d.h. ohne diese der Gelder zu berauben, die zur Erhaltung von Krieg und Frieden gegeben sind. In der Demokratie ist dies aber ohne Bedrückung der Bürger nicht möglich, da hier viele zu befriedigen sind und immer neue hinzukommen. Ein Monarch kann zwar auch Unwürdige befriedigen, allein dies wird nicht häufig geschehen; dagegen muß man bei den Volksrednern in der Demokratie dies immer befürchten, weil sie notwendigerweise nicht anders[184] können; denn wenn nur einzelne so handelten, so würde deren Macht so anwachsen, daß sie nicht nur den andern, sondern auch dem ganzen Staate gefährlich werden würde.

7. Ein anderer Nachteil der höchsten Gewalt ist die beständige Todesfurcht, in welcher sich jeder notwendig befindet, wenn er bedenkt, daß der Inhaber dieser Gewalt nicht bloß beliebige Strafen für irgendwelche Vergehen festsetzen, sondern auch ganz unschuldige Bürger, die niemals gegen Gesetze verstoßen haben, aus Zorn oder Übermut ums Leben bringen kann. Dies ist allerdings bei jeder Art des Staates ein großes Übel, wo immer es geschieht; denn ein Übel ist es erst, wenn es geschieht, nicht weil es geschehen kann. Allein es ist nur ein Fehler des Herrschers und nicht der Herrschaft. Denn sämtliche Taten Neros sind nicht der Monarchie wesentlich. Übrigens werden auch bei der Herrschaft eines Menschen weniger Menschen schuldlos verurteilt werden als bei der des Volkes. Denn die Könige sind nachsichtslos nur gegen die, welche sie mit ungehörigen Ratschlägen belästigen oder durch schimpfliche Worte sich ihnen widersetzen oder ihren Willen beherrschen; aber sie bewirken auch, daß jedes Übermaß von Macht bei den einzelnen Bürgern unschädlich werde. Deshalb können unter der Herrschaft eines Nero oder Caligula nur die unschuldig leiden, die ihnen bekannt sind, d.h. die Hofleute oder die höhern Beamten, und auch von diesen nur jene, welche etwas besitzen, was der Herrscher haben möchte. Lästige Menschen und Beleidiger werden aber mit Recht gestraft. Deshalb ist in der Monarchie jeder außer Gefahr, der ein zurückgezogenes Leben führt, mag regieren, wer da wolle. Nur die Ehrgeizigen sind gefährdet, die übrigen bleiben vor dem Unrecht, wie es die Mächtigern erleiden, geschützt. Dagegen können bei der Volksherrschaft so viele Nerone sein, als Volksredner dem Volke schmeicheln. Jeder von ihnen vermag so viel wie das Volk selbst, und einer hilft dem andern in seinem Parteitreiben, um diejenigen der Strafe zu entziehen, welche aus Übermut oder persönlichem Haß Mitbürger unrechtlich getötet haben; es ist so, als hätten sie stillschweigend das Abkommen getroffen: »Heute mir, morgen dir«; jeder gewährt dem andern wechselseitig Raum[185] für seine Leidenschaften. Übrigens muß die Macht eines jeden Bürgers eine gewisse Grenze einhalten, über die hinaus sie den Staat gefährden würde; deshalb muß die Monarchie eine gewisse Vorsorge üben, damit der Staat nicht Schaden leide. Eine solche übermäßige Macht muß, wenn sie in zu großem Reichtume besteht, durch Verminderung des Reichtums geschwächt werden; und wenn sie auf Volksbeliebtheit beruht, müssen solche Mächtigen, auch wenn sie sonst nichts verbrochen haben, beseitigt werden. Das gleiche geschah gewöhnlich auch in der Demokratie: so schickten die Athener machtvolle Bürger, auch ohne daß sie ein Verbrechen begangen hatten, in die Verbannung, nur weil sie mächtig waren. In Rom wurden die, welche die Gunst des Volkes durch Geschenke zu gewinnen suchten, als des Strebens nach der Herrschaft verdächtig, getötet. Hierin standen sich Demokratie und Monarchie gleich; nur die öffentliche Meinung erkannte dies nicht an, weil sie vom Volke ausgeht, und weil das, was von vielen geschieht, auch von vielen gelobt wird. Und deshalb heißt es, der Monarch habe dergleichen aus Neid über die Tugend solcher Männer getan, während die gleiche Tat des Volkes als eine Staatsklugheit angesehen wird.

8. Manche halten die Monarchie deshalb für schlimmer als die Demokratie, weil dort weniger Freiheit als hier bestehe. Wenn sie hierbei unter Freiheit die Befreiung von dem Gehorsam verstehen, der den Gesetzen, d.h. den Geboten des Volkes geschuldet werden muß, so gibt es weder in der Demokratie noch in einer andern Staatsform überhaupt eine solche Freiheit. Wenn sie aber unter Freiheit verstehen, daß der Gesetze und Verbote nicht zu viele seien und nur solche, die zur Erhaltung des Friedens unentbehrlich sind, dann bestreite ich, daß in der Demokratie mehr Freiheit als in der Monarchie bestehe; denn beide Staatsformen können mit einer solchen Freiheit wohl bestehen. Wenn man auch an den Toren jeder Stadt das Wort Freiheit mit noch so großen Buchstaben anschreibt, so bezeichnet sie doch nicht die Freiheit des Bürgers, sondern des Staates; und dieses Wort wird mit ebensoviel Recht dem Staate zugeschrieben, den ein Monarch, wie dem, den das Volk regiert. Wenn aber einzelne Bürger oder Untertanen[186] Freiheit verlangen, so wird unter diesem Namen nicht Freiheit, sondern Herrschaft von ihnen verlangt; nur aus Mangel an Verständnis bemerken sie das nicht. Denn wenn jemand diese Freiheit für sich fordert, so muß er sie nach Vorschrift des natürlichen Gesetzes auch den übrigen zugestehen, und damit wäre der Naturzustand wieder eingeführt, wo jeder mit Recht alles tun kann. Einen solchen Zustand würde aber jeder, wenn er ihn kennt, verabscheuen, da er schlimmer ist als jede Art von bürgerlicher Abhängigkeit. Verlangt aber jemand die Freiheit nur für sich, während die andern gebunden bleiben sollen, was verlangt er da anderes als die Herrschaft? Denn wer von jedem Bande befreit ist, während alle andern gebunden bleiben, wird ihr Herrscher. Hiernach ist also die Freiheit in einem Volksstaate nicht größer als in der Monarchie. Das, was hier irreführt, ist die gleiche Teilnahme an der Staatsgewalt und an den öffentlichen Ämtern. Wo die Herrschaft im Volke ist, haben die einzelnen Bürger so weit daran teil, als sie zum herrschenden Volk gehören; sie nehmen insofern an den öffentlichen Ämtern teil, als sie gleiches Stimmrecht bei der Wahl der Obrigkeiten und der öffentlichen Beamten haben. Dies ist auch die Meinung des Aristoteles, der nach der Gewohnheit seiner Zeit die Herrschaft fälschlich Freiheit nannte. Er sagt Buch 6, Kap. 2, seiner »Politik«: »Man setzt voraus, daß in dem Volksstaat die Freiheit bestehe, weil man gemeinhin glaubt, daß außerhalb dieser Staatsform niemand frei sei.« Man kann daraus entnehmen, daß, wenn die Bürger in der Monarchie den Verlust ihrer Freiheit beklagen, sie sich nur darüber ärgern, daß sie nicht mit zur Regierung des Gemeinwesens zugelassen sind.

9. Indes gilt vielleicht gerade deshalb der Volksstaat für weit vorzüglicher als die Monarchie, weil da, wo alle an den öffentlichen Geschäften teilnehmen, auch alle Gelegenheit haben, ihre Klugheit, Wissen und Beredsamkeit bei den Beratungen über die schwierigsten und wichtigsten Angelegenheiten zu zeigen. Nun ist dies allerdings bei der der menschlichen Natur angeborenen Ehrbegierde für alle, welche durch solche Fähigkeiten sich auszeichnen und, wie sie glauben, andere darin übertreffen, das Allerangenehmste.[187] Dieser Weg zu Ehren und Würden ist in der Monarchie allerdings den meisten verschlossen. Wie aber, wenn dies kein Übel wäre! Schließlich kommt es doch darauf hinaus, daß wir dabei ansehen müssen, wie die Meinung eines Menschen, den man verachtet, der eigenen vorgezogen wird; wie unsere Weisheit in unserem Beisein gering geschätzt wird; man muß umleeren Ruhm einen ungewissen Kampf beginnen, wobei man gewiß sich Feindschaften zuzieht (denn dies ist unvermeidlich, mag man siegen oder besiegt werden); man muß wegen Verschiedenheit der Meinungen hassen oder sich hassen lassen; man muß seinen geheimen Rat und seine Stimme ohne Not und Nutzen allen offenbar machen; man muß seine häuslichen Angelegenheiten vernachlässigen. Dies, sollte ich meinen, sind Übelstände. Allein wenn man von dem Kampfe der Geister, sollte auch solcher Streit den Beredten eine Lust sein, fern bleibt, ist es doch kein Schaden; man müßte es dann auch für einen Nachteil für tapfere Menschen halten, daß sie an der Schlacht nicht teilnehmen dürfen, obgleich ihnen das Vergnügen macht.

10. Überdies spricht viel dafür, daß die Beratungen großer Versammlungen schlechter sind als die, wo nur wenige beraten. Der erste Grund liegt darin, daß zur guten Beratung aller Staatsangelegenheiten nicht bloß die Kenntnis der innern, sondern auch der äußern Verhältnisse nötig ist. So gehört zu den innern, daß man weiß, wodurch ein Staat erhalten und verteidigt wird und woher man die dafür benötigten Waren erhält; welche Orte sich zur Befestigung und Besatzung eignen, wie man am besten die Soldaten ausheben und erhalten soll, wie die Untertanen gegen den Fürsten oder gegen die Leiter des Staates gesinnt sind und vieles ähnliche. In den äußern Fragen muß man wissen, welches die Macht der benachbarten Staaten ist und worauf sie beruht, welche Vorteile oder Nachteile man von ihnen zu erwarten hat, wie sie zu uns und zueinander gesonnen sind, welche Ratschlüsse täglich bei ihnen gefaßt werden. Alles dies kennen aber nur sehr wenige in solchen zahlreichen Versammlungen, die zum größten Teil aus unerfahrenen, um nicht zu sagen unfähigen Leuten bestehen: wie kann daher die Menge der in falschen Ansichten Befangenen[188] für die gute Beratung etwas anderes als ein Hemmnis und Hindernis sein?

11. Ein anderer Grund, der große Versammlungen für Beratungen ungeeignet macht, ist, daß der einzelne zur Entwicklung seiner Ansicht eine langandauernde Rede für notwendig hält und sie, um von seinen Zuhörern noch höher geschätzt zu werden, in bester und fließendster Sprache verfeinert und schmückt. Nun ist es aber die Aufgabe der Beredsamkeit, das Gute und das Böse, das Nützliche und das Nutzlose, das Rechte und das Unrechte über die Wirklichkeit hinaus zu vergrößern oder zu verkleinern und dem Ungerechten den Schein des Gerechten zu verleihen, je nachdem dies den Zwecken des Redners entspricht; dies heißt Überredung. Man benutzt wohl Vernunftschlüsse, aber geht dabei nicht von richtigen Grundsätzen aus, sondern von endoxois oder herrschenden Vorurteilen, die größtenteils falsch sind. Der Redner versucht auch nicht, seine Rede der Natur der besprochenen Dinge, als vielmehr den Leidenschaften seiner Zuhörer anzupassen. Deshalb werden die Beschlüsse nicht aus wohlüberlegten Gründen, sondern in einer gewissen Leidenschaft gefaßt. Dies ist nicht der Fehler der Menschen, sondern der Beredsamkeit, deren Zweck, wie alle Lehrer der Beredsamkeit es lehren, nicht die Wahrheit (ausgenommen zufällig), sondern der Sieg ist, und deren Aufgabe nicht die Belehrung, sondern die Überredung ist.

12. Der dritte Grund, weshalb in einer größern Versammlung weniger gut beraten wird, liegt in den Parteien, die daraus sich im Staate bilden, sowie in den aus diesen Parteien hervorgehenden Aufständen und Bürgerkriegen. Denn wenn gleich starke Redner mit entgegengesetzten Ansichten und Reden gegeneinander kämpfen, so haßt der Besiegte den Sieger sowie alle die, die auf des Siegers Seite waren und damit gleichsam seinen eigenen Rat und seine Weisheit verachtet haben; er sucht dann nach Möglichkeit, daß der Rat seiner Gegner zu dem Verderben des Staates ausschlage; auf diese Weise hofft er, daß der Ruhm des Gegners untergehen und sein eigener wieder hergestellt wird. Ist überdies die Mehrheit der Stimmen nicht so bedeutend, so daß den Besiegten die Hoffnung bleibt, in[189] einer andern Versammlung durch Hinzutritt einiger Gleichgesinnter die Oberhand zu gewinnen, so berufen die Hauptführer die übrigen zur besondern Beratung, wie der früher gefaßte Beschluß wieder rückgängig zu machen sei; sie verabreden sich dann, bei der nächsten Versammlung in Masse und frühzeitig zu erscheinen; sie bestimmen, was jeder und in welcher Reihenfolge er es sagen soll, damit die Sache von neuem zur Verhandlung gebracht wird. Wenn die Gegner sich nicht zahlreich einfinden, sondern aus Nachlässigkeit teilweise wegbleiben, so gelingt ihnen dann der so angelegte Plan. Eine solche Tätigkeit und Betriebsamkeit, welche den Schein, als handelte das Volk selbst, erwecken soll, pflegt man Parteipolitik zu nennen. Ist aber eine Partei nur bei der Stimmgebung die schwächere, an Kräften aber die stärkere oder die nur wenig schwächere, so wird versucht, das, was man durch Kunstgriffe und Beredsamkeit nicht zu erreichen vermocht hat, durch Waffen zu erlangen; und damit beginnt der Bürgerkrieg. Man entgegnet vielleicht, daß dergleichen nicht notwendig, ja nicht einmal häufig eintrete. Allein ebensogut könnte man sagen, daß die Volksredner ja nicht notwendig ehrgeizig zu sein, und daß in großen Staatsangelegenheiten die großen Männer selten verschiedener Richtung zu sein brauchten.

13. Hieraus erhellt, daß wenn die gesetzgebende Gewalt solchen Versammlungen zusteht, die Gesetze selbst notwendigerweise wandelbar sein müssen; sie andern sich, nicht weil die Verhältnisse sich geändert oder die Ansichten gewechselt haben, sondern weil heute die Mehrheit aus dieser Partei und morgen die aus jener Partei zur Versammlung geht. So schwanken die Gesetze hin und her wie Wellen auf dem Wasser.

14. Die Beratungen großer Versammlungen haben viertens den weitem Übelstand, daß die Pläne des Staates, deren Geheimhaltung oft von der größten Wichtigkeit ist, den Feinden oft eher bekannt werden, als sie ausgeführt werden können, und daß das, was das Volk vermag und will, dem Feinde ebenso schnell bekannt wird, wie dem herrschenden Volk im Lande.

15. Diese mit den Beratungen großer Versammlungen verbundenen Nachteile zeigen um so mehr den Vorzug der[190] Monarchie vor der Demokratie, als in letzterer die wichtigsten Staatsangelegenheiten öfter als in der Monarchie in solchen Versammlungen verhandelt werden müssen; es kann auch eigentlich nicht anders gemacht werden. Jeder würde natürlich lieber mit seinen eigenen Angelegenheiten als mit den öffentlichen sich beschäftigen, wenn letztere ihm nicht eine Gelegenheit böten, seine Beredsamkeit zu zeigen, durch die er in den Ruf eines geistreichen und klugen Mannes kommt; wenn er zurückkehrt zu seinen Freunden und Verwandten, zu seiner Frau und seinen Kindern, dann kann er sich frohlockend des Beifalles über sein geschicktes Verhalten erfreuen. So fand einst Marcus Coriolanus die Freude an seinen Kriegstaten nur darin, daß sein Ruhm seine Mutter beglückte. Wollte das Volk in der Demokratie die Macht in den Beratungen über Krieg und Frieden nur einem Beamten oder einigen wenigen übertragen und sich mit der Ernennung der Obrigkeiten und Staatsbeamten begnügen, d.h. mit dem bloßen Ansehen ohne Verwaltung, dann würden allerdings die Monarchie und die Demokratie in diesem Punkte sich gleichstehen.

16. Die Vorteile und Nachteile der einen Staatsform vor der andern kommen also nicht davon, daß die Herrschaft selbst oder die Führung der Staatsgeschäfte besser einem als mehreren, oder andrerseits besser vielen als einigen wenigen übertragen wird. Denn die Herrschaft ist nur das Vermögen, die Führung der Geschäfte aber die Tat. Das Vermögen ist bei jeder Staatsform gleich; nur in dem Handeln unterscheiden sie sich, d.h. je nachdem die Handlungen und Bewegungen des Staates von den Beratungen vieler oder weniger, Erfahrener oder Unerfahrener ausgehen. Deshalb sind die Vorteile und Nachteile einer Staatsform nicht von der Person dessen bedingt, an dem das Ansehen des Staates haftet, sondern von den Beamten des Staates; und deshalb kann ein Staat selbst dann gut verwaltet und regiert werden, wenn der Monarch eine Frau, ein Jüngling oder ein Kind ist, sofern nur die Minister und Beamten den Geschäften gewachsen bleiben. Das Sprichwort: Wehe dem Reiche, dessen König noch ein Knabe ist! will nicht sagen, daß die monarchische Staatsform[191] schlechter sei als die demokratische, sondern im Gegenteil, daß es ein zufälliges Unglück für ein Reich sei, wenn es bei einem noch unerwachsenen Könige einmal vorkommt, daß viele aus Ehrgeiz und mit Gewalt sich in die Staatsberatungen eindrängen und die Staatsverwaltung dann demokratisch wird, und daß infolgedessen jene Unglücksfälle eintreten, welche die gewöhnliche Folge der Volksherrschaft sind.

17. Ein deutliches Zeichen, daß die unbeschränkte Monarchie die beste Staatsform ist, liegt darin, daß nicht bloß die Könige, sondern auch die Staaten, wo das Volk oder die Vornehmen herrschen, nur einem einzigen die Kriegsgewalt übergeben, und zwar in der unbeschränktesten Weise. Hierbei ist übrigens zu bemerken, daß kein König dem Feldherrn eine größere Herrschaft über das Heer übertragen kann, als er selbst rechtlich über die Bürger besitzt. Dies zeigt, daß die Alleinherrschaft (Monarchie) im Felde die beste Form von allen ist. Aber was sonst anders sind viele Staaten, als ebenso viele Feldlager, die sich durch Waffen und Menschen gegeneinander verteidigen, und deren Zustand, da Staaten durch keine gemeinsame Gewalt zusammengehalten werden (wenn auch ein Ungewisser Friede, wie eine Art Waffenstillstand zwischen ihnen herrscht), daher als Naturzustand, d.h. als Kriegszustand erachtet werden muß.

18. Endlich, da die eigene Erhaltung den Menschen gebietet, die Untertanen eines Menschen oder einer Versammlung zu werden, so geschieht dies am besten durch Unterwerfung unter den, der an dem Wohl und Glück der Unterworfenen ein Interesse hat. Dies ist dann der Fall, wenn die Untertanen die Erbschaft des Herrschers bilden; denn jeder sucht von selbst seine Erbschaft sich zu erhalten. Indes bilden nicht die Grundstücke oder Gelder, sondern die tätige Seele und Körper der Bürger den Reichtum der Fürsten; was jene leicht anerkennen, welche wissen, wie hoch die Herrschaft kleiner Staaten geschätzt wird, und wieviel leichter durch Menschen Geld, als durch Geld Menschen erworben werden können. Auch ist der Fall selten, daß ein Fürst seine Untertanen des Lebens oder[192] Vermögens ohne ihre Schuld, rein aus zügelloser Herrschsucht, beraubt.

19. Bisher habe ich die Monarchie mit dem Volksstaat verglichen und die Aristokratie nicht erwähnt. Indes kann man aus dem Bisherigen schließen, daß diejenige Aristokratie für ihre Bürger die bessere und die dauerhaftere vor andern sein wird, bei welcher die Herrschaft sich vererbt und auf die Wahl der Obrigkeiten sich beschränkt, wo die Beratungen nur wenigen und den Geschicktesten anvertraut sind, mit einem Wort, wo die monarchische Staatsform am meisten und die demokratische am wenigsten nachgeahmt wird.[193]

15

Diesen Punkt scheinen die Alten bei der Bildung der Prometheusfabel im Sinne gehabt zu haben. Sie erzählen, daß Prometheus, nachdem er Feuer von der Sonne geraubt, den Menschen aus Erde geformt habe; dafür habe er von dem erzürnten Jupiter als Strafe empfangen, daß seine Leber fortwährend angefressen werde. Dies will sagen, daß die menschliche Erfindungsgabe, die durch Prometheus bezeichnet wird, die Gesetze und Gerechtigkeit durch Nachahmung von der Monarchie entlehnt habe; daß dadurch, gleichsam durch ein Feuer, das seiner natürlichen Quelle entnommen worden ist, die Menge als der Schmutz und Bodensatz der Menschen zu einer bürgerlichen Person belebt und vereint worden ist, die Aristokratie oder Demokratie heißt. Die Urheber und Helfershelfer aber, die unter der natürlichen Herrschaft der Könige sicher und behaglich hätten leben können, müssen dafür die Strafe leiden, daß sie, an einer hohen Stelle ausgestellt, durch stete Sorgen, Verdächtigungen und Zwiste gepeinigt werden.

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil: Lehre vom Menschen und Bürger. Leipzig 1918, S. 180-194.
Lizenz:

Buchempfehlung

Apuleius

Der goldene Esel. Metamorphoses, auch Asinus aureus

Der goldene Esel. Metamorphoses, auch Asinus aureus

Der in einen Esel verwandelte Lucius erzählt von seinen Irrfahrten, die ihn in absonderliche erotische Abenteuer mit einfachen Zofen und vornehmen Mädchen stürzen. Er trifft auf grobe Sadisten und homoerotische Priester, auf Transvestiten und Flagellanten. Verfällt einer adeligen Sodomitin und landet schließlich aus Scham über die öffentliche Kopulation allein am Strand von Korinth wo ihm die Göttin Isis erscheint und seine Rückverwandlung betreibt. Der vielschichtige Roman parodiert die Homer'sche Odyssee in burlesk-komischer Art und Weise.

196 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon