14. Kapitel
Von dem Gesetze und den strafbaren Handlungen

[225] 1. Das Gesetz wird von denen, welche den Sinn der Worte weniger sorgfältig erwägen, bald mit dem Ratschlage, bald mit dem Vertrage, bald mit dem Rechte verwechselt. Man verwechselt das Gesetz mit dem Ratschlage, wenn man den Monarchen für verpflichtet hält, nicht bloß seine Räte zu hören, sondern auch ihnen zu gehorchen, als wenn die Einholung der Ratschläge, ohne daß nach ihnen gehandelt würde, etwas Nutzloses wäre. Der Unterschied zwischen Ratschlag und Gesetz ergibt sich aus dem Unterschied zwischen Ratschlag und Gebot: der Ratschlag ist eine Anweisung, bei dem der Grund, ihr zu folgen, aus der geratenen Sache selbst entnommen wird; das Gebot ist aber eine Anweisung, wo der Grund der Befolgung in dem Willen des Befehlenden liegt; denn man könnte nicht sagen: Ich will es so, und deshalb gebiete ich es so, wenn der Wille nicht eben statt eines Grundes gälte. Da nun der Gehorsam gegen die Gesetze sich nicht auf die Gegenstände selbst, sondern auf den Willen des Gebieters stützt, so ist das Gesetz kein Ratschlag, sondern ein Gebot und ist so zu definieren: Das Gesetz ist das Gebot der Person, sei es ein Mensch oder eine Versammlung, deren Befehl den Grund des Gehorsams enthält. Deshalb müssen die Gebote Gottes in bezug auf die Menschen, die des Staates in bezug auf seine Bürger und allgemein die der Machthaber in bezug auf die, welche sich ihnen nicht widersetzen können, deren Gesetze heißen. Es sind also Gesetz und Ratschlag[225] vielfach voneinander unterschieden: das Gesetz kommt von dem, welcher über die, denen er gebietet, Macht hat; der Ratschlag kommt von dem, der diese Macht nicht hat. Es ist Pflicht, das, was das Gesetz gebietet, zu tun; Sache des freien Willens ist es, den Ratschlag zu befolgen. Der Rat zielt auf die Zwecke dessen ab, dem geraten wird, das Gesetz geht aber auf den Zweck des Gebieters. Der Ratschlag wird nur denen gegeben, die ihn verlangen, das Gesetz aber auch denen, die es nicht haben mögen. Endlich gilt das Recht des Ratgebers nur so weit, als es dem, dem er den Rat erteilt, beliebt; dagegen wird das Recht des Gesetzgebers nicht durch das Belieben dessen aufgehoben, dem das Gesetz aufgelegt wird.

2. Man verwechselt das Gesetz mit dem Vertrage, wenn man das Gesetz nur für ein homologêata oder eine Lebensregel hält, die durch die Übereinstimmung der Menschen festgesetzt worden. Auch Aristoteles hat diese Ansicht, denn er definiert das Gesetz: Nomos esti logos horismomenos kath' homologian koinên poleôs, keleuôn pôs dei prattein hekasta, d.h. das Gesetz ist eine bestimmte Festsetzung gemäß der gemeinsamen Übereinkunft des Staates, welche anzeigt, wie das einzelne getan werden soll. Diese Definition umfaßt nicht das Gesetz überhaupt, sondern nur das Staatsgesetz; denn die göttlichen Gesetze sind offenbar nicht aus einer Übereinkunft der Menschen hervorgegangen, und dasselbe gilt für die natürlichen Gesetze. Denn wäre dies der Fall, so würden sie durch der Menschen Übereinstimmung auch wieder aufgehoben werden können, während sie doch unveränderlich sind. Aber es ist auch keine richtige Definition der Staatsgesetze, da der Staat hier entweder für eine bürgerliche Person gilt, die einen Willen hat, oder für eine Menschenmenge, bei der jeder einzelne seinen besonderen freien Willen hat. Im ersten Falle ist der Ausdruck: »durch Übereinkunft der Menschen« nicht richtig, da dies bei einer Person nicht stattfinden kann; auch darf es nicht heißen: »welche zeigt« was getan werden soll, sondern »welche gebietet«; denn der Staat gebietet den Bürgern das, was er will. Aristoteles hat also hier unter Staat eine Menschenmenge verstanden, welche durch gemeinsame Übereinkunft (etwa durch ein mittels Abstimmung[226] bestätigtes Schriftstück) bestimmte Lebensregeln angibt. Allein dies sind nur gegenseitige Verträge, welche erst nach Errichtung einer höchsten Gewalt für jeden verbindlich werden und vorher deshalb keine Gesetze sind, da nur eine solche genügend Rechtsmittel hat, um die zu zwingen, die auf andere Weise die Gesetze nicht befolgen würden. Mithin sind die Gesetze nach dieser Definition von Aristoteles nur nackte und schwache unwirksame Verträge, die nur erst dann, wenn jemand mit Recht die Staatsgewalt ausübt, nach dessen Ermessen zu Gesetzen werden oder nicht. Er verwechselt also die Verträge mit den Gesetzen, was nicht geschehen sollte, denn der Vertrag ist ein Versprechen, das Gesetz ein Gebot; bei jenem heißt es: Ich werde es tun, bei diesem: Du sollst es tun. Verträge verpflichten uns16; Gesetze halten uns als Verpflichtete fest. Ein Vertrag verbindet durch sich, das Gesetz verbindet vermöge des allgemeinen Vertrages über den zu leistenden Gehorsam. Deshalb bestimmt man bei dem Vertrage zunächst über das, was zu tun ist, und verpflichtet sich dann dazu; aber bei dem Gesetz geht die Verpflichtung, der Verbindlichkeit nachzukommen, voraus, und es wird erst nachher bestimmt, was geschehen soll. Demnach hätte Aristoteles das bürgerliche Gesetz so definieren sollen: Das bürgerliche Gesetz ist ein durch den Staatswillen festgelegter Satz, welcher das einzelne, was geschehen soll, gebietet. Dies stimmt mit dem, was ich in Kap. 6, Abschn. 9, gesagt habe, überein, nämlich daß die Gesetze Befehle des im Staate mit der höchsten Gewalt Betrauten, sei es ein Mensch oder eine Versammlung, in bezug auf das sind, was die Bürger künftig tun sollen.

3. Man verwechselt das Gesetz mit dem Rechte, wenn man das nach dem göttlichen Gesetz Erlaubte zu tun fortfährt, obgleich es nach dem Staatsgesetz verboten ist.[227] Allerdings kann das durch Gottes Gesetz Verbotene durch das Staatsgesetz nicht erlaubt, und das durch Gottes Gesetz Gebotene durch das Staatsgesetz nicht verboten werden; allein wohl kann das nach dem Gesetz Gottes Erlaubte, also zu tun Gestattete durch das Gesetz des Staates verboten werden; denn das niedere Gesetz kann die von einem höheren Gesetz gelassene Freiheit einschränken, wenn auch nicht erweitern. Nun ist aber die natürliche Freiheit ein nicht von den Gesetzen begründetes, sondern erlaubtes Recht. Mit Entfernung der Gesetze wird die Freiheit vollständig. Diese Freiheit wird zunächst durch die natürlichen und göttlichen Gesetze beschränkt; den Überrest beschränken die Gesetze des Staates; und das, was diese übriglassen, kann wieder durch die Staaten der einzelnen Städte und Gemeinschaften beschränkt werden. Also besteht zwischen Gesetz und Recht ein großer Unterschied; das Gesetz ist eine Fessel, das Recht Freiheit, und sie bilden Gegensätze.

4. Jedes Gesetz läßt sich zunächst nach dem Unterschiede seines Urhebers in das göttliche und menschliche einteilen. Das göttliche ist wieder zweifach, je nach der Art, wie Gott den Menschen seinen Willen zu erkennen gegeben hat, also ein natürliches oder moralisches und ein positives Gesetz. Das natürliche ist das, was Gott allen Menschen durch sein ewiges uns eingeborenes Wort, d.h. durch die natürliche Vernunft kundgetan hat; und dieses Gesetz allein habe ich in diesem Werke zu erklären versucht. Das positive Gesetz ist das, was Gott uns durch die Worte der Propheten geoffenbart hat, wo er zu den Menschen wie ein Mensch gesprochen hat. Dahin gehören die Gesetze, welche er den Juden über ihren Staat und Gottesdienst gegeben hat. Man kann sie die göttlichen Staatsgesetze nennen, weil sie die besonderen Gesetze des israelitischen Staates, seines auserwählten Volkes waren. Das natürliche Gesetz kann wieder eingeteilt werden in das natürliche der Menschen, das allein den Namen das natürliche Gesetz erhalten hat, und in das natürliche der Staaten, das das Gesetz der Völker genannt werden kann, aber gewöhnlich als Völkerrecht bezeichnet wird. Beider Vorschriften sind dieselben; indes nehmen die einmal eingerichteten Staaten die Eigenschaften einer menschlichen[228] Person an, und deshalb nennt man das Gesetz, das von den Pflichten der einzelnen Menschen spricht, das natürliche, und wenn es auf ganze Staaten und Nationen angewendet wird, das Völkerrecht. Und die bis jetzt behandelten Elemente des natürlichen Gesetzes und des Naturrechts können, wenn sie auf ganze Staaten oder Völker übertragen werden, auch als die Elemente der Gesetze und Rechte der Völker gelten.

5. Jedes menschliche Gesetz ist ein bürgerliches Gesetz. Denn außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft besteht unter den Menschen der Kriegszustand, in welchem keiner dem andern untergeben ist und in welchem es deshalb mit Ausnahme der Gebote der natürlichen Vernunft, d.h. des göttlichen Gesetzes, keine andern Gesetze gibt. Im Staate ist aber nur der Staat, d.h. der mit der Staatsgewalt betraute Mensch oder die Versammlung, der Gesetzgeber, und die Gesetze des Staates sind bürgerliche Gesetze. Sie können nach Unterschied ihres Gegenstandes in heilige und weltliche eingeteilt werden. Die heiligen betreffen die Religion, d.h. die Gebräuche und den Gottesdienst, nämlich die Bestimmungen über die Formen der Einweihung von Personen, Sachen und Orten, über die öffentliche Lehre von der Natur Gottes, über die Worte und Gebräuche bei den Gebeten usw. Sie sind durch kein positives göttliches Gesetz festgesetzt. Denn auch die bürgerlichen heiligen Gesetze sind menschliche Gesetze (sie heißen auch kirchliche) über heilige Dinge, wenngleich die weltlichen Gesetze allgemein einfach als bürgerliche bezeichnet werden.

6. Die bürgerlichen Gesetze teilen sich wieder in zwei Arten, nach den beiden Pflichten des Gesetzgebers, von denen die eine entscheidet und die andere die Menschen zwingt, die Entscheidungen anzuerkennen; jene Art kann die verteilende, diese die rächende oder strafende genannt werden. Die erstere teilt jedem sein Recht zu, d.h. sie setzt Regeln für alles fest, aus denen jeder abnehmen kann, was wirklich sein und was des andern ist; so daß andere uns nicht an dem freien Gebrauch und Genuß unsers Eigentums stören können, und wir nicht jene in ihrem ruhigen Genuß. Ebenso bestimmen sie, was ein jeder gesetzlich tun oder unterlassen darf und was unerlaubt ist. Die rächenden[229] Gesetze bestimmen die Strafen, welche die Übertreter des Gesetzes treffen sollen.

7. Das verteilende und das Strafgesetz sind indes nicht zwei verschiedene Arten der Gesetze, sondern zwei Teile desselben Gesetzes. Denn wenn das Gesetz z.B. nichts weiter sagte als: »Was du mit deinem Netze im Meere gefangen hast, ist dein«, so wäre dies nutzlos. Denn wenn auch ein anderer dir deinen Fang wegnähme, so könnte er damit doch dein Eigentum bleiben. Denn in dem Naturzustande, wo alles allen gemeinsam ist, ist das Deine und das Fremde dasselbe; und was das Gesetz für dein erklärt, war schon vor dem Gesetz dein und hört auch nach dem Gesetze nicht auf, dein zu sein, wenn auch ein anderer es besitzt. Das Gesetz ist also bedeutungslos, wenn es nicht bestimmt, daß die Sache so dein sei, daß alle andern dich in dem freien und sichern, beliebigen und allzeitigen Gebrauch und Genuß nicht stören dürfen. Denn es gehört zu dem Eigenturn an Sachen, nicht, daß einer imstande ist, sie zu benutzen, sondern daß nur er sie benutzen kann; und dies geschieht, wenn das Gesetz dafür sorgt, daß andere ihn in dem Gebrauche nicht stören. Ein solches Verbot ist aber ohne Androhung von Strafen vergeblich; deshalb muß jedes Gesetz, das eine Wirkung haben soll, beides enthalten: einmal das Verbot, ein Unrecht zu begehen, und zweitens eine Strafe für den, der es dennoch tut. Das erstere, welches das verteilende heißt, ist verbietend und spricht zu allen; das andere, welches das rächende oder Strafgesetz heißt, ist befehlend und wendet sich nur an die Diener des Staates.

8. Hieraus erhellt auch, daß jedem bürgerlichen Gesetz ausdrücklich oder stillschweigend eine Strafe angehängt ist. Denn wenn eine solche weder in dem geschriebenen Gesetz selbst, noch durch das Beispiel eines, der wegen der Übertretung des Gesetzes bereits die Strafe erlitten hat, bestimmt worden ist, so nimmt man an, daß eine willkürliche Strafe eintrete, nämlich eine solche, die von dem Ermessen des Gesetzgebers, d.h. des Inhabers der Staatsgewalt abhängt. Denn ein Gesetz, das ungestraft verletzt werden kann, ist ohne Bedeutung.

9. Da es lauf den Gesetzen des Staates beruht, daß jeder[230] sein eigenes, von dem eines andern unterschiedenes Recht habe, und daß ihm verboten wird, in fremdes Eigentum einzubrechen, so folgt, daß solche Gesetze wie: »Du sollst die in den Gesetzen bestimmte Ehre deinen Eltern gewähren; du sollst den nicht töten, bei dem es die Gesetze verbieten; du sollst jeden durch die Gesetze verbotenen Beischlaf vermeiden; du sollst gegen den Willen des Herrn eines andern Güter nicht entwenden; du sollst die Gesetze und Richtersprüche nicht durch Meineid umgehen«, Gesetze des Staates sind. Die natürlichen Gesetze gebieten wohl dasselbe, aber nicht ausdrücklich. Denn das natürliche Gesetz (wie in Kap. 3, Abschn. 2 gezeigt worden) verlangt die Innehaltung der Verträge und also auch Gehorsam da, wo dieser ausgemacht worden ist, und befiehlt, sich des fremden Gutes zu enthalten, sobald die Staatsgesetze bestimmt haben, was als solches anzusehen ist. Auch versprechen alle Bürger (nach Kap. 6, Abschn. 13) den Geboten des Inhabers der höchsten Gewalt, d.h. den Staatsgesetzen, schon durch die Begründung des Staates selbst Gehorsam, noch ehe sie verletzt werden können. Das natürliche Gesetz galt auch in dem Naturzustande; aber erstens gab es dort, weil die Natur alles allen gegeben hat, nichts Fremdes und deshalb konnte fremdes Eigentum auch nicht angegriffen werden; zweitens, wo alles gemeinsam war, war auch jede geschlechtliche Verbindung erlaubt; drittens galt da der Kriegszustand und deshalb war das Töten kein Unrecht; viertens hing da alles von dem eigenen Ermessen eines jeden ab, mithin auch wieweit er seinen Eltern Ehrfurcht bezeigen wollte; endlich gab es da keine öffentlichen Gerichte und deshalb auch kein gerichtliches Zeugnis, was falsch oder wahr genannt werden konnte.

10. Da somit die Verbindlichkeit zur Beobachtung jener Gesetze älter ist als ihre Verkündung, weil sie in der Errichtung des Staates selbst enthalten sind, so gebietet das natürliche Gesetz, weil es die Verletzung der Verträge verbietet, damit aber auch, daß alle Gesetze des Staates beobachtet werden müssen. Wo man zum Gehorsam verpflichtet wird, noch ehe man weiß, was gefordert werden wird, da ist man ganz allgemein verpflichtet, in allem zu gehorchen. Hieraus ergibt sich, daß kein Staatsgesetz, es[231] müßte denn zur Beschimpfung Gottes erlassen sein (in bezug auf welchen die Staaten nicht selbständig sind und auch keine Gesetze geben können), gegen das natürliche Gesetz verstoßen kann. Denn wenn letzteres auch den Diebstahl, den Ehebruch usw. verbietet, das Staatsgesetz aber gebietet, über etwas herzufallen, so ist dies dann kein Diebstahl oder Ehebruch usw. So erlaubten die Lacedämonier einst den Knaben unter bestimmten Bedingungen, fremde Sachen heimlich wegzunehmen; aber damit hatten sie ausgesprochen und verordnet, daß diese Sachen nicht dem bisherigen Besitzer, sondern denn gehören sollten, der sie heimlich weggenommen; mithin war diese Wegnahme kein Diebstahl. Ebenso waren bei den Heiden die nach ihren Gesetzen geschehenen Verbindungen zweier Personen verschiedenen Geschlechts zugleich rechtmäßige Ehen.

11. Es gehört notwendigerweise zum Wesen des Gesetzes, daß den Bürgern zweierlei dabei bekannt sei: erstens, welcher Mensch oder welche Versammlung die höchste Gewalt, d.h. das Recht der Gesetzgebung hat; zweitens, was das Gesetz verordnet. Denn niemand kann gehorchen, wenn er nicht weiß, wem und worin er verpflichtet ist, und es ist dann so, als wenn er gar nicht verpflichtet wäre. Ich sage dabei nicht, daß es notwendigerweise zum Wesen des Gesetzes gehöre, daß dieser oder jener Punkt fortwährend bekannt gemacht werde, sondern nur, daß sie einmal bekannt geworden seien. Vergißt nachher der Bürger das Recht dessen, der es erlassen hat, oder das Gesetz selbst, so bleibt er doch nicht minder zum Gehorsam verpflichtet, da er es im Gedächtnis hätte behalten können, wenn er den Willen zu gehorchen gehabt hätte.

12. Wer als Gesetzgeber zu gelten habe, das hängt von dem Bürger selbst ab; denn ohne seine Zustimmung und vertragliche Anerkennung, ob sie nun ausdrücklich oder stillschweigend erfolgt, kann das Recht der Gesetzgebung auf niemand übertragen werden. Ausdrücklich ist dies geschehen, wenn die Bürger von Anfang an die einzurichtende Staatsform unter sich ausgemacht haben, oder wenn sie sich durch Zusage der Herrschaft jemandes unterworfen haben; stillschweigend ist es zum mindesten geschehen, wenn sie die Vorteile der Herrschaft und der Gesetze zu[232] ihrem Schutze und ihrer Erhaltung gegen andere sich zunutze machen. Wessen Herrschaft unsere Mitbürger gehorchen sollen, damit wir Vorteil von ihrem Gehorsam haben, dessen Herrschaft erkennen wir schon durch diese Forderung als rechtmäßig an. Deshalb ist Unkenntnis der gesetzlichen Gewalt niemals eine genügende Entschuldigung; denn jeder weiß, was er selbst getan hat.

13. Was als das Gesetz gelten soll, hängt dagegen lediglich von dem Gesetzgeber ab, er hat die Gesetze zu verkündigen, andernfalls sind es keine Gesetze. Denn ein Gesetz ist der Befehl des Gesetzgebers, und ein Befehl ist eine Willenserklärung; deshalb gibt es kein Gesetz ohne Willenserklärung des Gesetzgebers, und diese erfolgt durch die Verkündigung. In dieser ist zweierlei enthalten: einmal daß der oder die, welche ein Gesetz verkünden, entweder selbst das Recht der Gesetzgebung haben oder es im Auftrage dessen oder derer, welche dies Recht haben, vollführen; das zweite ist der Inhalt des Gesetzes selbst. Das erstere, nämlich daß die verkündeten Gesetze von dem Inhaber der Staatsgewalt ausgehen, kann im strengen und philosophischen Sinne nur der wissen, welcher sie aus dem Munde des Herrschers empfangen hat. Die übrigen müssen es glauben; indes sind der Gründe dafür so viele, daß es kaum möglich ist, daß sie es nicht glauben. So muß in dem demokratischen Staate, wo jeder an dem Beschluß der Gesetze, wenn er will, teilnehmen kann, der Ausgebliebene denen glauben, die dabei gewesen sind. Dagegen müssen in den Monarchien und Aristokratien, wo nur wenige in Gegenwart des Monarchen oder der Vornehmen die Befehle selbst hören können, notwendigerweise diese ermächtigt werden, es den übrigen zu verkünden. Hiernach wird das für Verordnungen und Erlasse der Herrscher gehalten, was als solche schriftlich oder mündlich von den damit Beauftragten vorgelegt wird. Wenn nun für diese Annahme die Gründe vorliegen, daß der Fürst oder die höchste Versammlung sich solcher Beamten, Schreiber, Herolde, Siegel und anderer Beweisstücke stetig zu seiner Willenserklärung bedient hat; daß diesen niemals das Recht dazu genommen worden ist; und daß die, welche solchen Verkündigungen nicht geglaubt[233] und das Gesetz übertreten haben, bestraft worden sind: so wird nicht allein der, welcher den durch diesen Beamten bekannt gemachten Erlassen und Beschlüssen gehorcht, überall gerechtfertigt erscheinen, sondern der Ungläubige, welcher nicht gehorcht, wird auch bestraft. Denn die ständige Erlaubnis dieser Dinge ist ein deutliches Zeichen und eine ersichtliche Willenserklärung des Herrschers; vorausgesetzt, daß das Gesetz, die Verordnung oder der Erlaß nichts enthält, was die höchste Gewalt des Herrschers einschränkt. Man kann nicht annehmen, er wolle, daß seine Beamten ihm etwas von seiner Macht entziehen, solange er den Willen zu herrschen behält. Der Sinn und Inhalt des Gesetzes ist, wenn Zweifel entstehen sollten, von denen zu erbitten, welchen von der Staatsgewalt die Untersuchung der Rechtsstreitigkeiten oder das Richteramt übertragen worden ist. Urteilen ist nämlich nur eine Anwendung des Gesetzes auf den einzelnen Fall mittels dessen Auslegung. Die damit beauftragten Personen werden ebenso erkannt wie die, denen das Recht der Verkündung der Gesetze erteilt ist.

14. Die Staatsgesetze wiederum zerfallen nach der Art ihrer Verkündung in zwei Arten, in geschriebene und ungeschriebene. Unter dem geschriebenen Gesetz verstehe ich das, was der Rede oder eines andern Willenszeichens des Gesetzgebers bedarf, um überhaupt Gesetz zu werden. Denn alle Gesetze sind ihrer Natur und Zeit nach so alt wie das menschliche Geschlecht, und deshalb älter als die Erfindung der Buchstaben und der Schreibkunst. Deshalb gehört zu dem geschriebenen Gesetz nicht notwendig eine Schrift, sondern eine Rede; nur diese gehört zu dem Wesen des Gesetzes, während die Schrift nur der Erinnerung daran dient. Dafür seien, so berichtet man, vor Erfindung der Schrift zur Unterstützung des Gedächtnisses die Gesetze in Verse gebracht und abgesungen worden. Das ungeschriebene Gesetz ist das, das keiner andern Verkündung als durch die natürliche Stimme oder die natürliche Vernunft bedarf; dahin gehören die natürlichen Gesetze. Denn wenn man auch das natürliche Gesetz, soweit es dem Willen gebietet, von dem Gesetz des Staates unterscheidet, so ist es doch in bezug auf die Handlungen ein Staatsgesetz.[234] Wenn es z.B. heißt: Du sollst nicht begehren, so ist das nur ein natürliches Gesetz, da es sich nur auf das Innere bezieht; dagegen ist das Gesetz: Du sollst nicht einbrechen, sowohl ein natürliches wie ein Staatsgesetz. Es ist nun einmal unmöglich, allgemeine Regeln aufzustellen, nach denen alle künftigen Streitigkeiten, die möglicherweise zahllos sind, entschieden werden könnten, und deshalb nimmt man bei allen, in den geschriebenen Gesetzen nicht enthaltenen Fällen an, daß dem Gesetz der natürlichen Billigkeit zu folgen ist, welches gebietet, Gleichen Gleiches zuzuteilen; und dies kraft des Staatsgesetzes, das auch diejenigen bestraft, die wissentlich und absichtlich die natürlichen Gesetze in ihrem Handeln übertreten.

15. Hieraus ergibt sich zunächst, daß man die natürlichen Gesetze, obgleich sie in den Büchern einiger Philosophen niedergelegt sind, doch nicht zu den geschriebenen Gesetzen rechnen kann. Ebenso sind die Schriften der Rechtsgelehrten keine Gesetze, da ihnen die Ermächtigung der höchsten Gewalt dafür fehlt; ebensowenig die Aussprüche der Klugen, d.h. der Richter, sie müßten denn mit Einwilligung der Staatsgewalt Gewohnheitsrecht geworden sein; und dann müssen sie zu den geschriebenen Gesetzen gerechnet werden, und zwar nicht wegen der Gewohnheit an sich (da diese nicht aus eigener Kraft ein Gesetz bilden kann), sondern wegen der Einwilligung des höchsten Herrschers, welche man daraus abnimmt, daß er den Urteilsspruch, mag er gerecht oder ungerecht gewesen sein, zum Gewohnheitsrecht hat werden lassen.

16. Das Wort Sünde in seiner weitesten Bedeutung umfaßt alles Handeln, Sprechen oder Wollen gegen die rechte Vernunft. Ein jeder sucht sich zu den Zwecken, die er sich vorgesetzt hat, mittels der Vernunft die Mittel. Wenn er nun hierbei die Vernunft recht gebraucht, d.h. wenn er von unzweifelhaftesten Grundsätzen beginnt und den Fortgang aus den notwendigen Folgen jener stetig ableitet, so schreitet er auf dem geradesten Wege vor. Verfährt er anders, so gerät er auf Irrwege, d.h. er wird gegen sein eigenes Ziel handeln, sprechen oder begehren. Geschieht dies, so hat er in seinen Schlußfolgerungen allerdings geirrt, in seinem Handeln und Wollen[235] aber gesündigt; denn die Sünde folgt dem Irrtum, wie der Wille der Einsicht. Und dies ist die weiteste Bedeutung des Wortes Sünde; sie umfaßt auch das unkluge Handeln, sei es gegen das Gesetz, wie das Zerstören eines fremden Hauses, oder nicht gegen das Gesetz, wie das Aufbauen des eigenen Hauses auf Sand.

17. Wenn es sich aber um Gesetze handelt, so ist die Bedeutung des Wortes Sünde eine engere und befaßt nicht jede Handlung gegen die rechte Vernunft, sondern nur die, welche eine Schuld enthält und deshalb Schuldversehen genannt wird. Indes ist nicht jedes Versehen gleich eine Sünde oder eine Schuld, sondern nur dann, wenn mit Bewußtsein etwas versehen wird. Es fragt sich daher, was es heißt: mit Bewußtsein etwas versehen; und was das Versehen ohne Bewußtsein ist. Die menschliche Natur ist so beschaffen, daß man das, was man für sich begehrt, als gut, und was man verabscheut, als schlecht bezeichnet. So führt die Verschiedenheit der Neigungen dahin, daß der eine das ein Gut nennt, was dem andern als ein Übel gilt, und daß derselbe Mensch dasselbe jetzt ein Gut und gleich hinterher ein Übel nennt, und daß er dieselbe Sache als ein Gut für sich und als ein Übel für den andern erklärt. Denn jedermann schätzt das Gut und das Übel nach dem Vergnügen oder Schmerz, die er jetzt empfindet oder später erwartet. Da nun die glücklichen Taten der Feinde, die ihren Ruhm, ihr Vermögen und ihre Macht vermehren, und ebenso die glücklichen Taten der Gleichstehenden, wegen der Eifersucht in der Ehre unter ihnen, allen lästig scheinen und deshalb als Übel gelten, und da man die für schlecht hält, d.h. denen die Schuld gibt, von denen das Übel gekommen ist: so ist es unmöglich, durch die Übereinstimmung der einzelnen, denen dasselbe gefällt und auch mißfällt, festzustellen, welche Handlungen strafbar und welche nicht strafbar sind. Allerdings kann über manches Allgemeine eine Übereinstimmung eintreten, wie z.B. daß der Diebstahl, der Ehebruch und ähnliches Sünden sind; denn jedermann nennt das ein Übel, was er mit einem Worte bezeichnet, das gewöhnlich einen übeln Sinn hat. Allein die Frage ist hier nicht, ob der Diebstahl eine Sünde ist, sondern was als Diebstahl gelten solle; und ähnlich verhält es[236] sich mit dem übrigen. Bei der großen Verschiedenheit der Meinungen kann die Frage, was mit Recht als Schuld anzusehen ist, so wenig durch das Urteil des einen wie des andern erledigt werden, da alle Menschen von Natur gleich sind. Da es nun weiter kein Urteil außer dem der einzelnen und dem des Staates gibt, so erhellt, daß der Staat zu bestimmen hat, was mit Recht als Schuld anzusehen sei. Danach ist Schuld, d.h. Sünde, jede Handlung, Unterlassung, Rede oder Wollen, das gegen die Vernunft des Staates, d.h. gegen die Gesetze verstößt.

18. Indes kann jemand bei der menschlichen Schwäche gegen die Gesetze verstoßen, trotzdem er sie beobachten will. Dann wird aber doch seine Tat, als gegen das Gesetz, ihm mit Recht als Schuld angerechnet und für Sünde erachtet. Andere beachten die Gesetze nicht; so oft sie Vorteil und Straflosigkeit davon erwarten, lassen sie sich trotz ihres Wissens, daß sie Verträge geschlossen und ihr Wort gegeben haben, doch nicht von deren Verletzung abhalten. Bei diesen sind nicht bloß ihre Handlungen, sondern auch ihre Gesinnungen gegen das Gesetz. Wer nur aus Schwachheit fehlt, ist, wenn er auch fehlt, ein guter Mensch; dagegen sind die andern, auch wenn sie nicht sündigen, doch schlechte Menschen. Obgleich beides, die Tat und die Gesinnung, dem Gesetz zuwider sein kann, so wird dieser Gegensatz doch mit verschiedenen Worten bezeichnet. Die Regelwidrigkeit der Handlung heißt adikêma, eine unechte Tat; die der Gesinnung adikia und kakia, Ungerechtigkeit und Bosheit; jene ist die Schwachheit einer verleiteten Seele, diese die Gemeinheit eines überlegenden Gemütes.

19. Wenn es nun keine Sünde ohne Verletzung eines Gesetzes gibt, und kein Gesetz ohne Gebot des Inhabers der höchsten Gewalt, und keinen solchen Inhaber, ohne daß die Gewalt ihm mit unserer Einwilligung übertragen worden ist, wie kann da derjenige sündigen, welcher das Dasein Gottes oder seine Vorsehung leugnet oder eine andere Lästerung gegen Gott ausstößt? Denn dieser könnte ja sagen, daß er seinen Willen niemals dem Willen Gottes untergeordnet habe, indem er ihn gar nicht als daseiend angenommen hat. Sollte auch seine Meinung irrig und deshalb sündhaft sein, so falle sie doch nur unter die aus[237] Versehen oder Unwissenheit begangenen Sünden, welche man mit Recht nicht strafen könne. Ein solcher Einwand ist nun allerdings insoweit zulässig, als eine solche Sünde, obgleich sie die schwerste und verdammungswürdigste ist, doch nur zu den aus Unbedachtsamkeit begangenen Sünden gerechnet werden kann17; aber es ist verkehrt, sie wegen dieses Unverstandes oder dieser Unwissenheit für straflos zu erklären. Denn der Gottesleugner wird entweder von Gott unmittelbar oder durch die von Gott eingesetzten Könige gestraft; nicht so, wie ein Untertan von seinem Könige gestraft wird, weil er dessen Gesetze verletzt hat,[238] sondern wie ein Feind von seinem Feinde, weil er sich den Gesetzen nicht hat unterwerfen wollen, also nach Kriegsrecht, wie die gegen Gott kämpfenden Giganten. Denn alle, die keinem gemeinsamen Herrscher noch einer dem andern Untertan sind, sind gegenseitige Feinde.

20. Vermöge des Vertrages, wodurch die einzelnen Bürger sich untereinander zum unbedingten und allgemeinen Gehorsam (wie ich in Kap. VI, Abschn. 13 definiert habe) gegen den Staat, d.h. gegen den höchsten Herrscher, sei es ein Mensch oder eine Versammlung, verpflichtet haben, sind sie auch verpflichtet, die einzelnen Gesetze des Staates zu beobachten; befaßt doch jener Vertrag alle diese Gesetze in sich; es ist daher klar, daß der Bürger, der sich von dem allgemeinen Gehorsamsvertrag lossagt, sich gleichzeitig von allen Gesetzen lossagt. Dieser Fehler ist um so viel größer als jedes andere Vergehen, wie das stetige Sündigen schlimmer ist als das einmalige Sündigen. Dieses Verbrechen wird Majestätsverletzung oder Hochverrat genannt. Es fällt darunter jede Rede und jede Tat, wodurch ein Bürger oder Untertan erklärt, daß er nicht mehr die Absicht habe, dem Inhaber der höchsten Staatsgewalt, sei es ein Mensch oder eine Versammlung, zu gehorchen. Diesen Willen erklärt ein Bürger durch die Tat, wenn er den Personen, welche die höchste Gewalt haben oder denen, die ihre Befehle ausführen, Gewalt antut oder anzutun versucht. Es gehören dahin die Landesverräter, die Königsmörder und solche, die die Waffen gegen den Staat ergreifen oder während des Krieges zu den Feinden übergehen. Durch Worte wird dieser Wille von denen erklärt, die schlechtweg bestreiten, daß sie oder die übrigen Bürger zu einem solchen Gehorsam verbunden seien. Dies kann teils allgemein geschehen, wenn einfach, unbedingt und für alle der Gehorsam bestritten wird (unbeschadet des Gehorsams, den man Gott schuldig ist), teils in einzelnen Fällen, z.B. wenn jemand bestreitet, daß die Inhaber der Staatsgewalt nach ihrem Ermessen Krieg führen, Frieden schließen, Soldaten anwerben, Steuern erheben, die Beamten und Staatsdiener ernennen, Gesetze geben, Streitigkeiten entscheiden, Strafen verhängen, noch sonst etwas vornehmen können, was zur Erhaltung des Staates gehört. Dergleichen Worte und Taten[239] sind nach dem natürlichen, nicht nach dem bürgerlichen Gesetz Majestätsverletzung oder Hochverrat. Indes kann es kommen, daß eine Handlung, die vor Erlaß des bürgerlichen Gesetzes kein solches Verbrechen war, nach Erlaß des Gesetzes Majestätsverletzung wird. So kann z.B. durch ein Gesetz bestimmt werden, daß es als ein Zeichen des aufgesagten öffentlichen Gehorsams gelten solle, d.h. als Majestätsverletzung oder Hochverrat, wenn jemand Falschmünzerei treibt oder die Geheimsiegel verfälscht. Wer nach Erlaß eines solchen Gesetzes dies verübt, ist also des Hochverrats nicht weniger schuldig als jene oben Genannten. Indes ist sein Verbrechen nicht so schwer, weil er nicht alle Gesetze auf einmal, sondern nur eins verletzt hat. Denn dadurch, daß das Gesetz eine Tat als Majestätsverletzung bezeichnet, obgleich sie ihrer Natur nach es nicht ist, wählt es rechtlich zwar ein verhaßteres Wort und verhängt vielleicht auch eine härtere Strafe über die Schuldigen, aber das Verbrechen selbst kann es dadurch nicht schwerer machen.

21. Das Vergehen, das nach dem natürlichen Gesetz Hochverrat oder Majestätsverletzung ist, enthält eine Verletzung des natürlichen und nicht des Staatsgesetzes. Denn die Verbindlichkeit zum Gehorsam gegen den Staat, auf dem die Kraft des Staatsgesetzes beruht, geht allen Staatsgesetzen voraus, und die Majestätsverletzung oder der Hochverrat ist seiner Natur nach nur die Verletzung dieser Verbindlichkeit. Hiernach wird durch Hochverrat das Gesetz verletzt, das den Gesetzen des Staates vorhergeht, nämlich das natürliche Gesetz, wonach man die Verträge und das gegebene Wort halten muß. Wenn ein Fürst ein Staatsgesetz in der Fassung gäbe: Du sollst dich nicht empören, so würde er damit nichts erreichen. Denn wenn die Bürger nicht vorher zum Gehorsam verpflichtet wären, d.h. verpflichtet, sich nicht zu empören, so bleibt jedes Gesetz unwirksam. Eine Verbindlichkeit aber, die nur zu dem verpflichtet, wozu man schon ohnedem verbunden ist, ist überflüssig.

22. Hieraus erhellt, daß die Aufrührer, Verräter und alle andern des Hochverrats Überführten nicht nach den Gesetzen des Staates, sondern nach den natürlichen bestraft[240] werden; d.h. man straft sie, nicht weil sie schlechte Bürger, sondern weil sie Staatsfeinde sind, und nicht nach dem Rechte des Herrschers oder des Staates, sondern nach dem Kriegsrecht.

23. Manche glauben, daß sie ihre Handlungen gegen die Gesetze gesühnt haben, wenn sie sich freiwillig der von dem Gesetz bestimmten Strafe unterwerfen, und daß die, welche die von dem Gesetz geforderte Strafe erlitten haben, vor Gott wegen Verletzung des natürlichen Gesetzes nicht schuldig seien (obgleich man durch die Verletzung der Staatsgesetze auch die natürlichen verletzt, da diese den Gehorsam gegen die Staatsgesetze gebieten); so als ob das Gesetz die Tat nicht verböte, sondern als ob die Strafe als Kaufpreis gesetzt wäre, damit man alsdann das, was das Gesetz verbietet, zu tun berechtigt sei. Aus diesem Grunde könnte man auch folgern, daß keine Gesetzesverletzung eine Sünde wäre, sondern daß jeder die auf seine eigene Gefahr erkaufte Freiheit auch gebrauchen könne. Allerdings lassen die Worte des Gesetzes eine doppelte Auffassung zu. Nach der einen bestimmt es zweierlei (wie in Abschn. 7 gezeigt worden ist), nämlich das unbedingte Verbot: Du sollst es nicht tun, und das rächende Gebot: Wer es dennoch tut, soll Strafe leiden. Nach der zweiten Auffassung enthält das Gesetz ein bedingtes Gebot: Du sollst es nicht tun, wenn du nicht diese Strafe leiden willst; in diesem Sinne verbietet das Gesetz nicht unbedingt, sondern bedingt. In dem erstern Sinne sündigt der Täter, weil er das tut, was das Gesetz verboten hat; in dem zweiten Sinne sündigt er aber nicht, denn die Tat ist dann dem, der die Bedingung erfüllt, nicht mehr verboten. Im ersten Sinne ist jedermann die Tat verboten, im zweiten Sinne nur dem, der die Strafe meidet. In dem erstern Sinne verpflichtet der rächende Teil des Gesetzes nicht den Schuldigen, sondern die Obrigkeit zur Strafvollstreckung; in dem zweiten Sinne ist der Schuldige selbst verpflichtet, die Strafe zu übernehmen; zu ihrer Einlösung, sei es nun die Todes- oder sonstwie schwere Strafe, kann er nicht verpflichtet werden. In welchem Sinne nun ein Gesetz aufzufassen sei, hängt von der Bestimmung des Inhabers der Staatsgewalt ab. Schwankt aber jemand über den Sinn des Gesetzes, so ist[241] die Tat, weil man jedenfalls sicher sein kann, daß wer es nicht tut, auch nicht sündigt, eine Sünde, wie auch das Gesetz später ausgelegt werden mag. Denn wenn man zweifelt, ob etwas Sünde sei oder nicht, so ist die Tat, wenn man die Freiheit hat, sie zu unterlassen, und sie dennoch tut, eine Verachtung des Gesetzes, und deshalb nach Kap. 3, Abschn. 28 eine Sünde gegen das natürliche Gesetz. Deshalb ist die Unterscheidung des Gehorsams in tätigen und leidenden falsch; denn man kann durch die Strafen, die Menschenwille festgesetzt hat, nicht die Sünden gegen das natürliche Gesetz, das das Gesetz Gottes ist, sühnen; das hieße sonst, daß die, welche auf ihre Gefahr sündigten, gewissermaßen gar keine Sünde begehen.[242]

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Man hat das »Verpflichten« und das »als Verpflichteter festgehalten werden« für dasselbe erklärt und deshalb darin nur einen Unterschied in den Worten, nicht in der Sache gefunden. Ich will mich deshalb deutlicher dahin ausdrücken, daß der Mensch durch den Vertrag verpflichtet wird, d.h. er solle ihn seines Versprechens wegen erfüllen; durch das Gesetz wird dagegen der Verpflichtete festgehalten, d.h. die Furcht vor der im Gesetz angedrohten Strafe zwingt ihn zur Leistung.

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Ich bin viel getadelt worden, daß ich die Gottesleugnung nicht zur Ungerechtigkeit, sondern zur Unklugheit gerechnet habe; ja manche haben diese Stelle so verstanden, als wenn ich mich nicht als eifrigen Gegner der Gottesleugner hätte zeigen wollen. Man wendet mir ferner ein, daß ich anderwärts gesagt habe man könne das Dasein Gottes durch die natürliche Vernunft erkennen, und deshalb hätte ich anerkennen sollen, daß die Gottesleugner wenigstens gegen das natürliche Gesetz verstoßen, also nicht bloß eines Versehens, sondern auch einer bösen Tat schuldig seien. Indes bin ich ein solcher Feind der Gottesleugner, daß ich nach einem Gesetz, nach dem ich sie wegen böswilliger Tat verurteilen könnte, nicht bloß fleißig gesucht, sondern auch lebhaft gewünscht habe, es zu finden. Da ich aber keins fand, so habe ich zunächst untersucht, welchen Namen Gott diesen ihm so verhaßten Menschen selbst gegeben hat. Nun spricht Gott von dem Gottesleugner folgendermaßen: »Es spricht der Törichte in seinem Herzen: es gibt keinen Gott.« Sonach habe ich diese Sünde unter die Gattung gebracht, wohin Gott selbst sie gestellt hat. Sodann zeige ich, daß die Gottesleugner die Feinde Gottes sind. Ich meine aber, daß der Ausdruck Feind härter ist als der eines Böswilligen. Endlich bestätige ich ja, daß sie unter dieser Bezeichnung von Gott wie von weltlichen Herrschern mit Recht bestraft werden können, und ich glaube hiernach diese Sünde in keiner Weise entschuldigt oder verringert zu haben. Wenn ich gesagt habe, daß man das Dasein Gottes schon durch die natürliche Vernunft erkennen könne, so habe ich damit nicht gemeint, daß jedermann dies vermöge; so wenig wie jedermann aus dem Volke das Verhältnis der Kugel zum Zylinder hätte auffinden können, obgleich Archimedes es mit Hilfe der natürlichen Vernunft entdeckt hat. Wenn daher auch einzelne das Dasein Gottes durch das Licht ihrer Vernunft erfassen können, so können dies doch die übrigen nicht, da ein Teil von ihnen ihren Sinn nur auf sinnliche Lust oder auf Erlangung von Reichtum und Ehren gerichtet hat und andere die richtigen Schlußfolgerungen nicht zu ziehen pflegen, weil sie es nicht können oder nicht mögen, und endlich andere zu töricht dazu sind, und dazu gehören die Gottesleugner.

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil: Lehre vom Menschen und Bürger. Leipzig 1918, S. 225-243.
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