7. Kapitel
Von den drei Formen des Staates: Demokratie, Aristokratie und Monarchie

[153] 1. Bisher ist im allgemeinen über die Errichtung des Staates gehandelt worden; jetzt ist von dessen Arten zu handeln. Der Unterschied der Staaten kommt von dem Unterschiede der Personen, welchen die Staatsgewalt übertragen worden ist. Sie wird entweder einem Menschen oder einer Versammlung, d.h. einem Rat, der aus vielen Menschen besteht, übertragen. Diese Versammlung vieler befaßt entweder alle Bürger (so daß jedermann ein Stimmrecht hat und, wenn er will, an der Verhandlung teilnehmen kann) oder nur einen Teil derselben. Hiernach ergeben sich drei Arten von Staaten. Bei der ersten liegt die Staatsgewalt in der Versammlung, in der jeder Bürger ein Stimmrecht hat; sie heißt Demokratie. Bei der zweiten liegt die Staatsgewalt in der Versammlung, bei der nicht allen Bürgern, sondern nur einem Teil derselben das Stimmrecht zukommt; sie heißt Aristokratie. Bei der dritten Art ist die Staatsgewalt bei einem Menschen, und sie heißt Monarchie. Der, welcher die Macht hat, heißt bei der ersten Art dêmos, das Volk; bei der zweiten der Adel; bei der dritten der Monarch.

2. Die politischen Schriftsteller bei den Alten haben jenen drei Staatsformen drei andere entgegengestellt: nämlich der Demokratie die Anarchie oder die Verwirrung; der Aristokratie die Oligarchie, d.h. die Herrschaft weniger; und der Monarchie die Tyrannis. Allein dies sind nicht drei andere Arten des Staates, sondern nur drei andere[153] Namen, die von denen ausgegeben wurden, denen die jeweilige Regierung oder die Regierenden mißfielen. Denn die Menschen pflegen mit den Worten nicht bloß die Dinge, sondern auch die eigenen Leidenschaften, Liebe, Haß, Zorn usw., auszudrücken. Deshalb nennt der eine das Demokratie, was der andere Anarchie nennt, und der eine das Aristokratie, was der andere Oligarchie nennt, und der eine den einen König, welchen der andere einen Tyrannen nennt. So bezeichnen diese Worte nicht verschiedene Staatsformen, sondern die verschiedenen Meinungen der Bürger über die höchste Staatsgewalt. Aber wer bemerkt nicht, daß die Anarchie den Gegensatz zu allen diesen genannten Arten bildet? Denn dieses Wort sagt, daß überhaupt keine Regierung besteht, d.h. daß gar kein Staat vorhanden ist. Wie kann man aber den Nichtstaat zu einer Art des Staates machen? Besteht weiter wirklich ein Unterschied zwischen einer Oligarchie als der Herrschaft weniger (nämlich der Mächtigen) und der Aristokratie als der Herrschaft der Vornehmen (d.h. der Besten)? Diese Unterscheidung zeigt doch nur, daß die Ansichten der Menschen so verschieden sind, daß nicht alle dasselbe für gut halten und deshalb ein Teil die für die Besten hält, welche andern als die Schlechtesten gelten.

3. Daß endlich das Königtum und die Tyrannis gar keine verschiedenen Staatsformen sind, wollen die Menschen nur wegen ihrer Leidenschaften nicht anerkennen; allerdings wollen sie lieber, daß einer anstatt vieler die Staatsgewalt habe; allein sie meinen, der Staat könne nur gut regiert werden, wenn es nach ihrem Sinne geschehe. Ob aber der König sich von dem Tyrannen unterscheide, darf nicht nach der Leidenschaft, sondern muß nach der Vernunft entschieden werden. Zunächst unterscheiden sie sich nun nicht darin, daß die Gewalt des Tyrannen größer ist; denn eine größere als die höchste Staatsgewalt gibt es nicht. Auch nicht darin, daß der eine eine beschränkte Macht habe und der andere eine unbeschränkte; denn ein König mit beschränkter Gewalt ist kein König, sondern Untertan dessen, der die Schranken setzt. Auch in der Art des Erwerbes der Staatsgewalt ist kein Unterschied; denn sollte auch in einem demokratischen oder aristokratischen[154] Staate ein Bürger durch Gewalt die Staatsherrschaft erlangen, so wird er doch, wenn er die Einwilligung der Bürger dazu erlangt, der rechtmäßige Monarch, wenn nicht, dann bleibt er ein Feind, aber ist kein Tyrann. Der Unterschied liegt mithin nur in der Ausübung der Herrschaft. König ist der, welcher recht regiert, und Tyrann der, welcher anders regiert. Der Unterschied läuft also darauf hinaus, daß die Bürger einen mit der höchsten Staatsgewalt rechtmäßig betrauten König bei einer ihnen gut scheinenden Ausübung seiner Herrschaft König und andernfalls Tyrann zu nennen belieben. Die Tyrannis und das Königtum sind demnach nicht zwei verschiedene Staatsformen, sondern derselbe Monarch erhält als Ehrentitel den Namen König und als beschimpfende Bezeichnung den Namen Tyrann. Was sonst häufig in Schriften gegen die Tyrannen geltend gemacht wird, hat seinen Ursprung in den griechischen und römischen Schriftstellern, wo entweder das Volk oder die Vornehmsten die Herrschaft hatten, und wo deshalb nicht bloß die Tyrannen, sondern auch die Könige verhaßt waren.

4. Viele erkennen es wohl als notwendig an, daß im Staate irgendwo eine höchste Macht bestehe; allein sie behaupten, daß, wenn diese Macht einem, sei es einem Menschen oder einer Versammlung, zustehe, alle Bürger dann Sklaven sein würden. Um dem zu entgehen, meinen sie, daß ein Staat möglich sei, der aus allen drei Arten gemischt und doch von den einzelnen Arten verschieden sei. Sie nennen ihn die gemischte Monarchie oder die gemischte Aristokratie oder die gemischte Demokratie, je nachdem eine dieser drei Arten dabei vorwiegt. Wenn z.B. die Ernennung der Beamten und die Entscheidung über Krieg und Frieden dem König zustände, die richterliche Gewalt den Vornehmen, und die Bewilligung der Abgaben dem Volke, und wenn die gesetzgebende Gewalt allen zustände, so würden sie einen solchen Staat eine gemischte Monarchie nennen. Allein selbst wenn es einen solchen Staat geben könnte, würde damit doch die Freiheit der Bürger keineswegs gebessert sein. Denn solange alle miteinander einig sind, ist die Unterwerfung der einzelnen Bürger so groß wie nur möglich; werden sie aber uneinig, so kehrt der[155] Bürgerkrieg zurück und das Recht des einzelnen, sich mit Gewalt zu verteidigen: ein Zustand, der schlimmer ist als jede staatliche Untertänigkeit. Auch habe ich schon in dem vorhergehenden Kapitel Abschn. 6-12 genügend gezeigt, daß eine solche Teilung der höchsten Staatsgewalt14 nicht möglich ist.

5. Ich will nun untersuchen, was bei der Errichtung der einzelnen Arten des Staates die Begründer desselben zu tun haben. Wenn mehrere mit der Absicht der Errichtung eines Staates zusammentreten, so entsteht schon durch dieses Zusammenkommen eine Demokratie. Denn indem sie freiwillig zusammentreten, gelten sie als verpflichtet zur Innehaltung dessen, was die Mehrheit beschließt. Solange diese Versammlung dauert, oder solange sie zu bestimmten, festgesetzten Tagen und Orten wiederkehrt, ist dies eine Demokratie. Denn diese Versammlung, deren Wille der Wille aller Bürger ist, besitzt damit die höchste Gewalt; und da bei dieser Versammlung angenommen wird, daß jeder ein Stimmrecht habe, so erhellt, daß dies nach der Abschn. 1 dieses Kapitels gegebenen Definition eine Demokratie ist. Trennt sich die Versammlung, ohne daß über die Zeit und den Ort einer neuen Versammlung etwas bestimmt worden ist, so tritt wieder die Anarchie ein oder jener Zustand, in dem die einzelnen sich vor der Versammlung befunden haben, d.h. der Kriegszustand aller gegen alle. Das Volk besitzt also die größte Gewalt nur insoweit, als ein bestimmter Ort und Tag öffentlich bestimmt und bekannt gemacht wird, zu dem jeder, der will, sich wieder zur Versammlung[156] einfinden kann. Ist dies nicht bestimmt und bekannt gemacht worden, so kann das Volk entweder zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten, d.h. nach Parteien, oder gar nicht sich versammeln, und es ist dann nicht mehr der dêmos, das Volk, sondern eine aufgelöste Menge, der weder eine Handlung noch ein Recht zugeteilt werden kann. Sonach gehört zweierlei zur Demokratie: das eine (nämlich die dauernde Festsetzung der Zusammenkünfte) begründet den dêmos, das andere (nämlich die Mehrheit der Stimmen) begründet das kratein oder das Herrschen.

6. Es genügt ferner nicht, wenn das Volk die höchste Herrschaft sich erhalten will, daß bestimmte Zeiten und Orte für die Versammlungen bestimmt und bekannt sind, sondern es dürfen diese Zeitpunkte auch nicht so weit voneinander abstehen, das inzwischen sich etwas ereignen könnte, was infolge der Abwesenheit der höchsten Gewalt den Staat in Gefahr bringen könnte; wenigstens muß für diese Zwischenzeiten einem Menschen oder einem Rate die Ausübung der höchsten Gewalt eingeräumt werden. Geschieht dies nicht, dann fehlt die unbedingt erforderliche Sorge für den Schutz und Frieden der einzelnen; eine solche Einrichtung kann dann nicht als ein Staat gelten, da wegen Mangels an Sicherheit ein jeder das Recht, sich selbst nach seinem Ermessen zu verteidigen, zurückerhält.

7. Eine Demokratie wird nicht durch Verträge der einzelnen mit dem Volke begründet, sondern durch gegenseitige Verträge der einzelnen untereinander. Dies ergibt sich zunächst daraus, daß die vertragschließenden Personen vor dem Vertrage selbst vorhanden sein müssen. Nun besteht aber das Volk nicht vor der Begründung des Staates, denn vorher ist es keine Person, sondern eine Menge einzelner Personen; also hat zwischen einem Bürger und dem Volke kein Vertrag stattfinden können. Nachdem aber der Staat begründet worden, ist der Vertrag eines Bürgers mit dem Volke nutzlos, weil das Volk in seinem Willen auch den Willen des Bürgers, dem es sich verpflichten soll, mit befaßt. Es kann sich also beliebig befreien und ist deshalb schon in Wahrheit frei. Das zweite, daß die einzelnen untereinander Verträge schließen, ergibt sich daraus, daß der Staat nutzlos errichtet sein würde, wenn die Bürger[157] nicht vertragsmäßig gebunden wären, alles zu tun und zu unterlassen, was der Staat ihnen gebietet. Dergleichen Verträge sind also unbedingt erforderlich zur Errichtung eines Staates, aber, wie gezeigt worden, können sie nicht zwischen den Bürgern und dem Volke abgeschlossen werden; folglich müssen sie zwischen den einzelnen Bürgern stattfinden und enthalten, daß jeder Bürger verspricht, seinen Willen dem Willen der Mehrheit zu unterwerfen, unter der Bedingung, daß die andern dasselbe tun. Gleichsam als wenn jeder sagte: »Ich übertrage dir zuliebe mein Recht auf das Volk, unter der Bedingung, daß du das deine mir zuliebe ebenfalls auf das Volk überträgst.«

8. Eine Aristokratie oder die Versammlung der Vornehmsten, welche die höchste Staatsgewalt innehat, nimmt ihren Ursprung von einer Demokratie, die ihre Rechte auf jene Vornehmsten überträgt. Das ist so zu verstehen, daß gewisse, durch ihren Namen, ihr Geschlecht oder ein anderes Merkmal von andern unterschiedene Männer dem Volke vorgeschlagen und durch Stimmenmehrheit gewählt werden; auf diese werden sodann alle Rechte des Volkes oder Staates übertragen, so daß, was bis dahin das Volk vermocht hat, nun rechtlich die Versammlung der erwählten Vornehmen vermag. Ist das geschehen, so erhellt, daß das Volk als einheitliche Person infolge der auf jene übertragenen höchsten Gewalt nicht mehr besteht.

9. So wie in der Demokratie das Volk von jeder Verbindlichkeit frei ist, so ist es in der Aristokratie die Versammlung der Vornehmen. Denn wie gezeigt, waren die Bürger nicht durch Vertrag mit dem Volke, sondern durch Verträge untereinander an alles, was das Volk tat, gebunden; deshalb sind sie auch an die Handlung des Volkes gebunden, durch die es die Staatsgewalt an die Vornehmen übertrug. Auch konnte die Versammlung der Vornehmen, obgleich sie von dem Volke gewählt war, von ihm zu nichts verpflichtet werden. Denn mit ihrer Wahl löst das Volk sich gleichzeitig auf, wie schon oben erwähnt war; und die Machtvollkommenheit, die es als eine Person hatte, erlischt völlig. Deshalb muß auch die gegen diese Person übernommene Verbindlichkeit gleichzeitig mit untergehen und erlöschen.[158]

10. Die Aristokratie hat mit der Demokratie auch noch Folgendes gemein: erstens daß ohne Bestimmung fester Zeiten und Orte für die Zusammenkünfte der Vornehmen diese keine Versammlung oder Person mehr, sondern nur eine lose Mehrheit bilden, der keine höchste Gewalt zusteht. Zweitens daß die Fristen zwischen den Zusammenkünften ohne Nachteil für die höchste Gewalt nicht zu lang sein dürfen; es müßte denn die Ausübung auf einen Menschen übertragen werden. Die Gründe hierfür sind dieselben, die ich in Abschn. 5 dargelegt habe.

11. Eine Monarchie leitet sich ebenso wie eine Aristokratie aus der Gewalt des Volkes ab, das sein Recht, d.h. die höchste Gewalt, auf einen Menschen überträgt. Auch hier muß ein bestimmter Mensch, der durch seinen Namen oder irgendein anderes Merkmal von den andern unterschieden ist, vorgeschlagen werden; das Volk muß durch Stimmenmehrheit sein ganzes Recht auf ihn übertragen, in der Art, daß das, was das Volk bis dahin vermocht hat, ehe es wählte, nun in jeder Hinsicht der Erwählte rechtlich tun kann. Ist dies geschehen, dann ist das Volk keine Person mehr, sondern eine aufgelöste Menge; denn nur vermöge der höchsten Gewalt war es eine Person, und diese Gewalt hat es dann von sich auf diesen einen Menschen übertragen.

12. Auch wird der Monarch durch keinen Vertrag jemand für die empfangene Herrschaft verbindlich. Er erhält diese Herrschaft zwar von dem Volke, aber, wie oben gezeigt worden, hört das Volk mit dieser Tat sofort auf, eine Person zu sein; mit dem Untergange der Person aber erlischt auch jede Verbindlichkeit gegen sie. Deshalb sind die Bürger zu dem Gehorsam gegen den Monarchen nur durch jene Verträge gebunden, durch welche sie sich gegenseitig zur Erfüllung all dessen, was das Volk verlangen sollte, verpflichteten, d.h. zum Gehorsam auch gegen den Monarchen, im Falle ein solcher von dem Volke erwählt werden sollte.

13. Die Monarchie unterscheidet sich aber hauptsächlich darin von der Aristokratie und Demokratie, daß letztere beide zu ihren Beratungen und Beschlüssen, d.h. zur wirklichen Ausübung ihrer Herrschaft, bestimmter Zeiten und[159] Orte bedürfen, während der Monarch jederzeit und an jedem Orte überlegen und beschließen kann. Das Volk und ebenso die Vornehmen müssen zusammentreten, da sie keine natürliche Einheit sind; der Monarch ist aber von Natur einer und hat immer die Fähigkeit, unmittelbar Regierungshandlungen auszuüben.

14. Es ist bereits in den Abschn. 7, 9 und 12 gezeigt worden, daß die Inhaber der höchsten Gewalt im Staate niemandem durch Vertrag verpflichtet sind, und daraus folgt, daß sie keinem Bürger unrecht tun können. Denn das Unrecht ist nach der in Kap. 3, Abschn. 3 gegebenen Definition nur eine Verletzung von Verträgen; wo also solche Verträge nicht bestehen, da kann auch kein Unrecht geschehen. Allein trotzdem kann das Volk, die Versammlung der Vornehmen und der Monarch vielfach gegen die natürlichen Gesetze sündigen, wie z.B. durch Grausamkeit, Unbilligkeit, Beschimpfung und andere Fehler, die nicht unter den strengen und genauen Begriff des Unrechts fallen. Wenn aber ein Bürger der höchsten Staatsgewalt nicht gehorcht, so begeht er im strengen Wortsinn einmal ein Unrecht gegen seine Mitbürger, denn jeder einzelne hat mit allen übrigen ausgemacht, Gehorsam zu leisten; zum andern auch gegen den höchsten Herrscher, indem er ohne dessen Einwilligung das ihm erteilte Recht wieder zurücknimmt. Wenn in einer Demokratie oder Aristokratie irgend etwas gegen ein natürliches Gesetz beschlossen worden ist, sündigt nicht der Staat, d.h. die bürgerliche Person, sondern es sündigen nur die einzelnen Bürger, durch deren Stimmen dieser Beschluß zustande gekommen ist; denn die Sünden sind eine Folge des natürlichen, kundgegebenen Willens, nicht des politischen Willens, der ein künstlicher ist. Wäre dies letztere der Fall, so würden schon diejenigen sündigen, denen ein Beschluß nicht gefällt. Wenn aber in der Monarchie der Monarch etwas gegen die natürlichen Gesetze beschließt, so sündigt er selbst; da bei ihm der bürgerliche Wille mit dem natürlichen zusammenfällt.

15. Das Volk, das die Einsetzung eines Monarchen beschließt, kann ihm die höchste Gewalt zeitlich unbeschränkt oder nur für eine feste bestimmte Zeit übertragen. Im[160] ersten Falle erhält er damit dieselbe Gewalt, die das Volk, das sie ihm übertrug, hatte. Aus demselben Grunde, aus dem das Volk rechtlich ihn zum Monarchen wählen konnte, kann er mithin auch einen andern dazu wählen. Deshalb steht dem Monarchen, dem die Herrschaft ohne Beschränkung übertragen worden ist, nicht bloß das Recht der Ausübung, sondern auch das Recht der Nachfolge zu, durch welches er nach Belieben sich einen Nachfolger erwählen kann.

16. Ist die Herrschaft nur für eine bestimmte Zeit übertragen worden, so ist außer dieser Übertragung noch manches andere zu berücksichtigen. Erstlich, ob das Volk bei der Übertragung seiner Gewalt sich das Recht, zu bestimmten Zeiten und Orten sich zu versammeln, vorbehalten hat oder nicht. Zweitens, ob, wenn dies geschehen, es sich dies auch schon für die Zeit ausgemacht hat, wo die Herrschaft des Monarchen noch nicht erloschen ist. Drittens, ob es nur nach Anordnung dieses zeitlichen Monarchen und nicht anders zusammenberufen werden darf.

Wir wollen nun annehmen, daß das Volk die höchste Gewalt einem Menschen nur für die Zeit seines Lebens übertragen habe; ferner daß die einzelnen aus der Versammlung fortgegangen seien, ohne etwas über den Ort der Versammlung behufs einer neuen Wahl nach seinem Tode bestimmt zu haben. In diesem Falle ist nach Abschn. 5 dieses Kapitels ganz offenbar das Volk keine Person mehr, sondern eine aufgelöste Menge; daher hat jeder ein gleiches, d.h. ein natürliches Recht, mit jedwedem zu verschiedenen Zeiten und an beliebigen Orten zusammenzukommen, ja sogar, wenn er es vermag, die Herrschaft an sich zu reißen und auf sein Haupt zu übertragen. Hat also der Monarch die Herrschaft in diesem Sinne inne, so ist er nach dem in Kap. 3, Abschn. 8 dargelegten natürlichen Gesetz, wonach man Gutes nicht mit Bösem vergelten soll, dazu verpflichtet, weise zu sorgen, daß der Staat nach seinem Tode sich nicht auflöse, indem er entweder einen Tag und Ort festsetzt, wo die Bürger, welche wollen, sich versammeln können, oder indem er seinen Nachfolger selbst ernennt, je nachdem eines oder das andere für das gemeine Wohl ihm am vorteilhaftesten erscheint.[161] Wer also in der angegebenen Weise die höchste Gewalt auf Lebenszeit empfangen hat, besitzt sie unbeschränkt und kann nach Belieben über seine Nachfolge bestimmen.

Wenn wir aber zweitens annehmen, daß das Volk nach Erwählung des zeitlichen Monarchen sich erst entfernt hat, nachdem es vorher beschlossen hat, an einem bestimmten Tage und Orte nach dem Tode des Monarchen wieder zusammenzukommen, so fällt mit dem Tode des Monarchen die Herrschaft an das Volk zurück, und zwar nicht durch eine neue Handlung der Bürger, sondern infolge des früheren Rechtes. Denn die höchste Gewalt blieb gleich einem Eigentum bei dem Volke; nur der Gebrauch und die Ausübung hat dem zeitlichen Monarchen gleich einem Nießbraucher zugestanden.

Ist jedoch das Volk nach Erwählung des zeitlichen Monarchen aus der Versammlung erst dann fortgegangen, nachdem es bestimmt hatte, daß es auch während der Zeit, wo der Monarch lebt, an bestimmten Tagen und Orten sich versammeln könne (wie dies einst bei dem römischen Volke mit den Diktatoren der Fall war), so ist ein solcher Erwählter nicht als ein Monarch anzusehen, sondern nur als der erste Beamte des Volkes. Das Volk kann ihn nach seinem Ermessen der Verwaltung entsetzen, selbst vor Ablauf der Zeit, wie die Römer es mit dem Quintus Fabius, der vorher zum Diktator erwählt worden war, machten, dem sie den Befehlshaber der Reiterei Minutius mit gleicher Gewalt an die Seite setzten. Der Grund ist, daß man nicht annehmen kann, daß der Mensch oder die Versammlung, welche zunächst und unmittelbar die Macht des Handelns hat, die Herrschaft, ohne doch wirklich befehlen zu können, behalten wolle; denn alle Herrschaft besteht nur in dem Rechte zu befehlen, soweit die Natur dies erlaubt.

Wenn endlich das Volk nach Ernennung eines zeitlichen Monarchen so fortgeht, daß es ohne Befehl des Erwählten rechtlich sich nicht wieder versammeln darf, so hat sich das Volk sofort aufgelöst und die Herrschaft des so Erwählten ist dann unbeschränkt, da es nicht mehr in der Macht des Bürgers steht, gegen den Willen des alleinigen Inhabers der Gewalt den Staat neu zu schaffen.[162] Auch ist es gleichgültig, ob er vielleicht versprochen hat, daß er die Bürger zu bestimmten Zeiten zusammenberufen wolle, da nur nach seinem Belieben die Person wieder aufleben kann, der dies versprochen worden ist.

Das hier über diese vier Fälle Gesagte, wo das Volk den Monarchen auf eine bestimmte Zeit erwählt, wird deutlicher durch die Vergleichung mit dem unbeschränkten Monarchen, welcher keine Erben hat. Denn das Volk ist hier in der Art der Herr, daß es keinen Erben haben kann, wenn es nicht selbst einen ernennt. Auch können die Zwischenzeiten zwischen den einzelnen Versammlungen der Bürger verglichen werden mit den Stunden, wo der Monarch schläft; in beiden Fällen hört die Tätigkeit des Befehlens auf, aber die Macht bleibt. Endlich ist eine solche Auflösung der Versammlung, daß sie nicht wieder zusammenkommen kann, der Tod des Volkes; wie ein solcher Schlaf eines Menschen, daß er nicht wieder erwachen kann, sein Tod ist. Wenn also ein König, der keinen Erben hat, gleichfalls so einschlafen sollte, daß er niemals wieder erwachen könnte, d.h. wenn er am Sterben wäre und jemandem die Ausübung der königlichen Gewalt bis zu seinem Erwachen übergäbe, so gäbe er ihm also damit die Nachfolge; und ebenso übergibt ein Volk, das einen Monarchen auf eine bestimmte Zeit erwählt und sich die Macht zusammenzukommen nicht vorbehält, ihm die Herrschaft über den Staat. Ferner, wie ein König, der auf eine Zeit schlafen geht, einem andern die Verwaltung seines Königreiches anvertraut und sie, wenn er erwacht, wieder zurücknimmt, so nimmt das Volk, das bei Erwählung eines zeitlichen Monarchen das Recht, an bestimmten Zeiten und Orten sich zu versammeln, sich vorbehält, an diesen Tagen seine Herrschaft zurück. Und wie ein König während seines Wachens die Verwaltung der Herrschaft zwar einem andern übergeben, aber sie beliebig zurücknehmen kann, so kann auch das Volk, das während der zeitlichen Herrschaft des Monarchen sich rechtlich versammelt, ihm, wenn es will, die Herrschaft nehmen. Endlich verliert ein König, der seine Herrschergewalt während seines Schlafes einem andern übertragen hat und erst dann wieder aufwachen kann, wenn der, der sie empfangen hat, es gestattet, die[163] Herrschaft zugleich mit dem Leben; ebenso ist ein Volk, welches einen Monarchen mit der Herrschaft auf Zeit so betraut hat, daß es ohne seinen Befehl sich nicht wieder versammeln kann, vollständig aufgelöst, und die Herrschaft bleibt dem Erwählten.

17. Wenn ein Monarch einem oder mehreren Bürgern etwas versprochen hat, wodurch folgeweise die Ausübung seiner Gewalt beeinträchtigt wird, so ist ein solches Versprechen oder Vertrag, mag er beschworen worden sein oder nicht, ungültig. Denn jeder Vertrag ist die Übertragung eines Rechtes, welches nach dem in Kap. 2, Abschn. 4 Gesagten deutliche Zeichen des Willens zu übertragen verlangt. Wer aber deutlich zu erkennen gibt, daß er an dem Endzweck festhalten wolle, erklärt damit auch deutlich, daß er sich seines Rechtes auf die für diesen Zweck nötigen Mittel nicht begebe. Wenn also jemand etwas zur höchsten Gewalt Notwendiges einem andern zugesagt hat, aber dennoch die höchste Gewalt für sich behält, so gibt er deutlich genug zu verstehen, daß er nichts anderes versprochen habe, als er bei der Aufrechterhaltung der höchsten Gewalt entbehren kann. Sobald also erhellt, daß er das Versprechen ohne Verminderung der höchsten Gewalt nicht halten könne, so muß es als nicht geschehen, d.h. als ungültig angesehen werden.

18. Wir haben gesehen, in welcher Weise auf Antrieb der Natur die Bürger sich durch gegenseitige Verträge verpflichtet haben, der höchsten Gewalt zu gehorchen. Wir wollen nun sehen, wodurch eine Lösung aus den Gehorsamsfesseln erfolgen kann. Erstens geschieht dies durch Verzicht, wenn nämlich der Inhaber der Staatsgewalt auf sein Recht verzichtet oder es aufgibt, ohne es aber einem andern zu übertragen. Denn das so Aufgegebene kann von jedem andern mit gleichem Recht wieder aufgenommen werden, und daher darf nun wieder nach dem natürlichen Recht jeder Bürger für seinen Schutz nach seinem Ermessen sorgen. Zweitens, wenn der Staat so in feindliche Gewalt gerät, daß er keinen Widerstand mehr leisten kann, so muß man anerkennen, daß der bisherige Inhaber der höchsten Gewalt sie verloren hat, da die Bürger dann alles mögliche versucht haben, nicht[164] in die Hände des Feindes zu fallen, und mithin die Verträge, welche die einzelnen miteinander über Leistung des Gehorsams eingegangen waren, vollständig erfüllt worden sind; auch muß nach Möglichkeit darauf gehalten werden, daß das, was sie nach ihrer Besiegung, um ihr Leben zu erhalten, versprochen haben, auch geleistet werde. Drittens, wenn in einer Monarchie überhaupt kein Nachfolger vorhanden sein sollte (eine Demokratie oder eine Aristokratie stirbt natürlich niemals aus), dann sind alle Bürger ihrer Verbindlichkeiten ledig. Denn von niemand erwartet man, daß er sich schlechthin verpflichte, ohne zu wissen, wem gegenüber; eine solche Verpflichtung ist nicht ausführbar. Auf diese drei Weisen also werden sämtliche Bürger von der Untertänigkeit befreit und kehren zur Freiheit aller auf alles zurück, d.h. zur natürlichen und Kriegsfreiheit; denn der Naturzustand (Freiheit) verhält sich zum bürgerlichen (Unterwerfung) wie die Begierde zur Vernunft, wie ein wildes Tier zu dem Menschen. Außerdem können einzelne Bürger aus dem Untertanenverhältnis durch den Willen des Inhabers der höchsten Gewalt befreit werden, nämlich wenn sie das Land verlassen, was auf zwei Arten geschehen kann: entweder mit Erlaubnis, wenn jemand darum bittet, anderswohin ziehen zu dürfen, oder auf Befehl, wie dies bei den Verbannten vorkommt. In beiden Fällen wird der Betreffende damit von den Gesetzen seines bisherigen Staates frei, weil er nun durch die Gesetze seines nunmehrigen Staates gebunden wird.[165]

14

Man fordert zumeist, eine Herrschaft solle nicht geteilt, sondern nur gemäßigt und in gewissen Schranken gehalten werden. Dies ist allerdings billig, aber diese Unterscheidung ist verkehrt, wenn man ein Teilen will und es nur ein Mäßigen und Beschränktwerden nennt. Ich für meinen Teil möchte freilich gern, daß nicht bloß die Könige, sondern auch jene Versammlungen, welche die höchste Gewalt innehaben, sich des Unrechts enthielten und, indem sie ihrer Pflichten eingedenk sind, sich innerhalb der Schranken der natürlichen und göttlichen Gesetze hielten. Allein wenn man so wie oben unterscheidet, so will man, daß der höchste Herrscher von andern in Schranken und Ordnung gehalten werden soll, und das kann nur geschehen, wenn jene Beschränker der Gewalt einen Teil der Macht, wodurch dies möglich wird, erhalten; damit wird die Herrschaft nicht beschränkt, sondern tatsächlich geteilt.

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil: Lehre vom Menschen und Bürger. Leipzig 1918, S. 153-166.
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