Dritter Abschnitt

Von der Sprache in Beziehung auf die Vertheilung des Menschengeschlechts in Nationen

[230] 67. Die Vertheilung des Menschengeschlechts in grössere und kleinere Haufen hat einen doppelten Ursprung: einen irdischen in dem körperlichen Bedürfniss, dem blossen Naturtrieb und äusseren Umständen, und einen in dem Zusammenhang seines ganzen Daseyns ruhenden, den inneren, dem Menschen selbst nicht immer verständlichen Drang nach dem höchsten durch seine Natur Erreichbaren. Wie die Verzweigung des Menschengeschlechts in Nationen das mächtigste Mittel hierzu ist, habe Ich schon im Vorigen (§. 10-12. 46.) hinlänglich ausgeführt. Geschichtlich muss man dieser Verzweigung zuerst in dem nachgehen, was die nächste und sichtbarste Veranlassung dazu ist, in der physischen Beschaffenheit der Erde. Hier muss die Geographie der Geschichte und der Sprachkunde den Boden vorbereiten, die Vertheilung des Festlandes und der Gewässer, die verschiedenartige Abdachung der Gebirgszüge von den höchsten Gipfeln bis zu den niedrigsten Ebnen, die klimatischen und andren physischen Verhältnisse, kurz die ganze feste und unveränderliche Beschaffenheit des Erdbodens schildern, nach welchen sich die verschiedenen Wohnsitze des Menschengeschlechts umschreiben, und in welchen sich Einflüsse auf die Schicksale der einzelnen Völkerhaufen aufsuchen lassen. Denn der Schauplatz, auf dem er auftritt, die Luft, die er einathmet, der Boden, der ihn ernährt, der freundlichere, ihm aus der Ferne zuwehende Hauch, die von der öderen Höhe erblickte reichere Fülle der Ebne, die ihn anlocken, bestimmen zunächst seinen Entschluss bei der Beibehaltung eines Wohnplatzes und der Wahl eines neuen. Die festen Beschaffenheiten des sich seit Jahrtausenden wenig mehr verändernden Erdkörpers werden auf diese Weise sehr oft bleibende Veranlassungen zu gleichen Begebenheiten. Von denselben Gebirgen steigen durch ganze Zeiträume der Geschichte hindurch Völker herab, und verbreiten[230] sich über die Ebne. Dieselben Gegenden bleiben Strassen wandernder Horden. Dieselben Ebnen, dieselben festen Stellungen führen in ganz verschiednen Jahrhunderten feindliche Heere zusammen. Ein Theil der Schicksale des Menschengeschlechts ist dadurch ganz eigentlich an den Ort gebunden. Die Sprachkunde muss daher immer zuerst diesen örtlichen Verhältnissen ihre Aufmerksamkeit zuwenden, das Gebiet jeder Sprache, ihren Sitz und ihre Wanderungen, und die Verschiedenheit der Sprachen in jedem geographisch abgesonderten Theile des Erdbodens zu bestimmen versuchen, und nicht wähnen, auch wo es bloss grammatische Untersuchungen gilt, die Sprache von dem Menschen, und den Menschen von dem Boden losreissen zu können. Boden, Mensch und Sprache sind untrennbar in Eins verwachsen.

68. Wir kennen geschichtlich oder auch nur durch irgend sichre Ueberlieferung keinen Zeitpunkt, in welchem das Menschengeschlecht nicht in Völkerhaufen getrennt gewesen wäre. Ob dieser Zustand der ursprüngliche war, oder erst später entstand, lässt sich daher geschichtlich nicht entscheiden. Einzelne, an sehr verschiednen Punkten der Erde, ohne irgend sichtbaren Zusammenhang, wiederkehrende Sagen verneinen die erstere Annahme, und lassen das ganze Menschengeschlecht von Einem Menschenpaare abstammen. Die weite Verbreitung dieser Sage hat sie bisweilen für eine Urerinnerung der Menschheit halten lassen. Gerade dieser Umstand aber beweist vielmehr, dass ihr keine Ueberlieferung und nichts Geschichtliches zum Grunde lag, sondern nur die Gleichheit der menschlichen Vorstellungsweise zu derselben Erklärung der gleichen Erscheinung führte, wie gewiss viele Mythen, ohne geschichtlichen Zusammenhang, bloss aus der Gleichheit des menschlichen Dichtens und Grübelns entstanden. Jene Sage trägt auch darin ganz das Gepräge menschlicher Erfindung, dass sie die ausser aller Erfahrung liegende Erscheinung des ersten Entstehens des Menschengeschlechts (in die sich das Nachdenken vergeblich vertieft, da der Mensch so an sein Geschlecht und an die Zeit gebunden ist, dass sich ein Einzelner ohne vorhandnes Geschlecht[231] und ohne Vergangenheit gar nicht in menschlichem Daseyn fassen lässt) auf eine innerhalb heutiger Erfahrung liegende Weise und so erklären will, wie allerdings in Zeiten, wo das ganze Menschengeschlecht schon Jahrtausende hindurch bestanden hatte, bisweilen eine wüste Insel oder ein abgesondertes Gebirgsthal mag bevölkert worden seyn. Ob daher in dieser weder auf dem Wege der Gedanken, noch der Erfahrung zu entscheidenden Frage wirklich jener angeblich traditionelle Zustand der geschichtliche war, oder ob das Menschengeschlecht von seinem Beginnen an völkerweise den Erdboden bewohnte? darf die Sprachkunde weder aus sich bestimmen, noch, die Entscheidung anderswoher nehmend, zum Erklärungsgrunde für sich brauchen wollen. Dass die Aehnlichkeit, welche man in allen bisher bekannt gewordenen Sprachen antrifft, und von der sich unbedenklich annehmen lässt, dass auch keine erst zu entdeckende abweichen wird, keinen irgend zulänglichen Beweis auch nur für die Abstammung von Einem Volke abgiebt, muss jedem klar seyn, der über die Natur der Sprache und das Fragmentarische unsrer Geschichte nachdenkt, in welcher auch die älteste Kunde von dem Urbeginn durch einen Abstand getrennt ist, welcher einer unbestimmbaren Menge von Begebenheiten Raum giebt. Die Abstammung von Einem Volke ist aber noch etwas ganz Andres, als die von Einem Menschenpaare, da wir, wenigstens aus der Erfahrung, gar keinen Begriff von der Möglichkeit einer Sprache zwischen zwei Menschen allein besitzen.41

69. Dagegen ist die für die Sprachkunde fruchtbare Thatsache die durch alle Geschichte gegebene, dass die Vertheilung des Menschengeschlechts in Nationen beständig Veränderungen erfahren hat, und noch immer erfährt. Diesen forschend nachzugehen ist das Geschäft der Ethnographie, welche die Vereinigung der Geschichte mit der Sprachkunde nothwendig macht. Denn es ist ein Irrthum, wenn man[232] annimmt, dass die Sprachkunde allein über die Einerleiheit oder Verschiedenheit der Nationen entscheiden könne. Sie bedarf vielmehr sogar ganz auf ihrem eignen Gebiet, bei der Prüfung der Verwandtschaft der Sprachen, der Geschichte oft zur Begründung und immer zur Berichtigung ihres Unheils. Man muss es selbst als leitenden Grundsatz annehmen, dass bei nicht ganz nahe verwandten Sprachen die Einerleiheit auch mehrerer Laute und die Aehnlichkeit des grammatischen Baues für sich keinen Beweis gleicher Abstammung abgeben, wenn nicht auch geschichtlich wenigstens die Wahrscheinlichkeit vorhanden gewesener Verbindung feststeht. Erst auf diesen Grund kann die Sprachkunde mit Sicherheit fortbauen. Die Ethnographie hat auch insofern ein andres Gebiet, als die Sprachkunde, als sie die Einerleiheit der Stämme auch da noch verfolgt, wo sie ihre ursprünglichen Sprachen gegen andre vertauscht haben.

70. Der Begriff der Nation ist schon oben (§. 11. 12.) bestimmt worden, allein nach seiner tiefsten geistigsten Bedeutung, welche der gewöhnlichen Ansicht vielleicht fremd erscheint. Er ist auch dort, als ganz mit dem der Sprache zusammenfallend geschildert worden. Beides erfordert hier noch einige Aufklärung. Wenn man die Wörter Volk, Nation und Staat, als durch feste Gränzen von einander geschieden ansieht, so bezieht sich das erste auf den Wohnsitz und das Zusammenleben, das zweite auf die Abstammung, das letzte auf die bürgerliche Verfassung. Allein die beiden ersten leiden, dem Sprachgebrauch nach, keine so scharfe Begränzung, und der Begriff des letzten mischt sich sehr oft beiden bei. Nation aber gilt vorzüglich als Bezeichnung derjenigen Völkereinheit, auf die alle verschiedenartigen Umstände einwirken, ohne dass man gerade darauf sieht, ob Abstammung oder Sprache innerhalb dieser Einheit dieselben sind, oder sich nicht noch über dieselbe hinauserstrecken. So redet man von der französischen Nation, ohne auf das in Sprache abgesonderte Völkchen der Nieder-Bretagne, von der Spanischen, ohne auf die Vasken, Valencianer und Catalanen zu sehen, von der Schweizerischen, ungeachtet Abstammung und Sprache ihnen mit[233] den Deutschen gemeinschaftlich sind. Dann aber nimmt man das Wort auch wieder in einem viel allgemeineren über ganz verschiedene Wohnplätze und Staaten gehenden Sinn von der Germanischen, Slavischen u.s.w. Nation, obgleich da schon der Plural gebräuchlicher ist.

71. Insofern die Sprachkunde und die Untersuchung des Einflusses der Sprache auf ein Volk, und der Beziehung, in welcher die Völker zu dem Entwicklungsgange der Menschheit stehen, des Begriffes der Nation bedürfen, muss er auf eine zu der oben gegebenen Bedeutung passende Weise genommen werden. In diesem Sinne ist eine Nation ein solcher Theil der Menschheit, auf welchen so in sich gleichartige und bestimmt von andren verschiedene Ursachen einwirken, dass sich ihm dadurch eine eigenthümliche Denk-, Empfindungs- und Handlungsweise anbildet. Insofern ist der Begriff auch ein relativer, da es mehrere unter einander begriffene Sphären der Eigenthümlichkeit geben, und Völker, die in einer beschränkteren einander als verschiedene Nationen entgegenstehen, in einer weiteren zu der nämlichen gehören können. Die wirkliche Verschiedenheit prägt sich allemal auch in Verschiedenheit der Sprache, wäre sie auch nur eine der Mundart, aus, und in der Einerleiheit können verschiedene Sprachen nur insofern zusammenstossen, als der Mensch sich gewöhnen kann, sich mehrerer zugleich, als seiner eignen zu bedienen. Da die Mundarten und getrennt da stehende Volkssprachen allemal der Bildung weichen, so giebt es bisweilen in demselben Volksstamm nationenartige Verschiedenheiten. Der gemeine Nieder-Bretagner oder Gascogner ist in einem andren Sinne Franzose, als der gebildete. Was nun die Nationen im Grossen gestaltet, lässt sich auf allgemeine Punkte zurückführen. Obenan stehen in diesen Einwirkungen Abstammung und Sprache. Dann folgen das Zusammenleben und die Gleichheit der Sitten. Die dritte Stelle nimmt die bürgerliche Verfassung ein, und die vierte die gemeinschaftliche That und der gemeinschaftliche Gedanke, die nationelle Geschichte und Literatur. Der durch diese gebildete Geist tritt nicht sowohl zu den übrigen Einwirkungen hinzu, als[234] er vielmehr alle zusammenschliessend vollendet. Eine Nation wird erst wahrhaft zu einer, wann der Gedanke es zu wollen in ihr reift, das Gefühl sie beseelt eine solche und solche zu seyn. In Masse, wie einzeln, ist es der Gedanke, in dem der Mensch sich zusammenfasst, seine Naturanlagen sichtet, läutert und ins Bewusstseyn bringt, und sich seine eigenthümliche Bahn bricht. Das Streben, dies Nationalgefühl zu wecken und zu leiten, ist der Punkt, wo die bürgerliche Verfassung in den Entwicklungsgang der Menschheit eingreift; wo es in ihr mangelt oder verfehlt wird, sinkt sie bald selbst zu roher Gewalt oder todter Form hinab.

72. Die Individualitaet und die Nationalitaet, die letztere in dem hier entwickelten Begriff, sind die beiden grossen intellectuellen Formen, in welchen die steigende und sinkende Bildung der Menschheit fortschreitet. Im Bunde mit der alles Menschliche leitenden Macht beherrschen sie die Schicksale des Menschengeschlechts, und bleiben, ist auch diese ihre ursprüngliche Verknüpfung unerforschlich, der wichtigste Erklärungsgrund derselben. Die Sprache lebt und webt in der Nationalität und das Geheimnissvolle ihres Wesens zeigt sich gerade darin vorzüglich, dass sie aus der scheinbar verwirrten Masse von Individualitaeten hervorgeht, unter welchen keine sich gerade einzeln auszuzeichnen braucht. Sie erhält ihre ganze Form aus diesem dunkeln Naturwirken bewusstlos zusammenstimmender Anlagen, da was aus einzelner, noch so richtig berechneter Absicht hervorgeht, sie in sichtbarer Ohnmacht nur gleichsam umspielt. Eine Sprache lässt sich daher nur in Verbindung mit einem Volke denken, und so einfach und bekannt dieser Satz erscheint, so wird die Folge bald zeigen, wie reich er an Folgerungen, und wie oft er übersehen worden ist.

73. Wie sich aber der Mensch an Allem versucht, so hat es auch nicht an Bemühungen gefehlt, wo Einzelne neue Sprachen zu schaffen unternommen haben. Der grosse Leibnitz selbst fasste die Idee einer zu erfindenden Universalsprache. Die Pasigraphie und Pasilalie, deren Kindischheit man glücklicher Weise bald einzusehen anfieng, hatten eine[235] ähnliche Tendenz, da, was nur ihre Erfinder nicht gehörig einsahen, sie sich gar nicht innerhalb der Schranken einer blossen allgemeinen Schrift und Rede für die besondren Sprachen erhalten liessen. Von welcher Art die von einem Araber erfundene Sprache gewesen seyn mag, verdiente eigene Untersuchung. Allein auch unter uncivilisirten Nationen finden sich solche Versuche. Der sowohl durch kühne Eroberungen, als durch innere wohlthätige Einrichtungen bekannte König der Sandwich-Inseln Tammeamea wollte bei Gelegenheit der Geburt eines Sohnes eine neue Sprache unter seinem Volke einführen. Sie war rein von ihm ersonnen, und soll, was aber wohl nicht buchstäblich zu nehmen seyn wird, mit gar keinen Wurzeln der bis dahin geltenden Sprache zusammengehangen haben, und auch in den grammatischen Partikeln ganz abweichend gewesen seyn. Der Unmuth, den ein so widersinniger Einfall erregte, bewog einige Häuptlinge, das Kind mit Gift aus dem Wege zu räumen, und so sank die neue Sprache wieder in Vergessenheit zurück.42 Was aber hier Tammeamea unternahm, war nichts, als eine im stolzen Uebermuth der Herrschaft ersonnene Erweiterung einer beschränkter schon bestehenden Volkssitte. Auf Tahiti, und bei der Gleichheit vieler Sitten der Südsee-Inseln herrschte vermuthlich Aehnliches auf den Sandwich-Inseln, wurden beim Antritt eines neuen Regenten und bei ähnlichen Gelegenheiten Wörter aus der gemeinen Sprache gänzlich verbannt und neue angenommen. Da in diesen Sprachen, mehr als in andren, in den Namen die Appellativa kenntlich sind, aus denen sie bestehen, ja es kaum ein Appellativum giebt, das nicht zum Namen würde,43 so schien es vermuthlich eine Entweihung der Königswürde, den Namen des Königs beständig im Munde des Volkes zu lassen. Bei dem Regierungsantritt des[236] Königs Po-mare (Nacht-Husten) wurden diese beiden Wörter aus der Sprache verbannt, und in der Benennung des Wassers ist aus ähnlichen Gründen wai44 dem heutigen pape (spr. pæpe) gewichen. Jetzt ist dieser Gebrauch in Tahiti abgeschafft. Von den Abiponen erzählt man einen ganz ähnlichen. Bei dem Tode eines Abiponen wird das seinen Namen ausmachende Wort (wenn es noch in der Sprache bedeutsam ist) oder auch das Wort des Gegenstandes, welcher seinen Tod, wenn er ein zufälliger war, veranlasst hatte, verbannt und ein andres, dafür gewähltes, feierlich ausgerufen. Die Bestimmung und der Ausruf der neuen Wörter geschieht durch alte Frauen. So wurde bei dem Tode eines jungen Mannes, der an einer Verwundung durch einen Dorn starb, das damals gebräuchliche Wort hana mit nichirenkate vertauscht.45 Wie jede Sprache theils provincielle, theils veraltete sinnverwandte Wörter besitzt, und dies, bei der Vertheilung in viele kleine Stämme, leicht noch mehr bei den Sprachen, von denen hier die Rede ist, der Fall seyn mag; so ist es klar, dass hier bei solchen Gelegenheiten solche Wörter in den Gebrauch hervorgeholt, an die Stelle der bisherigen gesetzt werden, und sich dann mit mehr oder weniger Glück im Munde des Volkes erhalten. Es schien mir aber nothwendig dieser Fälle hier zu erwähnen, wo der Ideengang mich überhaupt auf absichtliche Spracherzeugung führte.

74. Die wahre und ächte ist immer nur die freiwillig und scheinbar zufällig aus den Bedürfnissen und dem innern Drange eines Volkes hervorgehende. In ihr prägt sich die nationelle Eigenthümlichkeit aus, und die Sprache ist so mit dem Volke verwachsen, dass es ein vergebliches Bemühen seyn würde, genau abzusondern, wo sie bestimmend oder Bestimmung empfangend ist. Allein oder vorzüglich durch die Sprache also werden die grossen sich in der Menschengeschichte[237] bewegenden Einheiten bezeichnet. Unter ihnen aber giebt es wieder noch grössere, durch das natürliche Streben des Menschen gegebene, und in dem Entwicklungsgange der Menschheit nothwendige Verbindungen, und auch in diesen ist die Sprache von mehr oder minder grosser Bedeutung. Ich habe gleich im Anfang dieser Schrift (§. 4. 5.) des auf Einheit gerichteten Strebens der Menschheit und seines Verhältnisses zur Sprache erwähnt. Die Völkervereine, welche daraus entstehen, haben verschiedene Ursachen und wirken auf die Sprache in doppelter Art. Unter den wirkenden Ursachen steht die Religion an der Spitze; der Buddhismus, das Christenthum und die Mahumedanische Religion geben grosse Beispiele welthistorischer religiöser Vereine. Der Gottesdienst wählt sich oft eine eigne, alterthümliche oder fremde Sprache, wie die Alt-Slavische Liturgie der Russen und die lateinische der Römischen Kirche. Auch bei nicht civilisirten Völkern kommt dies vor, namentlich auf den Inseln der Südsee.46 Hier aber rede ich vorzüglich von der Verbreitung derselben Religion über mehrere Nationen und bei dieser besteht die Wirkung auf die Sprache hauptsächlich in dem Uebergange derselben Erzählungen, Ueberlieferungen und Ideen und der mehr oder weniger gleichen Geistesbildung. Sie äussert sich daher theils äusserlich in der religiösen und liturgischen Terminologie, theils innerlicher in dem Wortgehalte der Sprache überhaupt. Das ganze südwestliche Asien bietet einen fruchtbaren Stoff zu diesen Untersuchungen dar, da der grübelnde Tiefsinn der in ihm herrschenden Religion sich ganz eigenthümliche, von der natürlichen Denkweise abweichende Bahnen geöffnet hat. Die andre Art der oben[238] erwähnten zwiefachen Einwirkung auf die Sprache üben die durch sie selbst bewirkten Völkervereine aus. Eine Sprache verbreitet sich nämlich im gemeinsamen Verkehr als Hülfs- oder Nebensprache dergestalt über mehrere Nationen gänzlich verschiedner, dass in diesen nun jeder mehr oder weniger sich zwei verschiedener bedient. So entsteht für diese Sprache ausser ihrem natürlichen, geographischen Gebiet ein zweites zufälliges und historisches. Die Ursachen dieser für die Sprachkunde sehr wichtigen Erscheinung können verschiedener Natur seyn, zu allen wirkt aber unläugbar ein den Menschen natürlich inwohnender Hang mit, die Sprachverschiedenheit, welche sie trennt, auf irgend eine Weise auszugleichen. Denn diese Fälle sind gleich häufig unter civilisirten und uncivilisirten Nationen. Unter jenen darf ich nur an die Allgemeinheit der Französischen Sprache in Europa, der Englischen in Asien, der Spanischen in Amerika erinnern. In diesem letzteren Welttheil ist eine solche Verbreitung Einer Sprache über grosse Länderstriche verschiedener vorzüglich sichtbar. Längst vor der Eroberung zeigte sie sich an der Mexicanischen und Peruanischen Sprache, und gewiss auch aus alter Zeit stammt die grosse Verbreitung der Guaranischen in Süd-, der Delawarischen in Nord-Amerika her. In kleinerem Masse kehrt dieselbe Erscheinung bei mehreren Amerikanischen Sprachen, z.B. bei der Maipurischen wieder. Es findet sich überhaupt oft in Amerika, dass die Eingebornen mehrere einheimische Sprachen zugleich und mit gleicher Fertigkeit sprechen, was bei der grossen Zerspaltung in kleine Völkerstämme Bedürfniss wird, wozu aber auch eine gewisse Gleichförmigkeit des Baues aller Amerikanischen Sprachen grössere Leichtigkeit darbietet. Die Missionarien haben diesen Umstand und die Verbreitung einzelner Sprachen über mehrere Nationen häufig benutzt, um die grosse Anzahl verschiedener Sprachen für ihren Gebrauch auf eine kleinere zurückzubringen. Sie haben dadurch die Alleinherrschaft einiger befestigt, es ist aber offenbar irrig, sie als die Urheber derselben anzusehen. Das tiefe Eindringen der Arabischen Sprache in Afrika ist an der Hand der Religion,[239] aber der erobernden, sich gewaltsam eindrängenden gegangen, und hat dadurch wohl mehr auf die äussere Civilisation, als die innere Geistesbildung gewirkt. Eine gemeinschaftliche Sprache neben besonderen unterdrückt sehr häufig diese, oder stellt sie in den Schatten, sie bringt auch wohl verwirrende und verunreinigende Vermischungen hervor. Dies ist die äussere, gröbere Wirkung, die ich oben von der inneren, feineren unterschied. In anderen Fällen ist sie, wenigstens scheinbar, gleichgültig, die sich berührenden Sprachen nehmen gegenseitig nichts von einander an, und auch in dem Geiste der Sprechenden lässt ihr Zusammenwirken keine Spur zurück. Wo aber die Gemeinschaft unter hoch ausgebildeten und schon in jeder Art sprachverständigen Nationen Statt findet, ist sie von wichtigem innerem Einfluss. Es ist eine der treflichsten Uebungen für den Geist, wenn er das oft in einer Sprache Gedachte wieder in einer anderen vortragen muss. Der Gedanke wird dadurch unabhängiger von einer bestimmten Art des Ausdrucks, sein wahrer innerer Gehalt tritt deutlicher hervor, Tiefe und Klarheit, Stärke und Leichtigkeit begegnen einander harmonischer. Die Sprachen wirken da nicht geradezu auf einander ein, was immer bedenklich ist, sondern der Geist der Sprechenden wird durch den Gebrauch beider zu allgemeinerem und richtigerem Sprachgefühl, ja selbst Sprachbewusstseyn erhoben, und wirkt nun auf sie in ihrer Eigenthümlichkeit zurück. Es ist daher immer ein unverständiger Nationaleifer, der sich dem Gebrauch einer fremden Sprache widersetzt; der verständige tritt nicht feindlich entgegen, aber hegt, nährt und bewahrt um desto sorgsamer die eigne, um die Gemeinschaft und den Wetteifer beider vorzubereiten. Je mehr sich der gleichzeitige Gebrauch verschiedener Sprachen erweitert, je lebendiger die Gemeinschaft unter vielen wird, desto reicher ist der Gewinn für die Sprachen selbst, desto fruchtbarer ihr Einfluss auf das Denken und die Sprachfertigkeit. Selbst wo eine Zeitlang Vermischung und Verwirrung herrscht, schafft sich der ordnende Geist eine seiner würdige Form. Sind nicht die Lateinischen Töchtersprachen aus einer Periode roher[240] und ungrammatischer Barbarei hervorgegangen? Ueberhaupt leidet die Menschheit gewöhnlich nur an der Dürftigkeit, selten an der Unbezähmtheit des Stoffs. Für diese ist immer die einengende Kraft möglich. Auf ähnliche Weise, wie durch religiöse und Sprachgemeinschaft, können aus andren Ursachen Völkervereine entstehen. Gehen sie aber, wie häufig die politischen, tief in die National-Eigenthümlichkeit ein, so bilden sie mehr eine neue Nation, als sie nur verknüpfende Bande um mehrere schlingen. Das weiteste Streben nach Einheit liegt in der Allgemeinheit des Verkehrs, in der Verbreitung der Civilisation, in dem höheren Begriff der Menschlichkeit. Wie dies auf die Sprachkunde gewirkt hat, ist oben ausgeführt worden, es übt aber auch auf die Sprachen selbst einen mächtigen, äusseren und inneren Einfluss aus und wird durch ihre richtige und consequente Behandlung in seinen wesentlichsten Zwecken gefördert.

75. Es kann wunderbar scheinen, dass ich hier, wo ich von der Beziehung der Sprache auf die Vertheilung des Menschengeschlechts rede, zwei Stufen übersprungen habe, die man sonst sehr zu beachten pflegt, die der Familie und der Racen. Man hat sich gewöhnt, bei der Erklärung des Ursprungs der bürgerlichen Gesellschaft, so wie da, wo man den Entwicklungsgang der Menschheit bezeichnen will, zuerst bei dem Familienleben zu verweilen, und in ihm einen Uebergang zum Volke zu suchen. Es ist aber sehr zu befürchten, dass diese Vorstellungsart, für die keine Erfahrung Zeugniss ablegen kann, auch nicht einmal in der Idee richtig begründet sey. Wenn man das Familiendaseyn auf seinen wahren Begriff zurückführt, so ist es bloss ein vorübergehender, sich immerfort wiederholender Zustand, und kann kaum ohne Beimischung eines volksthümlichen gedacht werden. Wahrer Familienzustand ist nur da, wo die Glieder einer Familie noch unter der Gewalt eines gemeinschaftlichen Erzeugers stehn. Wo sie aus dieser heraustreten, oder dieselbe sich durch den Tod des Stammvaters löst, da hört das eigentliche Familienband auf. Verbrüderte Familien stehen entweder in keiner Verbindung oder in der eines[241] Volks. Denn die verknüpfenden Verhältnisse entspringen nicht mehr aus dem Recht eines Erzeugers, und dies, nicht die auch in der Nation vorhandene Gemeinschaft der Abstammung und Verwandtschaft bildet den Begriff der Familie in dem bestimmten Sinn, wo man ihn scharf dem des Volkes entgegensetzt. Sprachen kennen wir nun aber durchaus nicht im Munde einer einzigen Familie, und wo sich eine solche Erscheinung irgendwo fände, würde die Familie vermuthlich nur ein Ueberrest eines untergehenden Volksstammes seyn, die Sprache also diesem angehören. Entstände indess eine Sprache in der That in einer abgesondert lebenden Familie, so würde sich diese Erscheinung in nichts von der unterscheiden, wo sie in einem sehr wenig zahlreichen Volksstamm ihren Anfang nähme. Dass die Sprache nothwendig erst habe Familiensprache seyn und durch Zusammenrücken der Familien Volkssprache werden müssen, ist eine ganz leere, durch nichts begründete und auf nichts anzuwendende Voraussetzung. Dagegen ist es eine ernsthafte und wichtige Frage, ob eine solche Voraussetzung nur überhaupt denkbar, und eine Sprache anders, als unter einer solchen Mannigfaltigkeit von Individualitäten, als sich nur in einem nicht mehr durch die Bande blosser Familienverwandtschaft verbundenen Volke findet, möglich ist? Diese Frage lässt sich zwar nicht apodiktisch beantworten, wir aber kennen keinen andren Zustand der Sprache, als in einem Volke, und dürfen uns also nicht erlauben, über den Kreis dieser Erfahrung hinauszugehen. Insofern ist jene Frage für uns verneinend entschieden.

76. Etwas andres ist es, ob der Familienzustand im Volke und Staate Berücksichtigung in der Sprachkunde verdient? Allgemein ist dies zu verneinen. Es giebt aber einzelne Ausnahmen. So hatten die Incas in Peru eine eigne Familiensprache. Ein andres ähnliches Beispiel ist mir jedoch nicht bekannt. Es ist ungemein zu bedauern, dass auch Garcilasso de la Vega, der selbst ein Glied dieser Familie war, und dem wir eine so sorgfältige und ausführliche Schilderung der Peruanischen Verfassung und Sitten verdanken, so dürftige Nachrichten über diese Sprache giebt, dass es[242] durchaus nicht möglich ist, sich einen Begriff von ihrer Beschaffenheit oder ihrem Ursprung zu machen. Der Begriff der Familie war aber vermuthlich auch in ihr weniger wichtig, sondern sie fällt in die allgemeinere Kategorie der Mundarten oder Sprachen der vornehmeren Classen, die wir auch in andren Ländern, namentlich auf der Insel Java, antreffen, und von denen weiter unten die Rede seyn wird. Indess scheint sie noch mehr den Charakter einer geheimen Sprache gehabt zu haben, in welche nur diejenigen eingeweiht waren, die einmal selbst zur Herrschaft gelangen konnten. Vielleicht hieng sie auch mit dem Oberpriesterthum und der Religion zusammen. In allen diesen Beziehungen würde es gleich wichtig für die Geschichte und die Sprachkunde seyn, wenn sich ausmachen liesse, ob sie eine wirklich fremde, von der Familie, der sie eigenthümlich blieb, in das Land gebrachte und mit Fleiss nicht weiter verbreitete Sprache war, oder bloss eine aus besondrer Behandlung der allgemeinen Landessprache entstandene, entweder durch feinere Ausbildung und strengere Wahl der Ausdrücke, wie unsre Schriftsprache, oder durch unkenntlich machende Veränderung vermittelst veralteter oder ungebräuchlicher Wörter und Formen, oder endlich durch absichtliche Entstellung der Laute und Verdrehung der Bedeutungen. Denn wie sich diese auf sehr unedle Art in der Spanischen Zigeunersprache, dem deutschen Rothwelsch u.s.f. findet, so liesse sich auch eine edle bildliche Behandlung der gewöhnlichen Ausdrücke denken.

77. Dass die Sprachen nicht racen-, ja genau genommen nicht einmal nationenweise unter dem Menschengeschlechte vertheilt sind, und dass sich insofern nicht unbedingt von Gleichheit der Sprache auf Gleichheit der Abstammung schliessen lässt, leuchtet von selbst in die Augen. Geschichtliche Ereignisse können Nationen verschiedenen Stammes dieselben Sprachen, und umgekehrt mittheilen. Die Stammsprache weicht in diesen Fällen einer fremden durch nöthigende Umstände eingedrungenen.47 Eine schwierige und[243] wichtige Frage aber ist es, ob die racenartige körperliche Verschiedenheit des Menschengeschlechts, die, welchen Ursprung sie auch gehabt haben möge, sich jetzt ausschliesslich durch Abstammung fortpflanzt und verändert, einen Einfluss auf die Beschaffenheit und Bildung der Sprache ausübt, oder nicht? Vollkommen lässt sich zwar auch diese Frage nicht entscheiden, da der ursprüngliche Zustand durch so viele dazwischen getretene Ereignisse verändert seyn kann, dass der heutige dadurch völlig unbeweisend wird. Allein die innere Wahrscheinlichkeit und die jetzige Erfahrung sind durchaus gegen eine solche Annahme. Wie verschieden der Mensch in Grösse, Farbe, Körperbildung und Gesichtszügen seyn möge, so sind seine geistigen Anlagen dieselben. Die entgegengesetzte Behauptung ist durch vielfältige Erfahrung widerlegt, und wohl nie ernsthaft und aus unpartheiischer Ueberzeugung, sondern nur, bei Gelegenheit des Negerhandels, aus schnöder Gewinnsucht oder lächerlichem Farbenstolze gemacht worden. Die Sprache aber geht ganz aus der geistigen Natur des Menschen hervor. Selbst die Verschiedenheit der Sprachorgane, die man übrigens, soviel mir bekannt ist, nie von den Racen behauptet hat, könnte nur unwesentliche Eigenthümlichkeiten hervorbringen, da dasjenige, worauf die Articulation beruht, gleichfalls (§. 35. 36.) ganz intellectueller Natur ist. Die bestimmte nationelle Eigenthümlichkeit eines Hottentotten prägt sich gewiss auch in seiner Sprache aus, und da Alles im Menschen zusammenhängt, so hat auch die allgemeine Negernatur ihren, nur im Einzelnen nicht abzuscheidenden Antheil daran. Sollte aber die Race einen nothwendigen Eintheilungsgrund der Sprachen abgeben, so müssten die Sprachen der Völker Einer Race sich durch Gleichheit des Baues von denen einer andren unterscheiden, und dies ist durchaus nicht der Fall.

78. Am ersten könnte es von den Amerikanern behauptet werden, aus welchen man eine besondre Race zu bilden pflegt. Allein in diesem ganz abgeschlossenen Welttheil hat offenbar die intellectuel einwirkende Gemeinschaft der Nationen einen grösseren Einfluss auf die Aehnlichkeit des[244] Sprachbaues ausgeübt, als die von der Sprache so fern stehende Gleichheit der Farbe und des Körperbaues, gegen die sich ausserdem viele Einwendungen erheben lassen. Aber auch abgesehen davon, kenne ich keine, selbst unwesentliche Eigenthümlichkeit des Amerikanischen Sprachbaues, die allen Amerikanischen Sprachen, ohne Ausnahme, gemeinschaftlich wäre, oder sich nicht auch in Sprachen von Nationen anderer Racen wiederfände. Der doppelte Ausdruck für die 1. pers. plur. des Pronomen und Verbum, ja nachdem der Angeredete ein- oder ausgeschlossen wird, den man für ausschliesslich Amerikanisch gehalten hat, ist in der Mongolischen und Malaiischen Race anzutreffen, und die Verschiedenheit der Conjugation nach der vom Verbum regierten Person des Pronomen im Vaskischen, also bei einem Volke der sogenannten Kaukasischen Race, und unter den Negersprachen namentlich in der Kongoischen. Die Verbindung des Besitzpronomen mit dem Substantivum ist dem Koptischen und vielen Sprachen aller Racen eigen, und wenn ich von keinem Volke ausser Amerika erwähnt gefunden habe, dass diese Verbindung unauflösbar ist, so mag es nur nicht bemerkt worden seyn. Es ist übrigens dies weniger eine Eigenthümlichkeit der Sprache selbst, als eine Vorstellungsweise des Volks, auch in Amerika nicht allgemein, und kann auf keine Weise aus einem Racenunterschied abgeleitet werden. Was sich wirklich von den Amerikanischen Sprachen behaupten, aber auch aus der Abgeschiedenheit des Welttheils erklären lässt, ist, dass sich keine ganz abweichenden Baues unter ihnen findet. Unter den Negersprachen ist der Unterschied schon bedeutend grösser. Indem sie gewöhnlich die grammatischen Verhältnisse nur durch Affigirung bezeichnen, verändert die Kongoische oft in der Conjugation den Wurzellaut selbst, und die Akraische bildet den Tempusunterschied grösstentheils durch den Accent.48 Auch scheinen die Negersprachen[245] gar nicht so, wie die Amerikanischen, gewisse fast allen gemeinsame Eigenthümlichkeiten zu haben. Merkwürdig wäre es übrigens, wenn es sich bestätigte, dass ihnen allen der Dualis mangelt. Die auffallendsten Verschiedenheiten finden sich bei den Völkern der Kaukasischen und Mongolischen Race; bei jenen die sich sehr dem Amerikanischen Bau nähernde Vaskische neben so vielen Sanskritischen, bei diesen die Chinesische, deren Grammatik im Gegensatz mit allen übrigen Sprachen steht.

79. Aber auch in der physischen Naturgeschichte des Menschen ist die Eintheilung in Racen, von welchen jede mehrere, ganz verschiedenartige Nationen unter sich begreift, sehr vielen Zweifeln und Einwendungen ausgesetzt. Ohne den so sehr in die Augen fallenden Unterschied der Neger und Weissen wäre man wohl nie auf dieselbe gekommen. Da man diesen beobachtete, wollte man die Idee weiter durchführen. Meiner Ueberzeugung nach aber, hätte man, gerade umgekehrt, die Negern als eine einzelne besonders auffallend abweichende Menschenclasse, nicht aber als einen Typus ansehen sollen, dem man nun gleichartige über das ganze Menschengeschlecht gehende aufsuchen müsste. Es leuchtet in die Augen, dass die Eintheilung in drei, vier und fünf Racen nicht daraus entstanden ist, dass sich wirklich nur soviel sichtbare Unterschiede der Anschauung unwiderleglich darboten, sondern dass man von der Idee ausgieng, solche Classen zu bestimmen, und nun die Menschen, so gut es gelingen wollte, unter dieselben vertheilte. Hätte man einfach sich zuerst den Begriff der Race recht klar gemacht, und dann die Nationen der Erde mit einander verglichen,[246] so würde man nie auf eine geringe Zahl so weit verbreiteter Typen gekommen seyn.

Der eigentliche und ursprüngliche Begriff der Race liegt in demjenigen, was sich durch Abstammung mittheilt und erhält.49 So nennt man ein Pferd von Race, wenn sein Bau gleich daran erinnert, dass es eine unvermischte Reihe edler Voreltern gehabt hat. Wendet man den Begriff auf die Eintheilung von Geschöpfen an, so ist der Racenunterschied der Typus, den Geschöpfe ganz gleicher Art in verschiedener Heimath durch reine Abstammung fort erhalten, und bei gemischter in einer, dieser Mischung entsprechenden Veränderung wiedergeben. Allem Racenunterschied liegt also völlige Gleichheit der Gattung, ja der Art (species) zum Grunde. Daher passt er so vorzüglich auf den Menschen, von dem es durchaus nur Eine Art giebt, und keine Verschiedenheit auf mehr, als Eine, zu schliessen berechtigt. Auch trennt der gewöhnlichste Sprachgebrauch diese Begriffe sorgfältig. Unsre Rinder und der Auerochse sind verschiedene Arten, Schweizerische und Holsteinische Kühe verschiedene Racen. Indess schwanken hier die Gränzen in einander. Denn die Arten vermischen sich fruchtbar, und es liegt ihnen ein gemeinsamer Typus zum Grunde. Ein zweites charakteristisches Kennzeichen des Racenunterschiedes ist die Verschiedenheit des ursprünglichen Wohnsitzes. Dass abweichende Racen unter den Einflüssen des nämlichen Wohnsitzes entständen, lässt sich nicht annehmen, und es gehört zu den Bedingnissen der Erdengeschöpfe, dass man sich jedes, wie wandernd es werden möge, von einer Heimath abhängig denkt. Der Mensch überhaupt erinnert an seine Heimath, die Erde, und jeder einzelne an seine besondre.[247]

Sucht man nun nach diesen Bestimmungen die vorhandenen Menschenracen auf, und sieht man dabei auf die ganze physische Beschaffenheit, den Typus im Allgemeinen, so entdecke ich keine irgend haltbare Gränze, durch die man Racenunterschied von Nationalunterschied deutlich absondern könnte. Nimmt man Nation bloss im physischen, von allen politischen Begriffen getrennten Sinne, so giebt es einen Nationalhabitus, der sich durch Abstammung fortpflanzt und durch Mischung verändert. Warum sollte man diesen nun nicht Racenunterschied nennen? Man könnte zwar diesen letzteren auf den durch körperliche Ursachen bewirkten beschränken, und den Nationaltypus allgemeiner mit Hinsicht auf Verfassung, Cultur und alle andren intellectuellen Einflüsse nehmen. Wie aber ist es möglich, dies im Einzelnen zu unterscheiden? Zwar hat man bei der Eintheilung in Racen eine mehr umfassende, weniger Classen bildende zur Absicht gehabt, und allerdings lassen sich kleinere Verschiedenheiten, als allgemeine Aehnlichkeiten, grösseren entgegensetzen. Dadurch aber wird diese Eintheilung zu einer bloss ideellen eines Systems, von dem sich niemals alle Willkührlichkeit trennen lässt. Es giebt in diesem Verstande keine Racen unter den Menschen, sondern die Menschen lassen sich, ihren Verschiedenheiten nach, unter gewisse Racen bringen. Man denkt es sich freilich anders, und begreift unter Race verschiedne, aber näher mit einander verwandte Nationen zusammen, die man als von Einem Stamm herkommend ansieht. Allein diese Verwandtschaftsgrade am körperlichen Habitus mit irgend einiger Sicherheit zu unterscheiden, dürfte wohl immer ein vergebliches Bemühen bleiben, und da das Menschengeschlecht doch ein Ganzes ausmacht, müssen auch die Racen wieder mit einander verwandt seyn. Man kommt also auf diesem Wege nicht zu einem festen Begriff, sondern zu stufenweis näherer und entfernterer Verwandtschaft.

Ein Unterschied zwar scheint zu einer allgemeinen Eintheilung zu berechtigen. Es ist der der Hautfarbe, da offenbar ganz verschiedene Nationen constant dieselbe haben und bei Mischungen die Abschattungen sich, wie eine Farbenleiter[248] berechnen lassen. Er ist unverkennbar der einzige haltbare Eintheilungsgrund des äusseren Typus des Menschgeschlechts. Dagegen lässt sich eher bezweifeln, ob er in irgend einer Rücksicht ein an Folgerungen fruchtbarer sey? Der Zusammenhang der Farbe mit der Organisation ist überhaupt noch nicht mit hinlänglicher Genauigkeit erörtert. Die Säugethiere sind auf eine geringere Zahl von Farben beschränkt, als die Fische und Vögel, und unter ihnen auf die kleinste der Mensch. Bei den Vögeln steht die Schönheit der Farben mit der Geschlechtsentwicklung und der Stimme in Verbindung. Die Menschen werden nicht, wie einige Thiergattungen, zufällig mit verschiednen Farben geboren, sondern immer mit derselben, ihrer Abstammung entsprechenden. Die abweichenden Fälle sind krankhafte Ausnahmen. Doch ist dies hier und da auch Thiergattungen eigen. In Italien erkennt man die einheimischen Rinder an der weissen, die Schweizerischer Abkunft an der braunrothen Farbe.

Aber auch in der menschlichen Hautfarbe sind doch nur Schwarz und Weiss die bestimmten Unterschiede. Vielleicht noch das Amerikanische Kupferroth. Was sonst gebräunte Farbe ist, dürfte schwerlich scharfe Abgränzung erlauben. Ob nun die weisse oder schwarze Farbe die ursprüngliche ist, ob die schwarzen Menschen unter Umständen schwarz geworden, oder von dem ganzen ursprünglich schwarzen Geschlecht ein Theil mehr oder weniger gebleicht ist, wer will dies entscheiden? Wer entscheidet überhaupt, ob die Menschen an einem einzigen Punkte der Erde, oder an mehreren zugleich entstanden sind? Man mag das Schaffen als wiederholte unmittelbare Willensacte, oder als das Setzen Einer sich selbst entwickelnden Naturkraft betrachten, so sprechen gleichviel Gründe für die eine und die andre Annahme. Das aber lässt sich mit unumstösslicher Gewissheit behaupten, dass, wenn man den Menschen in seinen höchsten Beziehungen auf Intellectualität und Empfindung, Dichtung und Kunst nimmt, die weisse Farbe allein die seinem Geschlechte bestimmte seyn kann; nicht weil sie die schönste ist, denn dies ist Geschmackssache, aber weil ihre Klarheit[249] und Durchsichtigkeit jeden leisesten Ausdruck erlaubt, und weil sie Mischungen und Nuancen zulässt, da das Schwarz vielmehr ein Aufhören aller Farbe ist.

Unter den schwarzen Menschen giebt es aber nicht nur physiognomische, racenartige Unterschiede, sondern auch Nuancen der Schwärze. Eine besondere Classe bilden die eigentlichen Negern mit wollig krausem Haar, der abgeplatteten Gesichtsbildung, und der eigen anzufassenden Haut. Dies ist also ein besonderer Typus, der aber gerade deswegen gar nicht zu der Forderung berechtigt, andre solche ähnliche Typen im Menschengeschlecht finden zu wollen.

Wendet man nun das hier Gesagte auf die Sprachen an, so ergiebt sich von selbst:

1. dass, wenn der Racenunterschied mit der Nationalität, insofern sie auf reiner Abstammung beruht, zusammenfällt, die Sprachen von demselben entweder ganz, oder insoweit abhängig sind, als nicht Mischungen, Culturverhältnisse und geschichtliche Ereignisse darin Abänderungen hervorgebracht haben;

2. dass, wenn die Raceneintheilung bloss Classification eines wissenschaftlichen Systems ist, die Sprachen insoweit damit in Verbindung stehen, als man bei Bildung dieses Systems auch auf sie Rücksicht genommen hat;

3. dass, wenn bei der Classification in Racen die Hautfarbe zum Eintheilungsgrunde genommen wird, die Sprachen damit durchaus in keiner irgend erkennbaren Berührung stehen.50[250]

80. Alles concentrirt sich daher für die Sprache in dem einzigen Begriff der Nation in dem oben festgestellten Sinne desselben. Die Sprachkunde hat aber nun das doppelte Verhältniss in Betrachtung zu ziehen, wie (§. 81-100.) jede besondre Sprache sich über die verschiedenartigen Individualitaeten, welche eine Nation in sich fasst, verbreitet? und wie (§. 101-155.) die allgemeine menschliche Sprache, die an sich nur in der Gleichartigkeit aller einzelnen erscheint, sich in der Verschiedenheit der Nationen in besondre vertheilt?

Quelle:
Wilhelm von Humboldt: Werke in fünf Bänden. Band 3, Darmstadt 1963, S. 230-251.
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