1. Einteilung aller möglichen Beweisgründe vom Dasein Gottes

[729] Die Überzeugung von der großen Wahrheit, es ist ein Gott, wenn sie den höchsten Grad mathematischer Gewißheit haben soll, hat dieses Eigne: daß sie nur durch einen einzigen Weg kann erlangt werden, und gibt dieser Betrachtung den Vorzug, daß die philosophische Bemühungen sich bei einem einzigen Beweisgrunde vereinigen müssen, um die Fehler, die in der Ausführung desselben möchten eingelaufen sein, vielmehr zu verbessern als ihn zu verwerfen, so bald man überzeugt ist, daß keine Wahl unter mehr dergleichen möglich sei.

Um dieses darzutun, so erinnere ich, daß man die Foderung nicht aus den Augen verlieren müsse, welche eigentlich zu erfüllen ist: nämlich nicht das Dasein einer sehr großen und sehr vollkommenen ersten Ursache, sondern des allerhöchsten Wesens, nicht die Existenz von einem oder mehreren derselben, sondern von einem einzigen, und dieses nicht durch große Gründe der Wahrscheinlichkeit, sondern mit mathematischer Evidenz zu beweisen.

Alle Beweisgründe vor das Dasein Gottes können nur entweder aus den Verstandsbegriffen des bloß Möglichen, oder aus dem Erfahrungsbegriffe des Existierenden, hergenommen werden. In dem ersteren Falle wird entweder von dem Möglichen als einem Grunde auf das Dasein Gottes als eine Folge, oder aus dem Möglichen als einer Folge auf die göttliche Existenz als einen Grund geschlossen. Im zweiten Falle wird wiederum entweder aus demjenigen dessen Dasein wir erfahren bloß auf die Existenz einer ersten und unabhängigen Ursache, vermittelst der Zergliederung[729] dieses Begriffs aber auf die göttliche Eigenschaften derselben geschlossen, oder es werden aus dem was die Erfahrung lehrt so wohl das Dasein als auch die Eigenschaften desselben unmittelbar gefolgert.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977, S. 729-730.
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Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseyns Gottes
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