3. Prüfung der Beweisgründe der zweiten Art

[732] Der Beweis, da man aus den Erfahrungsbegriffen von dem was da ist auf die Existenz einer ersten und unabhängigen Ursache nach den Regeln der Kausalschlüsse, aus dieser aber durch logische Zergliederung des Begriffes auf die Eigenschaften derselben, welche eine Gottheit bezeichnen, kommen will, ist berühmt und vornehmlich durch die Schule der Wolffischen Philosophen sehr in Ansehen gebracht worden, allein er ist gleichwohl ganz unmöglich. Ich räume ein, daß bis zu dem Satze: wenn etwas da ist, so existiert auch etwas, was von keinem andern Dinge abhängt, alles regelmäßig gefolgert sei, ich gebe also zu, daß das Dasein irgend einer oder mehrer Dinge, die weiter keine Wirkungen von einem andern sein, wohl erwiesen darliege. Nun ist der zweite Schritt zu dem Satze: daß dieses unabhängige Ding schlechterdings notwendig sei, schon viel weniger zuverlässig, da er vermittelst des Satzes vom zureichenden Grunde, der noch immer angefochten wird, geführt werden muß; allein ich trage kein Bedenken, auch bis so weit alles zu unterschreiben. Es existieret demnach etwas schlechterdings notwendiger Weise. Aus diesem Begriffe des absolut notwendigen Wesens sollen nun seine Eigenschaften der höchsten Vollkommenheit und Einheit hergeleitet werden. Der Begriff der absoluten Notwendigkeit aber, der hier zum Grunde liegt, kann auf zwiefache Art genommen werden, wie in der ersten Abteilung gezeigt ist. In der ersten Art, da sie die logische Notwendigkeit von uns genannt worden, müßte gezeigt werden: daß das Gegenteil desjenigen Dinges sich selbst widerspreche, in welchem alle Vollkommenheit oder Realität anzutreffen, und also dasjenige Wesen einzig und allein schlechterdings notwendig im Dasein sei, dessen Prädikate alle wahrhaftig bejahend sind. Und da aus eben derselben durchgängigen Vereinbarung aller Realität in einem Wesen soll geschlossen werden daß es ein einziges sei, so ist klar, daß die Zergliederung[732] der Begriffe des Notwendigen auf solchen Gründen beruhen werde, nach denen ich auch umgekehrt müsse schließen können: worin alle Realität ist, das existiert notwendiger Weise. Nun ist nicht allein diese Schlußart nach der vorigen Nummer unmöglich, sondern es ist insonderheit merkwürdig, daß auf diese Art der Beweis gar nicht auf den Erfahrungsbegriff, der ganz, ohne ihn zu brauchen, voraus gesetzt ist, erbauet wird, sondern eben so wie der Kartesianische lediglich aus Begriffen, in welchen man in der Identität oder dem Widerstreit der Prädikate das Dasein eines Wesens zu finden vermeinet.13

Es ist meine Absicht nicht, die Beweise selber zu zergliedern, die man dieser Methode gemäß bei verschiedenen antrifft. Es ist leicht, ihre Fehlschlüsse aufzudecken, und dieses ist auch schon zum Teil von andern geschehen. Indessen da man gleichwohl noch immer hoffen könnte, daß ihrem Fehler durch einige Verbesserungen abzuhelfen sei, so ersieht man aus unserer Betrachtung, daß, es mag auch aus ihnen werden was da wolle, sie doch niemals etwas anders als Schlüsse aus Begriffen möglicher Dinge, nicht aber aus Erfahrung werden können, und also allenfalls den Beweisen der ersten Art beizuzählen sein.

Was nun den zweiten Beweis von derjenigen Art anlanget, da aus Erfahrungsbegriffen von existierenden Dingen auf das Dasein Gottes, und zugleich seine Eigenschaften geschlossen wird, so verhält es sich hiemit ganz anders. Dieser Beweis ist nicht allein möglich, sondern auch auf alle Weise würdig, durch vereinigte Bemühungen zur gehörigen Vollkommenheit gebracht zu werden. Die Dinge der Welt, welche sich unsern Sinnen offenbaren, zeigen so wohl deutliche[733] Merkmale ihrer Zufälligkeit, als auch durch die Größe, die Ordnung und zweckmäßige Anstalten, die man allenthalben gewahr wird, Beweistümer eines vernünftigen Urhebers von großer Weisheit, Macht und Güte. Die große Einheit in einem so weitläuftigen Ganzen läßt abnehmen, daß nur ein einziger Urheber aller dieser Dinge sei, und wenn gleich in allen diesen Schlüssen keine geometrische Strenge hervorblickt, so enthalten sie doch unstrittig so viel Nachdruck, daß sie einen jeden Vernünftigen nach Regeln, die der natürliche gesunde Verstand befolgt, keinen Augenblick hierüber im Zweifel lassen.

13

Dieses ist das Vornehmste, worauf ich hier ausgehe. Wenn ich die Notwendigkeit eines Begriffes darin setze, daß sich das Gegenteil widerspricht, und alsdenn behaupte, das Unendliche sei so beschaffen, so war es ganz unnötig, die Existenz des notwendigen Wesens voraus zu setzen, indem sie schon aus dem Begriffe des Unendlichen folgt. Ja jene vorangeschickte Existenz ist in dem Beweise selbst völlig müßig. Denn da in dem Fortgang desselben der Begriff der Notwendigkeit und Unendlichkeit als Wechselbegriffe angesehen werden, so wird wirklich darum aus der Existenz des Notwendigen auf die Unendlichkeit geschlossen, weil das Unendliche (und zwar allein) notwendig existiert.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977, S. 732-734.
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