4. Es sind überhaupt nur zwei Beweise vom Dasein Gottes möglich

[734] Aus allen diesen Beurteilungen ist zu ersehen: daß, wenn man aus Begriffen möglicher Dinge schließen will, kein ander Argument vor das Dasein Gottes möglich sei, als dasjenige, wo selbst die innere Möglichkeit aller Dinge als etwas angesehen wird, was irgend ein Dasein voraussetzt, wie es von uns in der ersten Abteilung dieses Werks geschehen ist. Imgleichen erhellet: daß, wenn von dem, was uns Erfahrung von existierenden Dingen lehrt, der Schluß zu eben derselben Wahrheit soll hinauf steigen, der Beweis nur durch die in den Dingen der Welt wahrgenommene Eigenschaften und die zufällige Anordnung des Weltganzen auf das Dasein so wohl als auch die Beschaffenheit der obersten Ursache kann geführt werden. Man erlaube mir, daß ich den ersten Beweis den ontologischen den zweiten aber den kosmologischen nenne.

Dieser kosmologische Beweis ist, wie mich dünkt, so alt wie die menschliche Vernunft. Er ist so natürlich, so einnehmend und erweitert sein Nachdenken auch so sehr mit dem Fortgang unserer Einsichten, daß er so lange dauren muß, als es irgend ein vernünftig Geschöpf geben wird, welches an der edlen Betrachtung Teil zu nehmen wünscht, Gott aus seinen Werken zu erkennen. Derhams, Nieuwentyts und vieler anderer Bemühungen haben der menschlichen Vernunft in dieser Absicht Ehre gemacht, obgleich[734] bisweilen viel Eitelkeit mit untergelaufen ist, allerlei physischen Einsichten oder auch Hirngespinsten durch die Losung des Religionseifers ein ehrwürdig Ansehen zu geben. Bei aller dieser Vortrefflichkeit ist diese Beweisart doch immer der mathematischen Gewißheit und Genauigkeit unfähig. Man wird jederzeit nur auf irgend einen unbegreiflich großen Urheber desjenigen Ganzen, was sich unsern Sinnen darbietet, schließen können, nicht aber auf das Dasein des vollkommensten unter allen möglichen Wesen. Es wird die größte Wahrscheinlichkeit von der Welt sein: daß nur ein einiger erster Urheber sei, allein dieser Überzeugung wird viel an der Ausführlichkeit, die der frechsten Zweifelsucht trotzt, ermangeln. Das macht: wir können nicht auf mehr oder größere Eigenschaften in der Ursache schließen, als wir gerade nötig finden, um den Grad und Beschaffenheit der Wirkungen daraus zu verstehen; wenn wir nämlich von dem Dasein dieser Ursache keinen andern Anlaß zu urteilen haben, als den, so uns die Wirkungen geben. Nun erkennen wir viel Vollkommenheit, Größe und Ordnung in der Welt, und können daraus nichts mehr mit logischer Schärfe schließen, als daß die Ursache derselben viel Verstand, Macht und Güte besitzen müsse, keinesweges aber, daß sie alles wisse, vermöge etc. etc. Es ist ein unermeßliches Ganze, in welchem wir Einheit und durchgängige Verknüpfung wahrnehmen, und wir können mit großem Grunde daraus ermessen, daß ein einiger Urheber desselben sei. Allein wir müssen uns bescheiden, daß wir nicht alles Erschaffene kennen, und daher urteilen, daß, was uns bekannt ist, nur einen Urheber blicken lasse, woraus wir vermuten, was uns auch nicht bekannt ist, werde eben so bewandt sein; welches zwar sehr vernünftig gedacht ist, aber nicht strenge schließt.

Dagegen, wofern wir uns nicht zu sehr schmeicheln, so scheinet unser entworfene ontologische Beweis derjenigen Schärfe fähig zu sein, die man in einer Demonstration fodert. Indessen wenn die Frage wäre, welcher denn überhaupt unter beiden der beste sei, so würde man antworten:[735] so bald es auf logische Genauigkeit und Vollständigkeit ankommt, so ist es der ontologische, verlangt man aber Faßlichkeit vor den gemeinen richtigen Begriff, Lebhaftigkeit des Eindrucks, Schönheit und Bewegkraft auf die moralische Triebfedern der menschlichen Natur, so ist dem kosmologischen Beweise der Vorzug zuzugestehen. Und da es ohne Zweifel von mehr Erheblichkeit ist, den Menschen mit hohen Empfindungen, die fruchtbar an edler Tätigkeit sein, zu beleben, indem man zugleich den gesunden Verstand überzeugt, als mit sorgfältig abgewogenen Vernunftschlüssen zu unterweisen, dadurch, daß der feinern Spekulation ein Gnüge getan wird, so ist, wenn man aufrichtig verfahren will, dem bekannten kosmologischen Beweise der Vorzug der allgemeinern Nutzbarkeit nicht abzusprechen.

Es ist demnach kein schmeichlerischer Kunstgriff, der um fremden Beifall buhlet, sondern Aufrichtigkeit, wenn ich einer solchen Ausführung der wichtigen Erkenntnis von Gott und seinen Eigenschaften, als Reimarus in seinem Buche von der natürlichen Religion liefert, den Vorzug der Nutzbarkeit gerne einräume, über einen jeden andern Beweis, in welchem mehr auf logische Schärfe gesehen worden, und über den meinigen. Denn ohne den Wert dieser und anderer Schriften dieses Mannes in Erwägung zu ziehen, der hauptsächlich in einem ungekünstelten Gebrauche einer gesunden und schönen Vernunft besteht, so haben dergleichen Gründe wirklich eine große Beweiskraft und erregen mehr Anschauung als die logisch abgezogene Begriffe, obgleich die letztere den Gegenstand genauer zu verstehen geben.

Gleichwohl da ein forschender Verstand, wenn er einmal auf die Spur der Untersuchung geraten ist, nicht eher befriedigt wird, als bis alles um ihn licht ist und bis sich, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Zirkel, der seine Frage umgrenzt, völlig schließt, so wird niemand eine Bemühung, die wie die gegenwärtige auf die logische Genauigkeit in einem so sehr wichtigen Erkenntnisse verwandt ist, vor unnütz und überflüssig halten, vornehmlich weil es viele Fälle gibt, da ohne solche Sorgfalt die Anwendung seiner Begriffe unsicher und zweifelhaft bleiben würde.[736]

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977, S. 734-737.
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