Zweite Betrachtung.
Von der innern Möglichkeit in so fern sie ein Dasein voraussetzet
1. Nötige Unterscheidung bei dem Begriffe der Möglichkeit

[637] Alles, was in sich selbst widersprechend ist, ist innerlich unmöglich. Dieses ist ein wahrer Satz, wenn man es gleich dahin gestellt sein lässet, daß es eine wahre Erklärung sei. Bei diesem Widerspruche aber ist klar, daß etwas mit etwas im logischen Widerstreit stehen müsse, das ist, dasjenige verneinen müsse, was in eben demselben zugleich bejahet ist. Selbst nach dem Herren Crusius, der diesen Streit nicht bloß in einem innern Widerspruche setzet, sondern behauptet, daß er überhaupt durch den Verstand nach einem ihm natürlichen Gesetze wahrgenommen werde, ist im Unmöglichen allemal eine Verknüpfung mit etwas, was gesetzt, und etwas, wodurch es zugleich aufgehoben wird. Diese Repugnanz nenne ich das Formale der Undenklichkeit oder Unmöglichkeit; das Materiale, was hiebei gegeben ist, und welches in solchem Streite stehet, ist an sich selber etwas und kann gedacht werden. Ein Triangel, der viereckicht wäre, ist schlechterdings unmöglich. Indessen ist gleichwohl ein Triangel, imgleichen etwas Viereckichtes an sich selber etwas. Diese Unmöglichkeit beruhet lediglich auf logischen Beziehungen von einem Denklichen zum andern, da eins nur nicht ein Merkmal des andern sein kann. Eben so muß in jeder Möglichkeit das Etwas, was gedacht wird, und denn die Übereinstimmung desjenigen, was in ihm zugleich gedacht wird, mit dem Satze des Widerspruchs, unterschieden werden. Ein Triangel, der einen rechten Winkel hat, ist an sich selber möglich. Der Triangel so wohl, als die rechten Winkel sind die Data oder das Materiale in diesem Möglichen, die Übereinstimmung aber des einen mit dem andern nach dem Satze des Widerspruchs sind das Formale der Möglichkeit. Ich werde dieses letztere auch das Logische[637] in der Möglichkeit nennen, weil die Vergleichung der Prädikate mit ihren Subjekten nach der Regel der Wahrheit nichts anders als eine logische Beziehung ist, das Etwas, oder was in dieser Übereinstimmung steht, wird bisweilen das Reale der Möglichkeit heißen. Übrigens bemerke ich, daß hier jederzeit von keiner andern Möglichkeit oder Unmöglichkeit, als der innern oder schlechterdings und absolute so genannten die Rede sein wird.




2. Die innere Möglichkeit aller Dinge setzt irgend ein Dasein voraus

Es ist aus dem anjetzt Angeführten deutlich zu ersehen, daß die Möglichkeit wegfalle, nicht allein wenn ein innerer Widerspruch als das Logische der Unmöglichkeit anzutreffen, sondern auch wenn kein Materiale, kein Datum zu denken da ist. Denn alsdenn ist nichts Denkliches gegeben, alles Mögliche aber ist etwas was gedacht werden kann, und dem die logische Beziehung, gemäß dem Satze des Widerspruchs zukommt.

Wenn nun alles Dasein aufgehoben wird, so ist nichts schlechthin gesetzt, es ist überhaupt gar nichts gegeben, kein Materiale zu irgend etwas Denklichen, und alle Möglichkeit fällt gänzlich weg. Es ist zwar kein innerer Widerspruch in der Verneinung aller Existenz. Denn da hiezu erfodert würde, daß etwas gesetzt und zugleich aufgehoben werden müßte, hier aber überall nichts gesetzt ist, so kann man freilich nicht sagen, daß diese Aufhebung einen innern Widerspruch enthalte. Allein, daß irgend eine Möglichkeit sei und doch gar nichts Wirkliches, das widerspricht sich, weil, wenn nichts existiert, auch nichts gegeben ist, das da denklich wäre, und man sich selbst widerstreitet, wenn man gleichwohl will, daß etwas möglich sei. Wir haben in der Zergliederung des Begriffs vom Dasein verstanden, daß das Sein oder schlechthin gesetzt sein, wenn man diese Worte dazu nicht braucht, logische Beziehungen der Prädikate zu Subjekten auszudrücken, ganz genau einerlei mit dem Dasein bedeute. Demnach zu sagen: es existiert nichts, heißt eben so viel, als:[638] es ist ganz und gar nichts; und es widerspricht sich offenbar, dessen ungeachtet hinzuzufügen, es sei etwas möglich.


3. Es ist schlechterdings unmöglich, daß gar nichts existiere

Wodurch alle Möglichkeit überhaupt aufgehoben wird, das ist schlechterdings unmöglich. Denn dieses sind gleichbedeutende Ausdrücke. Nun wird erstlich durch das, was sich selbst widerspricht, das Formale aller Möglichkeit, nämlich die Übereinstimmung mit dem Satze des Widerspruchs aufgehoben, daher ist, was in sich selbst widersprechend ist, schlechterdings unmöglich. Dieses ist aber nicht der Fall, in dem wir die gänzliche Beraubung alles Daseins zu betrachten haben. Denn darin liegt, wie erwiesen ist, kein innerer Widerspruch. Allein wodurch das Materiale und die Data zu allem Möglichen aufgehoben werden, dadurch wird auch alle Möglichkeit verneinet. Nun geschieht dieses durch die Aufhebung alles Daseins, also wenn alles Dasein verneinet wird, so wird auch alle Möglichkeit aufgehoben. Mithin ist schlechterdings unmöglich, daß gar nichts existiere.


4. Alle Möglichkeit ist in irgend etwas Wirklichen gegeben, entweder in demselben als eine Bestimmung, oder durch dasselbe als eine Folge

Es ist von aller Möglichkeit insgesamt und von jeder insonderheit darzutun, daß sie etwas Wirkliches, es sei nun ein Ding oder mehrere, voraussetze. Diese Beziehung aller Möglichkeit auf irgend ein Dasein kann nun zwiefach sein. Entweder das Mögliche ist nur denklich, in so fern es selber wirklich ist, und denn ist die Möglichkeit in dem Wirklichen, als eine Bestimmung gegeben; oder es ist möglich darum, weil etwas anders wirklich ist, d.i. seine innere Möglichkeit ist als eine Folge durch ein ander Dasein gegeben. Die erläuternde Beispiele können noch nicht füglich hier herbei geschafft werden. Die Natur desjenigen Subjekts, welches[639] das einzige ist, das zu einem Beispiele in dieser Betrachtung dienen kann, soll allererst erwogen werden. Indessen bemerke ich nur noch, daß ich dasjenige Wirkliche, durch welches als einen Grund die innere Möglichkeit anderer gegeben ist, den ersten Real-Grund dieser absoluten Möglichkeit nennen werde, so wie der Satz des Widerspruchs der erste logische Grund derselben ist, weil in der Übereinstimmung mit ihm das Formale der Möglichkeit liegt, so wie jenes die Data und das Materiale im Denklichen liefert.

Ich begreife wohl, daß Sätze von derjenigen Art, als in dieser Betrachtung vorgetragen werden, noch mancher Erläuterung bedürftig sein, um dasjenige Licht zu bekommen, das zur Augenscheinlichkeit erfodert wird. Indessen legt die so sehr abgezogene Natur des Gegenstandes selbst aller Bemühung der größeren Aufklärung Hindernisse, so wie die mikroskopischen Kunstgriffe des Sehens zwar das Bild des Gegenstandes bis zur Unterscheidung sehr kleiner Teile erweitern, aber auch in demselben Maße die Helligkeit und Lebhaftigkeit des Eindrucks vermindern. Gleichwohl will ich so viel als ich vermag den Gedanken von dem selbst bei der innren Möglichkeit jederzeit zum Grunde liegenden Dasein in eine etwas größere Naheit zu den gemeinern Begriffen eines gesunden Verstandes zu bringen suchen.

Ihr erkennet, daß ein feuriger Körper, ein listiger Mensch oder dergleichen etwas möglich sein, und wenn ich nichts mehr als die innere Möglichkeit verlange, so werdet ihr gar nicht nötig finden, daß ein Körper oder Feuer u.s.w. als die Data hiezu existieren müssen, denn sie sind einmal denklich, und das ist genug. Die Zustimmung aber des Prädikats feurig mit dem Subjekte Körper nach dem Grunde des Widerspruchs liegt in diesen Begriffen selber, sie mögen wirkliche oder bloß mögliche Dinge sein. Ich räume auch ein, daß weder Körper noch Feuer wirkliche Dinge sein dörfen, und gleichwohl ein feuriger Körper innerlich möglich sei. Allein ich fahre fort zu fragen, ist denn ein Körper selber an sich möglich? Ihr werdet mir, weil ihr hier euch nicht auf Erfahrung berufen müsset, die Data zu seiner Möglichkeit,[640] nämlich Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Kraft und wer weiß was mehr herzählen und dazu setzen, daß darin kein innerer Widerstreit sei. Ich räume noch alles ein, allein ihr müßt mir Rechenschaft geben, weswegen ihr den Begriff der Ausdehnung als ein Datum so gerade anzunehmen Recht habt, denn gesetzt, er bedeute nichts, so ist eure davor ausgegebene Möglichkeit des Körpers ein Blendwerk. Es wäre auch sehr unrichtig, sich auf die Erfahrung wegen dieses Dati zu berufen, denn es ist jetzt eben die Frage, ob eine innere Möglichkeit des feurigen Körpers statt findet, wenn gleich gar nichts existiert. Gesetzt daß ihr anjetzt nicht mehr den Begriff der Ausdehnung in einfachere Data zerfällen könnt, um anzuzeigen, daß in ihm nichts Widerstreitendes sei, wie ihr denn notwendig zuletzt auf etwas, dessen Möglichkeit nicht zergliedert werden kann, kommen müßt, so ist alsdenn hier die Frage, ob Raum oder Ausdehnung leere Wörter sind, oder ob sie etwas bezeichnen. Der Mangel des Widerspruchs macht es hier nicht aus; ein leeres Wort bezeichnet niemals etwas Widersprechendes. Wenn nicht der Raum existiert, oder wenigstens durch etwas Existierendem gegeben ist als eine Folge, so bedeutet das Wort Raum gar nichts. So lange ihr noch die Möglichkeiten durch den Satz des Widerspruchs bewähret, so fußet ihr euch auf dasjenige, was euch in dem Dinge Denkliches gegeben ist, und betrachtet nur die Verknüpfung nach dieser logischen Regel, aber am Ende, wenn ihr bedenket, wie euch denn dieses gegeben sei, könnt ihr euch nimmer worauf anders, als auf ein Dasein berufen.

Allein wir wollen den Fortgang dieser Betrachtungen abwarten. Die Anwendung selber wird einen Begriff faßlicher machen, den, ohne sich selbst zu übersteigen, man kaum vor sich allein deutlich machen kann, weil er von dem ersten, was beim Denklichen zum Grunde liegt, selber handelt.[641]

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977, S. 637-642.
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