Vierte Betrachtung.
Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes
1. Das notwendige Wesen ist ein Geist

[649] Es ist oben bewiesen, daß das notwendige Wesen eine einfache Substanz sei, imgleichen, daß nicht allein alle andere Realität durch dasselbe, als einen Grund gegeben sei, sondern auch die größest mögliche, die in einem Wesen als Bestimmung kann enthalten sein, ihm beiwohne. Nun können verschiedene Beweise geführt werden, daß hiezu auch die Eigenschaften des Verstandes und Willens gehören. Denn erstlich, beides ist wahre Realität und beides kann mit der größest möglichen in einem Dinge beisammen bestehn, welches letztere man durch ein unmittelbares Urteil des Verstandes einzuräumen sich gedrungen sieht, ob es zwar nicht füglich zu derjenigen Deutlichkeit gebracht werden kann, welche logisch vollkommene Beweise erfodern.

Zweitens sind die Eigenschaften eines Geistes, Verstand und Willen, von der Art, daß wir uns keine Realität denken können, die, in Ermangelung derselben, einem Wesen eine Ersetzung tun könnte, welche dem Abgang derselben gleich wäre. Und da diese Eigenschaften also diejenige sind, welche der höchsten Grade der Realität fähig sein, gleichwohl aber unter die möglichen gehören, so müßte durch das notwendige Wesen, als einen Grund, Verstand und Wille, und alle Realität der geistigen Natur an andern möglich sein, die gleichwohl in ihm selbst nicht als eine Bestimmung angetroffen würde. Es würde demnach die Folge größer sein als selbst der Grund. Denn es ist gewiß, daß, wenn das höchste[649] Wesen nicht selbst Verstand und Willen hat, ein jedes andere, welches durch ihn mit diesen Eigenschaften gesetzt werde, ohnerachtet es abhängend wäre, und mancherlei andere Mängel der Macht u.s.w. hätte, gleichwohl in Ansehung dieser Eigenschaften von der höchsten Art jenem in Realität vorgehen müßte. Weil nun die Folge den Grund nicht übertreffen kann, so müssen Verstand und Wille der notwendigen einfachen Substanz als Eigenschaften beiwohnen, das ist, sie ist ein Geist.

Drittens, Ordnung, Schönheit, Vollkommenheit in allem, was möglich ist, setzen ein Wesen voraus, in dessen Eigenschaften entweder diese Beziehungen gegründet sein, oder doch wenigstens durch welches Wesen die Dinge, diesen Beziehungen gemäß, als aus einem Hauptgrunde möglich sein. Nun ist das notwendige Wesen der hinlängliche Realgrund alles andern, was außer ihm möglich ist, folglich wird in ihm auch diejenige Eigenschaft, durch welche, diesen Beziehungen gemäß, alles außer ihm wirklich werden kann, anzutreffen sein. Es scheinet aber, daß der Grund der äußern Möglichkeit, der Ordnung, Schönheit und Vollkommenheit nicht zureichend ist, wofern nicht ein dem Verstande gemäßer Wille voraus gesetzt ist. Also werden diese Eigenschaften dem obersten Wesen müssen beigemessen werden.

Jedermann erkennet, daß, ungeachtet aller Gründe der Hervorbringung von Pflanzen und Bäumen, dennoch regelmäßige Blumenstücke, Alleen u. d. g. nur durch einen Verstand, der sie entwirft, und durch einen Willen, der sie ausführt, möglich sein. Alle Macht oder Hervorbringungskraft, imgleichen alle andere Data zur Möglichkeit ohne einen Verstand, sind unzulänglich, die Möglichkeit solcher Ordnung vollständig zu machen.

Aus einem dieser hier angeführten Gründe, oder aus ihnen insgesamt, wird der Beweis, daß das notwendige Wesen Willen und Verstand haben, mithin ein Geist sein müsse, hergeleitet werden können. Ich begnüge mich bloß, den Beweisgrund vollständig zu machen. Meine Absicht ist nicht, eine förmliche Demonstration darzulegen.
[650]



2. Es ist ein Gott

Es existiert etwas schlechterdings notwendig. Dieses ist einig in seinem Wesen, einfach in seiner Substanz, ein Geist nach seiner Natur, ewig in seiner Dauer, unveränderlich in seiner Beschaffenheit, allgenugsam in Ansehung alles Möglichen und Wirklichen. Es ist ein Gott. Ich gebe hier keine bestimmte Erklärung von dem Begriffe von Gott. Ich müßte dieses tun, wenn ich meinen Gegenstand systematisch betrachten wollte. Was ich hier darlege, soll die Analyse sein, dadurch man sich zur förmlichen Lehrverfassung tüchtig machen kann. Die Erklärung des Begriffs der Gottheit mag indessen angeordnet werden, wie man es vor gut findet, so bin ich doch gewiß, daß dasjenige Wesen, dessen Dasein wir nur eben bewiesen haben, eben dasjenige göttliche Wesen sei, dessen Unterscheidungszeichen man auf eine oder die andere Art in die kürzeste Benennung bringen wird.




3. Anmerkung

Weil aus der dritten Betrachtung nichts mehr erhellet, als daß alle Realität entweder in dem notwendigen Wesen als eine Bestimmung oder durch dasselbe als einen Grund müsse gegeben sein, so würde bis dahin unentschieden bleiben, ob die Eigenschaften des Verstandes und Willens in dem obersten Wesen als ihm beiwohnende Bestimmungen anzutreffen sein, oder bloß durch dasselbe an anderen Dingen als Folgen anzusehen wären. Wäre das letztere, so würde ohnerachtet aller Vorzüge, die von diesem Urwesen aus der Zulänglichkeit, Einheit und Unabhängigkeit seines Daseins als eines großen Grundes in die Augen leuchten, doch seine Natur derjenigen weit nachstehen, die man sich denken muß, wenn man einen Gott denkt. Denn selber ohne Erkenntnis und Entschließung würde es ein blindlings notwendiger Grund anderer Dinge, und so gar anderer Geister sein, und sich von dem ewigen Schicksale einiger Alten im nichts unterscheiden, als daß es begreiflicher beschrieben[651] wäre. Dies ist die Ursach, weswegen in jeglicher Lehrverfassung auf diesen Umstand besonders gesehen werden muß, und warum wir ihn nicht haben aus den Augen setzen können.

Ich habe, in dem ganzen Zusammenhange aller bis her vorgetragener zu meinem Beweise gehöriger Gründe, nirgend des Ausdrucks von Vollkommenheit gedacht. Nicht als wenn ich davor hielte, alle Realität sei schon so viel wie alle Vollkommenheit, oder auch die größte Zusammenstimmung zu Einem mache sie aus. Ich habe wichtige Ursachen, von diesem Urteile vieler andern sehr abzugehen. Nachdem ich lange Zeit über den Begriff der Vollkommenheit insgemein oder insbesondere sorgfältige Untersuchungen angestellt habe, so bin ich belehrt worden, daß in einer genauem Kenntnis derselben überaus viel verborgen liege, was die Natur eines Geistes, unser eigen Gefühl, und selbst die ersten Begriffe der praktischen Weltweisheit aufklären kann.

Ich bin inne geworden, daß der Ausdruck der Vollkommenheit zwar in einigen Fällen, nach der Unsicherheit jeder Sprache Ausartungen von dem eigentümlichen Sinne leide, die ziemlich weit abweichen, daß er aber in der Bedeutung, darauf hauptsächlich jedermann selbst bei jenen Abirrungen acht hat, allemal eine Beziehung auf ein Wesen, welches Erkenntnis und Begierde hat, voraussetze. Da es nun viel zu weitläuftig geworden sein würde, den Beweisgrund von Gott, und der ihm beiwohnenden Realität bis zu dieser Beziehung hindurch zu führen, ob es zwar vermöge dessen, was zum Grunde liegt, gar wohl tunlich gewesen wäre, so habe ich es der Absicht dieser Blätter nicht gemäß befunden, durch die Herbeiziehung dieses Begriffs, Anlaß zu einer allzugroßen Weitläuftigkeit zu geben.


4. Beschluß

Ein jeder wird sehr leicht nach dem wie gedacht geführten Beweise so offenbare Folgerungen hinzufügen können, als da sind: Ich, der ich denke, bin kein so schlechterdings notwendiges Wesen, denn ich bin nicht der Grund aller Realität, ich bin veränderlich: Kein ander Wesen dessen Nichtsein[652] möglich ist, das ist, dessen Aufhebung nicht zugleich alle Möglichkeit aufhebt, kein veränderliches Ding oder in welchem Schranken sind, mithin auch nicht die Welt ist von einer solchen Natur: Die Welt ist nicht ein Akzidens der Gottheit, weil in ihr Widerstreit, Mängel, Veränderlichkeit, alles Gegenteile der Bestimmungen einer Gottheit angetroffen werden: Gott ist nicht die einige Substanz, die da existiert, und alle andre sind nur abhängend von ihm da u.s.w.

Ich bemerke hier nur noch folgendes. Der Beweisgrund von dem Dasein Gottes, den wir geben, ist lediglich darauf erbauet, weil etwas möglich ist. Demnach ist er ein Beweis, der vollkommen a priori geführt werden kann. Es wird weder meine Existenz noch die von andern Geistern, noch die von der körperlichen Welt vorausgesetzt. Er ist in der Tat von dem innern Kennzeichen der absoluten Notwendigkeit hergenommen. Man erkennet auf diese Weise das Dasein dieses Wesens aus demjenigen, was wirklich die absolute Notwendigkeit desselben ausmacht, also recht genetisch.

Alle Beweise, die sonsten von den Wirkungen dieses Wesens auf sein, als einer Ursach Dasein geführt werden möchten, gesetzt daß sie auch so strenge beweisen möchten, als sie es nicht tun, können doch niemals die Natur dieser Notwendigkeit begreiflich machen. Bloß daraus, daß etwas schlechterdings notwendig existiert, ist es möglich, daß etwas eine erste Ursach von andern sei, aber daraus, daß etwas eine erste, das ist, unabhängige Ursach ist, folgt nur, daß, wenn die Wirkungen da sind, sie auch existieren müsse, nicht aber, daß sie schlechterdings notwendiger Weise da sei.

Weil nun ferner aus dem angepriesnen Beweisgrunde erhellet, daß alle Wesen anderer Dinge und das Reale aller Möglichkeit in diesem einigen Wesen gegründet sei, in welchem die größte Grade des Verstandes und eines Willens, der der größest mögliche Grund ist, anzutreffen, und weil in einem solchen alles in der äußerst möglichen Übereinstimmung sein muß, so wird daraus schon zum voraus abzunehmen sein, daß, da ein Wille jederzeit die innere Möglichkeit der Sache selbst voraussetzt, der Grund der Möglichkeit,[653] das ist, das Wesen Gottes mit seinen Willen in der größesten Zusammenstimmung sein werde, nicht als wenn Gott durch seinen Willen der Grund der inneren Möglichkeit wäre, sondern weil eben dieselbe unendliche Natur, die die Beziehung eines Grundes auf alle Wesen der Dinge hat, zugleich die Beziehung der höchsten Begierde auf die dadurch gegebene größeste Folgen hat, und die letztere nur durch die Voraussetzung der erstern fruchtbar sein kann. Demnach werden die Möglichkeiten der Dinge selbst, die durch die göttliche Natur gegeben sind, mit seiner großen Begierde zusammenstimmen. In dieser Zusammenstimmung aber besteht das Gute und die Vollkommenheit. Und weil sie mit einem übereinstimmen, so wird selbst in den Möglichkeiten der Dinge Einheit, Harmonie und Ordnung anzutreffen sein.

Wenn wir aber auch durch eine reife Beurteilung der wesentlichen Eigenschaften der Dinge, die uns durch Erfahrung bekannt werden, selbst in den notwendigen Bestimmungen ihrer innern Möglichkeit eine Einheit im Mannigfaltigen, und Wohlgereimtheit in dem Getrennten wahrzunehmen, so werden wir durch den Erkenntnisweg a posteriori auf ein einiges Principium aller Möglichkeit zurückschließen können, und uns zuletzt bei demselben Grundbegriffe des schlechterdings notwendigen Daseins befinden, von dem wir durch den Weg a priori anfänglich ausgegangen waren. Nunmehro soll unsere Absicht darauf gerichtet sein, zu sehen, ob, selbst in der innern Möglichkeit der Dinge, eine notwendige Beziehung auf Ordnung und Harmonie, und in diesem unermeßlichen Mannigfaltigen Einheit anzutreffen sei, damit wir daraus urteilen können, ob die Wesen der Dinge selbst einen obersten gemeinschaftlichen Grund erkennen.[654]

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977, S. 649-655.
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