Dritte Betrachtung.
Von der Abhängigkeit der Dinge der Welt von Gott vermittelst der Ordnung der Natur, oder ohne dieselbe
1. Einteilung der Weltbegebenheiten, in so ferne sie unter der Ordnung der Natur stehen oder nicht

[667] Es stehet etwas unter der Ordnung der Natur, in so fern sein Dasein oder seine Veränderung in den Kräften der Natur zureichend gegründet ist. Hiezu wird erfodert, erstlich: daß die Kraft der Natur davon die wirkende Ursach sei; zweitens, daß die Art, wie sie auf die Hervorbringung dieser Wirkung gerichtet ist, selbst in einer Regel der natürlichen Wirkungsgesetze hinreichend gegründet sei. Dergleichen Begebenheiten heißen auch schlechthin natürliche Weltbegebenheiten. Dagegen wo dieses nicht ist, so ist der Fall, der unter solchem Grunde nicht steht, etwas Übernatürliches, und dieses findet statt, entweder in so ferne die nächste wirkende Ursach außer der Natur ist, das ist, in so ferne die göttliche Kraft sie unmittelbar hervorbringt, oder zweitens, wenn auch nur die Art, wie die Kräfte der Natur auf diesen Fall gerichtet worden, nicht unter einer Regel der Natur enthalten ist. Im erstern Fall nenne ich die Begebenheit materialiter, im andern formaliter übernatürlich. Da bloß der letztere Fall einige Erläuterung zu bedürfen scheint, indem das übrige vor sich klar ist, so will ich davon Beispiele anführen. Es sind viel Kräfte in der Natur,[667] die das Vermögen haben, einzelne Menschen, oder Staaten, oder das ganze menschliche Geschlecht zu verderben. Erdbeben, Sturmwinde, Meersbewegungen, Kometen etc. Es ist auch nach einem allgemeinen Gesetze genugsam in der Verfassung der Natur gegründet, daß einiges von diesen bisweilen geschieht. Allein unter den Gesetzen, wornach es geschieht, sind die Laster und das moralische Verderben der Menschengeschlechter gar keine natürliche Gründe, die damit in Verbindung stünden. Die Missetaten einer Stadt haben keinen Einfluß auf das verborgene Feuer der Erde, und die Üppigkeiten der ersten Welt gehörten nicht zu denen wirkenden Ursachen, welche die Kometen in ihren Bahnen zu sich herab ziehen konnten. Und wenn sich ein solcher Fall ereignet, man mißt ihn aber einem natürlichen Gesetze bei, so will man damit sagen, daß es ein Unglück, nicht aber, daß eine Strafe sei, indem das moralische Verhalten der Menschen kein Grund der Erdbeben nach einem natürlichen Gesetze sein kann, weil hier keine Verknüpfung von Ursachen und Wirkungen statt findet. Z. E. Wenn das Erdbeben die Stadt Port Royal in Jamaika umkehret,2 so wird derjenige, der dieses eine natürliche Begebenheit nennet, darunter verstehen: daß, ob zwar die Lastertaten der Einwohner, nach dem Zeugnis ihres Predigers, eine solche Verwüstung wohl als ein Strafgerichte verdienet hätten, dennoch dieser Fall als einer von vielen anzusehen sei, der sich bisweilen nach einem allgemeinern Gesetze der Natur zuträgt, da Gegenden der Erde, und unter diesen bisweilen Städte, und unter diesen dann und wann auch sehr lasterhafte Städte erschüttert werden. Soll es dagegen als eine Strafe betrachtet werden, so müssen diese Kräfte der Natur, da sie nach einem natürlichen Gesetze den Zusammenhang mit der Führung der Menschen nicht haben können, auf jeden solchen einzelnen Fall, durch das höchste Wesen besonders gerichtet sein; alsdenn aber ist die Begebenheit im formalen Verstande übernatürlich, obgleich die Mittelursache eine Kraft der Natur war. Und wenn auch durch eine[668] lange Reihe von Vorbereitungen, die dazu besonders in die wirksamen Kräfte der Welt angelegt waren, diese Begebenheit endlich als ein Strafgericht zu Stande kam, wenn man gleich annehmen wollte, daß schon bei der Schöpfung Gott alle Anstalten dazu gemacht hätte, daß sie nachher durch die darauf in der Natur gerichteten Kräfte zur rechten Zeit geschehen sollte (wie man dieses in Whistons Theorie von der Sündflut, in so fern sie vom Kometen herrühren soll, sich so gedenken kann), so ist das Übernatürliche dadurch gar nicht verringert, sondern nur weit bis in die Schöpfung hinaus verschoben, und dadurch unbeschreiblich vermehrt worden. Denn diese ganze Reihenfolge, in so fern die Art ihrer Anordnung sich auf den Ausgang bezog, indem sie in Ansehung desselben gar nicht als eine Folge aus allgemeinern Naturgesetzen anzusehen war, bezeichnet eine unmittelbare noch größere göttliche Sorgfalt, die auf eine so lange Kette von Folgen gerichtet war, um auch den Hindernissen auszuweichen, die die genaue Erreichung der gesuchten Wirkung konnten verfehlen machen.

Hingegen gibt es Strafen und Belohnungen nach der Ordnung der Natur, darum, weil das moralische Verhalten der Menschen mit ihnen nach den Gesetzen der Ursachen und Wirkungen in Verknüpfung stehet. Wilde Wollust und Unmäßigkeit endigen sich in einem siechen und martervollen Leben. Ränke und Arglist scheitern zuletzt, und Ehrlichkeit ist doch am Ende die beste Politik. In allen diesem geschieht die Verknüpfung der Folgen nach den Gesetzen der Natur. So viel aber auch immer derjenigen Strafen oder Belohnungen oder jeder anderer Begebenheiten in der Welt sein mögen, davon die Richtung der Naturkräfte jederzeit außerordentlich auf jeden einzelnen Fall hat geschehen müssen, wenn gleich eine gewisse Einförmigkeit unter vielen derselben herrschet, so sind sie zwar einem unmittelbaren göttlichen Gesetze, nämlich demjenigen seiner Weisheit, aber keinem Naturgesetze untergeordnet.


2. Einteilung der natürlichen Begebenheiten, in so fern sie unter der notwendigen oder zufälligen Ordnung der Natur stehen

[669] Alle Dinge der Natur sind zufällig in ihrem Dasein. Die Verknüpfung verschiedener Arten von Dingen, z. E. der Luft, der Erde, des Wassers, ist gleichfalls ohne Zweifel zufällig, und in so ferne bloß der Willkür des obersten Urhebers beizumessen. Allein obgleich die Naturgesetze in so ferne keine Notwendigkeit zu haben scheinen, als die Dinge selbst davon sie es sind, imgleichen die Verknüpfungen darinnen sie ausgeübt werden können, zufällig sein, so bleibt gleichwohl eine Art der Notwendigkeit übrig, die sehr merkwürdig ist. Es gibt nämlich viele Naturgesetze, deren Einheit notwendig ist, das ist, wo eben derselbe Grund der Übereinstimmung zu einem Gesetze auch andere Gesetze notwendig macht. Z. E. Eben dieselbe elastische Kraft und Schwere der Luft, die ein Grund ist der Gesetze des Atemholens, ist notwendiger Weise zugleich ein Grund von der Möglichkeit der Pumpwerke, von der Möglichkeit der zu erzeugenden Wolken, der Unterhaltung des Feuers, der Winde etc. Es ist notwendig, daß zu den übrigen der Grund anzutreffen sei, so bald auch nur zu einem einzigen derselben Grund da ist. Dagegen wenn der Grund einer gewissen Art ähnlicher Wirkungen nach einem Gesetze nicht zugleich der Grund einer andern Art Wirkungen nach einem andern Gesetze in demselben Wesen ist, so ist die Vereinbarung dieser Gesetze zufällig, oder es herrscht in diesen Gesetzen zufällige Einheit, und was sich darnach in dem Dinge zuträgt, geschieht nach einer zufälligen Naturordnung. Der Mensch sieht, hört, riecht, schmeckt u.s.w., aber nicht eben dieselbe Eigenschaften, die die Gründe des Sehens sind, sind auch die des Schmeckens. Er muß andere Organen zum Hören wie zum Schmecken haben. Die Vereinbarung so verschiedener Vermögen ist zufällig, und, da sie zur Vollkommenheit abzielt, künstlich. Bei jedem Organe ist wiederum künstliche Einheit. In dem Auge ist der Teil, der Licht einfallen läßt, ein anderer, als der, so es bricht, noch ein anderer, so das Bild[670] auffängt. Dagegen sind es nicht andere Ursachen, die der Erde die Kugelrundung verschaffen, noch andere, die wider den Drehungsschwung die Körper der Erde zurück halten, noch eine andere, die den Mond im Kreise erhält, sondern die einzige Schwere ist eine Ursach, die notwendiger Weise zu allen diesem zureicht. Nun ist es ohne Zweifel eine Vollkommenheit, daß, zu allen diesen Wirkungen, Gründe in der Natur angetroffen werden, und wenn der nämliche Grund, der die eine bestimmt, auch zu den andern hinreichend ist, um desto mehr Einheit wächst dadurch dem Ganzen zu. Diese Einheit aber und mit ihr die Vollkommenheit ist in dem hier angeführten Falle notwendig und klebet dem Wesen der Sache an, und alle Wohlgereimtheit, Fruchtbarkeit und Schönheit, die ihr in so ferne zu verdanken ist, hänget von Gott vermittelst der wesentlichen Ordnung der Natur ab, oder vermittelst desjenigen, was in der Ordnung der Natur notwendig ist. Man wird mich hoffentlich schon verstehen, daß ich diese Notwendigkeit nicht auf das Dasein dieser Dinge selber sondern lediglich auf die in ihrer Möglichkeit liegende Übereinstimmung und Einheit, als einen notwendigen Grund einer so überaus großen Tauglichkeit und Fruchtbarkeit erstreckt wissen will. Die Geschöpfe des Pflanzen- und Tierreichs bieten durchgängig die bewundernswürdigste Beispiele einer zufälligen, aber mit großer Weisheit übereinstimmender Einheit dar. Gefäße, die Saft saugen, Gefäße, die Luft saugen, diejenige, so den Saft ausarbeiten, und die, so ihn ausdünsten etc., ein großes Mannigfaltige, davon jedes einzeln keine Tauglichkeit zu den Wirkungen des andern hat, und wo die Vereinbarung derselben zur gesamten Vollkommenheit künstlich ist, so daß die Pflanze selbst mit ihren Beziehungen auf so verschiedene Zwecke ein zufälliges und willkürliches Eine ausmachet.

Dagegen liefert vornehmlich die unorganische Natur unaussprechlich viel Beweistümer einer notwendigen Einheit, in der Beziehung eines einfachen Grundes auf viele anständige Folgen, dermaßen, daß man auch bewogen wird zu[671] vermuten, daß vielleicht da, wo selbst in der organischen Natur manche Vollkommenheit scheinen kann ihre besondere Anstalt zum Grunde zu haben, sie wohl eine notwendige Folge aus eben demselben Grunde sein mag, welcher sie mit vielen andern schönen Wirkungen schon in seiner wesentlichen Fruchtbarkeit verknüpfet, so daß auch so gar in diesen Naturreichen mehr notwendige Einheit sein mag, als man wohl denkt. Weil nun die Kräfte der Natur und ihre Wirkungsgesetze den Grund einer Ordnung der Natur enthalten, welche, in so ferne sie mannigfaltige Harmonie in einer notwendigen Einheit zusammenfasset, veranlasset, daß die Verknüpfung vieler Vollkommenheit in einem Grunde zum Gesetze wird, so hat man verschiedene Naturwirkungen in Ansehung ihrer Schönheit und Nützlichkeit unter der wesentlichen Naturordnung und vermittelst derselben unter Gott zu betrachten. Dagegen da auch manche Vollkommenheiten in einem Ganzen nicht durch die Fruchtbarkeit eines einzigen Grundes möglich sein, sondern verschiedene willkürlich zu dieser Absicht vereinbarte Gründe erheischen, so wird wiederum manche künstliche Anordnung die Ursache eines Gesetzes sein, und die Wirkungen, die darnach geschehen, stehen unter der zufälligen und künstlichen Ordnung der Natur, vermittelst ihrer aber unter Gott.

2

Siehe Raj von der Welt Anfang, Veränd. und Untergang.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977, S. 667-672.
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