Vierte Betrachtung.
Gebrauch unseres Beweisgrundes in Beurteilung der Vollkommenheit einer Welt nach dem Laufe der Natur
1. Was aus unserm Beweisgrunde zum Vorzuge der Ordnung der Natur vor dem übernatürlichen kann geschlossen werden

[672] Es ist eine bekannte Regel der Weltweisen oder vielmehr der gesunden Vernunft überhaupt: daß man ohne die erheblichste Ursache nichts vor ein Wunder, oder eine übernatürliche Begebenheit halten solle. Diese Regel enthält erstlich, daß Wunderselten sein, zweitens, daß die gesamte[672] Vollkommenheit des Universum auch ohne viele übernatürliche Einflüsse dem göttlichen Willen gemäß nach den Gesetzen der Natur erreichet werde; denn jedermann erkennet: daß, wenn ohne häufige Wunder die Welt des Zwecks ihres Daseins verfehlte, übernatürliche Begebenheiten etwas Gewöhnliches sein müßten. Einige stehen in der Meinung, daß das Formale der natürlichen Verknüpfung der Folgen mit ihren Gründen an sich selbst eine Vollkommenheit wäre, welcher allenfalls ein besserer Erfolg, wenn er nicht anders als übernatürlicher Weise zu erhalten stünde, hintangesetzt werden müßte. Sie setzen in dem Natürlichen als einem solchen unmittelbar einen Vorzug, weil ihnen alles Übernatürliche als eine Unterbrechung einer Ordnung an sich selber scheint einen Übelstand zu erregen. Allein diese Schwierigkeit ist nur eingebildet. Das Gute steckt nur in Erreichung des Zweckes, und wird den Mitteln nur um seinet willen zugeeignet. Die natürliche Ordnung, wenn nach ihr nicht vollkommene Folgen entspringen, hat unmittelbar keinen Grund eines Vorzugs in sich, weil sie nur nach der Art eines Mittels kann betrachtet werden, welches keine eigene, sondern nur eine, von der Größe des dadurch erreichten Zwecks entlehnte Schätzung verstattet. Die Vorstellung der Mühsamkeit, welche die Menschen bei ihren unmittelbaren Ausübungen empfinden, menget sich hier ingeheim mit unter, und gibt demjenigen, was man fremden Kräften anvertrauen kann, einen Vorzug, selbst da wo in dem Erfolg etwas von dem abgezweckten Nutzen vermißt würde. Indessen wenn ohne größere Beschwerde der, so das Holz an einer Schneidemühle anlegt, es eben so wohl unmittelbar in Bretter verwandeln könnte, so wäre alle Kunst dieser Maschine nur ein Spielwerk, weil der ganze Wert derselben nur an ihr als einem Mittel zu diesem Zwecke statt finden kann. Demnach ist etwas nicht darum gut, weil es nach dem Laufe der Natur geschieht, sondern der Lauf der Natur ist gut, in so fern das, was daraus fließt, gut ist. Und da Gott eine Welt in seinem Ratschlüsse begriff, in der alles mehrenteils durch einen natürlichen Zusammenhang die Regel des Besten erfüllete: so würdigte er sie seiner Wahl, nicht[673] weil darin, daß es natürlich zusammenhing, das Gute bestand, sondern weil durch diesen natürlichen Zusammenhang ohne viele Wunder die vollkommenen Zwecke am richtigsten erreicht wurden.

Und nun entsteht die Frage: wie mag es zugehen, daß die allgemeine Gesetze der Natur dem Willen des Höchsten, in dem Verlauf der Begebenheiten der Welt die nach ihnen geschehen, so schön entsprechen, und welchen Grund hat man, ihnen diese Schicklichkeit zuzutrauen, daß man nicht öfterer als man wahrnimmt geheime übernatürliche Vorkehrungen zugeben müßte, die ihren Gebrechen unaufhörlich zu Hülfe kämen?3 Hier leistet uns unser Begriff von der Abhängigkeit selbst der Wesen aller Dinge von Gott einen noch ausgebreitetem Nutzen, als der ist, den man in dieser Frage erwartet. Die Dinge der Natur tragen so gar in den notwendigsten Bestimmungen ihrer innern Möglichkeit das Merkmal der Abhängigkeit von demjenigen Wesen an sich, in welchem alles mit den Eigenschaften der Weisheit und Güte zusammenstimmt. Man kann von ihnen Übereinstimmung und schöne Verknüpfung erwarten und eine notwendige Einheit in den mancherlei vorteilhaften Beziehungen, die ein einziger Grund zu viel anständigen Gesetzen hat. Es wird nicht nötig sein, daß daselbst, wo die Natur nach notwendigen Gesetzen wirket, unmittelbare göttliche Ausbesserungen dazwischen kommen, weil, in so ferne die Folgen nach der Ordnung der Natur notwendig sein, nimmermehr selbst nach den allgemeinsten Gesetzen sich was Gott Mißfälliges eräugnen kann. Denn wie sollten doch die Folgen[674] der Dinge, deren zufällige Verknüpfung von dem Willen Gottes abhängt, ihre wesentliche Beziehungen aber als die Gründe des Notwendigen in der Naturordnung von demjenigen in Gott herrühren, was mit seinen Eigenschaften überhaupt in der größten Harmonie steht, wie können diese, sage ich, seinem Willen entgegen sein? Und so müssen alle die Veränderungen der Welt, die mechanisch, mithin aus den Bewegungsgesetzen notwendig sein, jederzeit darum gut sein, weil sie natürlicher weise notwendig sind, und es ist zu erwarten, daß die Folge unverbesserlich sein werde, so bald sie nach der Ordnung der Natur unausbleiblich ist.4 Ich bemerke aber, damit aller Mißverstand verhütet werde: daß die Veränderungen in der Welt entweder aus der ersten Anordnung des Universum und den allgemeinen und besondern Gesetzen der Natur notwendig sein, dergleichen alles dasjenige ist, was in der körperlichen Welt mechanisch vorgeht, oder daß sie gleichwohl bei allem diesem eine nicht genugsam begriffene Zufälligkeit haben, wie die Handlungen aus der Freiheit, deren Natur nicht gehörig einsehen wird. Die letztere Art der Weltveränderungen, in so ferne sie scheinen eine Ungebundenheit in Ansehung bestimmender Gründe und notwendiger Gesetze an sich zu haben, enthalten in so weit eine Möglichkeit in sich, von der allgemeinen Abzielung der Naturdinge zur Vollkommenheit abzuweichen. Und um deswillen kann man erwarten, daß übernatürliche Ergänzungen nötig sein dürften, weil es möglich ist, daß in diesem Betracht der Lauf der Natur mit dem Willen Gottes bisweilen widerstreitend sein könne. Indessen,[675] da selbst die Kräfte frei handlender Wesen in der Verknüpfung mit dem übrigen des Universum nicht ganz allen Gesetzen entzogen sind, sondern immer, wenn gleich nicht nötigenden Gründen, dennoch solchen, die nach den Regeln der Willkür die Ausübung auf eine andere Art gewiß machen, unterworfen sein, so ist die allgemeine Abhängigkeit der Wesen der Dinge von Gott auch hier noch jederzeit ein großer Grund, die Folgen, die selbst unter dieser Art von Dingen nach dem Laufe der Natur sich zutragen, (ohne daß die scheinbare Abweichung in einzelnen Fällen uns irre machen darf) im Ganzen vor anständig und der Regel des Besten gemäß einzusehen; so daß nur selten die Ordnung der Natur einer unmittelbaren übernatürlichen Verbesserung oder Ergänzung benötigt ist, wie denn auch die Offenbarung derselben nur in Ansehung gewisser Zeiten und gewisser Völker Erwähnung tut. Die Erfahrung stimmt auch mit dieser Abhängigkeit so gar der freiesten Handlungen von einer großen natürlichen Regel überein. Denn so zufällig wie auch immer die Entschließung zum Heiraten sein mag, so findet man doch in eben demselben Lande, daß die Verhältnis der Ehen zu der Zahl der Lebenden ziemlich beständig sei, wenn man große Zahlen nimmt, und daß z. E. unter 110 Menschen beiderlei Geschlechts sich ein Ehepaar findet. Jedermann weiß, wie viel die Freiheit der Menschen zur Verlängerung oder Verkürzung des Lebens beitrage. Gleichwohl müssen selbst diese freie Handlungen einer großen Ordnung unterworfen sein; weil im Durchschnitte, wenn man große Mengen nimmt, die Zahl derer Sterbenden gegen die Lebenden sehr genau immer in eben demselben Verhältnis stehet. Ich begnüge mich mit diesen wenigen Beweistümern, um es einigermaßen verständlich zu machen, daß selbst die Gesetze der Freiheit keine solche Ungebundenheit in Ansehung der Regeln einer allgemeinen Naturordnung mit sich führen, daß nicht eben derselbe Grund, der in der übrigen Natur schon in den Wesen der Dinge selbst eine unausbleibliche Beziehung auf Vollkommenheit und Wohlgereimtheit befestigt, auch in dem natürlichen Laufe des freien Verhaltens wenigstens eine größere Lenkung auf ein Wohlgefallen des[676] höchsten Wesens ohne vielfältige Wunder verursachen sollte. Mein Augenmerk ist aber mehr auf den Verlauf der Naturveränderungen gerichtet, in so ferne sie durch eingepflanzte Gesetze notwendig sein. Wunder werden in einer solchen Ordnung entweder gar nicht oder nur selten nötig sein, weil es nicht füglich sein kann, daß sich solche Unvollkommenheiten natürlicher Weise hervorfänden, die ihrer bedürftig wären.

Wenn ich mir den Begriff von den Dingen der Natur machte, den man gemeiniglich von ihnen hat: daß ihre innere Möglichkeit vor sich unabhängig und ohne einen fremden Grund sei, so würde ich es gar nicht unerwartet finden, wenn man sagete, eine Welt von einiger Vollkommenheit sei ohne viele übernatürliche Wirkungen unmöglich. Ich würde es vielmehr seltsam und unbegreiflich finden, wie ohne eine beständige Reihe von Wundern etwas Taugliches durch einen natürlichen großen Zusammenhang in ihr sollte geleistet werden können. Denn es müßte ein befremdliches Ohngefähr sein: daß die Wesen der Dinge, die jegliches vor sich seine abgesonderte Notwendigkeit hätten, sich so sollten zusammenschicken, daß selbst die höchste Weisheit aus ihnen ein großes Ganze vereinbaren könnte, in welchem, bei so vielfältiger Abhängigkeit, dennoch nach allgemeinen Gesetzen unverbesserliche Harmonie und Schönheit hervorleuchtete. Dagegen, da ich belehrt bin, daß, darum nur weil ein Gott ist, etwas anders möglich sei, so erwarte ich selbst von den Möglichkeiten der Dinge eine Zusammenstimmung, die ihrem großen Principium gemäß ist, und eine Schicklichkeit, durch allgemeine Anordnungen zu einem Ganzen zusammen zu passen, daß mit der Weisheit eben desselben Wesens richtig harmoniert, von dem sie ihren Grund entlehnen, und ich finde es so gar wunderbar: daß, so ferne etwas nach dem Laufe der Natur, gemäß allgemeinen Gesetzen geschieht, oder geschehen würde, es Gott mißfällig und eines Wunders zur Ausbesserung bedürftig sein sollte, und wenn es geschieht, so gehört selbst die Veranlassung dazu zu denen Dingen, die sich bisweilen zutragen, von uns aber nimmermehr können begriffen werden.[677]

Man wird es auch ohne Schwierigkeit verstehen, daß, wenn man den wesentlichen Grund einsieht, weswegen Wunder zur Vollkommenheit der Welt selten nötig sein können, dieses auch von denenjenigen gelte, die wir in der vorigen Betrachtung übernatürliche Begebenheiten im formalen Verstande genannt haben, und die man in gemeinen Urteilen darum sehr häufig einräumt, weil man durch einen verkehrten Begriff darin etwas Natürliches zu finden glaubt.


2. Was aus unserm Beweisgrunde zum Vorzuge einer oder anderer Naturordnung geschlossen werden kann

In dem Verfahren der gereinigten Weltweisheit herrschet eine Regel, die, wenn sie gleich nicht förmlich gesagt, dennoch in der Ausübung jederzeit beobachtet wird: daß in aller Nachforschung der Ursachen zu gewissen Wirkungen man eine große Aufmerksamkeit bezeigen müsse, die Einheit der Natur so sehr wie möglich zu erhalten, das ist, vielerlei Wirkungen aus einem einzigen schon bekannten Grunde herzuleiten, und nicht zu verschieden Wirkungen wegen einiger scheinbaren größeren Unähnlichkeit sogleich neue und verschiedene wirkende Ursachen anzunehmen. Man präsumiert demnach, daß in der Natur große Einheit sei in Ansehung der Zulänglichkeit eines einigen Grundes zu mancherlei Art Folgen, und glaubt Ursache zu haben, die Vereinigung einer Art Erscheinungen mit denen von anderer Art mehrenteils als etwas Notwendiges und nicht als eine Wirkung einer künstlichen und zufälligen Ordnung anzusehen. Wie vielerlei Wirkungen werden nicht aus der einigen Kraft der Schwere hergeleitet, dazu man ehedem verschiedene Ursachen glaubte nötig zu finden; das Steigen einiger Körper und das Fallen anderer. Die Wirbel, um die Himmelskörper in Kreisen zu erhalten, sind abgestellt, so bald man die Ursache derselben in jener einfachen Naturkraft gefunden hat. Man präsumiert mit großem Grunde: daß die Ausdehnung der Körper durch die Wärme, das Licht,[678] die elektrische Kraft, die Gewitter, vielleicht auch die magnetische Kraft vielerlei Erscheinungen einer und eben derselben wirksamen Materie, die in allen Räumen ausgebreitet ist, nämlich des Äthers sei, und man ist überhaupt unzufrieden, wenn man sich genötigt sieht, ein neues Principium zu einer Art Wirkungen anzunehmen. Selbst da, wo ein sehr genaues Ebenmaß eine besondere künstliche Anordnung zu erheischen scheint, ist man geneigt, sie dem notwendigen Erfolg aus allgemeinern Gesetzen beizumessen und noch immer die Regel der Einheit zu beobachten, ehe man eine künstliche Verfügung zum Grunde setze. Die Schneefiguren sind so regelmäßig, und so weit über alles Plumpe, das der blinde Zufall zuwege bringen kann, zierlich, daß man fast ein Mißtrauen in die Aufrichtigkeit derer setzen sollte, die uns Abzeichnungen davon gegeben haben, wenn nicht ein jeder Winter unzählige Gelegenheit gäbe, einen jeden durch eigene Erfahrung davon zu versichern. Man wird wenig Blumen antreffen, welche, so viel man äußerlich wahrnehmen kann, mehr Nettigkeit und Proportion zeigeten, und man sieht gar nichts, was die Kunst hervor bringen kann, das da mehr Richtigkeit enthielte, als diese Erzeugungen, die die Natur mit so viel Verschwendung über die Erdfläche ausstreuet. Und gleichwohl hat sich niemand in den Sinn kommen lassen, sie von einem besondern Schneesamen herzuleiten, und eine künstliche Ordnung der Natur zu ersinnen, sondern man mißt sie als eine Nebenfolge allgemeineren Gesetzen bei, welche die Bildung dieses Produkts mit notwendiger Einheit zugleich unter sich befassen.5

Gleichwohl ist die Natur reich an einer gewissen andern Art von Hervorbringungen, wo alle Weltweisheit, die über ihre Enstehungsart nachsinnt, sich genötigt sieht, diesen Weg zu verlassen. Große Kunst, und eine zufällige Vereinbarung[679] durch freie Wahl gewissen Absichten gemäß, ist daselbst augenscheinlich, und wird zugleich der Grund eines besondern Naturgesetzes, welches zur künstlichen Naturordnung gehöret. Der Bau der Pflanzen und Tiere zeiget eine solche Anstalt, wozu die allgemeine und notwendige Naturgesetze unzulänglich sein. Da es nun ungereimt sein würde, die erste Erzeugung einer Pflanze oder Tiers als eine mechanische Nebenfolge aus allgemeinen Naturgesetzen zu betrachten, so bleibt gleichwohl noch eine doppelte Frage übrig, die aus dem angeführten Grunde unentschieden ist: ob nämlich ein jedes Individuum derselben unmittelbar von Gott gebauet, und also übernatürlichen Ursprungs sei, und nur die Fortpflanzung, das ist, der Übergang von Zeit zu Zeit zur Auswickelung einem natürlichen Gesetze anvertrauet sei, oder ob einige Individuen des Pflanzen- und Tierreichs zwar unmittelbar göttlichen Ursprungs sein, jedoch mit einem uns nicht begreiflichem Vermögen, nach einem ordentlichen Naturgesetze ihres gleichen zu erzeugen und nicht bloß auszuwickeln. Von beiden Seiten zeigen sich Schwierigkeiten. Es ist vielleicht unmöglich auszumachen, welche die größeste sei; allein was uns hier angeht, ist nur, das Übergewicht der Gründe in so ferne sie metaphysisch sind zu bemerken. Wie z. E. ein Baum durch eine innere mechanische Verfassung soll vermögend sein, den Nahrungssaft so zu formen und zu modeln, daß in dem Auge der Blätter oder seinem Samen etwas entstünde, das einen ähnlichen Baum im Kleinen, oder woraus doch ein solcher werden könnte, enthielte, ist nach allen unsern Kenntnissen auf keine Weise einzusehen. Die innerliche Formen des Herrn von Buffon, und die Elemente organischer Materie, die sich zu Folge ihrer Erinnerungen, den Gesetzen der Begierden und des Abscheues gemäß, nach der Meinung des Herren von Maupertuis zusammenfügen, sind entweder eben so unverständlich als die Sache selbst, oder ganz willkürlich erdacht. Allein ohne sich an dergleichen Theorien zu kehren, muß man denn darum selbst eine andere davor aufwerfen, die eben so willkürlich ist, nämlich, daß alle diese Individuen übernatürlichen Ursprungs sein, weil man ihre natürliche[680] Entstehungsart gar nicht begreift? Hat wohl jemals einer das Vermögen des Hefens, seines gleichen zu erzeugen, mechanisch begreiflich gemacht, und gleichwohl bezieht man sich desfalls nicht auf einen übernatürlichen Grund.

Da in diesem Falle der Ursprung aller solcher organischen Produkte als völlig übernatürlich angesehen wird, so glaubt man dennoch etwas vor den Naturphilosophen übrig zu lassen, wenn man ihn mit der Art der allmählichen Fortpflanzung spielen läßt. Allein man bedenke wohl: daß man dadurch das Übernatürliche nicht vermindert, denn es mag diese übernatürliche Erzeugung zur Zeit der Schöpfung oder nach und nach in verschiedenen Zeitpunkten geschehen, so ist in dem letzteren Falle nicht mehr Übernatürliches als im ersten, denn der ganze Unterschied läuft nicht auf den Grad der unmittelbaren göttlichen Handlung, sondern lediglich auf das Wenn hinaus. Was aber jene natürliche Ordnung der Auswickelung anlangt, so ist sie nicht eine Regel der Fruchtbarkeit der Natur, sondern eine Methode eines unnützen Umschweifs. Denn es wird dadurch nicht der mindeste Grad einer unmittelbaren göttlichen Handlung besparet. Demnach scheinet es unvermeidlich: entweder bei jeder Begattung die Bildung der Frucht unmittelbar einer göttlichen Handlung beizumessen, oder der ersten göttlichen Anordnung der Pflanzen und Tiere eine Tauglichkeit zuzulassen, ihres Gleichen in der Folge nach einem natürlichen Gesetze nicht bloß zu entwickeln, sondern wahrhaftig zu erzeugen.

Meine gegenwärtige Absicht ist nur, hiedurch zu zeigen, daß man den Naturdingen eine größere Möglichkeit nach allgemeinen Gesetzen ihre Folgen hervorzubringen einräumen müsse, als man es gemeiniglich tut.[681]

3

Diese Frage ist dadurch noch lange nicht genugsam beantwortet, wenn man sich auf die weise Wahl Gottes beruft, die den Lauf der Natur einmal schon so wohl eingerichtet hätte, daß öftere Ausbesserungen unnötig wären. Denn die größeste Schwierigkeit bestehet darin, wie es auch nur hat möglich sein können, in einer Verbindung der Weltbegebenheiten nach allgemeinen Gesetzen so große Vollkommenheit zu vereinbaren, vornehmlich wenn man die Menge der Naturdinge und die unermeßlich lange Reihe ihrer Veränderungen betrachtet, wie da nach allgemeinen Regeln ihrer gegenseitigen Wirksamkeit eine Harmonie hat entspringen können, die keiner öftern übernatürlichen Einflüsse bedürfe.

4

Wenn es ein notwendiger Ausgang der Natur ist, wie Newton vermeinet, daß ein Weltsystem, wie dasjenige von unserer Sonne, endlich zum völligen Stillstand und allgemeiner Ruhe gelange, so würde ich nicht mit ihm hinzusetzen: daß es nötig sei, daß Gott es durch ein Wunder wieder herstelle. Denn weil es ein Erfolg ist, darauf die Natur nach ihren wesentlichsten Gesetzen notwendiger weise bestimmt ist, so vermute ich hieraus, daß er auch gut sei. Es darf uns dieses nicht als ein bedauernswürdiger Verlust vorkommen, denn wir wissen nicht, welche Unermeßlichkeit die sich immerfort in andern Himmels-Gegenden bildende Natur habe, um durch große Fruchtbarkeit diesen Abgang des Universum anderwärts reichlich zu ersetzen.

5

Die den Gewächsen ähnliche Figur des Schimmels hatte viele bewogen, denselben unter die Produkte des Pflanzenreichs zu zählen. Indessen ist es nach andern Beobachtungen viel wahrscheinlicher, daß die anscheinende Regelmäßigkeit desselben nicht hindern könne, ihn so wie den Baum der Diane als eine Folge aus den gemeinen Gesetzen der Sublimierung anzusehen.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977, S. 672-682.
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