Erstes Hauptstück.
Von der Art, etwas äußeres als das Seine zu haben
§ 1

[352] Das Rechtlich-Meine (meum iuris) ist dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein anderer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädieren würde. Die subjektive Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs überhaupt ist der Besitz.

Etwas Äußeres aber würde nur dann das Meine sein, wenn ich annehmen darf, es sei möglich, daß ich durch den Gebrauch, den ein anderer von einer Sache macht, in deren Besitz ich doch nicht bin, gleichwohl doch lädiert werden könne. – Also widerspricht es sich selbst, etwas Äußeres als das Seine zu haben, wenn der Begriff des Besitzes nicht einer verschiedenen Bedeutung, nämlich des sinnlichen und des intelligiblen Besitzes, fähig wäre, und unter dem einen der physische, unter dem andern aber ein bloßrechtlicher Besitz ebendesselben Gegenstandes verstanden werden könnte.

Der Ausdruck: ein Gegenstand ist außer mir, kann aber entweder so viel bedeuten, als: er ist ein nur von mir (dem Subjekt) unterschiedener, oder auch ein in einer anderen Stelle (positus), im Raum oder in der Zeit, befindlicher Gegenstand. Nur in der ersteren Bedeutung genommen kann der Besitz als Vernunftbesitz gedacht werden; in der zweiten aber würde er ein empirischer heißen müssen. – Ein intelligibler Besitz (wenn ein solcher möglich ist) ist ein Besitz ohne Inhabung (detentio).


§ 2. Rechtliches Postulat der praktischen Vernunft

[353] Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben; d.i.: eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand der Willkür an sich (objektiv) herrenlos (res nullius) werden müßte, ist rechtswidrig.

Denn ein Gegenstand meiner Willkür ist etwas, was zu gebrauchen ich physisch in meiner Macht habe. Sollte es nun doch rechtlich schlechterdings nicht in meiner Macht stehen, d.i. mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz nicht zusammen bestehen können (unrecht sein), Gebrauch von demselben zu machen: so würde die Freiheit sich selbst des Gebrauchs ihrer Willkür in Ansehung eines Gegenstandes derselben berauben, dadurch, daß sie brauchbare Gegenstände außer aller Möglichkeit des Gebrauchs setzte: d.i. diese in praktischer Rücksicht vernichtete, und zur res nullius machte; obgleich die Willkür, formaliter, im Gebrauch der Sachen mit jedermanns äußeren Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmete. – Da nun die reine praktische Vernunft keine andere als formale Gesetze des Gebrauchs der Willkür zum Gründe legt, und also von der Materie der Willkür, d.i. der übrigen Beschaffenheit des Objekts, wenn es nur ein Gegenstand der Willkür ist, abstrahiert, so kann sie in Ansehung eines solchen Gegenstandes kein absolutes Verbot seines Gebrauchs enthalten, weil dieses ein Widerspruch der äußeren Freiheit mit sich selbst sein würde. – Ein Gegenstand meiner Willkür aber ist das, wovon beliebigen Gebrauch zu machen ich das physische Vermögen habe, dessen Gebrauch in meiner Macht (potentia) steht: wovon noch unterschieden werden muß, denselben Gegenstand in meiner Gewalt (in potestatem meam redactum) zu haben, welches nicht bloß ein Vermögen, sondern auch einen Akt der Willkür voraus setzt. Um aber etwas bloß als Gegenstand meiner Willkür zu denken, ist hinreichend, mir bewußt zu sein, daß ich ihn in meiner Macht habe. – Also ist es eine Voraussetzung a priori der praktischen Vernunft, einen jeden[354] Gegenstand meiner Willkür als objektiv-mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln.

Man kann dieses Postulat ein Erlaubnisgesetz (lex permissiva) der praktischen Vernunft nennen, was uns die Befugnis gibt, die wir aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten; nämlich allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben. Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als praktische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert.


§ 3

Im Besitze eines Gegenstandes muß derjenige sein, der eine Sache als das Seine zu haben behaupten will; denn wäre er nicht in demselben: so könnte er nicht durch den Gebrauch, den der andere ohne seine Einwilligung davon macht, lädiert werden; weil, wenn diesen Gegenstand etwas außer ihm, was mit ihm gar nicht rechtlich verbunden ist, affiziert, ihn selbst (das Subjekt) nicht affizieren und ihm unrecht tun könnte.


§ 4. Exposition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein

Der äußeren Gegenstände meiner Willkür können nur drei sein: 1) eine (körperliche) Sache außer mir; 2) die Willkür eines anderen zu einer bestimmten Tat (praestatio); 3) der Zustand eines anderen in Verhältnis auf mich: nach den Kategorien der Substanz, Kausalität, und Gemeinschaft zwischen mir und äußeren Gegenständen nach Freiheitsgesetzen.

a) Ich kann einen Gegenstand im Raume (eine körperliche Sache) nicht mein nennen, außer wenn, obgleich ich nicht im physischen Besitz desselben bin, ich dennoch[355] in einem anderen wirklichen (also nichtphysischen) Besitz desselben zu sein behaupten darf. – So werde ich einen Apfel nicht darum mein nennen, weil ich ihn in meiner Hand habe (physisch besitze), sondern nur, wenn ich sagen kann: ich besitze ihn, ob ich ihn gleich aus meiner Hand, wohin es auch sei, gelegt habe; imgleichen werde ich von dem Boden, auf den ich mich gelagert habe, nicht sagen können, er sei darum mein; sondern nur, wenn ich behaupten darf, er sei immer noch in meinem Besitz, ob ich gleich diesen Platz verlassen habe. Denn der, welcher mir im erstern Falle (des empirischen Besitzes) den Apfel aus der Hand winden, oder mich von meiner Lagerstätte wegschleppen wollte, würde mich zwar freilich in Ansehung des inneren Meinen (der Freiheit), aber nicht des äußeren Meinen lädieren, wenn ich nicht, auch ohne Inhabung, mich im Besitz des Gegenstandes zu sein behaupten könnte; ich könnte also diese Gegenstände (den Apfel und das Lager) auch nicht mein nennen.

b) Ich kann die Leistung von etwas durch die Willkür des andern nicht mein nennen, wenn ich bloß sagen kann, sie sei mit meinem Versprechen zugleich (pactum re initum) in meinen Besitz gekommen, sondern nur, wenn ich behaupten darf, ich bin im Besitz der Willkür des andern (diesen zur Leistung zu bestimmen), obgleich die Zeit der Leistung noch erst kommen soll; das Versprechen des letzteren gehört demnach zur Habe und Gut (obligatio activa) und ich kann sie zu dem Meinen rechnen, aber nicht bloß, wenn ich das Versprochene (wie im ersten Falle) schon in meinem Besitz habe, sondern auch, ob ich dieses gleich noch nicht besitze. Also muß ich mich, als von dem auf Zeitbedingung eingeschränkten, mithin vom empirischen Besitze unabhängig, doch im Besitz dieses Gegenstandes zu sein denken können.

c) Ich kann ein Weib, ein Kind, ein Gesinde, und überhaupt eine andere Person nicht darum das Meine nennen, weil ich sie jetzt, als zu meinem Hauswesen gehörig, befehlige, oder im Zwinger und in meiner Gewalt und Besitz[356] habe, sondern wenn ich, ob sie sich gleich dem Zwange entzogen haben, und ich sie also nicht (empirisch) besitze, dennoch sagen kann, ich besitze sie durch meinen bloßen Willen, so lange sie irgendwo oder irgendwenn existieren, mithin bloß-rechtlich; sie gehören also zu meiner Habe nur alsdann, wenn und so fern ich das letztere behaupten kann.


§ 5. Definition des Begriffs des äußeren Mein und Dein

Die Namenerklärung, d.i. diejenige, welche bloß zur Unterscheidung des Objekts von allen andern zureicht und aus einer vollständigen und bestimmten Exposition des Begriffs hervorgeht, würde sein: Das äußere Meine ist dasjenige außer mir, an dessen mir beliebigen Gebrauch mich zu hindern Läsion (Unrecht) sein würde. – Die Sacherklärung dieses Begriffs aber, d.i. die, welche auch zur Deduktion desselben (der Erkenntnis der Möglichkeit des Gegenstandes) zureicht, lautet nun so: Das äußere Meine ist dasjenige, in dessen Gebrauch mich zu stören Läsion sein würde, ob ich gleich nicht im Besitz desselben (nicht Inhaber des Gegenstandes) bin. – In irgend einem Besitz des äußeren Gegenstandes muß ich sein, wenn der Gegenstand mein heißen soll; denn sonst würde der, welcher diesen Gegenstand wider meinen Willen affizierte, mich nicht zugleich affizieren, mithin auch nicht lädieren. Also muß, zu Folge des § 4, ein intelligibler Besitz (possessio noumenon) als möglich vorausgesetzt werden, wenn es ein äußeres Mein oder Dein geben soll; der empirische Besitz (Inhabung) ist alsdenn nur Besitz in der Erscheinung (possessio phaenomenon), obgleich der Gegenstand, den ich besitze, hier nicht so, wie es in der transzendentalen Analytik geschieht, selbst als Erscheinung, sondern als Sache an sich selbst betrachtet wird; denn dort war es der Vernunft um das theoretische Erkenntnis der[357] Natur der Dinge und, wie weit sie reichen könne, hier aber ist es ihr um praktische Bestimmung der Willkür nach Gesetzen der Freiheit zu tun, der Gegenstand mag nun durch Sinne, oder auch bloß den reinen Verstand erkennbar sein, und das Recht ist ein solcher reiner praktischer Vernunftbegriff der Willkür unter Freiheitsgesetzen.

Eben darum sollte man auch billig nicht sagen: ein Recht auf diesen oder jenen Gegenstand, sondern vielmehr ihn bloß-rechtlich besitzen; denn das Recht ist schon ein intellektueller Besitz eines Gegenstandes, einen Besitz aber zu besitzen, würde ein Ausdruck ohne Sinn sein.


§ 6. Deduktion des Begriffs des bloß-rechtlichen Besitzes eines äußeren Gegenstandes (possessio noumenon)

Die Frage: wie ist ein äußeres Mein und Dein möglich? löst sich nun in diejenige auf: wie ist ein bloß-rechtlicher (intelligibler) Besitz möglich? und diese wiederum in die dritte: wie ist ein synthetischer Rechtssatz a priori möglich?

Alle Rechtssätze sind Sätze a priori, denn sie sind Vernunftgesetze (dictamina rationis). Der Rechtssatz a priori in Ansehung des empirischen Besitzes ist analytisch; denn er sagt nichts mehr, als was nach dem Satz des Widerspruchs aus dem letzteren folgt, daß nämlich, wenn ich Inhaber einer Sache (mit ihr also physisch verbunden) bin, derjenige, der sie wider meine Einwilligung affiziert (z.B. mir den Apfel aus der Hand reißt), das innere Meine (meine Freiheit) affiziere und schmälere, mithin in seiner Maxime mit dem Axiom des Rechts im geraden Widerspruch stehe. Der Satz von einem empirischen rechtmäßigen Besitz geht also nicht über das Recht einer Person in Ansehung ihrer selbst hinaus.

Dagegen geht der Satz: von der Möglichkeit des Besitzes einer Sache außer mir, nach Absonderung aller Bedingungen des empirischen Besitzes im Raum und Zeit, (mithin[358] die Voraussetzung der Möglichkeit einer possessio noumenon) über jene einschränkende Bedingungen hinaus, und, weil er einen Besitz auch ohne Inhabung als notwendig zum Begriffe des äußeren Mein und Dein statuiert, so ist er synthetisch und nun kann es zur Aufgabe für die Vernunft dienen, zu zeigen, wie ein solcher sich über den Begriff des empirischen Besitzes erweiternde Satz a priori möglich sei.

Auf solche Weise ist z.B. die Besitzung eines absonderlichen Bodens ein Akt der Privatwillkür, ohne doch eigenmächtig zu sein. Der Besitzer fundiert sich auf dem angebornen Gemeinbesitze des Erdbodens und dem diesem a priori entsprechenden allgemeinen Willen eines erlaubten Privatbesitzes auf demselben (weil ledige Sachen sonst an sich und nach einem Gesetze zu herrenlosen Dingen gemacht werden würden) und erwirbt durch die erste Besitzung ursprünglich einen bestimmten Boden, indem er jedem andern mit Recht (iure) widersteht, der ihn im Privatgebrauch desselben hindern würde, obzwar als im natürlichen Zustande nicht von rechtswegen (de iure), weil in demselben noch kein öffentliches Gesetz existiert.

Wenn auch gleich ein Boden als frei, d.i. zu jedermanns Gebrauch offen angesehen, oder dafür erklärt würde, so kann man doch nicht sagen, daß er es von Natur und ursprünglich, vor allem rechtlichem Akt, frei sei, denn auch das wäre ein Verhältnis zu Sachen, nämlich dem Boden, der jedermann seinen Besitz verweigerte, sondern, weil diese Freiheit des Bodens ein Verbot für jedermann sein würde, sich desselben zu bedienen; wozu ein gemeinsamer Besitz desselben erfordert wird, der ohne Vertrag nicht statt finden kann. Ein Boden aber, der nur durch diesen frei sein kann, muß wirklich im Besitze aller derer (zusammen verbundenen) sein, die sich wechselseitig den Gebrauch desselben untersagen, oder ihn suspendieren.

Diese ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens, und hiemit auch der Sachen auf demselben (communio fundi originaria), ist eine Idee, welche objektive (rechtlichpraktische) Realität hat, und ist ganz und gar von der uranfänglichen (communio primaeva) unterschieden,[359] welche eine Erdichtung ist; weil diese eine gestiftete Gemeinschaft hätte sein und aus einem Vertrage hervorgehen müssen, durch den alle auf den Privatbesitz Verzicht getan, und ein jeder, durch die Vereinigung seiner Besitzung mit der jedes andern, jenen in einen Gesamtbesitz verwandelt habe, und davon müßte uns die Geschichte einen Beweis geben. Ein solches Verfahren aber als ursprüngliche Besitznehmung anzusehen, und daß darauf jedes Menschen besonderer Besitz habe gegründet werden können und sollen, ist ein Widerspruch.

Von dem Besitz (possessio) ist noch der Sitz (sedes) und von der Besitznehmung des Bodens, in der Absicht, ihn dereinst zu erwerben, ist noch die Niederlassung, Ansiedelung (incolatus) unterschieden, welche ein fortdauernder Privatbesitz eines Platzes ist, der von der Gegenwart des Subjekts auf demselben abhängt. Von einer Niederlassung als einem zweiten rechtlichen Akt, der auf die Besitznehmung folgen, oder auch ganz unterbleiben kann, ist hier nicht die Rede; weil sie kein ursprünglicher, sondern von der Beistimmung anderer abgeleiteter Besitz sein würde.

Der bloße physische Besitz (die Inhabung) des Bodens ist schon ein Recht in einer Sache, obzwar freilich noch nicht hinreichend, ihn als das Meine anzusehen. Beziehungsweise auf andere ist er, als (so viel man weiß) erster Besitz, mit dem Gesetz der äußern Freiheit einstimmig, und zugleich in dem ursprünglichen Gesamtbesitz enthalten, der a priori den Grund der Möglichkeit eines Privatbesitzes enthält; mithin den ersten Inhaber eines Bodens in seinem Gebrauch desselben zu stören eine Läsion. Die erste Besitznehmung hat also einen Rechtsgrund (titulus possessionis) für sich, welcher der ursprünglich gemeinsame Besitz ist, und der Satz: wohl dem, der im Besitz ist (beati possidentes)! weil niemand verbunden ist, seinen Besitz zu beurkunden, ist ein Grundsatz des natürlichen Rechts, der die erste Besitznehmung als einen rechtlichen Grund zur Erwerbung aufstellt, auf den sich jeder erste Besitzer fußen kann.[360]

Einem theoretischen Grundsatze a priori müßte nämlich (zu Folge der Krit. der r. V.) dem gegebenen Begriff eine Anschauung a priori untergelegt, mithin etwas zu dem Begriffe vom Besitz des Gegenstandes hinzugetan werden; allein in diesem praktischen wird umgekehrt verfahren und alle Bedingungen der Anschauung, welche den empirischen Besitz begründen, müssen weggeschafft (von ihnen abgesehen) werden, um den Begriff des Besitzes über den empirischen hinaus zu erweitern und sagen zu können: ein jeder äußere Gegenstand der Willkür kann zu dem rechtlich-Meinen gezählt werden, den ich (und auch nur so fern ich ihn) in meiner Gewalt habe, ohne im Besitz desselben zu sein.

Die Möglichkeit eines solchen Besitzes, mithin die Deduktion des Begriffs eines nicht-empirischen Besitzes, gründet sich auf dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft: »daß es Rechtspflicht sei, gegen andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne«, zugleich mit der Exposition des letzteren Begriffs, welcher das äußere Seine nur auf einen nicht-physischen Besitz gründet, verbunden. Die Möglichkeit des letzteren aber kann keinesweges für sich selbst bewiesen, oder eingesehen werden (eben weil es ein Vernunftbegriff ist, dem keine Anschauung korrespondierend gegeben werden kann), sondern ist eine unmittelbare Folge aus dem gedachten Postulat, Denn, wenn es notwendig ist, nach jenem Rechtsgrundsatz zu handeln, so muß auch die intelligibele Bedingung (eines bloß-rechtlichen Besitzes) möglich sein. – Es darf auch niemand befremden, daß die theoretischen Prinzipien des äußeren Mein und Dein sich im Intelligibelen verlieren und kein erweitertes Erkenntnis vorstellen; weil der Begriff der Freiheit, auf dem sie beruhen, keiner theoretischen Deduktion seiner Möglichkeit fähig ist, und nur aus dem praktischen Gesetze der Vernunft (dem kategorischen Imperativ), als einem Faktum derselben, geschlossen werden kann.
[361]



§ 7. Anwendung des Prinzips der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein auf Gegenstände der Erfahrung

Der Begriff eines bloß-rechtlichen Besitzes ist kein empirischer (von Raum und Zeitbedingungen abhängiger) Begriff, und gleichwohl hat er praktische Realität, d.i. er muß auf Gegenstände der Erfahrung, deren Erkenntnis von jenen Bedingungen abhängig ist, anwendbar sein. – Das Verfahren mit dem Rechtsbegriffe in Ansehung der letzteren, als des möglichen äußeren Mein und Dein, ist folgendes: Der Rechtsbegriff, der bloß in der Vernunft liegt, kann nicht unmittelbar auf Erfahrungsobjekte, und auf den Begriff eines empirischen Besitzes, sondern muß zunächst auf den reinen Verstandesbegriff eines Besitzes überhaupt angewandt werden, so daß, statt der Inhabung (detentio), als einer empirischen Vorstellung des Besitzes, der von allen Raumes- und Zeitbedingungen abstrahierende Begriff des Habens und nur, daß der Gegenstand als in meiner Gewalt (in potestate mea positum esse) sei, gedacht werde; da dann der Ausdruck des Äußeren nicht das Dasein in einem anderen Orte, als wo ich bin, oder meiner Willensentschließung und Annahme als in einer anderen Zeit, wie der des Angebots, sondern nur einen von mir unterschiedenen Gegenstand bedeutet. Nun will die praktische Vernunft durch ihr Rechtsgesetz, daß ich das Mein und Dein in der Anwendung auf Gegenstände nicht nach sinnlichen Bedingungen, sondern abgesehen von denselben, weil es eine Bestimmung der Willkür nach Freiheitsgesetzen betrifft, auch den Besitz desselben denke, indem nur ein Verstandesbegriff unter Rechtsbegriffe subsumiert werden kann. Also werde ich sagen: ich besitze einen Acker, ob er zwar ein ganz anderer Platz ist, als worauf ich mich wirklich befinde. Denn die Rede ist hier nur von einem intellektuellen Verhältnis zum Gegenstande, so fern ich ihn in meiner Gewalt habe (ein von Raumesbestimmungen unabhängiger Verstandesbegriff des Besitzes), und er ist mein,[362] weil mein, zu desselben beliebigem Gebrauch sich bestimmender, Wille dem Gesetz der äußeren Freiheit nicht widerstreitet. Gerade darin: daß, abgesehen vom Besitz in der Erscheinung (der Inhabung) dieses Gegenstandes meiner Willkür, die praktische Vernunft den Besitz nach Verstandesbegriffen, nicht nach empirischen, sondern solchen, die a priori die Bedingungen desselben enthalten können, gedacht wissen will, liegt der Grund der Gültigkeit eines solchen Begriffs vom Besitze (possessio noumenon) als einer allgemeingeltenden Gesetzgebung; denn eine solche ist in dem Ausdrucke enthalten: »dieser äußere Gegenstand ist mein«; weil allen andern dadurch eine Verbindlichkeit auferlegt wird, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs desselben zu enthalten.

Die Art also, etwas außer mir als das Meine zu haben, ist die bloß-rechtliche Verbindung des Willens des Subjekts mit jenem Gegenstande, unabhängig von dem Verhältnisse zu demselben im Raum und in der Zeit, nach dem Begriff eines intelligibelen Besitzes. – Ein Platz auf der Erde ist nicht darum ein äußeres Meine, weil ich ihn mit meinem Leibe einnehme (denn es betrifft hier nur meine äußere Freiheit, mithin nur den Besitz meiner selbst, kein Ding außer mir, und ist also nur ein inneres Recht); sondern, wenn ich ihn noch besitze, ob ich mich gleich von ihm weg und an einen andern Ort begeben habe, nur alsdenn betrifft es mein äußeres Recht, und derjenige, der die fortwährende Besetzung dieses Platzes durch meine Person zur Bedingung machen wollte, ihn als das Meine zu haben, muß entweder behaupten, es sei gar nicht möglich, etwas Äußeres als das Seine zu haben (welches dem Postulat § 2 widerstreitet), oder er verlangt, daß, um dieses zu können, ich in zwei Orten zugleich sei; welches denn aber so viel sagt, als: ich solle an einem Orte sein und auch nicht sein, wodurch er sich selbst widerspricht.

Dieses kann auch auf den Fall angewendet werden, da ich ein Versprechen akzeptiert habe; denn da wird meine Habe und Besitz an dem Versprochenen da durch nicht aufgehoben, daß der Versprechende zu einer Zeit sagte: diese Sache soll dein sein, eine Zeit hernach aber von ebenderselben Sache[363] sagt: ich will jetzt, die Sache solle nicht dein sein. Denn es hat mit solchen intellektuellen Verhältnissen die Bewandtnis, als ob jener ohne eine Zeit zwischen beiden Deklarationen seines Willens gesagt hätte, sie soll dein sein, und auch, sie soll nicht dein sein, was sich dann selbst widerspricht.

Ebendasselbe gilt auch von dem Begriffe des rechtlichen Besitzes einer Person, als zu der Habe des Subjekts gehörend (sein Weib, Kind, Knecht): daß nämlich diese häusliche Gemeinschaft und der wechselseitige Besitz des Zustandes aller Glieder derselben, durch die Befugnis, sich örtlich von einander zu trennen, nicht aufgehoben wird; weil es ein rechtliches Verhältnis ist, was sie verknüpft, und das äußere Mein und Dein hier, eben so wie in vorigen Fällen, gänzlich auf der Voraussetzung der Möglichkeit eines reinen Vernunftbesitzes ohne Inhabung beruht.

Zur Kritik der rechtlich-praktischen Vernunft, im Begriffe des äußeren Mein und Dein, wird diese eigentlich durch eine Antinomie der Sätze über die Möglichkeit eines solchen Besitzes genötigt, d.i. nur durch eine unvermeidliche Dialektik, in welcher Thesis und Antithesis beide auf die Gültigkeit zweier einander widerstreitenden Bedingungen gleichen Anspruch machen, wird die Vernunft auch in ihrem praktischen (das Recht betreffenden) Gebrauch genötigt, zwischen dem Besitz als Erscheinung und dem bloß durch den Verstand denkbaren einen Unterschied zu machen.

Der Satz heißt: Es ist möglich, etwas Äußeres als das Meine zu haben; ob ich gleich nicht im Besitz desselben bin.

Der Gegensatz: Es ist nicht möglich, etwas Äußeres als das Meine zu haben; wenn ich nicht im Besitz desselben bin.

Auflösung: Beide Sätze sind wahr: der erstere, wenn ich den empirischen Besitz (possessio phaenomenon), der andere, wenn ich unter diesem Wort den reinen intelligibelen Besitz (possessio noumenon) verstehe. – Aber die Möglichkeit eines intelligibelen Besitzes, mithin auch des äußeren Mein und Dein läßt sich nicht einsehen,[364] sondern muß aus dem Postulat der praktischen Vernunft gefolgert werden, wobei es noch besonders merkwürdig ist: daß diese, ohne Anschauungen, selbst ohne einer a priori zu bedürfen, sich durch bloße, vom Gesetz der Freiheit berechtigte, Weglassung empirischer Bedingungen erweitere und so synthetische Rechtssätze a priori aufstellen kann, deren Beweis (wie bald gezeigt werden soll) nachher in praktischer Rücksicht auf analytische Art geführt werden kann.


§ 8. Etwas äußeres als das Seine zu haben, ist nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande, möglich

Wenn ich (wörtlich oder durch die Tat) erkläre, ich will, daß etwas Äußeres das Meine sein solle, so erkläre ich jeden anderen für verbindlich, sich des Gegenstandes meiner Willkür zu enthalten: eine Verbindlichkeit, die niemand ohne diesen meinen rechtlichen Akt haben würde. In dieser Anmaßung aber liegt zugleich das Bekenntnis: jedem anderen in Ansehung des äußeren Seinen wechselseitig zu einer gleichmäßigen Enthaltung verbunden zu sein; denn die Verbindlichkeit geht hier aus einer allgemeinen Regel des äußeren rechtlichen Verhältnisses hervor. Ich bin also nicht verbunden, das äußere Seine des anderen unangetastet zu lassen, wenn mich nicht jeder andere dagegen auch sicher stellt, er werde in Ansehung des Meinigen sich nach ebendemselben Prinzip verhalten; welche Sicherstellung gar nicht eines besonderen rechtlichen Akts bedarf, sondern schon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung, wegen der Allgemeinheit, mithin auch der Reziprozität der Verbindlichkeit aus einer allgemeinen Regel, enthalten ist. – Nun kann der einseitige Wille in Ansehung eines äußeren, mithin zufälligen, Besitzes nicht zum Zwangsgesetz für jedermann dienen, weil das der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen Abbruch tun würde. Also ist nur ein jeden anderen verbindender, mithin kollektiv-allgemeiner (gemeinsamer)[365] und machthabender Wille derjenige, welcher jedermann jene Sicherheit leisten kann. – Der Zustand aber unter einer allgemeinen äußeren (d.i. öffentlichen) mit Macht begleiteten Gesetzgebung ist der bürgerliche. Also kann es nur im bürgerlichen Zustande ein äußeres Mein und Dein geben.

Folgesatz: Wenn es rechtlich möglich sein muß, einen äußeren Gegenstand als das Seine zu haben: so muß es auch dem Subjekt erlaubt sein, jeden anderen, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über ein solches Objekt kommt, zu nötigen, mit ihm zusammen in eine bürgerliche Verfassung zu treten.




§ 9. Im Naturzustande kann doch ein wirkliches, aber nur provisorisches äußeres Mein und Dein statt haben

Das Naturrecht im Zustande einer bürgerlichen Verfassung (d.i. dasjenige, was für die letztere aus Prinzipien a priori abgeleitet werden kann) kann durch die statutarischen Gesetze der letzteren nicht Abbruch leiden, und so bleibt das rechtliche Prinzip in Kraft: »der, welcher nach einer Maxime verfährt, nach der es unmöglich wird, einen Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben, lädiert mich«; denn bürgerliche Verfassung ist allein der rechtliche Zustand, durch welchen jedem das Seine nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bestimmt wird. – Alle Garantie setzt also das Seine von jemanden (dem es gesichert wird) schon voraus. Mithin muß vor der bürgerlichen Verfassung (oder von ihr abgesehen) ein äußeres Mein und Dein als möglich angenommen werden, und zugleich ein Recht, jedermann, mit dem wir irgend auf eine Art in Verkehr kommen könnten, zu nötigen, mit uns in eine Verfassung zusammen zu treten, worin jenes gesichert werden kann. – Ein Besitz in Erwartung und Vorbereitung eines solchen Zustandes, der allein auf einem Gesetz des gemeinsamen Willens gegründet werden kann, der also zu der Möglichkeit des letzteren zusammenstimmt, ist ein provisorisch-rechtlicher Besitz, wogegen derjenige, der in[366] einem solchen wirklichen Zustande angetroffen wird, ein peremtorischer Besitz sein würde. – Vor dem Eintritt in diesen Zustand, zu dem das Subjekt bereit ist, widersteht er denen mit Recht, die dazu sich nicht bequemen und ihn in seinem einstweiligen Besitz stören wollen; weil der Wille aller anderen, außer ihm selbst, der ihm eine Verbindlichkeit aufzulegen denkt, von einem gewissen Besitz abzustehen, bloß einseitig ist, mithin eben so wenig gesetzliche Kraft (als die nur im allgemeinen Willen angetroffen wird) zum Widersprechen hat, als jener zum Behaupten, indessen daß der letztere doch dies voraus hat, zur Einführung und Errichtung eines bürgerlichen Zustandes zusammenzustimmen. – Mit einem Worte: die Art, etwas Äußeres als das Seine im Naturzustande zu haben, ist ein physischer Besitz, der die rechtliche Präsumtion für sich hat, ihn, durch Vereinigung mit dem Willen aller in einer öffentlichen Gesetzgebung, zu einem rechtlichen zu machen, und gilt in der Erwartung komparativ für einen rechtlichen.

Dieses Prärogativ des Rechts aus dem empirischen Besitzstande nach der Formel: wohl dem der im Besitz ist (beati possidentes), besteht nicht darin: daß, weil er die Präsumtion eines rechtlichen Mannes hat, er nicht nötig habe, den Beweis zu führen, er besitze etwas rechtmäßig (denn das gilt nur im streitigen Rechte), sondern weil, nach dem Postulat der praktischen Vernunft, jedermann das Vermögen zukommt, einen äußeren Gegenstand seiner Willkür als das Seine zu haben, mithin jede Inhabung ein Zustand ist, dessen Rechtmäßigkeit ich auf jenem Postulat durch einen Akt des vorhergehenden Willens gründet, und der, wenn nicht ein älterer Besitz eines anderen von ebendemselben Gegenstande dawider ist, also vorläufig, nach dem Gesetz der äußeren Freiheit, jedermann, der mit mir nicht in den Zustand einer öffentlich gesetzlichen Freiheit treten will, von aller Anmaßung des Gebrauchs eines solchen Gegenstandes abzuhalten berechtigt, um, dem Postulat der Vernunft gemäß, eine Sache, die sonst praktisch vernichtet sein würde, seinem Gebrauch zu unterwerfen.[367]

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 8, Frankfurt am Main 1977, S. 352-368.
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