Erster Abschnitt. Vom Sachenrecht
§ 11. Was ist ein Sachenrecht?

[370] Die gewöhnliche Erklärung des Rechts in einer Sache (ius reale, ius in re): »es sei das Recht gegen jeden Besitzer derselben«, ist eine richtige Nominaldefinition. – Aber, was ist das, was da macht, daß ich mich wegen eines äußeren Gegenstandes an jeden Inhaber desselben halten, und ihn (per vindicationem) nötigen kann, mich wieder in Besitz desselben zu setzen? Ist dieses äußere rechtliche Verhältnis meiner Willkür etwa ein unmittelbares Verhältnis zu einem körperlichen Dinge? So müßte derjenige, welcher sein Recht nicht unmittelbar auf Personen, sondern auf Sachen bezogen denkt, es sich freilich (obzwar nur auf dunkele Art) vorstellen: nämlich, weil dem Recht auf einer[370] Seite eine Pflicht auf der andern korrespondiert, daß die äußere Sache, ob sie zwar dem ersten Besitzer abhanden gekommen, diesem doch immer verpflichtet bleibe, d.i. sich jedem anmaßlichen anderen Besitzer weigere, weil sie jenem schon verbindlich ist, und so mein Recht, gleich einem die Sache begleitenden und vor allem fremden Angriffe bewahrenden Genius, den fremden Besitzer immer an mich weise. Es ist also ungereimt, sich Verbindlichkeit einer Person gegen Sachen und umgekehrt zu denken, wenn es gleich allenfalls erlaubt werden mag, das rechtliche Verhältnis durch ein solches Bild zu versinnlichen, und sich so auszudrücken.

Die Realdefinition würde daher so lauten müssen: Das Recht in einer Sache ist ein Recht des Privatgebrauchs einer Sache, in deren (ursprünglichen, oder gestifteten) Gesamtbesitze ich mit allen andern bin. Denn das letztere ist die einzige Bedingung, unter der es allein möglich ist, daß ich jeden anderen Besitzer vom Privatgebrauch der Sache ausschließe (ius contra quemlibet huius rei possessorem), weil, ohne einen solchen Gesamtbesitz vorauszusetzen, sich gar nicht denken läßt, wie ich, der ich doch nicht im Besitz der Sache bin, von andern, die es sind, und die sie brauchen, lädiert werden könne. – Durch einseitige Willkür kann ich keinen andern verbinden, sich des Gebrauchs einer Sache zu enthalten, wozu er sonst keine Verbindlichkeit haben würde: also nur durch vereinigte Willkür aller in einem Gesamtbesitz. Sonst müßte ich mir ein Recht in einer Sache so denken: als ob die Sache gegen mich eine Verbindlichkeit hätte, und davon allererst das Recht gegen jeden Besitzer derselben ableiten; welches eine ungereimte Vorstellungsart ist.

Unter dem Wort: Sachenrecht (ius reale) wird übrigens nicht bloß das Recht in einer Sache (ius in re) sondern auch der Inbegriff aller Gesetze, die das dingliche Mein und Dein betreffen, verstanden. – Es ist aber klar, daß ein Mensch, der auf Erden ganz allein wäre, eigentlich kein äußeres Ding als das Seine haben, oder erwerben könnte; weil zwischen ihm, als Person, und allen anderen äußeren Dingen, als Sachen, es gar kein Verhältnis der Verbindlichkeit gibt. Es gibt also, eigentlich und buchstäblich verstanden,[371] auch kein (direktes) Recht in einer Sache, sondern nur dasjenige wird so genannt, was jemanden gegen eine Person zukommt, die mit allen anderen (im bürgerlichen Zustande) im gemeinsamen Besitz ist.


§ 12. Die erste Erwerbung einer Sache kann keine andere als die des Bodens sein

Der Boden (unter welchem alles bewohnbare Land verstanden wird) ist, in Ansehung alles Beweglichen auf demselben, als Substanz, die Existenz des letzteren aber nur als Inhärenz zu betrachten und so, wie Im theoretischen Sinne die Akzidenzen nicht außerhalb der Substanz existieren können, so kann im praktischen das Bewegliche auf dem Boden nicht das Seine von jemanden sein, wenn dieser nicht vorher als im rechtlichen Besitz desselben befindlich (als das Seine desselben) angenommen wird.

Denn setzet, der Boden gehöre niemanden an: so werde ich jede bewegliche Sache, die sich auf ihm befindet, aus ihrem Platze stoßen können, um ihn selbst einzunehmen, bis sie sich gänzlich verliert, ohne daß der Freiheit irgend eines anderen, der jetzt gerade nicht Inhaber desselben ist, dadurch Abbruch geschieht; alles aber, was zerstört werden kann, ein Baum, Haus u.s.w. ist (wenigstens der Materie nach) beweglich, und wenn man die Sache, die ohne Zerstörung ihrer Form nicht bewegt werden kann, ein Immobile nennt, so wird das Mein und Dein an jener nicht von der Substanz, sondern dem ihr Anhängenden verstanden, welches nicht die Sache selbst ist.


§ 15. Ein jeder Boden kann ursprünglich erworben werden, und der Grund der Möglichkeit dieser Erwerbung ist die ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens überhaupt

Was das erste betrifft, so gründet sich dieser Satz auf dem Postulat der praktischen Vernunft (§ 2); das zweite auf folgenden Beweis.[372]

Alle Menschen sind ursprünglich (d.i. vor allem rechtlichem Akt der Willkür) im rechtmäßigen Besitz des Bodens, d.i. sie haben ein Recht, da zu sein, wohin sie die Natur, oder der Zufall (ohne ihren Willen) gesetzt hat. Dieser Besitz (possessio), der vom Sitz (sedes), als einem willkürlichen, mithin erworbenen, dauernden Besitzunterschieden ist, ist ein gemeinsamer Besitz, wegen der Einheit aller Plätze auf der Erdfläche, als Kugelfläche; weil, wenn sie eine unendliche Ebene wäre, die Menschen sich darauf so zerstreuen könnten, daß sie in gar keine Gemeinschaft mit einander kämen, diese also nicht eine notwendige Folge von ihrem Dasein auf Erden wäre. – Der Besitz aller Menschen auf Erden, der vor allem rechtlichem Akt derselben vorhergeht (von der Natur selbst konstituiert ist), ist ein ursprünglicher Gesamtbesitz (communio possessionis originaria), dessen Begriff nicht empirisch und von Zeitbedingungen abhängig ist, wie etwa der gedichtete aber nie erweisliche eines uranfänglichen Gesamtbesitzes (communio primaeva), sondern ein praktischer Vernunftbegriff, der a priori das Prinzip enthält, nach welchem allein die Menschen den Platz auf Erden nach Rechtsgesetzen gebrauchen können.




§ 14. Der rechtliche Akt dieser Erwerbung ist Bemächtigung (occupatio)

Die Besitznehmung (apprehensio), als der Anfang der Inhabung einer körperlichen Sache im Raume (possessionis physicae), stimmt unter keiner, anderen Bedingung mit dem Gesetz der äußeren Freiheit von jedermann (mithin a priori) zusammen, als unter der der Priorität in Ansehung der Zeit, d.i. nur als erste Besitznehmung (prior apprehensio), welche ein Akt der Willkür ist. Der Wille aber, die Sache (mithin auch ein bestimmter abgeteilter Platz auf Erden) solle mein sein, d.i. die Zueignung (appropriatio) kann in einer ursprünglichen Erwerbung nicht anders als einseitig (voluntas unilateralis s. propria) sein. Die Erwerbung eines äußeren Gegenstandes der Willkür durch einseitigen[373] Willen ist die Bemächtigung. Also kann die ursprüngliche Erwerbung desselben, mithin auch eines abgemessenen Bodens nur durch Bemächtigung (occupatio) geschehen. –

Die Möglichkeit, auf solche Art zu erwerben, läßt sich auf keine Weise einsehen, noch durch Gründe dartun, sondern ist die unmittelbare Folge aus dem Postulat der praktischen Vernunft. Derselbe Wille aber kann doch eine äußere Erwerbung nicht anders berechtigen, als nur so fern er in einem a priori vereinigten (d.i. durch die Vereinigung der Willkür aller, die in ein praktisches Verhältnis gegen einander kommen können) absolut gebietenden Willen enthalten ist; denn der einseitige Wille (wozu auch der doppelseitige, aber doch besondere Wille gehört) kann nicht jedermann eine Verbindlichkeit auflegen, die an sich zufällig ist, sondern dazu wird ein allseitiger nicht zufällig, sondern a priori, mithin notwendig vereinigter und darum allein gesetzgebender Wille erfordert; denn nur nach dieses seinem Prinzip ist Übereinstimmung der freien Willkür eines jeden mit der Freiheit von jedermann, mithin ein Recht überhaupt, und also auch ein äußeres Mein und Dein möglich.


§ 15. Nur in einer bürgerlichen Verfassung kann etwas peremtorisch, dagegen im Naturzustande zwar auch, aber nur provisorisch, erworben werden

Die bürgerliche Verfassung, obzwar ihre Wirklichkeit subjektiv zufällig ist, ist gleichwohl objektiv, d.i. als Pflicht, notwendig. Mithin gibt es in Hinsicht auf dieselbe und ihre Stiftung ein wirkliches Rechtsgesetz der Natur, dem alle äußere Erwerbung unterworfen ist.

Der empirische Titel der Erwerbung war die auf ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens gegründete physische Besitznehmung (apprehensio physica), welchem, weil dem Besitz nach Vernunftbegriffen des Rechts nur ein Besitz in der Erscheinung untergelegt werden kann, der einer intellektuellen Besitznehmung (mit Weglassung aller empirischen[374] Bedingungen in Raum und Zeit) korrespondieren muß, und die den Satz gründet: »was ich nach Gesetzen der äußeren Freiheit in meine Gewalt bringe, und will, es solle mein sein, das wird mein«.

Der Vernunfttitel der Erwerbung aber kann nur in der Idee eines a priori vereinigten (notwendig zu vereinigenden) Willens aller liegen, welche hier als unumgängliche Bedingung (conditio sine qua non) stillschweigend vorausgesetzt wird; denn durch einseitigen Willen kann anderen eine Verbindlichkeit, die sie für sich sonst nicht haben würden, nicht auferlegt werden. – Der Zustand aber eines zur Gesetzgebung allgemein wirklich vereinigten Willens ist der bürgerliche Zustand. Also nur in Konformität mit der Idee eines bürgerlichen Zustandes, d.i. in Hinsicht auf ihn und seine Bewirkung, aber vor der Wirklichkeit desselben (denn sonst wäre die Erwerbung abgeleitet), mithin nur provisorisch kann etwas Äußeres ursprünglich erworben werden. – Die peremtorische Erwerbung findet nur im bürgerlichen Zustande statt.

Gleichwohl ist jene provisorische dennoch eine wahre Erwerbung; denn, nach dem Postulat der rechtlich-praktischen Vernunft, ist die Möglichkeit derselben, in welchem Zustande die Menschen neben einander sein mögen (also auch im Naturzustande), ein Prinzip des Privatrechts, nach welchem jeder zu demjenigen Zwange berechtigt ist, durch welchen es allein möglich wird, aus jenem Naturzustande heraus zu gehen, und in den bürgerlichen, der allein alle Erwerbung peremtorisch machen kann, zu treten.

Es ist die Frage: wie weit erstreckt sich die Befugnis der Besitznehmung eines Bodens? So weit, als das Vermögen, ihn in seiner Gewalt zu haben, d.i. als der, so ihn sich zueignen will, ihn verteidigen kann, gleich als ob der Boden spräche: wenn ihr mich nicht beschützen könnt, so könnt ihr mir auch nicht gebieten. Darnach müßte also auch der Streit über das freie oder verschlossene Meer entschieden werden; z.B. innerhalb der Weite, wohin die Kanonen reichen, darf niemand an der Küste eines Landes, das schon einem gewissen[375] Staat zugehört, fischen, Bernstein aus dem Grunde der See holen, u. dergl. – Ferner: ist die Bearbeitung des Bodens (Bebauung, Beackerung, Entwässerung u. dergl.) zur Erwerbung desselben notwendig? Nein! denn, da diese Formen (der Spezifizierung) nur Akzidenzen sind, so machen sie kein Objekt eines unmittelbaren Besitzes aus, und können zu dem des Subjekts nur gehören, so fern die Substanz vorher als das Seine desselben anerkannt ist. Die Bearbeitung ist, wenn es auf die Frage von der ersten Erwerbung ankommt, nichts weiter als ein äußeres Zeichen der Besitznehmung, welches man durch viele andere, die weniger Mühe kosten, ersetzen kann. – Ferner: darf man wohl jemanden in dem Akt seiner Besitznehmung hindern, so daß keiner von beiden des Rechts der Priorität teilhaftig werde, und so der Boden immer als keinem angehörig frei bleibe? Gänzlich kann diese Hinderung nicht statt finden, weil der andere, um dieses tun zu können, sich doch auch selbst auf irgend einem benachbarten Boden befinden muß, wo er also selbst behindert werden kann zu sein, mithin eine absolute Verhinderung ein Widerspruch wäre; aber respektiv auf einen gewissen (zwischenliegenden) Boden, diesen, als neutral, zur Scheidung zweier Benachbarten unbenutzt liegen zu lassen, würde doch mit dem Rechte der Bemächtigung zusammen bestehen; aber alsdann gehört wirklich dieser Boden beiden gemeinschaftlich, und ist nicht herrenlos (res nullius), eben darum, weil er von beiden dazu gebraucht wird, um sie von einander zu scheiden. – Ferner: kann man auf einem Boden, davon kein Teil das Seine von jemanden ist, doch eine Sache als die seine haben? Ja, wie in der Mongolei jeder sein Gepäcke, was er hat, liegen lassen, oder sein Pferd, was ihm entlaufen ist, als das Seine in seinen Besitz bringen kann, weil der ganze Boden dem Volk, der Gebrauch desselben also jedem einzelnen zusteht; daß aber jemand eine bewegliche Sache auf dem Boden eines anderen als das Seine haben kann, ist zwar möglich, aber nur durch Vertrag. – Endlich ist die Frage: können zwei benachbarte[376] Völker (oder Familien) einander widerstehen, eine gewisse Art des Gebrauchs eines Bodens anzunehmen, z.B. die Jagdvölker dem Hirtenvolk, oder den Ackerleuten, oder diese den Pflanzern, u. dergl.? Allerdings; denn die Art, wie sie sich auf dem Erdboden überhaupt ansässig machen wollen, ist, wenn sie sich innerhalb ihrer Grenzen halten, eine Sache des bloßen Beliebens (res merae facultatis).

Zuletzt kann noch gefragt werden: ob, wenn uns weder die Natur noch der Zufall, sondern bloß unser eigener Wille in Nachbarschaft mit einem Volk bringt, welches keine Aussicht zu einer bürgerlichen Verbindung mit ihm verspricht, wir nicht, in der Absicht, diese zu stiften und diese Menschen (Wilde) in einen rechtlichen Zustand zu versetzen (wie etwa die amerikanischen Wilden, die Hottentotten, die Neuholländer), befugt sein sollten, allenfalls mit Gewalt, oder (welches nicht viel besser ist) durch betrügerischen Kauf, Kolonien zu errichten und so Eigentümer ihres Bodens zu werden, und, ohne Rücksicht auf ihren ersten Besitz, Gebrauch von unserer Überlegenheit zu machen; zumal es die Natur selbst (als die das Leere verabscheuet) so zu fordern scheint, und große Landstriche in anderen Weltteilen an gesitteten Einwohnern sonst menschenleer geblieben wären, die jetzt herrlich bevölkert sind, oder gar auf immer bleiben müßten, und so der Zweck der Schöpfung vereitelt werden würde? Allein man sieht durch diesen Schleier der Ungerechtigkeit (Jesuitism), alle Mittel zu guten Zwecken zu billigen, leicht durch; diese Art der Erwerbung des Bodens ist also verwerflich.

Die Unbestimmtheit, in Ansehung der Quantität sowohl als der Qualität des äußeren erwerblichen Objekts, macht diese Aufgabe (der einzigen ursprünglichen äußeren Erwerbung) unter allen zur schweresten sie aufzulösen. Irgend eine ursprüngliche Erwerbung des Äußeren aber muß es indessen doch geben; denn abgeleitet kann nicht alle sein. Daher kann man diese Aufgabe auch nicht als unauflöslich und als an sich unmöglich aufgeben. Aber,[377] wenn sie auch durch den ursprünglichen Vertrag aufgelöset wird, so wird, wenn dieser sich nicht aufs ganze menschliche Geschlecht erstreckt, die Erwerbung doch immer nur provisorisch bleiben.


§ 16. Exposition des Begriffs einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens

Alle Menschen sind ursprünglich in einem Gesamt-Besitz des Bodens der ganzen Erde (communio fundi originaria), mit dem ihnen von Natur zustehenden Willen (eines jeden), denselben zu gebrauchen (lex iusti), der, wegen der natürlich unvermeidlichen Entgegensetzung der Willkür des einen gegen die des anderen, allen Gebrauch desselben aufheben würde, wenn nicht jener zugleich das Gesetz für diese enthielte, nach welchem einem jeden ein besonderer Besitz auf dem gemeinsamen Boden bestimmt werden kann (lex iuridica). Aber das austeilende Gesetz des Mein und Dein eines jeden am Boden kann, nach dem Axiom der äußeren Freiheit, nicht anders als aus einem ursprünglich und a priori vereinigten Willen (der zu dieser Vereinigung keinen rechtlichen Akt voraussetzt), mithin nur im bürgerlichen Zustande, hervorgehen (lex iustitiae distributivae), der allein, was recht, was rechtlich und was Rechtens ist, bestimmt. – In diesem Zustand aber, d.i. vor Gründung und doch in Absicht auf denselben, d.i. provisorisch, nach dem Gesetz der äußeren Erwerbung zu verfahren, ist Pflicht, folglich auch rechtliches Vermögen des Willens, jedermann zu verbinden, den Akt der Besitznehmung und Zueignung, ob er gleich nur einseitig ist, als gültig anzuerkennen; mithin ist eine provisorische Erwerbung des Bodens, mit allen ihren rechtlichen Folgen, möglich.

Eine solche Erwerbung aber bedarf doch und hat auch eine Gunst des Gesetzes (lex permissiva), in Ansehung der Bestimmung der Grenzen des rechtlich-möglichen Besitzes, für sich, weil sie vor dem rechtlichen Zustande vorhergeht und, als bloß dazu einleitend, noch nicht peremtorisch ist, welche Gunst sich aber nicht weiter erstreckt, als bis zur[378] Einwilligung anderer (teilnehmender) zu Errichtung des letzteren, bei dem Widerstande derselben aber, in diesen (den bürgerlichen) zu treten, und so lange derselbe währt, allen Effekt einer rechtmäßigen Erwerbung bei sich führt, weil dieser Ausgang auf Pflicht gegründet ist.


§ 17. Deduktion des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung

Wir haben den Titel der Erwerbung in einer ursprünglichen Gemeinschaft des Bodens, mithin unter Raums-Bedingungen eines äußeren Besitzes, die Erwerbungsart aber in den empirischen Bedingungen der Besitznehmung (apprehensio), verbunden mit dem Willen, den äußeren Gegenstand als den seinen zu haben, gefunden. Nun ist noch nötig, die Erwerbung selbst, d.i. das äußere Mein und Dein, was aus beiden gegebenen Stücken folgt, nämlich den intelligibelen Besitz (possessio noumenon) des Gegenstandes, nach dem was sein Begriff enthält, aus den Prinzipien der reinen rechtlich-praktischen Vernunft zu entwickeln.

Der Rechtsbegriff vom äußeren Mein und Dein, so fern es Substanz ist, kann, was das Wort außer mir betrifft, nicht einen anderen Ort, als wo ich bin, bedeuten: denn er ist ein Vernunftbegriff; sondern, da unter diesem nur ein reiner Verstandesbegriff subsumiert werden kann, bloß etwas von mir Unterschiedenes und den eines nicht empirischen Besitzes (der gleichsam fortdauernden Apprehension), sondern nur den des in meiner Gewalt-habens (die Verknüpfung desselben mit mir als subjektive Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs) des äußeren Gegenstandes, welcher ein reiner Verstandesbegriff ist, bedeuten. Nun ist die Weglassung, oder das Absehen (Abstraktion) von diesen sinnlichen Bedingungen des Besitzes, als eines Verhältnisses der Person zu Gegenständen, die keine Verbindlichkeit haben, nichts anders als das Verhältnis einer Person zu Personen, diese alle durch den Willen der ersteren, so fern er dem Axiom der äußeren Freiheit, dem Postulat des Vermögens und der allgemeinen Gesetzgebung[379] des a priori als vereinigt gedachten Willens gemäß ist, in Ansehung des Gebrauchs der Sachen zu verbinden, welches also der intelligibele Besitz derselben, d.i. der durchs bloße Recht, ist, obgleich der Gegenstand (die Sache, die ich besitze) ein Sinnenobjekt ist.

Daß die erste Bearbeitung, Begrenzung, oder überhaupt Formgebung eines Bodens keinen Titel der Erwerbung desselben, d.i. der Besitz des Akzidens nicht ein Grund des rechtlichen Besitzes der Substanz abgeben könne, sondern vielmehr umgekehrt das Mein und Dein nach der Regel (accessorium sequitur suum principale) aus dem Eigentum der Substanz gefolgert werden müsse, und daß der, welcher an einen Boden, der nicht schon vorher der seine war, Fleiß verwendet, seine Mühe und Arbeit gegen den ersteren verloren hat, ist für sich selbst so klar, daß man jene so alte und noch weit und breit herrschende Meinung schwerlich einer anderen Ursache zuschreiben kann, als der in geheim obwaltenden Täuschung, Sachen zu personifizieren und, gleich als ob jemand sie sich durch an sie verwandte Arbeit verbindlich machen könne, keinem anderen als ihm zu Diensten zu stehen, unmittelbar gegen sie sich ein Recht zu denken; denn wahrscheinlicherweise würde man auch nicht so leichten Fußes über die natürliche Frage (von der oben schon Erwähnung geschehen) weggeglitten sein: »wie ist ein Recht in einer Sache möglich?« Denn das Recht gegen einen jeden Besitzer einer Sache bedeutet nur die Befugnis der besonderen Willkür zum Gebrauch eines, Objekts, so fern sie als im synthetisch-allgemeinen Willen enthalten, und mit dem Gesetz desselben zusammenstimmend gedacht werden kann.

Was die Körper auf einem Boden betritt, der schon der meinige ist, so gehören sie, wenn sie sonst keines anderen sind, mir zu, ohne daß ich zu diesem Zweck eines besonderen rechtlichen Akts bedürfte (nicht facto sondern lege); nämlich, weil sie als der Substanz inhärierende Akzidenzen betrachtet werden können (iure rei[380] meae), wozu auch alles gehört, was mit meiner Sache so verbunden ist, daß ein anderer sie von dem Meinen nicht trennen kann, ohne dieses selbst zu verändern (z.B. Vergoldung, Mischung eines mir zugehörigen Stoffes mit andern Materien, Anspülung oder auch Veränderung des anstoßenden Strombettes, und dadurch geschehende Erweiterung meines Bodens, u.s.w.). Ob aber der erwerbliche Boden sich noch weiter als das Land, nämlich auch auf eine Strecke des Seegrundes hin aus (das Recht, noch an meinen Ufern zu fischen, oder Bernstein herauszubringen, u. dergl.), sich ausdehnen lasse, muß nach ebendenselben Grundsätzen beurteilt werden. So weit ich aus meinem Sitze mechanisches Vermögen habe, meinen Boden gegen den Eingriff anderer zu sichern (z.B. so weit die Kanonen vom Ufer abreichen), gehört zu meinem Besitz und das Meer ist bis dahin geschlossen (mare clausum). Da aber auf dem weiten Meere selbst kein Sitz möglich ist, so kann der Besitz auch nicht bis dahin ausgedehnt werden und offene See ist frei (mare liberum). Das Stranden aber, es sei der Menschen, oder der ihnen zugehörigen Sachen, kann, als unvorsätzlich, von dem Strandeigentümer nicht zum Erwerbrecht gezählt werden; weil es nicht Läsion (ja überhaupt kein Faktum) ist, und die Sache, die auf einen Boden geraten ist, der doch irgend einem angehört, nicht als res nullius behandelt werden kann. Ein Fluß dagegen kann, so weit der Besitz seines Ufers reicht, so gut wie ein jeder Landboden, unter obbenannten Einschränkungen ursprünglich von dem erworben werden, der im Besitz beider Ufer ist.



* * *


Der äußere Gegenstand, welcher der Substanz nach das Seine von jemanden ist, ist dessen Eigentum (dominium), welchem alle Rechte in dieser Sache (wie Akzidenzen der Substanz) inhärieren, über welche also der Eigentümer (dominus) nach Belieben verfügen kann (ius disponendi de re sua). Aber hieraus folgt von selbst:[381] daß ein solcher Gegenstand nur eine körperliche Sache (gegen die man keine Verbindlichkeit hat) sein könne, daher ein Mensch sein eigener Herr (sui iuris), aber nicht Eigentümer von sich selbst (sui dominus) (über sich nach Belieben disponieren zu können) geschweige denn von anderen Menschen sein kann, weil er der Menschheit in seiner eigenen Person verantwortlich ist; wiewohl dieser Punkt, der zum Recht der Menschheit, nicht dem der Menschen gehört, hier nicht seinen eigentlichen Platz hat, sondern nur beiläufig zum besseren Verständnis des kurz vorher Gesagten angeführt wird. – Es kann ferner zwei volle Eigentümer einer und derselben Sache geben, ohne ein gemeinsames Mein und Dein, sondern nur als gemeinsame Besitzer dessen, was nur einem als das Seine zugehört, wenn, von den sogenannten Miteigentümern (condomini), einem nur der ganze Besitz ohne Gebrauch, dem anderen aber aller Gebrauch der Sache samt dem Besitz zukommt, jener also (dominus directus) diesen (dominus utilis) nur auf die Bedingung einer beharrlichen Leistung restringiert, ohne dabei seinen Gebrauch zu limitieren.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 8, Frankfurt am Main 1977, S. 370-382.
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