III. Von dem Grunde, sich einen Zweck, der zugleich Pflicht ist, zu Denken

[514] Zweck ist ein Gegenstand der freien Willkür, dessen Vorstellung diese zu einer Handlung bestimmt, wodurch jener hervorgebracht wird. Eine jede Handlung hat also ihren Zweck und, da niemand einen Zweck haben kann, ohne sich den Gegenstand seiner Willkür selbst zum Zweck zu machen, so ist es ein Akt der Freiheit des handelnden Subjekts, nicht eine Wirkung der Natur, irgend einen Zweck der Handlungen zu haben. Weil aber dieser Akt, der einen Zweck bestimmt, ein praktisches Prinzip ist, welches nicht die Mittel (mithin nicht bedingt) sondern den Zweck selbst (folglich unbedingt) gebietet, so ist es ein kategorischer Imperativ der reinen praktischen Vernunft, mithin ein solcher, der einen Pflichtbegriff mit dem eines Zwecks überhaupt verbindet.

Es muß nun einen solchen Zweck und einen ihm korrespondierenden kategorischen Imperativ geben. Denn, da es freie Handlungen gibt, so muß es auch Zwecke geben, auf welche, als Objekt, jene gerichtet sind. Unter diesen Zwecken aber muß es auch einige geben, die zugleich (d.i. ihrem Begriffe nach) Pflichten sind. – Denn gäbe es keine dergleichen,[514] so würden, weil doch keine Handlung zwecklos sein kann, alle Zwecke für die praktische Vernunft immer nur als Mittel zu andern Zwecken gelten und ein kategorischer Imperativ wäre unmöglich; welches alle Sittenlehre aufhebt.

Hier ist also nicht von Zwecken, die der Mensch sich nach sinnlichen Antrieben seiner Natur macht, sondern von Gegenständen der freien Willkür unter ihren Gesetzen die Rede, welche er sich zum Zweck machen soll. Man kann jene die technische (subjektive), eigentlich pragmatische, die Regel der Klugheit in der Wahl seiner Zwecke enthaltende; diese aber muß man die moralische (objektive) Zwecklehre nennen; welche Unterscheidung hier doch überflüssig ist, weil die Sittenlehre sich schon durch ihren Begriff von der Naturlehre (hier der Anthropologie) deutlich absondert, als welche letztere auf empirischen Prinzipien beruhet, dagegen die moralische Zwecklehre, die von Pflichten handelt, auf a priori in der reinen praktischen Vernunft gegebenen Prinzipien beruht.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 8, Frankfurt am Main 1977, S. 514-515.
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