XIV. Vom Prinzip der Absonderung der Tugendlehre von der Rechtslehre

[538] Diese Absonderung, auf welcher auch die Obereinteilung der Sittenlehre überhaupt beruht, gründet sich darauf: daß der Begriff der Freiheit, der jenen beiden gemein ist, die Einteilung in die Pflichten der äußeren und inneren Freiheit notwendig macht; von denen die letztern allein ethisch sind. – Daher muß diese und zwar als Bedingung aller Tugendpflicht (so wie oben die Lehre vom Gewissen als Bedingung aller Pflicht überhaupt) als vorbereitender Teil (discursus praeliminaris) vorangeschickt werden.


Anmerkung. Von der Tugendlehre nach dem Prinzip der inneren Freiheit

[538] Fertigkeit (habitus) ist eine Leichtigkeit zu handeln und eine subjektive Vollkommenheit der Willkür. – Nicht jede solche Leichtigkeit aber ist eine freie Fertigkeit (habitus libertatis), denn, wenn sie Angewohnheit (assuetudo), d.i. durch öfters wiederholte Handlung zur Notwendigkeit gewordene Gleichförmigkeit derselben ist, so ist sie keine aus der Freiheit hervorgehende, mithin auch nicht moralische Fertigkeit. Die Tugend kann man also nicht durch die Fertigkeit in freien gesetzmäßigen Handlungen definieren; wohl aber, wenn hinzugesetzt würde, »sich durch die Vorstellung des Gesetzes im Handeln zu bestimmen«, und da ist diese Fertigkeit eine Beschaffenheit nicht der Willkür, sondern des Willens, der ein mit der Regel, die er annimmt, zugleich allgemein-gesetzgebendes Begehrungsvermögen ist, und eine solche allein kann zur Tugend gezählt werden.

Zur inneren Freiheit aber werden zwei Stücke erfordert: seiner selbst in einem gegebenen Fall Meister (animus sui compos) und über sich selbst Herr zu sein (imperium in semetipsum), d.i. seine Affekten zu zähmen und seine Leidenschaften zu beherrschen. – Die Gemütsart (indoles) in diesen beiden Zuständen ist edel (erecta), im entgegengesetzten Fall aber unedel (indoles abiecta, serva).

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 8, Frankfurt am Main 1977, S. 538-539.
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